Verwaltungsgericht Hannover
Beschl. v. 23.08.2005, Az.: 6 B 4917/05

Gestattung des Besuchs einer anderen Schule; Vorliegen zwingender pädagogischer Gründe für den Besuch einer anderen Schule; Begriff der "unzumutbaren Härte" im Sinne des § 63 Abs. 3 S. 4 Schulgesetz Niedersachen (NSchG); Berücksichtigung berufsbedingter Belastungen

Bibliographie

Gericht
VG Hannover
Datum
23.08.2005
Aktenzeichen
6 B 4917/05
Entscheidungsform
Beschluss
Referenz
WKRS 2005, 32196
Entscheidungsname
[keine Angabe]
ECLI
ECLI:DE:VGHANNO:2005:0823.6B4917.05.0A

Verfahrensgegenstand

Gestattung des Besuchs einer anderen Schule - Antrag nach § 123 VwGO

In der Verwaltungsrechtssache
hat das Verwaltungsgericht Hannover - 6. Kammer -
am 23. August 2005
durch
den Einzelrichter Littmann
beschlossen:

Tenor:

Der Antragstellerin wird für das Verfahren im ersten Rechtszug Prozesskostenhilfe bewilligt. Im Umfang der Bewilligung wird ihr Rechtsanwalt Jens Klinkert, Hannover, zur Vertretung in diesem Verfahren beigeordnet.

Die Antragsgegnerin wird im Wege einstweiliger Anordnung verpflichtet, der Antragstellerin vorläufig, befristet bis zum Ergehen einer Entscheidung des Verwaltungsgerichts über die im Verfahren 6 A 2583/05 erhobene Klage im Schuljahr 2005/2006 den Besuch der Grundschule Egestorffschule in Hannover zu gestatten.

Die Kosten des Verfahrens tragen die Antragstellerin und die Antragsgegnerin jeweils zur Hälfte.

Gründe

1

I.

Die am ... geborene Antragstellerin besucht seit dem Schuljahr 2004/2005 die Grundschule Egestorffschule im Stadtteil Linden der Landeshauptstadt Hannover. Sie wohnt mit ihrer Mutter und ihrer jüngeren Schwester im Stadtteil ... in ... die von der Landeshauptstadt Hannover durch Satzung in den Schulbezirk der Grundschule Brüder-Grimm-Schule in der Constantinstraße einbezogen worden ist. Die Brüder-Grimm-Schule ist eine Ganztagsschule mit fester Betreuungszeit bis 16.00 Uhr. Die Mutter der Antragstellerin ist Friseurmeisterin und in einem Friseursalon im Stadtteil Mitte täglich bis 16.00 Uhr vollzeitbeschäftigt. Im Anschluss an die Schule wird die Antragstellerin im Hort der Kindertagesstätte ... in der ... im Stadtteil ... betreut. Die Hortbetreuung der Kindertagesstätte ... wird in der Zeit von 12.00 bis 17.00 Uhr angeboten. In der Kindertagesstätte ... wird auch ihre jüngere, noch nicht schulpflichtige Schwester ... ganztags betreut, wobei die Betreuungszeiten des Kindergartens von Montag bis Donnerstag um 16.15 Uhr und Freitags um 15.00 Uhr enden. Der Vater der Antragstellerin ist den Angaben der Antragstellerin zufolge von ihrer Mutter seit längerer Zeit geschieden. Eine infolge der Scheidung zu treffende Regelung des Sorgerechts für die Antragstellerin ist bisher nicht erfolgt, weil sich der Vater der Antragstellerin nach seiner Abschiebung in die Türkei an einem der Mutter unbekannten Ort aufhält.

2

Die Mutter der Antragstellerin beantragte am 28. Februar 2005 bei der zuständigen Grundschule Brüder-Grimm-Schule, ihrer Tochter weiterhin den Besuch der Egestorffschule zu gestatten. Ihren Antrag begründete sie damit, dass sie allein erziehend und berufstätig sei und ihre tägliche Arbeitszeit erst um 16.00 Uhr ende. Da für ihre Tochter im Stadtteil Sahlkamp zurzeit kein Hortplatz frei sei, sei sie auf die Betreuung beider Kinder in der Kindertagesstätte ... angewiesen. Sie hoffe sehr, dass sie für beide Kinder bis zum Sommer eine Betreuung im Stadtteil Sahlkamp gefunden haben werde.

