Verwaltungsgericht Lüneburg
Urt. v. 18.10.2000, Az.: 4 A 91/99

Mitwirkungspflicht

Bibliographie

Gericht
VG Lüneburg
Datum
18.10.2000
Aktenzeichen
4 A 91/99
Entscheidungsform
Urteil
Referenz
WKRS 2000, 41870
Entscheidungsname
[keine Angabe]
ECLI
[keine Angabe]

Tatbestand:

1

Die Kläger begehren, den Beklagten zu verpflichten, ihnen laufende Hilfe zum Lebensunterhalt auch für einen Zeitraum zu gewähren, in denen ihnen Hilfeleistungen wegen fehlender Mitwirkung versagt wurden.

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Der 1948 geborene Kläger und die 1952 geborene Klägerin sind Spätaussiedler aus Russland. Sie reisten am 25. März 1998 mit zwei erwachsenen Kindern in die Bundesrepublik Deutschland ein und wurden durch Bescheid vom 31. März 1998 mit sofortiger Wirkung der Gemeinde R. zugewiesen.

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Am 1. April 1998 beantragten die Kläger die Gewährung von Hilfe zum Lebensunterhalt.

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Der Beklagte forderte sie mit Schreiben vom 7. April 1998 auf, noch diverse Unterlagen einzureichen und Angaben zu machen. Er setzte ihnen eine Frist bis zum 5. Mai 1998 und wies darauf hin, dass Leistungen versagt werden könnten, wenn sie ihrer Mitwirkungsverpflichtung nicht nachkämen.

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Nachdem die Kläger einen Teil der geforderten Unterlagen beigebracht hatten, die Angaben aber immer noch nicht vollständig waren, forderte der Beklagte die Kläger mit Schreiben vom 23. April 1998 auf, die fehlenden Unterlagen, die er im Einzelnen benannte, bis zum 5. Mai 1998 nachzureichen und wies auf die Möglichkeit der Versagung von Hilfeleistungen für den Fall der Verletzung der Mitwirkungsverpflichtung hin.

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Am 4. wie auch am 7. Mai 1998 bat der Flüchtlingsberater bei der Arbeiterwohlfahrt H. um Fristverlängerung für die Kläger, die vom Beklagten bis zum 11. bzw. 14. Mai 1998 gewährt wurde.

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Als weitere Unterlagen von den Klägern nicht eingingen, lehnte der Beklagte mit Bescheid vom 20. Mai 1998 die Gewährung von laufender Hilfe zum Lebensunterhalt wegen fehlender Mitwirkung gemäß § 66 SGB I ab und benannte folgende Unterlagen, die noch fehlten:

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"1. Nachweis über die Beantragung bzw. Leistungsbescheid des Arbeitsamtes bezüglich der Eingliederungshilfe und Kindergeld von Ihnen und Ihren Angehörigen,

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2. vom Kreditinstitut bestätigte Bankerklärung sowie

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3. Nachweise zur Krankenversicherung/Beitragshöhe bzw. Bescheinigung, dass eine freiwillige Versicherung nicht möglich ist."

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Nachdem die Kläger am 10. Juni 1998 Bescheide des Arbeitsamtes L. vom 7. Mai 1998, 14. April 1998 und 20. April 1998 über die Gewährung von Eingliederungshilfe an die Kläger mit Wirkung ab 1. April 1998 vorgelegt hatten und am 24. Juni 1998 auch die von den Geldinstituten am 15. Juni 1998 bestätigten Bankerklärungen beim Beklagten eingegangen waren, wurde den Klägern mit Bescheid vom 29. Juni 1998 mit Wirkung ab 10. Juni 1998 laufende Hilfe zum Lebensunterhalt gewährt.

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Wegen der Festsetzung des Beginns der Hilfeleistungen auf den 10. Juni 1998 und nicht auf den 1. April 1998 legten die Kläger Widerspruch gegen den Bescheid vom 29. Juni 1998 ein. Sie machten geltend, dass "sie nicht alles verstanden hätten". Die Sachbearbeiterin in der Gemeinde R./Nenndorf sei krank gewesen und sie hätten nicht gewusst, an wen sie sich hätten wenden sollen.

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Mit Widerspruchsbescheid vom 27. Januar 1999 - abgesandt per Einschreiben am 1. Februar 1999 - wurde der Widerspruch im Wesentlichen mit der Begründung zurückgewiesen, dass die Kläger die Leistungsbescheide des Arbeitsamtes problemlos rechtzeitig hätten einreichen können und sie sich im Falle von Sprachschwierigkeiten jederzeit an das Sozialamt hätten wenden können. Als Ansprechpartner hätte ihnen im Übrigen der Flüchtlingsberater H. zur Verfügung gestanden.

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Am 1. März 1999 haben die Kläger Klage erhoben.

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Zur Begründung tragen sie vor: Sie hätten die Bescheide des Arbeitsamtes aus Unwissenheit nicht rechtzeitig eingereicht. Der Flüchtlingsberater sei ab 11. Mai 1998 für vier Wochen in Urlaub gewesen. Hilfeleistungen seien gemäß § 5 BSHG ab dem Zeitpunkt, in dem der Bedarf dem Sozialhilfeträger bekannt werde, zu erbringen, selbst wenn nicht sogleich alle Tatsachen bekannt seien. Der Beklagte habe im Übrigen bereits im April 1998 Kenntnis davon gehabt, dass der Kläger Eingliederungshilfe bezogen habe, weil das Arbeitsamt zu diesem Zeitpunkt den wegen einer Vorschussleistung im April 1998 gestellten Erstattungsanspruch des Beklagten anerkannt habe. Sie hätten in dem umstrittenen Zeitraum mit sehr wenig auskommen müssen. Sie hätten nur einen Vorschuss erhalten und sich "das Nötigste von Verwandten geliehen".

