Verwaltungsgericht Lüneburg
Beschl. v. 04.10.2000, Az.: 4 B 104/00
Bibliographie
- Gericht
- VG Lüneburg
- Datum
- 04.10.2000
- Aktenzeichen
- 4 B 104/00
- Entscheidungsform
- Beschluss
- Referenz
- WKRS 2000, 41267
- Entscheidungsname
- [keine Angabe]
- ECLI
- [keine Angabe]
Rechtsgrundlagen
- § 1a AsylbLG
- § 3 AsylbLG
- § 2 AsylbLG
Gründe
Der Antragsteller begehrt im Wege der einstweiligen Anordnung eine Verpflichtung des Antragsgegners, ihm Leistungen nach § 2 AsylbLG sowie (sinngemäß hilfsweise) ungekürzte Leistungen nach § 3 AsylbLG zu gewähren. Weiter erstrebt er die Auszahlung eines Stromguthabens, das für ihn und seine Familie bei dem Energieversorger entstanden ist.
Soweit sich der Antragssteller in seiner Antragsschrift zunächst gegen die Kürzung der Leistungen auf der Grundlage des § 5 Abs. 4 Satz 2 AsylbLG durch Bescheid des Antragsgegners vom 19. Juni 2000 gewendet hat, ist das Verfahren in entsprechender Anwendung des § 92 Abs. 3 VwGO einzustellen, weil es der Antragsteller (sinngemäß mit Schriftsatz vom 29. August 2000) und der Antragsgegner (mit Schriftsatz vom 28. September 2000) insoweit in der Hauptsache übereinstimmend für erledigt erklärt haben. Die außergerichtlichen Kosten für diesen Verfahrensteil sind gemäß § 161 Abs. 2 VwGO nach billigem Ermessen dem Antragsteller aufzuerlegen. Insoweit wäre er voraussichtlich unterlegen; denn die Kürzung der Leistungen nach § 5 Abs. 4 Satz 2 AsylbLG waren nicht zu beanstanden.
Im Übrigen ist der Antrag lediglich zum Teil erfolgreich.
Gemäß § 123 Abs. 1 Satz 2 VwGO kann das Gericht eine einstweilige Anordnung zur Regelung eines vorläufigen Zustandes in Bezug auf ein streitiges Rechtsverhältnis treffen, wenn dies um wesentliche Nachteile abzuwenden oder drohende Gewalt zu verhindern oder aus anderen Gründen nötig erscheint. Die Anwendung der Vorschrift setzt neben einer besonderen Eilbedürftigkeit der Regelung (Anordnungsgrund) voraus, dass der Rechtsschutzsuchende mit Wahrscheinlichkeit einen Anspruch auf die begehrte Regelung hat (Anordnungsanspruch). Anordnungsgrund und Anordnungsanspruch sind glaubhaft zu machen (§ 123 Abs. 3 VwGO i. V. m. § 920 Abs. 2 ZPO).
Soweit der Antragsteller die Auszahlung des Stromguthabens verlangt, das bei dem Energieversorger in dem Zeitraum vom 5. Oktober 1999 bis zum 30. Juni 2000 entstanden ist, fehlt es an dem erforderlichen Anordnungsgrund. Eine gerichtliche Entscheidung ist nicht eilbedürftig, weil Leistungen für vergangene Zeiträume im Streit sind. Der Antragsteller hat auch nicht glaubhaft gemacht, dass für ihn gegenwärtig eine Notlage besteht, weil er als Folge der in der Vergangenheit zu hohen Strompauschale tatsächlich verminderte Leistungen erhalten hat.
Soweit der Antragsteller Leistungen nach § 2 AsylbLG in Verbindung mit dem BSHG begehrt, fehlt es an dem erforderlichen Anordnungsanspruch; denn er hat nicht glaubhaft gemacht, dass die Voraussetzungen des § 2 AsylbLG in seinem Fall vorliegen. Nach § 2 Abs. 1 AsylbLG ist abweichend von den §§ 3 - 7 das BSHG auf Leistungsberechtigte ent-sprechend anzuwenden, die über eine Dauer von insgesamt 36 Monaten, frühestens beginnend am 1. Juni 1997, Leistungen nach § 3 erhalten haben, wenn die Ausreise nicht erfolgen kann und aufenthaltsbeendende Maßnahmen nicht vollzogen werden können, weil humanitäre, rechtliche oder persönliche Gründe oder das öffentliche Interesse entgegenstehen. Der Antragsteller, ein bosnischer Staatsangehöriger, hat keine Umstände vor-getragen, die den Schluss rechtfertigen, eine freiwillige Ausreise bzw. die Abschiebung in sein Heimatland sei aus den in der Vorschrift genannten Gründen unmöglich. Solche Umstände sind auch ansonsten nicht ersichtlich. Wie sich aus den vorliegenden Ausländerakten ersehen lässt, kann eine Abschiebung derzeit nicht erfolgen, weil der Antragsteller nicht über ein gültiges Reisedokument verfügt. Allein die tatsächliche Unmöglichkeit der Ausreise bzw. der Abschiebung führt nach dem Wortlaut des § 2 AsylbLG aber nicht zur entsprechenden Anwendung des BSHG.