3

Die Antragsgegnerin gab dem Antrag mit Bescheid vom 6. April 2005 befristet bis zum Schuljahresende 2004/2005 wegen der gegen einen Schulwechsel im laufenden Schuljahr sprechenden pädagogischen Gründe statt. Im Übrigen führte sie zur Begründung der Befristung der Gestattung aus, der im laufenden Schuljahr durchgeführte Umzug der Antragstellerin in den Stadtteil Sahlkamp allein begründe noch nicht die Fortsetzung des Besuchs der (jetzt) unzuständigen Grundschule. Nachweise über eine Betreuungsnotwendigkeit der Antragstellerin in Linden habe die Mutter der Schülerin bisher nicht vorgelegt. Zu berücksichtigen sei auch, dass die Brüder-Grimm-Schule eine Betreuung bis 16.00 Uhr anbiete.

4

Die Antragstellerin hat am 3. Mai 2005 Klage im Hauptsacheverfahren 6 A 2583/05 erhoben, mit der sie die Verpflichtung der Antragsgegnerin zur Neubescheidung ihres Antrags auf Gestattung des Besuchs der Egestorffschule begehrt. Zur Klagebegründung trägt sie vor, über das Ende des Schuljahres 2004/2005 hinaus auf den Besuch der Egestorffschule angewiesen zu sein, weil ihre Mutter bis 16.00 Uhr arbeiten müsse. Deshalb müssten beide Geschwisterkinder den Hort und die Kindertagesstätte im Stadtteil Linden besuchen. Sollte die Antragstellerin die Brüder-Grimm-Schule besuchen, die nur eine Betreuungszeit bis 16.00 Uhr biete, könne sie nach Schulschluss nicht mehr von ihrer Mutter abgeholt werden, ohne dass diese ihre Berufstätigkeit aufgeben müsse. Darüber hinaus wäre die Suche nach einem Kindergartenplatz für die jüngere Schwester ... völlig aussichtslos, da Kindergartenplätze im Bereich der Brüder-Grimm-Schule nicht zur Verfügung stünden. Es wäre auch nicht möglich, die Entfernung zwischen den beiden Stadtteilen in einer Zeitspanne von 30 Minuten zu bewältigen.

5

Die Antragstellerin hat am 18. August 2005 um einstweiligen Rechtsschutz nachgesucht.

6

Zur Antragsbegründung nimmt sie auf die Begründung ihrer Klage Bezug. Im Übrigen macht sie geltend, dass es für sie eine unzumutbare Härte darstellen würde, wenn sie die zuständige Grundschule besuchen müsste. Ihre Mutter, deren Arbeitszeit sich berufsspezifisch zeitweise bis 16.15 oder 16.30 Uhr verlängere, müsse ihre jüngere Schwester von der Kindertagesstätte abholen. Bei einem Besuch der Brüder-Grimm-Schule müsste sie daher den Schulweg allein bewältigen, wofür sie noch zu jung und unerfahren sei. Außerdem wäre sie anschließend bis zum Eintreffen ihrer Mutter auf sich allein gestellt und ohne Aufsicht.

7

Die Antragstellerin beantragt,

die Antragsgegnerin im Wege einstweiliger Anordnung zu verpflichten, ihr den Besuch der Grundschule Egestorffschule zu gestatten.

8

Die Antragsgegnerin beantragt fernmündlich,

den Antrag abzulehnen und nimmt auf ihre schriftsätzlichen Ausführungen im Klageverfahren Bezug.

9

Im Klageverfahren hat die Antragsgegnerin geltend gemacht, es lägen keine Gründe nach § 63 Abs. 3 Satz 4 NSchG vor, den weiteren Besuch der unzuständigen Schule zu gestatten. Das vorgebrachte Betreuungsargument reiche hierfür nicht aus, denn die Mutter habe selbst angekündigt, sich im Stadtteil des neuen Wohnortes eine Betreuungsmöglichkeit zu suchen. Außerdem bestehe eine ausreichende Betreuungsmöglichkeit in dem bis 16.00 Uhr währenden Ganztagsangebot der Brüder-Grimm-Schule. Nicht nachvollziehbar sei auch, warum die sich daran anschließende Zeit bis zum Eintreffen der Mutter ein Problem sein solle. Die Antragstellerin könne den Weg von der Schule nach Hause allein bewältigen. Eine kurze anschließende Wartezeit sei hinzunehmen. Insoweit unterscheide sich die Situation der Antragstellerin nicht von den allgemeinen Betreuungsschwierigkeiten vieler berufstätiger Eltern.

10

Wegen der weiteren Einzelheiten des Sachverhalts und des Vorbringens der Beteiligten wird ergänzend auf den Inhalt der Gerichtsakten 6 B 4917/05 und 6 A 2583/05 sowie der beigezogenen Verwaltungsvorgänge der Antragsgegnerin (Beiakte A) verwiesen.

