Landgericht Oldenburg
Urt. v. 09.07.2010, Az.: 13 O 3064/09
Obliegenheitsverletzung eines Versicherungsnehmers wegen verspäteter Einreichung einer Stehlgutliste infolge eines Überfalles in Polen
Bibliographie
- Gericht
- LG Oldenburg
- Datum
- 09.07.2010
- Aktenzeichen
- 13 O 3064/09
- Entscheidungsform
- Urteil
- Referenz
- WKRS 2010, 35605
- Entscheidungsname
- [keine Angabe]
- ECLI
- ECLI:DE:LGOLDBG:2010:0709.13O3064.09.0A
Rechtsgrundlage
- § 28 Abs.2 VVG
Fundstelle
- VersR 2011, 69-70
Verfahrensgegenstand
Leistung aus einer Hausratversicherung
In dem Rechtsstreit
...
hat die 13. Zivilkammer des Landgerichts Oldenburg
auf die mündliche Verhandlung vom 21.05.2010
durch
die Vorsitzende Richterin am Landgericht xxx
den Richter am Landgericht xxx und
den Richter am Landgericht xxx
für Recht erkannt:
Tenor:
Die Klage wird abgewiesen.
Die Kosten des Rechtsstreits trägt der Kläger.
Das Urteil ist gegen Sicherheitsleistung von 110% des zu vollstreckenden Betrages vorläufig vollstreckbar.
Tatbestand
Der Kläger nimmt die Beklagte aus einer bei dieser bestehenden Hausratversicherung, der die VHB 2000 zugrunde liegen, auf weitere Leistungen in Anspruch. Die Beklagte hat vorprozessual 14.284,72 EUR ausgezahlt und hat dabei im Vorgriff auf das neue VVG wegen behaupteter Obliegenheitsverletzung einen Abschlag von 40% vorgenommen.
Der Kläger behauptet, er sei am 12.08.2008 in Polen Opfer eines Raubüberfalles geworden, bei dem die Täter seinen Mercedes mitsamt dem darin befindlichen Gepäck und Hausrat entwendet hätten. Er habe gegen Mittag auf einem Rastplatz eine Pause gemacht. Er habe das Fahrzeug verlassen, um Abfall in einem ca. 5 m entfernten Eimer zu entsorgen, seine Ehefrau sei im Auto sitzen geblieben. Auf dem Rückweg habe er gesehen, wie ein Mann zu dem Fahrzeug gerannt sei. Der andere und er hätten die Fahrzeugtür zur gleichen Zeit erreicht. Er sei nieder geschlagen worden, der Mann sei eingestiegen. Inzwischen habe sich noch ein zweiter Mann genähert, der ihn von hinten geschlagen habe. Ihm sei es dennoch gelungen, den Zündschlüssel abzubrechen, der Motor sei aber nicht ausgegangen. Der zweite Mann habe sich auf dem Trittbrett fest geklammert und sei mit dem Fahrzeug fort gefahren. Nach etwa 500 m sei seine Frau aus dem Fahrzeug gestoßen worden und zum Parkplatz zurückgekehrt. Eine Zeugin habe sie beide zur Polizei gebracht, ihr Schwiegersohn habe sie später mit einem Auto abgeholt. Demgegenüber enthalte die von der polnischen Polizei protokollierte Aussage, soweit sie von seiner vorgetragenen Darstellung abweiche, Unrichtigkeiten, die offenbar auf Missverständnissen der Beamten beruhten. Wenn die Beklagte jetzt bestreite, dass überhaupt ein Versicherungsfall vorliege, sei sie daran gehindert, w eil sie schon Zahlungen geleistet habe. Da die Beklagte in ihrer ersten, auf das Fehlen einer Raubtat gestützten Ablehnung vom 10.09.2008 zudem darauf hingewiesen habe, dass er nur 4 Gegenstände und die Ausweispapiere als entwendet angegeben habe, habe er unverzüglich nach Erhalt des Schreibens eine umfangreiche Liste der abhanden gekommenen Gegenstände zum Ermittlungsvorgang gereicht. Diese habe sich in den Ermittlungsakten befunden, als die Beklagte Ende September 2008 Akteneinsicht genommen habe. Die Stehlgutliste befinde sich auf den Blättern vor dem Blatt, auf dem die Akteneinsicht abverfügt sei. Wenn die Beklagte meine, dass er gegenüber der Beklagten und den Ermittlungsbehörden nicht unverzüglich eine Stehlgutliste eingereicht habe, treffe das nicht zu; ihn treffe auch kein Verschulden. Denn er habe sich größte Mühe bei der Erstellung der Liste gegeben und habe wegen der Vielzahl der Sachen etliche Zeit benötigt. Die Versicherungsbedingungen sähen eine Frist nicht vor; deshalb sei es rechtzeitig, dass er unmittelbar nach Erhalt des Schreibens tätig geworden sei. Eine frühere Übergabe der Stehlgutliste hätte nicht zu einem Ermittlungserfolg geführt, denn das Verfahren sei vorher schon eingestellt worden. Er meint, dass von einem Anerkenntnis der Beklagten auszugehen sei, weil die Beklagte nach Einsicht in die Ermittlungsakten mitgeteilt habe, dass sie einen Gesamtschaden von 20.474,52 EUR ermittelt habe.
