Landgericht Oldenburg
Beschl. v. 18.11.2010, Az.: 6 T 758/10
Vier Tage und weniger vor dem Monatsende auf dem Konto eingehende Zahlungszugänge sind pfändbar
Bibliographie
- Gericht
- LG Oldenburg
- Datum
- 18.11.2010
- Aktenzeichen
- 6 T 758/10
- Entscheidungsform
- Beschluss
- Referenz
- WKRS 2010, 36853
- Entscheidungsname
- [keine Angabe]
- ECLI
- ECLI:DE:LGOLDBG:2010:1118.6T758.10.0A
Verfahrensgang
- vorgehend
- AG Delmenhorst - 02.09.2010 - AZ: 11 M 1931/10
Rechtsgrundlagen
- § 765a ZPO
- § 793 ZPO
- § 850k Abs. 1 ZPO
Fundstelle
- ZVI 2011, 31-32
In der Zwangsvollstreckungssache
...
hat die 6. Zivilkammer des Landgerichts Oldenburg
am 18.11.2010
durch
den Vorsitzenden Richter am Landgericht xxx,
den Richter am Landgericht xxx und
den Richter xxx
beschlossen:
Tenor:
Die sofortige Beschwerde der Drittschuldnerin gegen den Beschluss des Amtsgerichts Delmenhorst vom 02.09.2010 wird auf ihre Kosten mit der Maßgabe zurückgewiesen, dass der Beschluss des Amtsgerichts zu Ziff. 3. zur Klarstellung wie folgt neu gefasst wird:
3. Ferner wird vorsorglich angeordnet, dass zukünftig die in den letzten vier Tagen eines Monats eingehenden Einkünfte der Schuldnerin so zu behandeln sind, als wären sie im Folgemonat auf das Konto eingegangen.
Der Beschwerdewert wird auf bis 1.000 EUR festgesetzt.
Die Rechtsbeschwerde wird zugelassen.
Gründe
Die Gläubigerin hat sich durch einen erwirkten Pfändungs- und Überweisungsbeschluss Forderungen der Schuldnerin gegenüber der Drittschuldnerin aus einem Konto pfänden und überweisen lassen. Die Schuldnerin hat die Aufhebung der Pfändung hinsichtlich Sozialleistungen beantragt. Zur Begründung hat sie ausgeführt, das gepfändete Girokonto sei im Juli 2010 zu einem Pfändungsschutzkonto umgewandelt worden. Das Mitte August gutgeschriebene Kindergeld für den Monat August 2010 zahle die Drittschuldnerin nicht an die Schuldnerin aus, weil der pfandfreie Betrag für den Monat August 2010 bereits ausgeschöpft sei.
Das Amtsgericht hat mit Beschluss vom 02.09.2010 die auf dem Konto gutgeschriebenen Einkünfte der Schuldnerin freigegeben und der Drittschuldnerin aufgegeben, die zukünftig zum Monatsende eingehenden Einkünfte, die ersichtlich für den Folgemonat gezahlt werden, so zu behandeln, als wären sie im Folgemonat auf das Konto eingegangen. Zur Begründung hat der Rechtspfleger ausgeführt, die dargelegten Gesamteinkünfte lägen unterhalb des monatlich pfandfreien Betrages. Da die Drittschuldnerin trotz der offenkundigen Zahlungen für den Monat August 2010 ausschließlich auf den Zeitpunkt der Gutschrift auf dem Konto abstelle und der Pfändungsschutz für den Monat der Wertstellung bereits verbraucht sei, stehe der Schuldnerin für den Monat August 2010 keine Leistung zur Verfügung. Dies stelle eine sittenwidrige Härte nach § 765a ZPO dar. Die Handhabung der Drittschuldnerin sei mit den guten Sitten nicht zu vereinbaren, da der Schuldnerin die wirtschaftliche Existenzgrundlage für den folgenden Monat entzogen würde.
