Oberlandesgericht Celle
Beschl. v. 20.03.2014, Az.: 2 W 57/14
Erstattungsfähigkeit der Kosten eines Unterbevollmächtigten; Begrenzung durch die (fiktiven) Reisekosten des Hauptbevollmächtigten
Bibliographie
- Gericht
- OLG Celle
- Datum
- 20.03.2014
- Aktenzeichen
- 2 W 57/14
- Entscheidungsform
- Beschluss
- Referenz
- WKRS 2014, 13543
- Entscheidungsname
- [keine Angabe]
- ECLI
- ECLI:DE:OLGCE:2014:0320.2W57.14.0A
Verfahrensgang
- nachfolgend
- BGH - 06.11.2014 - AZ: I ZB 38/14
Rechtsgrundlagen
- ZPO § 91
- ZPO § 103
- ZPO § 104
Fundstellen
- AGS 2014, 425-427
- JurBüro 2014, 368-370
- NJW-Spezial 2014, 605
- ZAP EN-Nr. 490/2014
Amtlicher Leitsatz
Übersteigen die zu erwartenden Kosten des Unterbevollmächtigten die ersparten Reisekosten des Hauptbevollmächtigten um mehr als 10 %, steht dem Kostengläubiger lediglich ein Anspruch auf Erstattung von 100 % der ersparten Reisekosten des Hauptbevollmächtigten zu.
Tenor:
Die am 12. Februar 2014 bei dem Landgericht Hannover eingegangene Beschwerde der Klägerin vom 11. Februar 2014 gegen den am 3. Februar 2014 zugestellten Kostenfestsetzungsbeschluss der Rechtspflegerin der 26. Zivilkammer (6. Kammer für Handelssachen) des Landgerichts Hannover vom 17. Januar 2014 wird zurückgewiesen.
Die Kosten des Beschwerdeverfahrens trägt die Klägerin.
Die Rechtsbeschwerde wird zugelassen.
Der Streitwert des Beschwerdeverfahrens wird auf 426,54 € festgesetzt.
Gründe
I.
Die Klägerin begehrt die Erstattung der Kosten des Unterbevollmächtigten.
Die in F. ansässige Klägerin beauftragte die in M. ansässigen Prozessbevollmächtigten mit der Vertretung vor dem Landgericht Hannover.
In dem Rechtsstreit machte die Klägerin wettbewerbsrechtliche Unterlassungsansprüche geltend. Außer Beweis durch Vorlage von Urkunden wurde Beweis durch Sachverständigengutachten angeboten (Bl. 30). Nach einem frühen ersten Termin am 16. Januar 2013, 10:00 Uhr (Bl. 39) kam es zu einem weiteren Termin am 27. August 2013, 10:00 Uhr (Bl. 104).
In beiden Terminen ließ sich die Klägerin durch einen Unterbevollmächtigten vertreten.
Im anschließenden Kostenerstattungsverfahren beantragte die Klägerin die Festsetzung der Gebühren des Unterbevollmächtigten in Höhe von 1.652,54 € gegen die zur Kostentragung verpflichtete Beklagte (Bl. 140). Für die Zusammensetzung der Gebühren des Unterbevollmächtigten wird auf dessen Kostenrechnung Bezug genommen (Bl. 142).
Die Rechtspflegerin der 26. Zivilkammer (6. Kammer für Handelssachen) des Landgerichts Hannover forderte die Klägerin auf, fiktive Reisekosten für den Hauptbevollmächtigten darzulegen (Bl. 152). Unter Zugrundelegung einer Flugreise mit der Lufthansa zum Tarif "Economy Flex" errechnete die Klägerin Kosten in Höhe von 1.003,52 € pro Termin, also 2.007,04 € insgesamt. Für die Zusammensetzung dieser Kosten wird auf den Schriftsatz vom 25. November 2013 Bezug genommen (Bl. 153 f.). Sie vertrat die Ansicht, den Bevollmächtigten sei darüber hinaus die Buchung im Tarif "Business Class" zuzubilligen, wodurch sich die Kosten noch einmal um etwa 440,00 € erhöhen würden.