Der Kläger beantragt,
die Beklagte zu verurteilen, an den Kläger 6.189,80 EUR nebst Zinsen in Höhe von 5 Prozentpunkten über dem Basiszinssatz seit dem 20.07.2009 zu zahlen.
Die Beklagte beantragt,
die Klage abzuweisen.
Die Beklagte bestreitet, dass überhaupt ein Raub vorliegt, und trägt vor, bei der ersten Schilderung gegenüber der Polizei in Polen habe der Kläger angegeben, dass der Täter bereits im Fahrzeug gesessen habe, als der Kläger zum Fahrzeug zurück gekehrt sei. Als die Täter weggefahren seien, sei er vom Fahrzeug weggestoßen worden. Bei dieser Tat liege nur ein räuberischer Diebstahl vor, der jedoch nicht versichert sei. Gegenüber der Staatsanwaltschaft habe der Kläger angeben, dass die Tat begonnen habe, als er ausgestiegen sei, während er jetzt vortrage, auf dem Rückweg zum Fahrzeug gewesen zu sein, als es zur Tat gekommen sei. Ein Raub sei deshalb überhaupt nicht substantiiert vorgetragen. Den Wert der entwendeten Gegenstände habe der Kläger bei der polnischen Polizei mit ca.1.000 EUR angegeben, während er ihn später auf sogar 25.000 EUR beziffert habe. Weiter berufe sie sich auf eine Obliegenheitsverletzung, weil der Kläger bei der Polizei nicht unverzüglich eine Stehlgutliste eingereicht habe. Kulanterweise habe sie das neue VVG angewendet, so dass sie nicht völlig leistungsfrei sei, und habe einen Abschlag von 40% vorgenommen. Eine Stehlgutliste habe sich auch nicht in den Ermittlungsakten befunden, als sie im Oktober, nicht September, 2008 habe Einsicht nehmen können. Zudem sei die Liste nicht konkret genug, da die Geräte nicht individualisiert seien. Das begründe den Vorwurf grober Fahrlässigkeit, denn der Kläger sei von der deutschen Polizei am 15.8. darauf hingewiesen worden, dass Angaben zum Schaden nachzureichen seien. Das wäre dem Kläger auch möglich gewesen, da dieser ihr schon am 27.8. eine Liste habe zukommen lassen, die mit dem angegebenen Wert von 25.188,85 EUR allerdings von der später erstellten abweiche.
Wegen des weiteren Vorbringens der Parteien wird auf den Inhalt der Schriftsätze nebst Anlagen Bezug genommen.
Die Ermittlungsakten 455 UJs 48342/08 der StA Oldenburg waren beigezogen und Gegenstand der mündlichen Verhandlung.
Entscheidungsgründe
Die Klage ist nicht begründet.