11

Der Prozesskostenhilfeantrag ist gemäß § 166 VwGo-in Verbindung mit § 114 ZPO begründet. Die Antragstellerin erfüllt angesichts der wirtschaftlichen Verhältnisse ihrer Mutter die persönlichen Voraussetzungen für die Gewährung von Prozesskostenhilfe und die mit dem Antrag auf einstweiligen Rechtsschutz beabsichtigte Rechtsverfolgung bietet hinreichende Aussicht auf Erfolg. Insoweit wird auf die nachfolgenden Gründe der Sachentscheidung verwiesen.

12

Der Antrag ist gemäß § 123 Abs. 1 Satz 2 VwGO zulässig.

13

Das Verwaltungsgericht geht angesichts des unbestrittenen Vortrags der Antragstellerin davon aus, dass ihr Vater aufgrund der dargestellten Umstände seines unbekannten Aufenthalts im Ausland tatsächlich an der Wahrnehmung der Personensorge für seine Tochter verhindert ist. Danach ist gemäß § 1678 Abs. 1 BGB für das Verfahren auf einstweiligen Rechtsschutz davon auszugehen, dass die minderjährige Antragstellerin gemäß § 1629 Abs. 1 Satz 3 BGB i.V.m. § 62 Abs. 1 Nr. 1 VwGO gerichtlich allein durch ihre Mutter vertreten werden kann.

14

Der Antrag ist auch begründet, soweit das Rechtsschutzbegehren eine vorläufige, zeitlich bis zum Ergehen einer Entscheidung im Hauptsacheverfahren und inhaltlich auf das Schuljahr 2005/2006 beschränkte Regelung umfasst. Für den Erlass einer solchen einstweiligen Anordnung, mit der die Antragsgegnerin verpflichtet wird, der Antragstellerin vorläufig zu gestatten, dass sie weiterhin die Grundschule Egestorffschule besucht, hat die Antragstellerin einen Anordnungsanspruch und einen Anordnungsgrund (§§ 123 Abs. 3 VwGO, 920 Abs. 2 VwGO) glaubhaft gemacht.

15

Der Anordnungsanspruch der Antragstellerin stützt sich auf § 63 Abs. 3 Satz 4 NSchG. Diese Regelung setzt voraus, dass für Schulen Schulbezirke festgelegt worden sind. Soweit dieses geschehen ist, haben die Schülerinnen und Schüler gemäß § 63 Abs. 3 Satz 1 NSchG diejenige Schule der von ihnen gewählten Schulform zu besuchen, in deren Schulbezirk sie ihren Wohnsitz oder gewöhnlichen Aufenthalt haben. Danach hat die Antragstellerin die Grundschule Brüder-Grimm-Schule zu besuchen, denn nach § 2 Abs. 1 der Satzung über die Festlegung von Schulbezirken für die allgemein bildenden Schulen in der Trägerschaft der Landeshauptstadt Hannover (i.d.F. der 4. Änderungssatzung vom 23.6.2003, ABI. RBH an 2003 S. 450 ff.) erstreckt sich der Schulbezirk dieser Grundschule auf den Bereich der Grundstücke an der ... in dem die Antragstellerin wohnt.

16

Davon abweichend kann nach § 63 Abs. 3 Satz 4 NSchG der Besuch einer anderen Schule, hier der Grundschule Egestorffschule nur gestattet werden, wenn

  1. 1.

    der Besuch der zuständigen Schule für die betreffenden Schülerinnen oder Schüler oder deren Familien eine unzumutbare Härte darstellen würde oder

  2. 2.

    der Besuch der anderen Schule aus pädagogischen Gründen geboten erscheint.

17

Es ist zwar entgegen der von der Antragstellerin vertretenen Auffassung nichts dafür ersichtlich und von den Beteiligten auch nicht vorgetragen, dass im Fall der Antragstellerin zwingende pädagogische Gründe für den Besuch der Egestorffschule vorliegen könnten. Umzüge von Eltern mit ihren Kindern im Grundschulalter sind keine Seltenheit. Relativ häufig ist in diesen Fällen mit dem Umzug auch ein Schulwechsel für Grundschulkinder verbunden, ohne dass der Gesetzgeber dem in § 63 NSchG durch eine Ausnahme von der Pflicht zum Besuch der für den Wohnort zuständigen Grundschule Rechnung getragen hätte.

