Vergabekammer Lüneburg
v. 10.08.1999, Az.: 203-VgK-6/1999

Anforderungen des von ihr zulässigerweise für die Auftragsvergabe gewählten Verhandlungsverfahrens mit vorangegangener Vergabebekanntmachung; Ausschreibungspflicht der Suche einer kommunalen Körperschaft nach einem privaten Mitgesellschafter über die haushaltsrechtlichen Pflichten hinaus; Voraussetzungen und Rechtsnatur der Rügeobliegenheit; Zulässigkeit eines Antrags auf Aussetzung des Vergabeverfahrens (Suspensiveffekt); Verletzung des Gleichbehandlungsgebots durch Abbruch der Verhandlungen mit nur einem Bieter; Anforderungen und Vorgehensweise beim Verhandlungsverfahren; Verpflichtung zur Verhandlung bei Eignung mehrerer Unternehmen; Ergänzung offen gelassener Positionen durch den Sachbearbeiter ohne Rücksprache mit dem Bieter

Bibliographie

Gericht
VK Lüneburg
Datum
10.08.1999
Aktenzeichen
203-VgK-6/1999
Entscheidungsform
Entscheidung
Referenz
WKRS 1999, 29990
Entscheidungsname
[keine Angabe]
ECLI
[keine Angabe]

Fundstelle

  • NVwZ (Beilage zu Heft 7/2001) 2001, V 24 (red. Leitsatz)

Verfahrensgegenstand

Übernahme der Betriebsführung der Abwasserentsorgung und der Wasserversorgung der Gemeinde xxxxx im Rahmen eines Kooperationsmodells

Die Vergabekammer bei der Bezirksregierung Lüneburg hat
durch
den Vorsitzenden ORR Gause,
den hauptamtlichen Beisitzer Dipl. Ing.Tyrra und
den ehrenamtlichen Beisitzer Dipl. Ing. Lohmöller
auf die mündliche Verhandlung vom 04.08.1999
entschieden:

Tenor:

  1. 1.

    Die Antragsgegnerin wird verpflichtet, die Vergabeverhandlungen auch mit der Antragstellerin wieder aufzunehmen. Hinsichtlich der Gebührenkalkulation beschränken sich die Verhandlungen auf die Positionen, bei denen in der bisherigen Bewertung die Antragsgegnerin Beträge ohne vorherige Konsultation der Antragstellerin eingesetzt hat.

  2. 2.

    Im Übrigen werden die Anträge zurückgewiesen.

  3. 3.

    Die Kosten hat die Antragsgegnerin zu tragen.

  4. 4.

    Die Antragsgegnerin hat der Antragstellerin und der Beigeladenen die zur zweckentsprechenden Rechtsverfolgung notwendigen Kosten zu erstatten, sofern sie dies beantragt.

  5. 5.

    Der Gegenstandswert wird auf 18 Mio. DM festgesetzt.

Tatbestand

1

I.

Die Antragsgegnerin hat die Übernahme der Betriebsführung der Abwasserentsorgung und Wasserversorgung für ihr Gemeindegebiet im Rahmen eines Kooperationsmodells im Wege des Verhandlungsverfahrens mit vorangegangener Bekanntmachung EU-weit gem. VOL/A ausgeschrieben. Auf die Bekanntmachung vom 28.08.98 forderten 9 Firmen die Ausschreibungsunterlagen an, von denen 5 Firmen - u.a. die Antragstellerin und die Beigeladene - mit Schreiben vom 24.09.98 zur Angebotsabgabe aufgefordert wurden. In dem Schreiben teilt die Antragsgegnerin mit, dass der künftige Kooperationspartner zu 49 % an der Kooperationsgesellschaft beteiligt werden solle, die auch zukünftige Investitionen finanzieren werde. Im Zuge der Ausschreibung werde ein Betriebsführungsangebot gem. beiliegendem Betriebsführungsvertrag verlangt. Mit den günstigsten Bietern werde die Antragsgegnerin dann ein Verhandlungsverfahren zur Beteiligung an der Kooperationsgesellschaft durchführen. Betriebsführung und Kooperationsgesellschaft sollten mit dem gleichen Partner durchgeführt werden. Dementsprechend erfolge eine Vergabe der Betriebsführung nur, wenn auch die Verhandlungen zur Kooperationsgesellschaft zum positiven Erfolg führen. Auch werde eine Vergabe nur dann erfolgen, wenn gemessen am heutigen Gebührensatz ein wirtschaftlicheres Angebot vorliege. In der dem Schreiben der Antragsgegnerin beigefügten Leistungsbeschreibung heißt es auf Seite 2: "Erwartet wird ein komplettes Angebot über die kaufmännische und technische Betriebsführung der Abwasserentsorgung und der Trinkwasserversorgung der Gemeinde xxxxxx entsprechend den beigefügten Betriebsführungsverträgen." Weiter heißt es auf Seite 3 unter Ziff. 7:

"Als Betriebskosten sind im Rahmen der Betriebsführungsverträge folgende Kosten nicht zu berücksichtigen:

- Abwasserabgabe

- Klärschlammentsorgung und -transport

- Fäkalschlammentsorgung und -transport

- Entsorgung von Sandfangrückständen und Rechengut

- Verwaltungsgebühren wie Gebühren/Beitragsberechnung und -abrechnung sowie Mahnwesen, Beantragung von Zuwendungen, Planung, Genehmigung, Vergabe Bauoberleitung, Dokumentation, Durchsetzung und Überwachung des Anschlusszwangs,Überprüfung der Hausanschlüsse, Kanalbestand und Kanalkataster.

Diese Kosten werden im Verhandlungsverfahren behandelt."

