Landgericht Oldenburg
Urt. v. 24.09.2010, Az.: 13 O 1964/10

Berechtigung eines Kaskoversicherers zu einer vollständigen Leistungsfreiheit im Falle der Verursachung des Versicherungsfalls durch einen Versicherungsnehmer aufgrund einer absoluten Fahruntüchtigkeit

Bibliographie

Gericht
LG Oldenburg
Datum
24.09.2010
Aktenzeichen
13 O 1964/10
Entscheidungsform
Urteil
Referenz
WKRS 2010, 30806
Entscheidungsname
[keine Angabe]
ECLI
ECLI:DE:LGOLDBG:2010:0924.13O1964.10.0A

Fundstellen

  • VK 2011, 105
  • VRR 2011, 69
  • r+s 2010, 461-462

Verfahrensgegenstand

Forderung aus Versicherungsvertrag

Amtlicher Leitsatz

Der Kaskoversicherer ist zu einer vollständigen Leistungsfreiheit berechtigt, wenn der Versicherungsnehmer aufgrund einer absoluten Fahruntüchtigkeit den Versicherungsfall verursacht

In dem Rechtsstreit
...
hat die 13. Zivilkammer des Landgerichts Oldenburg
auf die mündliche Verhandlung vom 03.09.2010
durch
die Vorsitzende Richterin am Landgericht,
die Richterin am Landgericht und
den Richter am Landgericht,
für Recht erkannt:

Tenor:

  1. 1.

    Die Klage wird abgewiesen.

  2. 2.

    Der Kläger trägt die Kosten des Rechtsstreits.

  3. 3.

    Das Urteil ist vorläufig vollstreckbar. Dem Kläger bleibt nachgelassen, die Vollstreckung durch Sicherheitsleistung in Höhe von 110% des aufgrund des Urteils vollstreckbaren Betrages abzuwenden, wenn nicht die Beklagte vor der Vollstreckung Sicherheit in gleicher Höhe leistet.

Tatbestand

1

Die Parteien streiten über Leistungen aus einer Kaskoversicherung.

2

Der Kläger unterhielt bei der Beklagten eine Vollkaskoversicherung für seinen Pkw Porsche 911 Carrera. Am 12.06.2009 befuhr der Kläger mit einer Blutalkoholkonzentration von 1,5 ‰ die Bundesautobahn A 28. Alkoholbedingt kam er mit seinem Fahrzeug nach links von der geraden Fahrbahn ab und prallte gegen die Mittelleitplanke. Durch den Unfall entstand an dem Fahrzeug des Klägers ein Totalschaden. Bei einem Wiederbeschaffungswert von netto 35.121,95 EUR betrug der Restwert 14.800,00 EUR. Die Beklagte verweigerte mit Schreiben vom 16.02.2010 unter Hinweis auf die Alkoholisierung des Klägers Zahlungen aus der Vollkaskoversicherung. Der Kläger hatte den Versicherungsschein zu der streitgegenständlichen Versicherung versehentlich entsorgt, weshalb seine Prozessbevollmächtigten die Beklagte mit Schreiben vom 31.05.2010 zur Übersendung einer Ersatzausfertigung bis zum 10.06.2010 aufforderten. Dieses unterblieb.

3

Der Kläger ist der Auffassung, die vollständige Leistungskürzung, die die Beklagte unter Hinweis auf seine Blutalkoholkonzentration vorgenommen habe, sei nicht gerechtfertigt. Bei der nach § 81 Abs. 2 VVG bei grober Fahrlässigkeit vorzunehmenden Abwägung könne hier bei ihm nur ein Verschulden von 2/3 angesetzt werden. Unter Berücksichtigung einer Selbstbeteiligung von 300,00 EUR stehe ihm ein Drittel des Schadens von 20.021,95 EUR, nämlich 6.673,98 EUR, zu.

4

Nachdem der Kläger zunächst auch die Verurteilung der Beklagten zur Ausfertigung eines Ersatzversicherungsscheins beantragt hatte, hat die Beklagte mit Schreiben vom 06.07.2010 die Ersatzausfertigung übersandt. Die Parteien haben den Rechtsstreit insoweit übereinstimmend für erledigt erklärt.

5

Der Kläger beantragt,

  1. 1.

    Die Beklagte zu verurteilen, an ihn 6.673,98 EUR nebst Zinsen in Höhe von 5% über dem Basiszinssatz seit dem 17.03.2010 zu zahlen.

  2. 2.

    Die Beklagte zu verurteilen, ihn von der Forderung seines Prozessbevollmächtigten in Höhe von 603,93 EUR nebst Zinsen in Höhe von 5% über dem Basiszinssatz seit dem 02.07.2010 freizuhalten.

6

Die Beklagte beantragt,

die Klage abzuweisen.

7

Die Beklagte behauptet, es sei eine Selbstbeteiligung von 500,00 EUR vereinbart worden. Sie beruft sich auf Leistungsfreiheit gem.§ 81 VVG aufgrund grob fahrlässiger Unfallverursachung durch den Kläger und trägt dazu vor, bei einer derartigen Alkoholisierung komme nur eine Kürzung von 100% in Betracht.

8

Wegen der weiteren Einzelheiten des Sach- und Streitstandes wird auf die gewechselten Schriftsätze nebst Anlagen sowie das Protokoll zur mündlichen Verhandlung vom 03.09.2010 nebst Anlagen Bezug genommen.

Entscheidungsgründe

9

Die zulässige Klage ist unbegründet.

10

I.

