Verwaltungsgericht Hannover
Urt. v. 21.09.2011, Az.: 11 A 913/10
Ausüben der Entscheidungen über die Gestaltung des täglichen Lebens durch einen Betreuer bei Fehlen der erforderlichen Autonomie eines "Wachkoma"-Bewohners für das Zusammenleben in einer Wohngemeinschaft
Bibliographie
- Gericht
- VG Hannover
- Datum
- 21.09.2011
- Aktenzeichen
- 11 A 913/10
- Entscheidungsform
- Urteil
- Referenz
- WKRS 2011, 36816
- Entscheidungsname
- [keine Angabe]
- ECLI
- ECLI:DE:VGHANNO:2011:0921.11A913.10.0A
Rechtsgrundlagen
- § 1 Abs. 1 S. 2 HeimG
- § 12 HeimG
- § 17 Abs. 1 HeimG
- § 19 Abs. 2 S. 1 Ziff. 1 HeimG
Fundstelle
- PflR 2012, 386-391
Amtlicher Leitsatz
- 1.
Es ist zweifelhaft, ob Bewohner einer Einrichtung, die überwiegend ihren Willen nicht zum Ausdruck bringen können (Bewohner mit apallischem Syndrom, die sich im "Wachkoma" befinden) die für das Zusammenleben in einer Wohngemeinschaft erforderliche Autonomie der Entscheidungen über die Gestaltung des täglichen Lebens durch Betreuer ausüben lassen können.
- 2.
Es kommt nicht auf die rechtliche Trennung von Miet- und Pflegevertrag an, sonderen darauf, ob sich allen Bewohnern die realistische Chance eröffnet, den Pflegedienst frei zu wählen. Wirbt ein Pflegedienst mit der Leistung von Unterkunft und Pflege aus einer Hand, ist dies ein Indiz dafür, dass die notwendige Trennung von Wohnen und Pflege nicht gegeben ist.
Tenor:
Die Klage wird abgewiesen.
Die Klägerin trägt die Kosten des Verfahrens.
Das Urteil ist wegen der Kosten vorläufig vollstreckbar.
Die Klägerin kann die Vollstreckung durch Sicherheitsleistung oder Hinterlegung in Höhe von 110% des vollstreckbaren Betrages abwenden, wenn nicht der Beklagte zuvor Sicherheit in derselben Höhe leistet.
Die Berufung wird zugelassen.
Tatbestand
Die Klägerin betreibt die Seniorenwohngemeinschaft D.. Sie wendet sich mit der Klage gegen eine Untersagungsverfügung des Beklagten.
Die Klägerin erwarb 2007 gemeinsam mit ihrem Ehemann das Anwesen D., E. 11 in F.. Es handelt sich dabei unter anderem um eine G., die ursprünglich vom Voreigentümer H. als I. genutzt wurde.
Die Klägerin wandte sich am 09.10.2007 mit dem Vorhaben an den Beklagten, das Gebäude zu einer Einrichtung zur Unterbringung von "rund-um-die-Uhr" intensivmedizinisch zu betreuenden Pflegebedürftigen umzunutzen. Sie schilderte ihr Vorhaben als Wohngemeinschaft, in der Pflegebedürftige autark und autonom über die Haushaltsführung, Bewirtschaftung und die Wahl des Pflegedienstes entscheiden könnten. Dieses Schreiben verfasste die Klägerin unter dem Briefkopf des Pflegedienstes "J. ", deren Eigentümerin die Klägerin ist.
Nachdem die Klägerin nochmals bestätigt hatte, dass das Konzept einer Wohngemeinschaft mit getrennten Miet- und Pflegeverträgen bei voller Wahlfreiheit hinsichtlich des betreuenden Pflegedienstes realisiert werden solle, wobei die weitere Gestaltung durch eine Interessenvertretung durch Angehörige bzw. Betreuer sichergestellt werde, bestätigte der Beklagte nach einem Hausbesuch am 04.07.2008 unter dem 30.07.2008, dass unter diesen Voraussetzungen kein Heim im Sinne des Heimgesetzes betrieben werde.