18

Die Antragstellerin hat aber Umstände dargelegt und glaubhaft gemacht, aus denen geschlossen werden kann, dass der Besuch der zuständigen Grundschule Brüder-Grimm-Schule für sie eine unzumutbare Härte darstellen würde. Der Begriff der unzumutbaren Härte kennzeichnet eine Situation, die sich von den typischen Härten, die mit der Festlegung von Schulbezirken verbunden ist, deutlich unterscheidet und das private Interesse der Schülerin oder des Schülers oder der Familie an dem Besuch einer anderen Schule so dringend erscheinen lässt, dass es das nach § 63 Abs. 2 und 3 NSchG grundsätzlich vorrangige Interesse an der Steuerung der Schülerströme durch die Einhaltung von Schulbezirksgrenzen zurückdrängt. Eine solche besondere, durch den Begriff der Unzumutbarkeit gekennzeichnete Situation ist im Fall der Antragstellerin gegeben.

19

Sie tritt nach Überzeugung des Verwaltungsgerichts dadurch ein, dass die Antragstellerin durch die Arbeitszeit ihrer Mutter und die gegenwärtige Betreuung ihrer noch nicht schulpflichtigen jüngeren Schwester in einer Kindertagesstätte bedingt bei einem Besuch der für sie zuständigen Brüder-Grimm-Schule am Nachmittag für einen wesentlichen Zeitraum ohne eine Betreuung in der Gestalt von Aufsicht wäre. Die Antragstellerin müsste im Anschluss an das Ende der festen Betreuungszeit der Brüder-Grimm-Schule heimgehen und wäre dort in der Wohnung der Familie voraussichtlich längere Zeit allein. Auch aus solchen, durch die Berufstätigkeit der Eltern bedingten Belastungen im Zusammenhang mit der notwendigen Betreuung von Schulkindern kann sich eine unzumutbare Härte ergeben. Es trifft zwar zu, dass sich die sorgeberechtigten Eltern eines Schulkindes bei ihrer Berufswahl auf die Gegebenheiten der Schulpflicht einstellen müssen. Wenn dieses aber wie im vorliegenden Fall wegen der ungünstigen Lage ihrer Arbeitszeit nicht möglich ist, räumt gerade die Ausnahmebestimmung des § 63 Abs. 3 Satz 3 NSchG der Schulbehörde die Möglichkeit ein, berufsbedingte Belastungen zu berücksichtigen und den Besuch einer anderen Schule zu gestatten (VG Hannover, Urt. vom 29.6.1995, NVwZ 1996 S. 94).

20

Dabei ist es nicht der von der Antragstellerin allein zu bewältigende Schulweg von der Brüder-Grimm-Schule zum Hinrichsring, der für sie eine unzumutbare Härte im Sinne von § 63 Abs. 3 Satz 4 NSchG darstellte. Der Schulweg führt durch einen Teil der dem Mädchen bekannten Wohnumgebung. Im Übrigen könnte der Schulweg in Begleitung der Mutter oder der Großmutter in der schulfreien Zeit beispielsweise der Sommerferien geübt werden, wie es auch von Schulanfängerinnen und -anfängern verlangt wird. Schließlich muss nach dem bisher bekannten Sachverhalt davon ausgegangen werden, dass die Antragstellerin in der Mittagszeit schon jetzt den Schulweg von der Egestorffschule zur Kindertagesstätte in der ... allein bewältigen muss. Soweit schließlich Bedenken hinsichtlich der Sicherheit des Schulweges geltend gemacht werden sollten, was bisher nicht substantiiert geschehen ist, ist einer besonderen Gefährlichkeit des Schulweges durch die gesetzliche Pflicht zur Schülerbeförderung aus § 114 Abs. 1 NSchG Rechnung zu tragen (VG Hannover, Beschl. v. 22.8.2003 - 6 B 3510/03 -).