2

Daraufhin gab die Antragstellerin innerhalb der Angebotsfrist bis zum 17.11.1998 ein Angebot ab. Mit Schreiben vom 20.01.1999 teilte die Antragsgegnerin der Antragstellerin mit, dass sie sich nach der Angebotswertung entschlossen habe, mit der Antragstellerin Verhandlungen zur Kooperation zu führen. Gleichzeitig nahm die Antragsgegnerin Verhandlungen mit der Beigeladenen auf, die ebenfalls ein Angebot abgegeben hatte. Die Gemeinde hatte die xxxxx mit der Durchführung der Ausschreibung beauftragt. In der Angebotsauswertung der xxx vom 20.12.1998 heißt es auf Seite 13 zu Nr. 4:

3

Bewertung und Vergabeempfehlung "4.1. Trinkwasser ..... günstigster Anbieter ist die xxxx mit insgesamt 428.054,00 DM, womit die Vergleichskosten um rd. 231.000,00 DM unterschritten werden. Das sind minus 35,07 %.... Die Firma xxxxxx liegt mit minus 1,15 % unter den Vergleichskosten und bietet in dem Betrieb Trinkwaser mit 651.630,00 DM an." Auf Seite 14 heißt es zu Nr. 42 Abwasser "... günstigster Bieter ist ebenfalls die xxxxxx mit einem Angebotspreis von 528.705,00 DM. Das entspricht einer Einsparung von rd. minus 16,2 %....xxxxxx erreicht im Hauptangebot eine Kostenreduzierung von minus 4,6 % und unterschreitet den Kostenvergleichswert um knapp 41.000,00 DM. Im Nebenangebot incl. Reststoffentsorgung stehen dem Angebotspreis von 845.640,00 DM Vergleichskosten in Höhe von 886.100,00 DM gegenüber, was eine Einsparung von rd. 4,6 % entspricht."

4

Die Angebotsauswertung schließt mit der Empfehlung:

"auf Grund der vorliegenden vorteilhaften Ergebnisse wird deshalb empfohlen, mit beiden erstplatzierten Unternehmen

- xxxx und xxxxxxxx GmbH - Kooperationsverhandlungen aufzunehmen".

5

Mit Schreiben vom 20.01.1999 teilte die Gemeinde den beiden günstigsten Bietern mit, dass sie sich nach der Wertung des Angebots entschlossen habe, mit ihnen Verhandlungen zur Kooperation zu führen und lud sowohl die Beigeladene als auch die Antragstellerin für den 27.01.1999 zu einem ersten Gespräch ein. Das Schreiben schließt mit der Erwartung, dass in diesem Gespräch beide Bieter nach einer Aufklärung über ihr Betriebsführungsangebot ihre Vorstellungen über die angestrebte Kooperation darlegen. Das Gespräch fand statt. Die xxxxxx wurde dabei gebeten, die Kosten in der Kooperationsgesellschaft darzustellen, um hieraus einen möglichen Gebührensatz abzuleiten. Am 09.02.1999 fand ein weiteres Gespräch statt, an dem Mitglieder des Verwaltungsausschusses einschl. des Gemeindedirektors der Antragsgegnerin teilnahmen. Als Ergebnis dieses Gesprächs heißt es in einem Vermerk vom 16.02.1999:

"Es wurde vereinbart, zunächst mit der xxxxxx weitere Gespräche zu führen..... Die xxxxx soll in eine "Warteschleife" genommen werden."

6

Die Antragstellerin hat mit Schreiben vom 12.07.1999 die Vergabekammer angerufen. Sie macht geltend, die Antragsgegnerin habe im durchgeführten Vergabeverfahren gegen den Gleichheitsgrundsatz gem. § 97 Abs. 2 GWB verstoßen, indem sie die Antragstellerin von den weiteren Kooperationsverhandlungen ausgeschlossen habe. Sie habe sich zwischen dem 09.02. und dem 28.04.99 mehrfach bei der Antragsgegnerin telefonisch nach dem Sachstand und dem Stand der Verhandlungen erkundigt. Jedoch erst auf dem von ihr beantragten Termin am 28.04.99 habe sie definitiv erfahren, dass mit ihr zunächst nicht weiter verhandelt werde. Sie habe dieses Verhalten daraufhin in diesem Gespräch gerügt. Sie habe zum angestrebten Kooperationsvertrag keine detaillierten Kalkulationen und Strukturvorstellungen präsentieren können, da sie weder durch die Ausschreibungsunterlagen noch durch die Antragsgegnerin selbst unmittelbar in Kenntnis über die dafür erforderlichen Parameter des Kooperationsvertrages gesetzt wurde - dies umso mehr, da die konkreten Ausführungen der Ausschreibungsunterlagen auf Betriebsführung begrenzt und das angestrebte Kooperationsmodell ausdrücklich dem Verhandlungsverfahren vorbehalten gewesen seien. Gleichwohl habe die Antragsgegnerin von ihr gleich zu Beginn der Verhandlungen Angaben und Kalkulationen erwartet, auf die sie auf Grund der Ausschreibung noch gar nicht vorbereitet sein konnte. Sie weist im Übrigen darauf hin, dass sie insbesondere im Gespräch am 27.01.1999 durchaus Möglichkeiten und Vorteile genannt habe, um die hohen Abwassergebühren der Antragsgegnerin zu senken. Ihr Angebot sei mit den Angeboten der Beigeladenen jedoch gar nicht vergleichbar. Insbesondere habe die Beigeladene Kosten und Kalkulationen bereits in ihre Betriebsführungspauschale aufgenommen, obwohl diese Positionen ausdrücklich erst im Verhandlungsverfahren behandelt werden sollten. Die lückenhafte Information seitens der Antragsgegnerin ergebe sich nicht zuletzt aus einem Schreiben der Beigeladenen an die Gemeinde xxxxxxx vom 17.02.1999. Hierin fordert die Beigeladene von der Antragsgegnerin die Eingangsdaten zur Optimierung der Finanzierungskosten, wobei es sich um eine umfassende Liste von Daten handele, ohne deren Vorliegen die Finanzierungsermittlung nicht möglich sei. Daraufhin habe die Antragsgegnerin der Beigeladenen am 22.02.1999 die entsprechende Zusammenstellung über die Darlehen übersandt. Zu diesem Zeitpunkt sei die Antragstellerin aber bereits faktisch von den Verhandlungen ausgeschlossen gewesen.

7

Die Antragstellerin beantragt:

  1. 1.

    Der Antrag wird der Auftraggeberin unverzüglich zugestellt und das zur Überprüfung gestellte Vergabeverfahren über die technische und kaufmännische Betriebsführung und das Kooperationsmodell der Abwasserversorgung und Wasserversorgung der Gemeinde xxxxx wird ausgesetzt.