Die Klägerin und ihr Ehemann beantragten bei dem Beklagten am 17.06.2008 die Umnutzung des Gebäudes als Wohnhaus. Der Beklagte untersagte unter Anordnung des Sofortvollzuges die Nutzung des Hauses mit der Begründung, es handele sich bei der Einrichtung nicht um eine Wohnnutzung, sondern um einen "Sonderbau nach § 51 der NBauO", der insbesondere Sonderregelungen für den Brandschutz erfordere.
Hiergegen legten die Klägerin und ihr Ehemann Widerspruch ein und machten vor dem erkennenden Gericht ein Eilverfahren mit dem Ziel anhängig, die aufschiebende Wirkung ihres Widerspruchs wiederherzustellen. Diesen Antrag lehnte die 4. Kammer des Gerichts mit Beschluss vom 14.11.2008 (- 4 B 4297/08-) mit der Begründung ab, die Klägerin betreibe in dem Haus ein Heim, was die Verpflichtungen der HeimMindBauV nach sich ziehe.
Die Beschwerde der Klägerin und ihres Ehemannes gegen diesen Beschluss wurde zurückgenommen, nachdem diese einen neuen Bauantrag gestellt hatten.
Im Weiteren meldete sich bei dem Beklagten ein Pflegedienst, dem es nicht ermöglicht wurde, in der Wohngemeinschaft bei einer Mieterversammlung sein Angebot vorzustellen. Bedienstete und Betreuer beschwerten sich über die Verhältnisse in einem Gespräch. Zwei Betreuerinnen schilderten die Abläufe in der "Wohngemeinschaft" als Heimbetrieb.
Bei einem dadurch motivierten Hausbesuch am 13.02.2009 stellte der Beklagte fest, dass die Klägerin in dem Bereich des ehemaligen I. s insgesamt bis zu acht schwerstpflegebedürftige Personen - überwiegend Apalliker ( Menschen im Wachkoma) - betreut, wobei ein Patient auf dem Flur, abgetrennt lediglich durch ein Paravent, versorgt wurde. Die Pflege wurde ausnahmslos durch den Pflegedienst der Klägerin wahrgenommen. Weitere Ermittlungen und unaufgefordert abgegebene Erklärungen von Betreuern von Bewohnern vermittelten dem Beklagten den Eindruck, es handele sich tatsächlich nicht um eine Wohngemeinschaft, sondern um ein Heim. Es gebe danach keine - echte - Möglichkeit der Einflussnahme auf die Neuaufnahme von Bewohnern und keine Versammlungen der Betreuer, in denen über die Gestaltung des Betriebes Absprachen getroffen worden wären. Tatsächlich stellte sich der Betrieb nach den Schilderungen so dar, dass Ansprechpartner für alle Fragen ausschließlich die Klägerin sei. Alle Bewohner würden danach von einem Arzt behandelt. Als dieser ausgeschieden sei, seien alle geschlossen in die Behandlung durch einen Nachfolger gewechselt.
Im Rahmen ihrer Anhörung erklärte dazu die Klägerin am 25.06.2009, es handele sich bei der Wohngruppe D. nicht um ein Heim, sondern um eine Wohngemeinschaft, einen freiwilligen, selbstverantwortlichen Zusammenschluss von Menschen zum Zwecke des Wohnens. Die Mieter entschieden selbst, wer mit ihnen in Zukunft zusammenleben solle, die Haushaltsführung werde selbstständig durch die Betreuer bewirkt. Die Gestaltung des Zusammenlebens liege allein bei den Mietern, Betreuern bzw. deren Bevollmächtigten.
Mit Bescheid vom 21.01.2010 untersagte der Beklagte der Klägerin den Betrieb der Seniorenwohngemeinschaft D. und gab ihr auf, den Betrieb spätestens am 31.03.2010 zu schließen, untersagte ihr ab sofort die Aufnahme neuer Bewohner und verpflichtete die Klägerin, für die sachgerechte anderweitige Unterbringung der Bewohner unter Übernahme der Umzugskosten Sorge zu tragen. Für den Fall der Zuwiderhandlung gegen das Neuaufnahmeverbot drohte er der Klägerin ein Zwangsgeld in Höhe von 50.000,00 EUR sowie die Ersatzvornahme auf Kosten der Klägerin für den Fall an, dass diese ihrer Verpflichtung zur Organisation des Auszugs der Bewohner nicht in vollem Umfang nachkomme, und legte ihr die Kosten des Verfahrens auf.