Die Drittschuldnerin hat gegen den Beschluss eine Erinnerung erhoben und zur Begründung ausgeführt, der Gesetzgeber habe im Gesetzgebungsverfahren zu § 850k hervorgehoben, wenn die dem Schuldner bis zum Ende des Kalendermonats zustehenden Verfügungen über Guthaben den monatlichen Pfändungsfreibetrag erreicht haben, stehe noch vorhandenes Guthaben für den Gläubiger zur Verfügung. Auf welchen Gutschriften das Guthaben des Schuldners beruhe, spiele für den Pfändungsschutz keine Rolle. Ein unverbrauchtes Guthaben, das dem Pfändungsschutz unterliege, stehe dem Schuldner auch noch im nächsten Monat zur Verfügung. Der Gesetzgeber habe die Intention gehabt, ein einfaches Verfahren zu schaffen. Momentan sei nur die einmalige Freigabe im Monat der Zustellung der Pfändung möglich. Der Schuldner habe nur einmalig einen Pfändungsfreibetrag und nicht einen mehrfachen Freibetrag bei Zahlung mehrere Monatslöhne in einem Monat. Die Bank dürfe nicht prüfen, woher die Zahlung stamme und es könne nicht darauf ankommen, ob die Zahlung für den laufenden oder erst den Folgemonat bestimmt sei.
Der Rechtpfleger hat der Erinnerung nicht abgeholfen und darauf hingewiesen, dem Schuldner stünde für den Folgemonat kein Pfändungsfreibetrag zur Verfügung, wenn ein am Monatsende eingehender Betrag, der für den Folgemonat bestimmt sei, dem Schuldner nicht ausgezahlt würde. Das Pfändungsschutzkonto sei als Schutzkonto ausgestaltet. Eine Schwierigkeit bei der technischen Umsetzung bzw. Überprüfbarkeit könne nicht zu Lasten eines Schuldners gehen.
Die Erinnerung ist als sofortige Beschwerde zu behandeln. Diese ist zulässig, da sie gem. § 793 ZPO statthaft ist und fristgemäß erhoben wurde. In der Sache hat sie jedoch keinen Erfolg.
Die gesetzlichen Regelungen zum Pfändungsschutzkonto enthalten keine ausdrückliche Bestimmung zur Verfahrensweise mit auf einem Konto am Monatsende gutgeschriebenen Geldern, die für den Lebensunterhalt des Schuldners im Folgemonat bestimmt sind. Ausgehend von der Regelung zum Pfändungsschutzkonto in § 850k Abs. 1 ZPO werden am Monatsende auf dem Konto eingehende Beträge daher von der Pfändung erfasst, wenn der Schuldner über den ihm in diesem Monat zustehenden pfandfreien Betrag bereits vollständig verfügt hat. Diese Bewertung der Kammer findet ihre Stütze in vom Bundesministerium für Justiz herausgegebenen Stellungnahmen zu dem "Monatsanfangsproblem", die auf der Internetseite des Ministeriums unter bmj.de/Suchbegriffe: Reform der Kontopfändung, Monatsanfangsproblem veröffentlicht sind. Nach einer ersten Stellungnahme Anfang August 2010 auf eine Presseveröffentlichung (vgl. Frankfurter Rundschau vom 05.08.2010), hat das Bundesministerium der Justiz erklärt, es sei unabhängig von der Herkunft und dem Zeitpunkt von Gutschriften zu gewährleisten, dass dem Schuldnerjeweils der monatliche Freibetrag zur Verfügung steht. Das Bundesministerium der Justiz vertritt zwar ferner die Ansicht: "Zahlungen am Monatsende können daher am Ende des Kalendermonats nur an den Gläubiger ausgekehrt werden, soweit das Guthaben den monatlichen individuellen Freibetrag (den "Sockel") für den Folgemonat übersteigt." Jedoch ist nach den Untersuchungen der Kammer den veröffentlichten Beratungsergebnissen des Deutschen Bundestages zum Gesetz zur Reform des Kontopfändungsschutzes nicht zu entnehmen, dass die Gutschriften am Monatsende erst eins Berücksichtigung finden sollen im Folgemonat wenn aus den Überweisungen oder aus dem Gesamtzusammenhang erkennbar wird, dass die Gelder dem Lebensunterhalt für den Folgemonat dienen sollen. In einer weiteren im Internet veröffentlichten Stellungnahme des Ministeriums vom September 2010 wird sodann hervorgehoben, es sei Ziel des Gesetzes, dass Sozialleistungen, die am Monatsende eingehen, den Empfängern im nächsten Monat zur Verfügung stehen. "Um weitere Unsicherheiten zu Lasten der betroffenen Bankkunden zu vermeiden, wird die Bundesministerin der Justiz unverzüglich eine gesetzliche Präzisierung in die Wege leiten." Ausdrücklich hebt das Bundesministerium der Justiz hervor, betroffene Bankkunden sollten sich während der Übergangszeit an das zuständige Vollstreckungsgericht wenden und dort die Freigabe von empfangenen Sozialleistungen beantragen.