  2. 2.

    Die Verhandlungen über die technische und kaufmännische Betriebsführung und das Kooperationsmodell der Abwasserversorgung und der Wasserversorgung der Gemeinde werden mit der Antragstellerin fortgeführt.

  3. 3.

    Der Zuschlag in dem Vergabeverfahren für die technische und kaufmännische Betriebsführung und das Kooperationsmodell der Abwasserversorgung und Wasserversorgung der Gemeinde xxxx wird der Antragstellerin erteilt.

  4. 4.

    Die Antragsgegnerin trägt die Kosten des Verfahrens.

8

Die Antragsgegnerin beantragt,

den Antrag zurückzuweisen.

9

Die Antragsgegnerin tritt dem Vorbringen der Antragstellerin entgegen. Die Antragstellerin habe keinen Anspruch auf Erteilung des Zuschlages. Insbesondere habe die Antragstellerin zu keinem Zeitpunkt hinreichend dargelegt, was sie eigentlich als Gegenstand und Inhalt des Kooperationsmodells aus ihrer Sicht verstehe. Es bestehe auch kein Anspruch auf Erteilung des Zuschlags für die Betriebsführung. Abgesehen davon, dass die Antragstellerin dort gerade nicht das wirtschaftlich günstigste Angebot unterbreitet habe, seien diese beiden Dienstleistungen nicht isoliert ausgeschrieben worden. Vielmehr sei die Betriebsführung ausdrücklich nur als Vorstufe für das letztlich angestrebte Kooperationsmodell ausgeschrieben worden. Die Antragsgegnerin bezweifelt, dass die Antragstellerin überhaupt ein konkretes Interesse am Kooperationsmodell gehabt habe. Der Vortrag der Antragstellerin im Vergabeverfahren habe jegliche konkrete Rückschlüsse auf die Vorstellungen der Antragstellerin bezüglich des künftigen Kooperationsmodells vermissen lassen. Sie sei in die Verhandlungen mit der Gemeinde eingetreten, ohne die Gebührenkalkulationen für dieses Modell vorzubereiten. Die Antragsgegnerin macht unter Hinweis auf die Bekanntmachung des Nieders. Wirtschaftsministeriums vom 15.09.1997 - 34.2-32579/6 - (Nds. MBl. Nr. 43/97, S. 1790 ff.) geltend, dass die Aufgabenübertragung auf eine Gesellschaft privaten Rechts, an der die pflichtige Körperschaft mehrheitlich beteiligt ist, nicht von der VOL/A erfasst wird. Gefordert sei lediglich die Auswahl des privaten Mitgesellschafters im Wettbewerb, was auch erfolgt sei. Die Antragstellerin habe im Vorfeld auch keine Rügen gegen die Durchführung des Verhandlungsverfahrens selbst, sondern nur gegen die Ausschreibung erhoben.

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Im Übrigen habe sie durchaus die erforderlichen Verhandlungen mit der Antragstellerin geführt. Nachdem jedoch die Kalkulationszahlen der Antragstellerin für ihre Mitarbeit im Kooperationsmodell endlich vorgelegen hätten, habe die Antragsgegnerin diese mit den Zahlen der Beigeladenen verglichen. Die Zahlen hätten erst vergleichbar gemacht werden müssen, wie dies fast immer üblich ist. Dies sei auch geschehen mit dem Ergebnis, dass das gesichtete Angebot der Beigeladenen wirtschaftlich günstiger gewesen sei. Deshalb habe man zunächst die Verhandlungen allein mit der Beigeladenen weitergeführt und der Antragstellerin erklärt, dass die Gemeinde ggf. die Verhandlungen mit ihr wieder aufnehmen werde. Von dieser Verfahrensweise sei die Antragstellerin im Anschluss an das Gespräch vom 09.02.1999 insbesondere auch auf Grund der zahlreichen durchgeführten Telefonate informiert gewesen; nicht erst am 28.04.1999. Die Antragsgegnerin wehrt sich gegen den Vorwurf, sie habe der Antragstellerin nicht die erforderlichen Angaben für die Kalkulation der Betriebskosten innerhalb der Kooperationsgesellschaft zur Verfügung gestellt. Vielmehr habe die Antragstellerin - wie alle anderen Mitbewerber auch - Einblick in die Zahlen des Wasserhaushalts bekommen. Sie habe also auch die tatsächlich getätigten Investitionen und die jährlichen Beträge der Reparaturen und Reinvestitionen gekannt. Auch hinsichtlich der Finanzierungskosten seien die nötigen Angaben schon in der Ausschreibung gemacht worden. Insbesondere sei die Einsicht in die Darlehensverträge angeboten worden. Entscheidend für die Beurteilung der Wirtschaftlichkeit wegen des Zieles, einen möglichst geringen cbm-Preis für Wasser und Abwasser zu erzielen, seien aus Sicht der Antragsgegnerin gewesen:

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  • der Betriebspreis, den der private Partner garantieren sollte,
  • die Kapitalkosten, die auch von ihm und seinen Bankverbindungen entscheidend abhängen und
  • die bei der Gemeinde verbleibenden Kosten.

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Diese Prioritäten seien allen Beteiligten bekannt gewesen. Die Antragstellerin habe die erforderlichen Verhandlungsvorschläge weder am 27.01.1999 gemacht noch bei der Nachreichung der Kalkulationsgrundlagen angemeldet. Sie habe diese auch im folgenden Verfahren nicht erkennen lassen. Die Antragsgegnerin räumt ein, dass die von ihr mit der Ausschreibung beauftragte xxxxxxx bei der Vergleichbarmachung der Kalkulationen einige Positionen, die die Antragstellerin mit 0 angegeben hatte, durch ihr aus ihrem eigenen Haushalt bekannte Beträge ersetzt hat, ohne zuvor die Antragstellerin diesbezüglich zu konsultieren. Darauf habe man aus Zeitgründen verzichten müssen, weil das Angebot der Antragstellerin erst einen Tag vor der angesetzten Fachausschusssitzung der Antragsgegnerin eingegangen war. Im Übrigen seien diese streitbefangenen Positionen nicht vergaberelevant, selbst wenn man die Positionen bei beiden Bietern mit 0 angesetzt hätte, wäre allenfalls eine Gebührenreduzierung von weiteren 0,30 DM bei der Antragstellerin herausgekommen. Aus dem Angebot der Beigeladenen würde sich aber immer noch eine Differenz von rd. 1,52 DM gegenüber dem herabgesetzten Angebot der Antragstellerin ergeben.