Zur Begründung führte er aus, nach den eigenen Feststellungen und den Berichten von Betreuern und Mitarbeitern handele es sich bei der "Wohngemeinschaft D." nicht um eine Wohngemeinschaft, die nicht in die Geltung des HeimG einbezogen sei, sondern um ein Heim im Sinne dieses Gesetzes. Wer jedoch ein solches Heim betreibe, sei zu seiner förmlichen Anzeige verpflichtet. Bei Unterlassen der Anzeige könne der Betrieb untersagt werden.
Es handelte sich um ein Heim, weil - anders als in der Konzeption dargestellt - tatsächlich eine Einheit von Wohnen und Versorgung der Bewohner bestehe. Diese könnten nicht selbständig die Rahmenbedingungen ihres Lebens regeln, diese würden vielmehr von der Klägerin vorgegeben. Aufgrund der tatsächlichen Verhältnisse sei auch der Einsatz verschiedener Pflegedienste nicht möglich. Der Bestand der Einrichtung sei auch unabhängig von dem Wechsel und der Anzahl der dort lebenden Bewohner. Eine echte Einbeziehung der Mieter in die Auswahl der Bewohner finde nicht statt. Aufgrund der Erkrankung der Bewohner sei deren eigenes Wirtschaften und eine aktive autonome Tagesgestaltung nicht möglich. Nach dem Eindruck der Berufsbetreuer fänden Abstimmungen über Einzelheiten der Haushaltsführung nicht statt, sie nähmen daher den Betrieb als Heim wahr. Die formale Trennung zwischen Wohnen und Pflege fände sich in der Realität nicht wieder. Angesichts des Ausmaßes der Schutzbedürftigkeit der Bewohner sei die angeordnete Maßnahme erforderlich und geeignet, diesen Schutz durchzusetzen.
Hiergegen hat die Klägerin am 16.02.2010 Klage erhoben und führt zur Begründung aus:
Tatsächlich handele es sich bei der "Wohngemeinschaft D." nach ihrem Konzept und seiner tatsächlichen Realisierung um eine Wohngemeinschaft und nicht um ein Heim. Es werde großen Wert darauf gelegt, dass die Haushaltsführung, die Bewirtschaftung und die Belegung durch die Bewohner erfolgten. Tatsächlich sei auch in einem Fall der Einzug eines Mieters abgelehnt worden. Die Entscheidungen über die Lebensverhältnisse in der Wohngemeinschaft sei den Bewohnern durch Unterstützung bzw. Vertretung durch Angehörige oder Betreuer auch angesichts ihrer Erkrankung möglich. Nicht nur rechtlich, sondern auch faktisch sei der Einsatz eines anderen Pflegedienstes möglich, er setze lediglich eine interne Umorganisation voraus, die aus anderen Gründen auch gelegentlich erforderlich sei.
Die Klägerin habe stets dem Beklagten die Möglichkeit gegeben, die tatsächlichen Verhältnisse im Haus zu überprüfen. Wenn die Bewohner dies nicht wünschten, stehe dies in deren Entscheidung.
Auch aus dem mittlerweile gelöschten Internetauftritt ergebe sich nichts anderes. Dieser sei in der Anfangsphase ohne rechtliche Beratung naiv eingestellt worden. Nicht ein Internetauftritt, sondern die Realität sei relevant.
Die Klägerin beantragt,
den Bescheid des Beklagten vom 21.01.2010 aufzuheben.
Der Beklagte beantragt,
die Klage abzuweisen.