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Die Kläger beantragen sinngemäß,

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den Beklagten zu verpflichten, ihnen für die Zeit vom 1. April 1998 bis zum 9. Juni 1998 laufende Hilfe zum Lebensunterhalt zu gewähren und den Bescheid vom 29. Juni 1998 in der Fassung des Widerspruchsbescheides vom 27. Januar 1999 aufzuheben, soweit er der Verpflichtung entgegensteht.

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Der Beklagte beantragt,

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die Klage abzuweisen.

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Er bezieht sich auf die Ausführungen in den angefochtenen Bescheiden und fügt hinzu, dass die Hilfeleistungen auch deshalb nicht rückwirkend gewährt worden seien, weil davon auszugehen sei, dass die Kläger sich die finanziellen Mittel für ihren Lebensunterhalt in der zurückliegenden Zeit auf andere Weise beschafft hätten.

21

Zur weiteren Sachdarstellung wird auf die Gerichtsakten und die beigezogenen Verwaltungsvorgänge des Beklagten Bezug genommen.

Entscheidungsgründe

22

Die zulässige Klage ist unbegründet.

23

Die Kläger können nicht beanspruchen, dass der Beklagte ihnen Hilfe zum Lebensunterhalt für die Zeit vom 1. April 1998 bis zum 9. Juni 1998 gewährt.

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Denn die Gewährung von laufenden Hilfeleistungen, die die Kläger am 1. April 1998 beantragt gehabt haben, ist mit bestandskräftig gewordenem Bescheid vom 20. Mai 1998 gemäß § 66 SGB I wegen fehlender Mitwirkung versagt worden, und es ist rechtlich nicht zu beanstanden, dass der Beklagte, nachdem die Kläger die fehlenden Mitwirkungshandlungen nachgeholt hatten, nämlich u. a. die Leistungsbescheide des Arbeitsamtes über die ihnen gewährte Eingliederungshilfe vorgelegt hatten, die Hilfeleistungen nicht rückwirkend ab Antragstellung gewährt hat, sondern erst ab dem Zeitpunkt, in dem die Unterlagen vorgelegen haben.

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§ 67 SGB I bestimmt, dass dann, wenn die Mitwirkung nachgeholt wird und die Leistungsvoraussetzungen vorliegen, der Leistungsträger Sozialleistungen, die er nach § 66 SGB I versagt hat, nachträglich ganz oder teilweise erbringen kann.

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Hier ist nicht ersichtlich, dass die in das Ermessen des Beklagten gestellte Entscheidung fehlerhaft ist. Vielmehr ist die rückwirkende Gewährung von laufenden Hilfeleistungen vom Grundsatz her ausgeschlossen, da stets nur ein gegenwärtiger Bedarf zu decken ist. Insbesondere darf die nachträgliche Leistungserbringung keinen reinen Entschädigungscharakter für zunächst unterbliebene Hilfe haben (vgl. Mrozynski, SGB I, 2. Aufl. 1995, § 67 Rdnr. 1).

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Es ist nicht geltend gemacht, dass die Kläger im Juni 1998 wegen den in der Zeit ab April 1998 nicht gewährten Hilfeleistungen noch einen sozialhilferechtlich offenen, d. h. fortbestehenden Bedarf gehabt haben, der nachträglich noch mit der Gewährung von Hilfeleistungen zu decken gewesen wäre. Vielmehr haben sie sich offenbar in dieser Zeit selbst zu helfen gewusst und sind somit nicht auf Sozialhilfeleistungen angewiesen gewesen.

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Es kommt daher entscheidungserheblich nicht darauf an, ob die Kläger, wie sie geltend machen, möglicherweise die an sie gerichteten Aufforderungen zur Mitwirkung gemäß § 60 SGB I mangels unzureichender Deutschkenntnisse nicht in vollem Umfang haben verstehen können. Im Übrigen haben sie durchaus Unterstützung bei der Bewältigung des Schriftverkehrs erhalten. Nachvollziehbare, stichhaltige Gründe, aus denen insbesondere die Bescheide über die Eingliederungshilfe nicht zeitgerecht vorgelegt worden sind, sind damit nicht erkennbar.

29

Abschließend sei noch erwähnt, dass die von den Klägern geforderten Angaben für die Entscheidung über die Gewährung von Hilfeleistungen maßgeblich gewesen sind und der Beklagte auch nicht bereits über die notwendigen Informationen von anderer Seite verfügt hat. Es hat allenfalls eine Mitteilung über die Leistung von Eingliederungshilfe an den Kläger vorgelegen.

30

Die Kostenentscheidung folgt aus §§ 154 Abs. 1, 188 Satz 2 VwGO. Die Entscheidung über die vorläufige Vollstreckbarkeit ergibt sich aus § 167 VwGO i. V. m. §§ 708 Nr. 11, 711 ZPO.