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Die Beigeladene beantragt ebenfalls den Nachprüfungsantrag zurückzuweisen. Die Auswahl des "bevorzugten Bieters" durch die Antragsgegnerin sei auf der Grundlage der Verwaltungsvorgänge sachgerecht gewesen. Eine Verpflichtung der ausschreibenden Stelle, Parallelverhandlungen mit allen in Frage kommenden Bietern zu führen, sei weder ersichtlich noch sei sie im vorliegend gewählten Verfahren sachgerecht. Der Antragstellerin habe wie der Beigeladenen von Anfang an klar gewesen sein müssen, dass die Ausschreibung der Betriebsführung nur ein Präludium zur späteren Kooperation mit der Gemeinde darstellen würde. Die Beigeladene sei sich daher bewusst gewesen, dass im Nachhinein für die zweite Phase, nämlich das Verhandlungsverfahren, gewisse Kalkulationen erforderlich sein würden. Sie habe sich deshalb auf eigene Erfahrungen auf diesem Sektor gestützt. Im Übrigen seien die Positionen, aus der sich letztendlich die Gebührenkalkulation ergibt, in einschlägigen Gesetzen ersichtlich. Von daher wäre auch die Antragstellerin in der Lage gewesen, relativ zeitnah auch für das Kooperationsmodell ein vollständiges Angebot zuüberbreiten. Im Übrigen habe die Antragstellerin die von ihr nunmehr geltend gemachten Mängel des Verhandlungsverfahrens nicht rechtzeitig gerügt, obwohl ihr dies möglich gewesen wäre.

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Hinsichtlich des weiteren Vorbringens wird auf die Schriftsätze der Beteiligten, die Vergabeunterlagen sowie auf die mündliche Verhandlung vom 04.08.1999 verwiesen.

Entscheidungsgründe

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II.

Der Antrag hat in dem aus dem Tenor ersichtlichen Umfang Erfolg. Die Antragsgegnerin ist durch den frühzeitigen Abbruch der Verhandlungen mit der Antragstellerin nicht den Anforderungen des von ihr zulässigerweise für die Auftragsvergabe gewählten Verhandlungsverfahrens mit vorangegangener Vergabebekanntmachung gem. § 3 a Nr. 1 Abs. 4 VOL/A nachgekommen und hat dadurch zu Lasten der Antragstellerin gegen das Gleichbehandlungsgebot gem. § 97 Abs. 2 GWB verstoßen:

16

1.

Der Antrag ist zulässig, soweit die Antragstellerin beantragt, die Antragsgegnerin zu verpflichten, die Verhandlungen mir ihr über die Betriebsführung und das Kooperationsmodell der Wasserversorgung und Abwasserentsorgung fortzuführen. Dabei bedarf es zunächst keiner abschließenden Klärung der Rechtsfrage, ob die Suche einer kommunalen Körperschaft nach einem privaten Mitgesellschafter selbst über die haushaltsrechtlichen Pflichten hinaus auch durch die VOL/A oder Europäisches Gemeinschaftsrecht ausschreibungspflichtig ist und bei Überschreiten des maßgeblichen Schwellenwerts der Nachprüfung nach dem 4. Teil des GWB unterliegt. Es spricht viel dafür, dass die Auswahl eines solchen Mitgesellschafters schon auf Grund des allgemeinen Diskriminierungsverbotes gem. Art. 6 des Vertrages zur Gründung der Europäischen Gemeinschaft (EG-Vertrag) zwingend im Wettbewerb erfolgen muss. Im vorliegenden Fall ergibt sich die Anwendbarkeit des 4. Teils des GWB und damit die Zuständigkeit der Vergabekammer schon aus der Tatsache, dass die Antragsgegnerin die Suche des Mitgesellschafters mit der 100 %igen Vergabe der künftigen Betriebsführung ihrer Abwasserversorgung und Abwasserentsorgung verknüpft hat. Dieser Auftrag hätte anderenfalls im EU-weiten Offenen Verfahren oder zumindest im Nichtoffenen Verfahren ausgeschrieben werden müssen. Da allein der Auftragswert dieser Betriebsführung den maßgeblichen Schwellenwert von 200 000 ECU gem. § 1 a VOL/A unstreitigüberschreitet, hätte auch eine isolierte Vergabe dieses Auftrages zum Anwendungsbereich des 4. Teils des GWB gem. § 100 Abs.1 GWB gehört. Die Tatsache, dass die Antragsgegnerin die Vergabe der Betriebsführung aus Zweckmäßigkeitsgründen auch von dem Zuschlag bei der Wahl des Kooperationspartners abhängig gemacht hat, ist rechtlich nicht zu beanstanden. Sie führt aber auch zur Nachprüfbarkeit des gesamten streitbefangenen Vergabeverfahrens gem. §§ 100, 107 ff GWB.