Er hält daran fest, dass es sich bei der Einrichtung der Klägerin um ein anzeigepflichtiges Heim und nicht um eine Wohngemeinschaft handele, wie es das Konzept darstelle, das Grundlage seiner ersten Beurteilung vom 30.07.2008 gewesen sei. Dieses Konzept werde von der Klägerin nicht realisiert. Wie im Bescheid ausgeführt, hätten seine eigenen Feststellungen und die Darstellung von Betreuern und Beschäftigten ergeben, dass die Beauftragung des Pflegedienstes der Klägerin faktisch an den Einzug in die Wohngemeinschaft gebunden sei. So stelle sie dies auch selbst in ihrem Internetauftritt eindeutig dar. Es sei bereits zweifelhaft, ob Menschen mit einer solch schweren Erkrankung, wie sie die Bewohner in K. aufwiesen, in der Lage seien, selbstständig die Haushaltsführung zu übernehmen, wie es das Konzept einer Wohngemeinschaft erfordere.
Tatsächlich übernehme auch die Klägerin und nicht die Bewohner die Akquise von neuen Mietern. Wenn in einem Fall der Vorschlag abgelehnt worden sei, spreche dies nicht dafür, dass die Aufgabe den Bewohnern obliegt. In Betracht kämen auch nur Bewohner mit schwerster Pflegebedürftigkeit - wie es dem Angebot der Klägerin entspreche. Eine Ausrichtung an den Interessen der Bewohner stelle dies nicht dar. Insgesamt handele es sich um ein einheitliches Angebot über Wohnen und Pflege. Auch der Umstand, dass es sich bei der Wohngemeinschaft D. um einen stehenden Begriff handele, spreche dafür, dass es sich tatsächlich um ein Heim handele, dessen Bestand nicht von der Anzahl und dem Wegzug einzelner Bewohner anhängig sei.
Wegen des weiteren Sachverhalts im Einzelnen und des Vorbringens der Beteiligten im Übrigen wird auf die Gerichtsakte dieses Verfahrens sowie den Verwaltungsvorgang der Beklagen verwiesen, der beigezogen wurde und Gegenstand der mündlichen Verhandlung gewesen ist.
Entscheidungsgründe
Die Klage ist zulässig, aber nicht begründet. Die angefochtene Entscheidung des Beklagten ist rechtmäßig und verletzt daher die Klägerin nicht in ihren Rechten (§ 113 Abs. 1 VwGO).
Der Beklagte hat rechtsfehlerfrei der Klägerin den Betrieb eines Heimes untersagt und die daraus folgenden weiteren Maßnahmen angeordnet. Gem. § 19 Abs. 2 Ziff. 1 des Heimgesetzes ( i.d.F. der Bekanntmachung vom 5. November 2001 (BGBl. I S. 2970), zuletzt geändert am 29.7.2009 (BGBl. I 2009, 2319)) - HeimG - , kann die Heimaufsicht den Betrieb eines Heimes untersagen, wenn dieses der Anzeigepflicht des § 12 HeimG nicht gefolgt ist. Eine solche Anzeige hat die Klägerin unstreitig nicht eingereicht. Dazu wäre sie indessen verpflichtet gewesen, denn bei der von der Klägerin betriebenen "Wohngemeinschaft D." handelt es sich um ein Heim im Sinne des HeimG.
Nach § 1 Abs. 1 Satz 2 HeimG sind Heime im Sinne dieses Gesetzes Einrichtungen, die dem Zweck dienen, ältere Menschen oder pflegebedürftige oder behinderte Volljährige aufzunehmen, ihnen Wohnraum zu überlassen sowie Betreuung und Verpflegung zur Verfügung zu stellen oder vorzuhalten, und die in ihrem Bestand von dem Wechsel und der Zahl der Bewohnerinnen und Bewohner unabhängig sind und entgeltlich betrieben werden.
Bereits aus dem Wortlaut dieser Vorschrift folgt, dass es auf den Zweck ankommt, dem die Einrichtung dient, nicht jedoch auf den Zweck, den der Träger ausgesprochen oder unausgesprochen mit der Einrichtung verfolgt, wenn dieser nicht in den objektiven Gegebenheiten, namentlich der sächlichen und personellen Ausstattung der Einrichtung sowie den erbrachten Leistungen gegenüber den Bewohnern, zum Ausdruck kommt (vgl. BVerwG, Urteil vom 12.2.2004 - 6 B 70.03 - , GewArch 2004, 485).