Mit Kostenfestsetzungsbeschluss vom 17. Januar 2014 setzte die Rechtspflegerin die Kosten des Unterbevollmächtigten gegen die Beklagte nur auf 1.266,00 € fest (Bl. 156). Zur Begründung führte sie aus, fiktive Reisekosten könnten nur für eine Reise mit der Deutschen Bahn erster Klasse geltend gemacht werden. Unter Hinzurechnung der An- und Abfahrt, Übernachtungskosten in Höhe von 100,00 € und Abwesenheitsgeld für zwei Tage, ergäben sich Kosten in Höhe von 1.266,00 €.
Gegen diesen Beschluss, der Klägerin am 3. Februar 2014 zugestellt (Bl. 160), richtet sich die Beschwerde der Klägerin vom 11. Februar 2014, eingegangen beim Landgericht am 12. Februar 2014 (Bl. 161 ff.). Die Klägerin verteidigt ihre Aufstellung über die fiktiven Reisekosten. Sie meint überdies, die Rechtspflegerin habe zu Unrecht einen Zuschlag in Höhe der Überschreitungstoleranz von 10 % versagt.
Die Beklagte hat mit Schriftsatz vom 3. März 2014 zur Erwiderung auf ihre bisherigen Stellungnahmen im Kostenfestsetzungsverfahren Bezug genommen.
Die Rechtspflegerin hat der Beschwerde mit Beschluss vom 7. März 2014 nicht abgeholfen und die Akten dem Beschwerdegericht vorgelegt (Bl. 166). Der Einzelrichter hat das Verfahren dem Senat wegen grundsätzlicher Bedeutung übertragen.
II.
Die zulässige Beschwerde hat nur in geringem Umfang Erfolg.
Die Klägerin kann Erstattung der Kosten für den Unterbevollmächtigten bis zur Grenze fiktiver Reisekosten verlangen.
Nach der ständigen Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs stellen die Kosten eines Unterbevollmächtigten dann notwendige Kosten der Rechtsverfolgung oder Rechtsverteidigung im Sinne von § 91 Abs. 1 Satz 1 ZPO dar, wenn durch die Tätigkeit des Unterbevollmächtigten erstattungsfähige Reisekosten des Hauptbevollmächtigten erspart werden, die ansonsten bei der Wahrnehmung des Termins durch den Hauptbevollmächtigten entstanden wären (BGH, Beschl. v. 10. Juli 2012, VIII ZB 106/11, juris). Maßgeblich ist ob eine verständige und wirtschaftlich vernünftige Partei die kostenauslösende Maßnahme ex ante als sachdienlich ansehen durfte. Demnach sind die Kosten erstattungsfähig, wenn eine Vergleichsrechnung ergibt, dass sie unter den zu erwartenden (fiktiven) Reisekosten liegen.
1. Zutreffend hat die Rechtspflegerin entgegen der Ansicht der Klägerin für die danach anzustellende Vergleichsrechnung eine Anreise mit der Bahn zugrunde gelegt. Zu Unrecht meint die Klägerin, allein wegen der von ihr behaupteten Zeitersparnis stehe ihrem Hauptbevollmächtigten das Recht zu, mit dem Flugzeug anzureisen. Nach der Rechtsprechung des Senats (Beschl. v. 30. Oktober 2007, 2 W 107/07) stellt das Interesse des Prozessbevollmächtigten, die Zeit seiner Abwesenheit von der Kanzlei möglichst gering zu halten, keinen berücksichtigungsfähigen Umstand bei der Wahl des Reisemittels dar. Dies steht auch im Einklang mit der Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs (BGH NJW-RR 2008, 654 [BGH 13.12.2007 - IX ZB 112/05]). Auch dieser billigt eine Erstattung von Flugkosten nur dann zu, wenn es sich um eine Auslandsreise handelt oder die Mehrkosten einer Flugreise nicht außer Verhältnis zu den Kosten der Benutzung der Bahn stehen.
2. Die Rechtspflegerin hat die fiktiven Reisekosten auch zutreffend mit 1.266,00 € ermittelt. Soweit für die Wege in H. keine Taxikosten in Ansatz gebracht wurden, ist dies nicht zu beanstanden. Gerichtsbekannt liegt das Landgericht Hannover in unmittelbarer Nähe zum Hauptbahnhof. Ferner befinden sich in unmittelbarer Nähe zum Hauptbahnhof auch mehrere Hotels. Taxikosten fallen daher nicht an.