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Auch die übrigen Zulässigkeitsvoraussetzungen sind erfüllt. Insbesondere liegt hier keine Unzulässigkeit wegen Verstoßes gegen die Pflicht zur unverzüglichen Rüge gegenüber dem Auftraggeber im Vergabeverfahren gem.§ 107 Abs. 3 Satz 1 GWB vor. Bei dieser Vorschrift handelt es sich um eine Präklusionsregel unter dem Gesichtspunkt von Treu und Glauben zur Vermeidung unnötiger Verfahren. Erkennt der Unternehmer Fehler im Vergabeverfahren, so muss er dem Auftraggeber Gelegenheit geben, diese Fehler ggf. zu korrigieren (vgl. BT-Drucksache 13/9340, Begründung zu § 117 GWB i.d.F. des Vergaberechtsänderungsgesetzes = § 107 Neufassung GWB). Die Rügepflicht des Bieters zu Vergabeverstößen während eines laufenden Verfahrens besteht nur dann, wenn dieser Bieter den Verstoß positiv gekannt hat. Ein Kennenmüssen reicht nicht. Zwischen den Beteiligten ist streitig, wann die Antragstellerin Kenntnis von ihrem Verhandlungsausschluss erhalten und ob und ggf. wann sie dies gerügt hat. Die Antragsgegnerin hat dazu in der mündlichen Verhandlung vorgetragen, sie habe die Antragstellerin bereits am 09.02. von dem Rangverhältnis - Platz 1 xxxxx , Platz 2 xxxxxx - informiert. Es habe auch mehrfach Telefongespräche mit dem Betriebsleiter der Antragstellerin, xxx gegeben. Auch ihm gegenüber habe sie erklärt, wie sie verfahren wolle. Eine Rüge dieser Handhabung des Verhandlungsverfahrens habe die Antragstellerin aber erst am Tag der Antragstellung bei der Vergabekammer und damit 5 Monate später erhoben. Die Antragstellerin hat in der mündlichen Verhandlung eingeräumt, dass ihr Betriebsleiter im Zeitraum 09.02.1999 bis 28.04.1999 mehrfach Telefonate mit der Antragsgegnerin geführt hat. Die Gespräche hätten aber der Abfrage des Sachstandes der Verhandlungen mit ihr gedient, weil sich die Gemeinde selbst nicht mehr gemeldet habe. Positive Kenntnis vom Rangverhältnis und von ihrem zumindest vorübergehenden Ausschluss aus den Verhandlungsverfahren habe sie dagegen erst anlässlich des Termins vom 28.04.1999, der auf ihr Bitten zu Stande gekommen sei, erhalten. Dort habe sie die Handlungsweise der Antragsgegnerin auch sogleich mündlich gerügt. Dieser Vortrag der Antragstellerin ist schlüssig und glaubhaft. Er wird nicht widerlegt durch die Aktenlage und den gesamten Vortrag der Beteiligten. Über das Gespräch am 09.02.1999 hat die Antragsgegnerin am 16.02.1999 einen Vermerk gefertigt. Teilgenommen hatten daran lt. Vermerk die Mitglieder des Verwaltungsausschusses einschließlich des Gemeindedirektors und ein weiterer Mitarbeiter der Antragsgegnerin, nicht jedoch die Antragstellerin und die Beigeladene. Dass die Antragstellerin im Anschluss daran über das Ergebnis dieses Gesprächs, nämlich dass die Verhandlungen zunächst nur mit der Beigeladenen weitergeführt werden sollten und die Antragstellerin in die "Warteschleife" genommen werden sollte, unterrichtet wurde, geht aus der Vergabeakte nicht hervor. Die zwischen der Antragsgegnerin und der Antragstellerin unstreitige Tatsache, dass die Antragstellerin jedenfalls nach dem 09.02.1999 mehrfach bei der Antragsgegnerin angerufen hat, spricht letztlich dagegen, dass ihr die Tatsache des Ausschlusses von den weiteren Verhandlungen, die letztlich zur Anrufung der Vergabekammer geführt hat, bereits zum damaligen Zeitpunkt positiv bekannt war. Dann hätte es nicht mehrfacher telefonischer Nachfragen bedurft. Dies spricht vielmehr dafür, dass es sich bei diesen Telefonaten tatsächlich um Sachstandsanfragen handelte und dass die Antragstellerin erst in dem Gespräch am 28.04. positive Kenntnis von ihrem - zumindest vorübergehenden - Ausschluss von den weiteren Verhandlungen erhalten hat.

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Die Rüge erfolgte daraufhin auch unverzüglich. Die Antragsgegnerin hat eingeräumt, dass sie mit der Antragstellerin am 28.04.1999 über das Rangverhältnis zwischen den beiden Bietern gesprochen hat und dass die Antragstellerin daraufhin gedroht habe, die Ausschreibung sei wegen angeblicher Mängel anfechtbar. Diese Vorwürfe seien jedoch nicht präzisiert worden. Demgegenüber geht aus einem Vermerk der Antragstellerin vom 03.05.1999 über den Termin vom 28.04.1999 hervor, dass Anlass und Hauptgegenstand des Gesprächs die Frage war, warum die Gemeinde derzeit nur Verhandlungen mit der xxxxxx führte. Hierüber habe sich die Antragstellerin verwundert gezeigt. Wörtlich heißt es dazu: " xxxxxx hat zu erkennen gegeben, dass sie ggf. das Ausschreibungsverfahren bei der VOB-Stelleüberprüfen lassen werde."

19

Den Gesamtkontext des Gesprächsgegenstandes und die unstreitige Erklärung der Antragstellerin, sie werde das Ausschreibungsverfahren ggf. überprüfen lassen, konnte und musste die Antragsgegnerin als Rüge ihrer Handhabung des Verhandlungsverfahrens verstehen. Dem steht auch nicht entgegen, dass die Antragstellerin in der Folge dieses Gesprächs mit Schreiben vom 29.04.1999 dem Ersuchen der Gemeinde auf Verlängerung der Zuschlagsfrist zustimmte. Dies ist kein Indiz dafür, dass sich die Antragstellerin mit der Situation abgefunden hatte. Vielmehr zeigt es, dass sie sich nach wie vor Hoffnung auf Wiederaufnahme der Verhandlungen und auf den Zuschlag gemacht hat. Einer schriftlichen Rüge bedurfte es nicht. § 107 Abs. 3 GWB stellt keine Anforderungen an die Form. Sie muss lediglich gegenüber dem Auftraggeber erfolgen, was nach Überzeugung der Vergabekammer geschehen ist.

20

Soweit die Antragstellerin allerdings beantragt hat, das Vergabeverfahren "auszusetzen", ist dieser Antrag unzulässig, weil überflüssig. Der Suspensiveffekt tritt mit Zustellung des Antrages an den Auftraggeber gem. § 110 Abs. 2 GWB bereits kraft Gesetzes ein. Dies folgt aus § 115 Abs. 1 GWB.

21

2.