Die Beklagte ist nicht verpflichtet, dem Kläger eine weitere, über bereits gezahlte 14.284,72 EUR hinausgehende Versicherungsleistung zu erbringen. Der Kläger hat nämlich eine Obliegenheit verletzt, die eine teilweise Leistungsfreiheit der Beklagten zur Folge hat. Die danach in Höhe von 60% bestehende Leistungspflicht hat die Beklagte erfüllt.
Nach § 27 Ziff.l.c) der zugrundeliegenden Versicherungsbedingungen hat der Versicherungsnehmer bei Eintritt eines Versicherungsfalles dem Versicherer und der zuständigen Polizeidienststelle unverzüglich ein Verzeichnis abhanden gekommener Gegenstände einzureichen. Im weiteren ist i.e. bestimmt, dass der Versicherer bei Verletzung der genannten Obliegenheiten leistungsfrei wird.
Der Kläger hat der Beklagten zwar schon am 27.08.2008 eine Stehlgutliste übersandt; er hat aber seine Obliegenheit, eine Stehlgutliste unverzüglich bei der Polizei einzureichen, nicht erfüllt. Diese Obliegenheit ist zusätzlich zu der im Einreichen der Stehlgutliste bei der Versicherung bestehenden Obliegenheit zu erfüllen. Es ist im Termin unstreitig geworden, dass der Kläger die Liste nach dem 10.09.2008 bei der Staatsanwaltschaft eingereicht hat. Das ist 1 Monat nach der Tat und damit nicht mehr unverzüglich. Entgegen der Ansicht des Klägers ist es für die Beurteilung der Unverzüglichkeit ohne Belang, dass die Versicherungsbedingungen keine Frist vorsehen, sondern nur den Begriff der Unverzüglichkeit enthalten. Dieser allgemein verwendete Rechtsbegriff bedeutet, dass der Verpflichtete ohne schuldhaftes Zögern handeln muss. Für das Einreichen der Stehlgutliste lässt die Rechtsprechung i.a. einen Zeitraum bis 3 Wochen zu. Dieser Zeitraum ist nicht eingehalten. Dass das hier nicht unverzüglich ist, gilt auch unter Berücksichtigung der Tatsache, dass die Tat sich in Polen ereignet hat. Denn der Kläger befand sich bereits am 15.08.2008 wieder in Oldenburg. Das Erstellen der Liste war ihm auch möglich, denn die Beklagte hat eine Liste bereits Ende August erhalten.
Die Obliegenheit ist grob fahrlässig verletzt. Entlastende Momente hat der Kläger nicht dargelegt. Er ist zudem von der Polizei am 15.08.2008 darauf hingewiesen worden, dass der Schaden belegt werden muss. Dem hätte er früher nachkommen können, wie es auch gegenüber der Beklagten geschehen ist.
Es ist der Beklagten auch nicht verwehrt, sich auf die Obliegenheitsverletzung zu berufen. Entgegen der Ansicht des Klägers war die Beklagte nicht verpflichtet, den Kläger darauf hinzuweisen, dass er auch bei der Polizei eine Stehlgutliste einreichen muss. Die vom Kläger benannte Entscheidung des BGH (IV ZR 317/05 vom 17.09.2008) betrifft einen Einzelfall, in dem der Versicherer dem Versicherungsnehmer nach dessen Mitteilung eines Versicherungsfalles umfangreiche Unterlagen mit Fragebögen und Schadensformularen übersandt hatte, ohne dabei darauf hinzuweisen, dass eine Stehlgutliste bei der Polizei einzureichen sei. Ausdrücklich ist in der Entscheidung darauf hingewiesen, dass durch das Übersenden aller Unterlagen ein besonderer Vertrauenstatbestand geschaffen worden sei, der es dem Versicherer verwehre, sich auf eine Verletzung der Obliegenheit zu berufen. Das ist mit dem hier streitigen Fall nicht vergleichbar.