Die somit für eine Anreise mit der Bahn anfallenden Kosten lagen schon aus der ex-ante-Perspektive deutlich unter den von der Klägerin kalkulierten Kosten für eine Anreise mit dem Flugzeug. Die Kosten für eine Anreise mit dem Flugzeug in der Economy-Class übersteigen die oben kalkulierten Kosten um ca. 50 %.
Nach alledem kommt es nicht mehr darauf an, dass der Klägerin ohnehin lediglich die Kosten eines Fluges in der Economy-Class erstattet werden könnten (vgl. OLG Düsseldorf AGS 2009, 141, 142 [OLG Düsseldorf 17.12.2008 - I -10 W 93/08]; OLG Köln AGS 2010, 566, 567 [OLG Köln 28.04.2010 - 17 W 60/10]).
3. Die Klägerin konnte auch - insofern anders als im vom Bundesgerichtshof mit Beschluss vom 10. Juli 2012, NJW 2012, 2888 [BGH 10.07.2012 - VIII ZB 106/11] - entschiedenen Fall nicht davon ausgehen, dass es zu mehr als zwei Terminen kommen würde, so dass aus der maßgeblichen ex-ante-Sicht mit höheren Reisekosten zu kalkulieren war.
Das Landgericht hatte zunächst einen frühen ersten Termin bestimmt, in dem eine Entscheidung möglicherweise nicht zu erwarten war. Beide Parteien hatten indes bis zu diesem Termin lediglich Sachverständigenbeweis angeboten. Es war also auch aus ex-ante-Perspektive vorauszusehen, dass dann, wenn es in dem frühen ersten Termin zu keiner Einigung oder im Anschluss daran zu einer Entscheidung kommen würde, allenfalls ein weiterer Termin nach etwaiger Einholung eines Sachverständigengutachtens anberaumt werden würde.
4. Da die Kosten der Unterbevollmächtigung von 1.692,54 € die zu erwartenden fiktiven Reisekosten von 1.308,00 € um etwa 29 % übersteigen, sind sie nicht mehr erstattungsfähig. Nach der Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs (Beschl. v. 16.10.2002, VIII ZB 30/02) kommt eine Erstattung nur in Betracht, wenn die Kosten der Unterbevollmächtigung die zu erwartenden Reisekosten allenfalls um 10 % übersteigen.
5. Erstattungsfähig sind indes die fiktiven Reisekosten zu 100 %. Die Klägerin reklamiert zu Unrecht, ihr sei auch noch die Überschreitungstoleranz von 10 % zuzubilligen. Diese Ansicht lässt Sinn und Zweck der Überschreitungstoleranz außer Acht.
Nach der Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs hat sich die Beurteilung der Frage, ob aufgewendete Prozesskosten zur zweckentsprechenden Rechtsverteidigung notwendig waren, daran auszurichten, ob eine verständige und wirtschaftlich vernünftige Partei die kostenauslösende Maßnahme im damaligen Zeitpunkt (ex ante) als sachdienlich ansehen durfte. Dabei darf die Partei ihr berechtigtes Interesse verfolgen und die zur vollen Wahrnehmung ihrer Belange erforderlichen Schritte tun. Sie trifft lediglich die Obliegenheit, unter mehreren gleichgearteten Maßnahmen die kostengünstigere auszuwählen (BGH, Beschl. v. 04. April 2006, VI ZB 66/04).
Gegen diese Obliegenheit hat die Klägerin bzw. deren Prozessbevollmächtigter indes verstoßen. Es wurde ein Unterbevollmächtigter beauftragt, obwohl aus der maßgeblichen ex-ante-Perspektive erkennbar war, dass die Kosten eines Unterbevollmächtigten die zu erwartenden Reisekosten des Hauptbevollmächtigten wesentlich übersteigen würden.