Der Antrag auf Verpflichtung der Antragsgegnerin zur Fortführung der Verhandlungen mit der Antragstellerin ist auch begründet. Gem. § 97 Abs. 2 GWB hat der Auftraggeber die Teilnehmer an einem Vergabeverfahren gleich zu behandeln, es sei denn, eine Benachteiligung ist auf Grund des GWB selbst ausdrücklich geboten oder gestattet. Der in dieser Bestimmung normierte Gleichheitsgrundsatz gehört zu den elementaren Prinzipien des Gemeinschaftsrechts und des deutschen Vergaberechts (vgl. BT-Drucksache 13/9340, Begründung zu 106 Abs. 2 GWB i.d.F. des Vergaberechtsänderungsgesetzes = § 97 Abs. 2 GWB). Die Antragsgegnerin hat gegen dieses Gleichbehandlungsgebot verstoßen, indem sie die Verhandlungen mit der Antragstellerin bereits nach Erhalt und Wertung der im ersten Verhandlungsgespräch am 27.01.1999 von der Antragstellerin geforderten und am 05.02.1999 per Telefax übersandten Gebührenkalkulation der Wasserversorgung und der Abwasserentsorgung für den Fall des xxxxxx -Kooperationsmodells abgebrochen hat und sie - wie die Antragsgegnerin in ihrem Vermerk vom 16.02.1999 selbst ausgedrückt hat - in die Warteschleife genommen hat.

22

Entgegen der Auffassung der Antragsgegnerin und der Beigeladenen steht es einem Auftraggeber im Verhandlungsverfahren nicht völlig frei, ob er mit zwei oder mehreren Bietern parallel oder aber - aus ökonomischen Gründen - zunächst ausschließlich mit dem aus seiner Sicht voraussichtlich günstigsten Bieter Verhandlungen führt, um dann lediglich für den Fall, dass die Verhandlungen mit dem bevorzugten Bieter wider Erwarten dann doch nicht zu einem befriedigenden Abschluss geführt werden können, die Verhandlungen mit dem zweiten Bieter wieder aufzunehmen. Eine solche Beliebigkeit würde dem Wettbewerbsschutzzweck des deutschen und europäischen Vergaberechts zuwiderlaufen. Dabei ist zu berücksichtigen, dass die Verhandlungsverfahren mit oder ohne vorherige Bekanntmachung gem. § 3 a Nr. 1 Abs. 4 VOL/A wie auch § 3 a Nrn. 4 und 5 VOB/A den geringsten Wettbewerbsschutz bieten und aus diesem Grunde auch nur ausnahmsweise zulässig sind. Zunächst ist festzustellen, dass das von der Antragsgegnerin gewählte Verhandlungsverfahren nach vorheriger Bekanntmachung gem. § 3 a Nr. 1 Abs. 4 VOL/A grundsätzlich für die Vergabe der Betriebsführung Abwasserent- und -versorgung im Rahmen des angestrebten Kooperationsmodells zulässig ist. Gem. Nr. 1 Abs. 4 lit. b und c dürfen nämlich solche Dienstleistungsaufträge im Verhandlungsverfahren vergeben werden, die ihrer Natur nach oder wegen der damit verbundenen Risiken eine vorherige Festlegung des Gesamtpreises nicht zulassen (lit. b) oder die vertraglichen Spezifikationen nicht hinreichend genau festgelegt werden können (lit. c). Letzteres ist insbesondere bei geistig schöpferischen, aber auch bei finanziellen Dienstleistungen (Dienstleistungen der Kategorie 6 des Anhangs I A) häufig der Fall. Da in diesen Fällen über Art und Umfang der Leistung zum Zeitpunkt der Einleitung des Vergabeverfahrens noch keine hinreichende Klarheit besteht, allenfalls ein Programm des Auftraggebers vorhanden ist, darf in diesen Fällen auf das Verhandlungsverfahren zurückgegriffen werden (vgl. Müller in Daub/Eberstein, VOL/A, § 3 a, Rn. 19). Diese Voraussetzungen liegen bei einem so umfangreichen und langfristig angelegten Kooperationsmodell wie im vorliegenden Fall ohne weiteres vor. Die Tatsache, dass der konkret spezifizierbare Dienstleistungsauftrag "Betriebsführung" mit in das Verhandlungsverfahren einbezogen wurde, ist ebenfalls nicht zu beanstanden. Die Verknüpfung der Vergabe der Betriebsführung mit der Auswahl des künftigen Gesellschafters war zweckmäßig und nicht wettbewerbswidrig.

23

Es kann auch dahin stehen, ob im vorliegenden Fall die Anzahl der geeigneten Bewerber so groß war, dass die Zahl der zur Verhandlung zugelassenen Unternehmen nicht unter drei liegen durfte, wie § 3 a Nr. 1 Abs. 4 Satz 2 VOL/A dies verlangt. Wenn sich ein Auftraggeber auf zwei Bieter beschränkt, so muss er wenigstens mit diesen Verhandlungen durchführen und nicht nur aufnehmen. Die Formulierung in § 3 a Nr. 1 Abs. 1 Satz 2 letzter Halbsatz, nach der der Auftraggeber mit mehreren oder einem einzigen der ausgewählten Unternehmer verhandelt, deckt nur den Fall ab, dass sich nur eines der ausgewählten Unternehmen als geeignet erweist. Grundsätzlich muss der Auftraggeber aber mit mehreren Unternehmern verhandeln, um dem Wettbewerbsgrundsatz, der in der Generalklausel des § 2 VOL/A verankert ist, zu genügen. Die Verhandlung mit nur einem Unternehmen kommt dagegen nur bei Vorliegen eines sachlichen Grundes in Betracht, etwa gem. § 3 Nr. 4 a VOL/A, wenn die Leistung aus besonderen Gründen (z.B. besondere Erfahrungen, Zuverlässigkeit oder Einrichtungen, bestimmte Ausführungsarten) durch nur ein Unternehmen in Betracht kommt (ebenso Ingenstau/Korbion, VOB, 12. Auflage, § 3 a, Rn. 5).