Der Kläger hat auch keine Tatsachen vorgetragen, die einen Kausalitätsgegenbeweis ermöglichen würden. Die Tatsache, dass die Staatsanwaltschaft das Verfahren sofort bei Eingang der Akten am 25.08.2008 eingestellt hat, lässt nicht den Schluss zu, dass das unverzügliche Einreichen der Stehlgutliste ohne jegliche Bedeutung ist. Denn das geraubte Fahrzeug war noch zur Fahndung ausgeschrieben. Es ist also denkbar, dass weitere Angaben zu abhanden gekommenen Gegenständen weitere Fahndungsmaßnahmen ausgelöst hätten. Ob das tatsächlich so ist, kann aber dahinstehen. Denn der Kausalitätsgegenbeweis ist nur geführt, wenn der Nachweis erbracht ist, dass auch bei rechtzeitiger Vorlage mit Sicherheit eine erfolgreiche Fahndung nicht möglich gewesen wäre (Felsch in Rüffer/Halbach/Schimikowski, Komm, zum VVG, § 28 Rdnr. 56). Das ist nicht ersichtlich. Tatsachen dazu sind auch nicht vorgetragen. Dem Beweisantritt dazu, dass die Staatsanwaltschaft das Verfahren auch bei rechtzeitiger Vorlage der Liste eingestellt hätte, war nicht nachzugehen. Es hätte eine unzulässige Ausforschung bedeutet. Außerdem kommt es auf die Durchführung von Fahndungsmaßnahmen an. Dazu fehlt der Vortrag. Zudem soll das unverzügliche Einreichen der Liste verhindern, dass der Schadensumfang sich im Laufe der Zeit vergrößert, und soll damit die Vertragsgefahr vermindern (Knappmann in Prölss/Martin, 27. Aufl., § 21 VHB 84 Rdnr.1). Auch aus diesem Grund kommt es nicht darauf an, ob das Verfahren eingestellt worden wäre.
Die Beklagte hat sich mit der Anwendung des neuen VVG einverstanden erklärt. Daraus ergeben sich für den Kläger günstige Regelungen, weil die Verletzung von Obliegenheiten nicht die völlige Leistungsfreiheit nach sich zieht, sondern weil der Versicherer nach § 28 Abs.2 VVG berechtigt ist, seine Leistung in einem der Schwere des Verschuldens entsprechenden Verhältnis zu kürzen. Dabei sind sämtliche Fallumstände objektiver und subjektiver Art zu berücksichtigen; es ist nicht allein der Verschuldensgrad maßgeblich (Felsch, a.a.O., § 28 Rdnr.151).
Hier mag zugunsten des Klägers zu berücksichtigen sein, dass das geraubte Fahrzeug in einer für eine möglicherweise erfolgreiche Fahndung ausreichenden Weise konkretisiert war und dass die Gegenstände sich im Fahrzeug befunden haben, so dass sich dem Kläger die Dringlichkeit, eine Stehlgutliste unverzüglich einzureichen, nicht aufdrängen musste. Zu seinen Gunsten spricht auch, dass er jedenfalls gegenüber der Beklagten rechtzeitig eine vollständige Liste eingereicht hat, die einen Wert von mehr als 20.000 EUR ergibt. Andererseits fällt zu seinen Lasten erheblich ins Gewicht, dass er bei der Polizei in Polen mehrere Gegenstände als geraubt konkretisiert und deren Wert mit 3,400 PLN angegeben hat, dass die Zahl der Gegenstände dann aber erheblich höher als vorher angegeben ist, und insbesondere die Tatsache, dass deren Wert das 2Ö-fache gegenüber der ersten Angabe beträgt. Der zuletzt genannte Punkt ist ein wesentlicher Aspekt dafür, die dem Kläger anzurechnende Quote nicht nur in geringer Höhe anzusetzen. Die Kammer hält deshalb den von der Beklagten vorgenommenen Abschlag von 40% für angemessen.
Die Beklagte selbst hat den Schaden auf insgesamt 20.474,52 EUR festgestellt. Der Kläger, der vorprozessual einen höheren Schaden angegeben hatte, macht einen Anspruch auch nur nach dem geringeren Betrag geltend. Ein Anspruch auf 60% dieses Schadens ist durch die Zahlung von insgesamt 14.284,72 EUR erfüllt, zumal die Beklagte zunächst 5.000 EUR gezahlt hat und die Kürzung von 40% nur bezüglich des Restbetrages vorgenommen hat.
Die Nebenentscheidungen beruhen auf den §§ 91, 709 ZPO.