21

Entscheidend ist vielmehr, dass der Antragstellerin angesichts ihres Entwicklungsstandes noch nicht zugemutet werden kann, sich im Anschluss an den Schulweg schultäglich allein in der Wohnung aufzuhalten, bis ihre Mutter mit der jüngeren Schwester zu Hause eintrifft. Dabei muss davon ausgegangen werden, dass die Mutter des Mädchens je nach Art des benutzten Verkehrsmittels in der Regel nicht vor 17.00 Uhr in der Wohnung eintreffen kann. Vermutlich wird dieses sogar erst später der Fall sein, denn die Mutter der Antragstellerin muss zunächst die nicht unerhebliche Entfernung von der im Stadtzentrum gelegenen Arbeitsstätte bis zur ... in Linden zurücklegen, um anschließend den mehr als doppelt so langen Weg vom Stadtteil Linden bis zum Stadtteil Sahlkamp anzutreten. Dass sich die dadurch bedingte Zeit des Alleinseins in der Wohnung oder in der Umgebung der Wohnung nachteilig auf die schulische und persönliche Entwicklung des gerade erst 8 Jahre alt gewordenen ("Schlüssel"-) Kindes auswirken könnte, liegt auf der Hand. Jedenfalls muss das Verwaltungsgericht mangels anderer Anhaltspunkte im Verfahren auf einstweiligen Rechtsschutz insoweit von der Richtigkeit der Einschätzung der Mutter des Mädchens ausgehen, wonach ihre Tochter noch nicht in der Lage ist, sich für den in Rede stehenden Zeitraum unbeaufsichtigt in der Wohnung aufzuhalten. Etwas anderes könnte nur dann gelten, wenn feststünde, dass die Antragstellerin in ihrer persönlichen Entwicklung bereits soviel Selbstständigkeit und Selbstbewusstsein entwickelt hätte, dass ihr eine entsprechende tägliche Situation des Alleinseins ohne Weiteres zuzumuten wäre. Dafür lassen sich dem vorliegenden Sachverhalt aber keine Anhaltspunkte entnehmen. Insbesondere hat die Antragsgegnerin keine Stellungnahme der Lehrkräfte der Antragstellerin vorgelegt, aus der sich eine entsprechende Einschätzung der Persönlichkeit des Mädchens ableiten ließe.

22

Zwar weist die Antragsgegnerin zu Recht darauf hin, dass die Mutter der Antragstellerin bisher keine ausreichenden Bemühungen um eine Kindertagesstätte für ihre jüngere Tochter Dilara und einen Hortplatz für die Antragstellerin in der Wohnumgebung der Familie oder in der Nähe der zuständigen Grundschule nachgewiesen hat. Die vorgelegte Bescheinigung der Caritas vom 11. Juli 2005 bezieht sich nur auf eine Kindertagesstätte in der .... Dass auch Erkundigungen bei anderen Kindertagesstätten eingeholt worden wären, ist bisher nicht vorgetragen worden. Ob danach die Behauptung, dass die Suche nach einem entsprechenden Hort- und Kindergartenplatz aussichtslos sei, richtig ist oder ob sich gegenwärtig oder in absehbarer Zeit doch entsprechende Betreuungsmöglichkeiten ergeben, kann der weiteren Aufklärung des Sachverhalts im Klageverfahren vorbehalten bleiben.

23

Mit Verbindlichkeit für die Entscheidung im vorliegenden Verfahren auf einstweiligen Rechtsschutz muss das Verwaltungsgericht jedenfalls davon ausgehen, dass die gegenwärtige Betreuungssituation zu einer unzumutbaren Härte des Besuchs der Brüder-Grimm-Schule durch die Antragstellerin führt.

24

Angesichts der möglichen psychischen Belastungen, die für die Antragstellerin mit einer aufsichtlosen Situation während der Schultage verbunden sind, liegt auch ein durch die Dringlichkeit der beantragten Regelung gekennzeichneter Anordnungsgrund vor, zumal der Unterrichtsbeginn des neuen Schuljahres zeitlich unmittelbar bevorsteht. Allerdings ist die einstweilige Regelung nur im Sinne von § 123 Abs. 1 Satz 2 VwGO nötig, solange über die im Hauptsacheverfahren 6 A 2583/05 erhobene Klage noch nicht entschieden worden ist. Im Übrigen erscheint es ausreichend, die Wirkungen der einstweiligen Anordnung vorläufig auf das gegenwärtige Schuljahr zu begrenzen.

25

Soweit das Rechtsschutzbegehren mit dem Antrag, die Antragsgegnerin (uneingeschränkt) zu verpflichten, der Antragstellerin den Besuch der Grundschule Egestorffschule zu gestatten, über eine solche vorläufige Regelung hinausgeht, nimmt er die nur im Hauptsacheverfahren zu erreichenden endgültigen Regelung des Schulbesuchs vorweg. Endgültige Regelungen können aber im Verfahren auf Erlass einer einstweiligen Anordnung nach § 123 VwGO grundsätzlich nicht getroffen werden. Insoweit ist der Antrag daher als unzulässig abzulehnen.

26

Die Kostenentscheidung folgt aus § 155 Abs. 1 Satz 1 VwGO.

Streitwertbeschluss:

Der Streitwert wird auf 5.000 Euro festgesetzt.

Die Streitwertfestsetzung beruht auf § 63 Abs. 2 Satz 1 GKG. Die Höhe des festgesetzten Streitwertes richtet sich gemäß §§ 53 Abs. 3 Nr. 1, 52 Abs. 2 GKG nach dem gesetzlich vorgesehenen Auffangwert.

Littmann