24

Derartige Ausschlussgründe lagen bei der Antragstellerin nicht vor. Sie hat insbesondere unstreitig ein der Leistungsbeschreibung voll entsprechendes Angebot für die Betriebsführung abgegeben. Dieses war ausweislich der Angebotswertung vom 20.12.1998 nicht nur konkurrenzfähig, sondern in beiden Sparten - Abwasserent- und -versorgung - am niedrigsten. In der Angebotsdiskussion der xxxxx vom 20.12.1998 wurde festgestellt, dass die Betriebsführungskosten bei der xxxxx jeweils sehr knapp kalkuliert worden sind. Die Kammer hat die Angemessenheit der Preise nicht thematisiert, da Angebote im VOL-Bereich durchaus erhebliche Streubreiten aufweisen können (vgl. Daub/Eberstein, VOL/A, 4. Aufl., Rdnr. 33 zu § 2 VOL/A). Ein offenbares Missverhältnis der Preise zu den Leistungen ist nicht erkennbar.

25

Die Antragsgegnerin hat ihre Verfahrensweise damit begründet, dass die Auswertung der beiden Kalkulationen bei der Beigeladenen erheblich günstigere Gebührensätze ergeben habe. Aus einer in der Vergabeakte enthaltenen Auflistung der xxxxx, die Gegenstand einer Erörterung mit Mitgliedern des Verwaltungsausschusses der Antragsgegnerin am 09.02.1999 gewesen ist, ergibt sich aus dem Angebot für die Abwasserentsorgung der Antragstellerin eine Gebühr von 11,03 DM/cbm, bei der Beigeladenen von 8,24 DM/cbm, jeweils bezogen auf das Jahr 1999 und eine Jahresschmutzwassermenge von 299 000 cbm. Unstreitig lag dieser Auswertung aber weder eine vollständige noch eine mit dem Angebot der Beigeladenen unmittelbar vergleichbare Kalkulation der Antragstellerin zu Grunde. Herr xxxxx hat in der mündlichen Verhandlung vom 04.08.1999 erklärt, er habe die - regelmäßig notwendige - Vergleichbarmachung der Angebote in der Weise durchgeführt, dass er zu berücksichtigende Kostenpositionen, die von der Antragstellerin offen gelassen oder mit "0" bewertet wurden, selbst ausgefüllt hat. Dies ist zum Teil in der Weise geschehen, dass er entsprechende Positionen in Abstimmung mit dem Kämmerer der Antragsgegnerin aus dem Haushalt entnommen habe. Dabei habe es sich allerdings um die identischen Werte gehandelt, die auch die xxxxxx in ihrer Kalkulation zu Grunde gelegt hat. Bei den Pauschalen habe er dagegen anders verfahren müssen. So sei bei den Positionen Klärschlamm, Rechengut und Verwaltung eine Transparenz und ein unmittelbarer Vergleich nicht möglich gewesen, weil diese Positionen bei der xxxxxx bereits in anderen Positionen enthalten waren. Daher habe er für die xxxx auch diese Kosten aus dem Haushalt der Gemeinde ermittelt.

26

Diese Verfahrensweise ohne vorherige Konsultation des Bieters widerspricht einem ordnungsgemäßen Verhandlungsverfahren. Die Begründung xxxxxx, man habe von einer telefonischen Nachfrage bei der Antragstellerin abgesehen, weil das Angebot erst einen Tag vor der angesetzten Fachausschusssitzung der Gemeinde eingegangen sei, führt nicht zu einer anderen Beurteilung dieses Vorgangs. Die Antragsgegnerin war zum einen verpflichtet, einen Termin für eine so wesentliche Entscheidung seiner politischen Gremien erst dann herbeizuführen, wenn sie die dort letztlich präsentierte jeweilige Kalkulation mit den beiden Bietern abgestimmt hatte und Unklarheiten gemeinsam ausgeräumt waren. Zum anderen kann der Antragstellerin auch nicht vorgeworfen worden, sie habe durch ein unvollständiges Angebot hinsichtlich des Kooperationsmodells gegen ihre Mitwirkungspflichten im Verhandlungsverfahren verstoßen und damit den Verhandlungsabbruch selbst verursacht. Nach der Rechtsprechung des BGH darf eine Wertung der Angebote gem. § 25 VOL/A und § 25 Nr. 3 Abs. 3 VOB/A nur auf Kriterien gestützt werden, die bei der Aufforderung zur Abgabe von Angeboten bekannt gemacht worden sind (vgl. BHG, Urteil v. 17.02.1999, BauR 7/99, S. 736 ff.).

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In Ihrem Schreiben zur Angebotsaufforderung vom 24.09.1998 hatte die Antragsgegnerin zwar deutlich gemacht, sie werde eine Vergabe nur dann vornehmen, wenn gemessen an dem heutigen Gebührensatz ein wirtschaftlicheres Angebot vorliegt. Sie hat auch die wesentlichen bestehenden Vermögensteile ihrer Abwasserent- und Wasserversorgung in den Anlagen beigefügt, um - so wörtlich - den Bietern einen "ersten Einstieg" zu den Kooperationsverhandlungen zu ermöglichen. Aus der beigefügten Leistungsbeschreibung wurde jedoch deutlich, dass lediglich hinsichtlich der technischen und kaufmännischen Betriebsführung ein komplettes Angebot erwartet wurde. Unter der Rubrik B "Verhandlungssverfahren zur Beteiligung an der Kooperationsgesellschaft" wird dagegen in erster Linie der Gesellschaftszweck beschrieben. Lediglich unter Punkt 4 heißt es, es werde vom Anbieter im Verhandlungsverfahren ein Finanzierungsvorschlag für die zu übernehmenden und zukünftig geplanten Anlagen erwartet. Die bestehenden Darlehensbeträge könnten bei der Gemeinde eingesehen werden.

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Angesichts dieser Leistungsbeschreibung durften die Bieter davon ausgehen, dass die übrigen Modalitäten der Kooperation erst im Zuge des Verhandlungsverfahrens erarbeitet werden konnten und schon beim ersten Gespräch präsentiert werden mussten. Die Antragsgegnerin hat in der mündlichen Verhandlung auch eingeräumt, dass die Lückenhaftigkeit des Angebots der Antragstellerin durchaus mit der Ausschreibung korrespondierte. Angesichts dessen kann auch der Umstand, dass die Beigeladene offenbar besser vorbereitet in die Verhandlungen am 27.01.1999 eingestiegen ist, den vorzeitigen Abbruch der Verhandlungen mit der Antragstellerin nicht rechtfertigen. Dies gilt insbesondere für den Umstand, dass bereits das Betriebsführungsangebot der Beigeladenen erste Rückschlüsse auf eine Gebührensenkung zuließ, obwohl das Angebot isoliert betrachtet höher war als das der Antragstellerin. Die Beigeladene hatte unstreitig Kostenpositionen bereits in die Betriebsführungspauschale aufgenommen, die gem. Ziff. 7 der Leistungsbeschreibung ausdrücklich noch nicht zu berücksichtigen, sondern dem Verhandlungsverfahren vorbehalten waren. Dazu gehörte u.a. die Klärschlammentsorgung, die Entsorgung von Rechengut und die Verwaltungskosten.