Der Kläger hat keinen Anspruch auf Zahlung von Leistungen aus der Vollkaskoversicherung, weil die Beklagte wegen grob fahrlässiger Herbeiführung des Versicherungsfalls durch den Kläger gem. § 81 VVG leistungsfrei ist.

11

1.

Der Kläger hat sich grob fahrlässig verhalten, indem er sein Fahrzeug mit einer Blutalkoholkonzentration von 1,5 ‰ führte.

12

a.)

Nach ständiger Rechtsprechung liegt objektiv eine grobe Fahrlässigkeit vor, wenn ein Versicherungsnehmer sein Fahrzeug im Zustande absoluter Fahruntüchtigkeit, nämlich mit einem Blutalkoholgehalt von über 1,1‰, führt (BGH, Urteil vom 22.02.1989, IV a ZR 274/87, [...]). Ein solches Verhalten gehört zu den schwersten Verkehrsverstößen überhaupt (LG Tübingen, Urteil vom 26.04.2010, 4 O 326/09, [...]; LG Münster, Urteil vom 24.09.2009, 15 O 275/09, [...]).

13

b.)

Das Verhalten ist auch subjektiv grob fahrlässig. Es ist heute allgemein bekannt, dass Kraftfahrer, die unter starker Alkoholeinwirkung am Straßenverkehr teilnehmen, sich und andere in unverantwortlicher Weise gefährden. Ein Fahrer, der sich darüber aus mangelnder Einsicht hinwegsetzt, muss sich diese mangelnde Einsicht in der Regel als grobes Verschulden anrechnen lassen (BGH a.a.O.). Gründe für eine Ausnahme sind hier nicht vorgetragen. Daher liegen auch die subjektiven Voraussetzungen für ein gesteigertes, grobes Verschulden vor.

14

2.

Das grob fahrlässige Verhalten des Klägers war unstreitig kausal für den konkreten Schadensfall.

15

3.

Gemäß § 81 Abs. 2 VVG ist die Beklagte wegen des grob fahrlässigen Verhaltens des Klägers auch berechtigt, die Versicherungsleistung um 100% zu kürzen.

16

a.)

Die Kammer schließt sich der Auffassung an, nach der § 81 Abs. 2 VVG in Fällen grober Fahrlässigkeit auch eine Kürzung auf Null zulässt (Rüffer/Halbach/Schimikowski, VVG, § 28 Rn. 160 m.w.N.). Dafür spricht, dass in Fällen wie dem vorliegenden ein grob fahrlässiges Verhalten das gleiche Gewicht hat wie es ein vorsätzliches Verhalten hätte, und dass es keinen Grund dafür gibt, in solchen Fällen mit unterschiedlichen Rechtsfolgen zu reagieren. Auch spricht der Wortlaut des Gesetzes eindeutig dafür, solche Quoten bilden zu können, insbesondere da aus dem ursprünglichen Regierungsentwurf zu § 28 VVG das Wort "nur" zur Leistungsfreiheit in Fällen vorsätzlichen Verhaltens gestrichen wurde. Daraus folgt, dass die Möglichkeit einer völligen Leistungsfreiheit nicht nur auf vorsätzliches Verhalten beschränkt worden ist.

17

b.)

Die damit mögliche Kürzung um 100% ist auch hier gerechtfertigt. In Fällen alkoholbedingter Fahruntauglichkeit ist der Versicherer in der Regel zu einer vollständigen Leistungsbefreiung berechtigt (vgl. ebenso LG Tübingen a.a.O.; LG Münster a.a.O.). Der besondere Grad des Verschuldens bei alkoholbedingter Fahruntauglichkeit folgt daraus, dass eine hohe Gefährdung anderer entsteht und durch das Verhalten gegen eine der grundlegendsten Regeln des Kraftverkehrs verstoßen wird, die ganz allgemein bekannt ist. Es sind vorliegend auch keine Gründe ersichtlich, die das gravierende Fehlverhalten des Führens eines Kraftfahrzeuges im Zustand alkoholbedingter absoluter Fahruntüchtigkeit durch den Kläger relativieren könnten.

18

II.

Der Kläger hat keinen Anspruch auf Freistellung von vorgerichtlichen Rechtsanwaltsgebühren. Die Klage war zwar hinsichtlich des übereinstimmend für erledigt erklärten Antrags zu 1.) zulässig und begründet, weil der Kläger als Versicherungsnehmer gem. § 3 Abs. 3 S. 1 VVG einen Anspruch auf Neuerteilung hatte. Die Voraussetzungen eines Verzuges der Beklagten zum Zeitpunkt der Beauftragung der Prozessbevollmächtigten des Klägers hat dieser jedoch nicht vorgetragen. Sein Aufforderungsschreiben bezog sich lediglich auf die Zahlung aus der Vollkaskoversicherung, nicht aber auf die Neuerteilung des Versicherungsscheins.

19

III.

Die Kostenentscheidung hat ihre Grundlage in § 92 Abs. 2 Nr. 1 ZPO. Denn der Kläger hat gemessen an dem maßgeblichen Gebührenstreitwert (LG München, Urteil vom 19.01.1994, 14 S 15926/92, [...]) in Bezug auf den für erledigt erklärten Antrag zu 1.) nur zu einem unter 5% liegenden Umfang obsiegt (Antrag zu 1.: 300,00 EUR, Antrag zu 2.: 6.673,98 EUR), was lediglich geringfügig i.S.d. § 92 Abs. 2 Nr. 1 ZPO ist. Hierdurch sind auch keine weiteren Kosten entstanden.

20

Die Entscheidung zur vorläufigen Vollstreckbarkeit folgt aus §§ 708 Nr. 11, 711 ZPO.