Etwas anderes ergibt sich auch nicht aus der bereits zitierten Entscheidung des Bundesgerichtshofs zur Erstattung von Kosten eines Unterbevollmächtigten (Beschl. v. 16. Oktober 2002, VIII ZB 30/02), in der der Bundesgerichtshof die Überschreitungstoleranz entwickelt hat.
Der BGH hat zwar in dieser Entscheidung ausgeführt, eine Partei könne Ersatz der Kosten für den beauftragten Unterbevollmächtigten "insoweit" beanspruchen, als diese Kosten die ersparten Reisekosten nicht wesentlich übersteigen. Diese Wesentlichkeitsgrenze hat der BGH auf 10 % bemessen.
Wie sich aus den weiteren Ausführungen ergibt, soll diese Überschreitungstoleranz indes nur der Tatsache Rechnung tragen, dass die zu veranschlagenden Reisekosten von der Partei und ihrem Hauptbevollmächtigten bei der Entscheidung darüber, ob ein Unterbevollmächtigter mit der Teilnahme an der mündlichen Verhandlung beauftragt wird, etwa im Hinblick auf Fahrt- und Terminsdauer, nicht sicher vorausgesehen werden können. Dem Gegner wird im gewissen Umfang das Prognoserisiko der unterbevollmächtigenden Partei auferlegt. Dann (und nur dann), wenn die Kosten der Unterbevollmächtigung unter 110 % der zu erwartenden Reisekosten liegen, muss der Gegner die Entscheidung, einen Unterbevollmächtigten zu beauftragen, hinnehmen. Durch die Wahl des Wortes "insoweit" soll also nicht eine Grenze vorgegeben werden, bis zu der die Kosten der Unterbevollmächtigung jedenfalls erstattungsfähig sind, sondern eine notwendige Bedingung dafür, dass überhaupt eine Erstattung dieser Kosten stattfindet.
Wenn aber nach der anzustellenden Prognose selbst unter Berücksichtigung gewisser Unsicherheiten die Kosten des Unterbevollmächtigten die zu erwartenden Reisekosten wesentlich übersteigen, steht fest, dass die Partei durch Beauftragung des Unterbevollmächtigten schon aus der maßgeblichen ex-ante-Perspektive gegen ihre Obliegenheit zur Kostenminimierung verstoßen hat. Sie durfte eine Unterbevollmächtigung von vornherein nicht als sachdienlich ansehen. Es besteht kein Anlass, in diesem Fall den Gegner an den dadurch zu Unrecht ausgelösten Kosten zu beteiligen und ihm höhere Kosten aufzuerlegen, als bei Wahrung der Obliegenheit zur Kostenminimierung an Reisekosten angefallen wären.
6. Da die erstattungsfähigen fiktiven Reisekosten geringfügig höher als nach Berechnung der Rechtspflegerin zu veranschlagen sind, ist der Kostenfestsetzungsbeschluss diesbezüglich zu korrigieren.
III.
Die Kostenentscheidung beruht auf § 97 Abs. 1 ZPO.
Der Senat lässt die Rechtsbeschwerde zu, da die Sicherung einer einheitlichen Rechtsprechung eine Entscheidung des Rechtsbeschwerdegerichts erfordert, § 574 Abs. 2 Nr. 2 ZPO. Der Senat weicht von der Rechtsprechung des Hanseatischen Oberlandesgerichts Hamburg (Beschl. v. 2. November 2011, 8 W 71/11), des Oberlandesgerichts Frankfurt (Beschl. v. 29. September 2004, 12 W 152/04) sowie des Kammergerichts Berlin (Beschl. v. 24. Oktober 2007, 2 W 114/07) ab. In den zitierten Entscheidungen war der Kostenerstattung begehrenden Partei, die einen Unterbevollmächtigten beauftragt hatte, die Erstattung der fiktiven Reisekosten in Höhe von 110 % zugebilligt worden, obwohl die Kosten des Unterbevollmächtigten die fiktiven Reisekosten um mehr als 10 % überstiegen.
Der Wert des Beschwerdeverfahrens ergibt sich aus der Differenz der geltend gemachten Kosten der Unterbevollmächtigung von 1.692,54 € und den vom Landgericht zugebilligten fiktiven Reisekosten in Höhe von 1.266,00 €.