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Auch dem Einwand der Antragsgegnerin, die Ersetzung offener Kostenpositionen in der Gebührenkalkulation ohne vorherige Rücksprache mit der Antragstellerin sei jedenfalls letztlich nicht vergaberelevant, folgt die Vergabekammer nicht. Die Antragsgegnerin hat vorgetragen, dass selbst dann, wenn man alle diese Kostenpositionen bei beiden Bietern mit "0" ansetzt, dies zwar beim Angebot der Antragstellerin zu einer weiteren Gebührenreduzierung von 0,30 DM führt, das Angebot der Beigeladenen demgegenüber aber immer noch 1,52 DM günstiger ist. Selbst wenn dies zutrifft, ist aber zu berücksichtigen, dass die Gebührenhöhe nicht nur von diesen Positionen, sondern auch noch von anderen Faktoren wie etwa der einzusetzenden Reinvestitionssumme für die Abwasseranlagen und die Wasserversorgungseinrichtungen beeinflusst werden, die bei der Antragstellerin wesentlich höher ausfallen als bei der Beigeladenen. Wenngleich das vorrangige Interesse der Antragsgegnerin an einer Senkung der Gebühren nachvollziehbar ist, so war sie doch bei Abbruch der Verhandlungen noch nicht in der Lage, zu ermitteln, welcher Bieter letztlich wirklich das wirtschaftlichste Angebot im Sinne des § 25 Nr. 3 VOL/A und § 97 Abs. 5 GWB abgeben würde. Dazu gehören z.B. auch angemessene Rücklagen für die Anlagensanierung und die Frage der Dauer der Betriebspreisgarantie durch die künftigen Partner.

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Die Antragsgegnerin war daher zu verpflichten, die Verhandlungen mit der Antragstellerin insoweit wieder aufzunehmen, dass ihr die Möglichkeit eingeräumt wird, ihr Angebot zu vervollständigen. Hinsichtlich der Gebührenkalkulation war diese Möglichkeit aber auf die Positionen zu beschränken, die die Antragstellerin bislang entweder nicht oder nur mit "0" angesetzt hatte. Aus dem Angebot der Antragstellerin kann unter verständiger Würdigung nicht geschlossen werden, dass sie die Leistungen, die sie mit "0" angesetzt hatte, kostenlos erbringen wollte. Die bereits von ihr kalkulierten Kostenstellen stehen nicht mehr zur Disposition. Das Verbot, gemäß § 24 Nr. 2 VOL/A Verhandlungen über Änderungen der Preise zu führen, gilt auch für die Vergabe im Wege des Verhandlungsverfahrens mit vorheriger Bekanntmachung.

31

Sobald auch die Antragstellerin ein vollständiges Angebot für das Kooperationsmodell unterbreitet hat, kann die Antragsgegnerin erneut in die Wertung eintreten und den Zuschlag letztlich dem Bieter erteilen, der das wirtschaftlichste Gesamtangebot i.S.d. § 97 Abs. 5 GWB abgibt.

32

3.

Der weiter gehende Antrag der Antragstellerin, ihr den Zuschlag zu erteilen, ist dagegen unbegründet. Die Verpflichtung eines Auftraggebers durch die Vergabekammer zur Erteilung eines konkreten Zuschlags ist überhaupt nur denkbar, wenn ein Antragsteller zweifelsfrei das wirtschaftlichste Angebot abgegeben hat. Dies ist im vorliegenden Fall nicht ersichtlich und angesichts des Stadiums des Verhandlungsverfahrens auch gar nicht feststellbar.

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III.

Kosten

34

Die Kostenentscheidung folgt aus § 128 Abs. 3 GWB. Die Gebühren werden wie folgt berechnet:

35

Wert des Gesamtauftrages(netto):

36

18 Mio. DM

37

Die Gebührenermittlung erfolgt anhand einer Gebührentabelle des Bundeskartellamtes vom 09.02.1999. Hiernach wird der Mindestgebühr von 5.000,00 DM (§ 128 (2) GWB) eine Ausschreibungssumme von bis zu 2 Mio. DM (Schwellenwert von 1 Mio. ECU; ca. 2 Mio. DM)zugeordnet und dem regelmäßigen Höchstwert von 50.000,00 DM (§ 128 (2) GWB) eine Ausschreibungssumme von 300 Mio. DM (höchste Summe der Nachprüfungsfälle 1996-1998) gegenübergestellt. Hiernach ergibt sich bei einer Ausschreibungssumme von 18 Mio. DM durch Interpolation eine Basisgebühr von 7.700,00 DM

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Diese Gebühr schließt einen durchschnittlichen sachlichen und personellen Aufwand ein. Gutachterkosten und Kosten von Zeugenvernehmungen sind nicht angefallen. Die zweckentsprechenden zur Rechtsverfolgung notwendigen Kosten der Beigeladenen werden gesondert geltend gemacht und sind dieser zu erstatten.

39

Basisgebühr = 7.700,00 DM

40

Abzüglich Vorauszahlung = 5.000,00 DM

41

Restbetrag = 2.700,00 DM

42

Die Antragstellerin wird gebeten, den Betrag in Höhe von 2.700,00 DM bzw. 1.380,49 EURO auf eines der nachfolgenden Konten unter Angabe des Aktenzeichens

43

3301 - 649 750 - 3 / 0801 - 11113 - 7

44

zu überweisen.

Streitwertbeschluss:

Der Gegenstandswert wird auf 18 Mio. DM festgesetzt.

Gause
Tyrra
Lohmöller