Der Antragsteller kann jedoch ungekürzte Leistungen nach §§ 1, 3 AsylbLG verlangen. Sein Anspruch ist nicht nach § 1 a Nr. 2 AsylbLG eingeschränkt. Nach der genannten Vorschrift erhalten u.a. Leistungsberechtigte, die eine Duldung nach § 55 AuslG besitzen (§ 1 Abs. 1 Nr. 4 AsylbLG) und ihre Familienangehörigen nach § 1 Abs. 1 Nr. 6 AsylbLG Leistungen nach dem Asylbewerberleistungsgesetz nur, soweit dies im Einzelfall nach den Umständen unabweisbar geboten ist, wenn aus von ihnen zu vertretenden Gründen aufenthaltsbeendende Maßnahmen nicht vollzogen werden können. Vertreten müssen die Leistungsberechtigten solche Gründe, die in ihrem Verantwortungsbereich liegen (vgl. GK- AsylbLG, § 1a Rdnr. 98 m.w.N). Dies ist dann der Fall, wenn ein ihnen vorwerfbares Handeln oder Unterlassen die wesentliche Ursache dafür ist, dass ihr Aufenthalt im Bundesgebiet nicht beendet werden kann. Dabei kommt es darauf an, ob ohne das dem Leistungsberechtigten zur Last gelegte Verhalten einer Abschiebung nichts entgegenstünde. Nicht ausreichend ist hingegen, wenn das vorwerfbare Verhalten nur eines von mehreren Gründen ist, aus denen aufenthaltsbeendende Maßnahmen nicht vollzogen werden können (so auch VG Leipzig, Beschl. v. 3.3.1999 - 2 K 409/99 -, abgedr. in GK - AsylbLG, VII zu § 1a Nr. 11).
Nach diesen Maßstäben muss der Antragssteller die Unmöglichkeit seiner Ausreise und Abschiebung nicht vertreten. Zwar haben er und seine Familie im Dezember 1998 einen Versuch des Antragsgegners vereitelt, sie abzuschieben. Die Familie war zu dem angekündigten Zeitpunkt der Abschiebung nicht in ihrer Wohnung anzutreffen, sondern hatte einen Zettel an der Tür angebracht, auf dem zu lesen war: " Wir sind heute nicht zu Hause". Dieses Verhalten ist aber nunmehr, nach fast zwei Jahren, nicht mehr die wesentliche Ursache dafür, dass eine Abschiebung derzeit nicht möglich ist. Vielmehr sind in der Zwischenzeit andere Umstände hinzugekommen, die nicht auf einem dem Antragsteller vorwerfbaren Verhalten beruhen. Zunächst wurden mit Erlass des Niedersächsischen Innenministeriums vom 18. Mai 1999 Abschiebungen nach Bosnien vorübergehend auf dringliche Einzelfälle beschränkt, die einer besonderer Begründung bedurften. Im Augenblick kann eine Abschiebung nicht erfolgen, weil der Antragssteller nicht über einen Reiseausweis verfügt. Dieser Umstand ist jedoch nicht von ihm zu vertreten. Er hat an der Beschaffung von Passersatzpapieren in dem von dem Antragsgegner verlangten Umfang mitgewirkt. Nach einer entsprechenden Aufforderung des Ausländeramtes des Antragsgegners hat er die erforderlichen Antragsformulare für sich und seine Familie vollständig ausgefüllt und mit den erforderlichen Lichtbildern bei dem Antragsgegner abgegeben, der sie an die Botschaft der Republik Bosnien - Herzegowina übersandt hat. Bislang hat die Botschaft die Papiere noch nicht ausgestellt, weil sie - so trägt der Antragsgegner vor - überlastet ist. Unter diesem Umständen kann es dem Antragsteller nicht vorgehalten werden, dass er keine weiteren eigenen Anstrengungen unternommen hat, um Passersatzpapiere zu erlangen. Denn er durfte davon ausgehen, dass der Antragsgegner die Beschaffung übernommen hat.
Die Kostenentscheidung folgt aus §§ 155 Abs. 1 Satz 1, 161 Abs. 2, 188 Satz 2 VwGO.