Dieser nach den objektiven Gegebenheiten zu bestimmende Zweck muss neben der Unterbringung auf eine Betreuung und Verpflegung im Sinne einer "heimmäßigen" Versorgung gerichtet sein. Dies bedeutet, dass der Träger des Heims eine Versorgungsgarantie - auch für den Fall der Verschlechterung des Gesundheitszustandes - übernimmt und der Bewohner eines Heims darauf vertrauen kann, dass er Hilfe in allen Bereichen der Daseinsvorsorge erhält, selbst wenn sich seine Bedürfnisse stark ändern (OVG Lüneburg, Beschluss vom 25.05.2011 - 4 LA 306/08 unter Bezugnahme auf die Begründung des Gesetzentwurfs der Bundesregierung zum Dritten Gesetz zur Änderung des Heimgesetzes in BT-Drs 14/5399, S. 18). Es kommt daher nicht darauf an, ob die Klägerin ein Heim betreiben will, oder auf die Konzeption, die sie Behörden oder Wohninteressenten zur Verfügung stellt, sondern vielmehr auf die objektiven Umstände. Nicht der Zweck, den sie mit der Einrichtung verfolgt, ist maßgeblich, sondern der Zweck, dem die Einrichtung nach den objektiven Gegebenheiten dient. Die sächliche und personelle Ausstattung der Einrichtung und die von ihr erbrachten Leistungen gegenüber den Bewohnern sind maßgeblich, nicht jedoch, welche rechtliche Konstruktion gewählt wurde, ob also formalrechtlich die Verträge für Wohnen und Pflege oder die Anbieter von Wohnen und Pflege voneinander getrennt sind (OVG Lüneburg, Beschluss vom 25.05.2011, a.a.O.; VG Göttingen, Urteil vom 28.08.2008, - 2 A 2/08 -, [...]).
Nach Wertung aller Umstände ist es Zweck der "Wohngemeinschaft D. ", eine umfassende Versorgung der Bewohner durch die Klägerin sicherzustellen. Es handelt sich nicht - wie es die Annahme einer Wohngemeinschaft voraussetzen würde - um einen Zusammenschluss autonomer Mieter, die sich unabhängig von der Klägerin entschlossen hätten, gemeinsam zu leben und ihre Pflege zu organisieren.
Nach der gelebten Realität fehlt es der "Wohngemeinschaft D." an der für die Annahme einer Wohngemeinschaft und den Ausschluss der Qualifizierung als Heim im Sinne des HeimG erforderlichen Trennung von Wohnen und Pflege. Da die Klägerin Anfechtungsklage erhoben hat, kommt es für die Beurteilung der Sach- und Rechtslage auf den Zeitpunkt der letzten Behördenentscheidung, mithin auf die Gegebenheiten am 21.01.2010 an.
Nach der vorgelegten Konzeption und den abgeschlossenen Verträgen sind in der "Wohngemeinschaft D." zwar die Bereiche Wohnen und Pflege rechtlich getrennt. Hierauf kommt es jedoch wie sich aus dem Vorstehenden ergibt nicht an. Tatsächlich bietet die Klägerin das Leben und die Versorgung in der "Wohngemeinschaft D." als Angebot aus einer Hand an. Sie bietet gemeinsam mit ihrem Ehemann als Eigentümer die Unterkunft und unter Zusammenfassung ihrer personellen und sachlichen Mittel als Inhaberin des Pflegedienstes "L. " die erforderliche Pflege an. Hier haben sich nicht Mietinteressenten eine Wohnung gesucht, in der sie sich ihre Pflege organisieren, sondern der Pflegedienst der Klägerin bietet das Leben auf Dauer in der Wohngemeinschaft unter einem von den jeweiligen Bewohnern unabhängigen Namen zur Inanspruchnahme seiner Leistungen an.