Vor diesem Hintergrund muss einem Schuldner in der derzeitigen Situation die Möglichkeit eingeräumt werden, eine klarstellende Entscheidung des Vollstreckungsgerichtes hinsichtlich der Gelder herbeizuführen, die er im Folgemonat für seinen Lebensunterhalt benötigt. Die gesetzliche Grundlage bietet die Regelung in § 765a ZPO, wonach eine Maßnahme der Zwangsvollstreckung ganz oder teilweise aufzuheben, zu untersagen oder einstweilig einzustellen ist, wenn die Maßnahme unter voller Würdigung der Schutzbedürfnisse des Gläubigers wegen ganz besonderer Umstände eine Härte bedeutet, die mit den guten Sitten nicht vereinbar ist. Eine derartige unbillige Vollstreckung, die für einen Schuldner zu einer sittenwidrigen Härte führt, liegt vor, wenn dem Schuldner der Bestreitung des Lebensunterhaltes dienende Leistungen, die entsprechend dem Willen des Leistenden für den Folgemonat bestimmt sind, wegen einer Vollstreckungshandlung in dem Folgemonat nicht zur Verfügung stehen (vgl. LG Essen, 16.08.2010, Az. 2 T 404/10 = Rpfleger 2010, 606). Durch die Freigabe der für den Folgemonat überlassenen Geldmittel werden schützenswerte Belange des Gläubigers nicht berührt, da Sozialleistungen zum Bestreiten des Lebensunterhaltes dem Gläubigerzugriff im Regelfall entzogen sind. Zu berücksichtigen ist bei der Bewertung ferner, dass dem Gläubiger eine pfändbare Forderung auch dann nicht zustehen würde, wenn die Leistung wenige Tage später dem Konto gutgeschrieben worden wäre.
Schon in tatsächlicher Hinsicht entspricht es der Lebenserfahrung, dass Zahlungen, die vier Tage und weniger vor dem Monatsende auf dem Konto eingehen (dies betrifft schon von Gesetzeswegen gemäß § 42 SGB II die laufenden Zahlungen der ARGE; bezogen auf die Familienkasse findet sich sogar ein Bestimmungsvermerk im Verwendungszweck der Überweisung) oder im Fall von materiellrechtlich rückwirkend erbrachten Zahlungen von den Schuldnern zum Lebensunterhalt für die Folgezeit benötigt werden, weil das vorherige Guthaben verbraucht wurde. Vor diesem Hintergrund rechtfertigt sich die generalisierende Anordnung, dass Zahlungseingänge, die vier Tage und weniger vor dem Monatsende auf dem Konto eingehen pfändungsrechtlich so zu behandeln sind, als seien sie am 01.des folgenden Monats eingegangen. Die Kammer hat den angefochtenen Beschluss mit dieser Maßgabe neu gefasst.
Der kontoführenden Drittschuldnerin entsteht durch diese Freigabe der für den Folgemonat bestimmten Leistungen für den Lebensunterhalt auch kein erheblicher Nachteil. Denn durch die Entscheidung des Vollstreckungsgerichtes auf einen Antrag nach § 765a ZPO wird dem Kreditinstitut gerade nicht die Aufgabe übertragen, Zahlungseingänge von sich aus dahingehend zu überprüfen, ob sie für den Folgemonat bestimmt sind. Für die Drittschuldnerin ist zudem aus dem Buchungstext in vielen Fällen der Bestimmungsmonat zu erkennen, wie hier hinsichtlich der Buchungen 12.08. Familienkasse und 13.08. Neue Arbeit Delmenhorst. Sollten im Einzelfall Zweifel hinsichtlich der Annahme, dass Zahlungseingänge am Ende des Monats für den Lebensunterhalt des Folgemonats bestimmt sind, verbleiben, so hat der Schuldner einen Nachweis durch die Vorlage einer Bescheinigung des Leistenden zu erbringen.
Die Verfahrensweise des Rechtspflegers ist nach alledem nicht zu beanstanden.
Die Kostenentscheidung folgt aus § 97 Abs. 1 ZPO.