Dabei geht das Gericht von der Selbstdarstellung in dem zum Zeitpunkt der hier angefochtenen Entscheidung des Beklagten aktiven Internetauftritt der Klägerin unter M. und dem Konzept aus, wie es die Klägerin mit ihrer ersten Vorstellung bei dem Beklagten überreicht hat. Danach bietet die Klägerin in personeller Identität das Wohnen und Betreuen von Intensivpflegebedürftigen in der "Wohngemeinschaft D." an. Ihr Angebot umfasst sowohl in dem Internetauftritt als auch in dem Konzept die näher beschriebenen Leistungen aus einer Hand unter einer Institution, der "Wohngemeinschaft D.". Es handelt sich um eine Einrichtung mit einer am Markt platzierten gemeinsamen Bezeichnung, die durch die Klägerin als Anbieterin von besonderen Pflegeleistungen charakterisiert ist. Ob die Klägerin vor der Gestaltung des Internetauftritts anwaltlich beraten war, ist ohne Relevanz. Dieser Umstand spricht nicht gegen die Wertung des Gerichts, dass die Klägerin darin ihr Angebot realistisch dargestellt hat. Wenn ihr Prozessbevollmächtigter die Darstellung naiv nennt, dann mag das hinsichtlich der rechtlichen Konsequenzen zutreffen. Anhaltspunkte dafür, dass die Klägerin ihr Angebot falsch dargestellt hat, ergeben sich daraus nicht.
Die Klägerin hat das Gericht auch nicht davon überzeugt, dass die Verantwortung für die Organisation der Wohngemeinschaft - wie in dem Konzept dargestellt - allein von den Mietern bzw. deren persönlichen Interessenvertretern wahrgenommen wird.
Es spricht bereits Vieles dafür, dass die für eine Wohngemeinschaft charakteristische und für deren Abgrenzung zu einem Heim im Sinne des HeimG konstitutive Autonomie und Selbstbestimmung der Lebensgestaltung durch die Mieter selbst bei Menschen mit einer so hohen Einschränkung vitaler Funktionen, wie bei den in der "Wohngemeinschaft D." lebenden Bewohner, nicht zu realisieren ist. Menschen im Wachkoma sind hierzu nicht fähig, und gerade der Umstand, dass sie damit komplett auf die Willensentscheidungen Dritter für ihre Lebensführung angewiesen sind, spricht dagegen, die Entscheidungen nahestehender Personen mit Eigeninteressen oder rein professionell handelnder Betreuer mit der autonomen Gestaltung der Haushaltsführung durch den Betroffenen selbst gleichzusetzen. Gerade der Schutzzweck des HeimG legt es nahe, auf die Fähigkeit des betroffenen Individuums selbst zur eigenen Gestaltung abzustellen (OVG Lüneburg, a.a.O., VG Göttingen, a.a.O., HessVGH, Beschluss vom 25.08.2011, - 10 B 1264/11 -, nicht veröffentlicht; VG Kassel, Beschluss vom 10.05.2011. - 5 L 306/08 -, nicht veröffentlicht).
Weiter schließt die räumliche Gestaltung der Wohngemeinschaft in der Mühle nach Überzeugung des Gerichts eine freie Wahl des Pflegedienstes jedenfalls dann aus, wenn sich die Bewohner mehrheitlich für einen anderen Pflegedienst als den der Klägerin entscheiden. Da - wie sich aus dem Vorstehenden ergibt - die Entscheidung für die "Wohngemeinschaft D." erkennbar aus der Entscheidung für den Pflegedienst der Klägerin motiviert ist, ist bereits insoweit eine Bindung an die Klägerin indiziert. Sollte sich ein Bewohner nach Einzug umentscheiden, stehen der Umsetzung die baulichen Gegebenheiten, die sich aus den bei den Akten befindlichen Zeichnungen ergeben, entgegen. Es handelt sich durchweg um Bewohner - an diesen Personenkreis ist die "Wohngemeinschaft D." ausschließlich adressiert - die eine "rund-um-die-Uhr-Betreuung" benötigen. Diese hohe Pflegeintensität zwingt zu einem in Schichten strukturierten Pflegeeinsatz. Jede Nachwache jedes Pflegedienstes benötigte einen eigenen Ruheraum, soweit keine Sitzwache erforderlich ist. Dafür stehen in der Mühle keine Räume zur Verfügung. Ein eigenständiges Herbeirufen der Nachtwache ist Apallikern nicht möglich, so dass die Nachwache regelmäßig kontrollieren und durch Information durch die Kontrollgeräte zu dem Patienten "gerufen" werden muss. Beides setzt eine räumliche Nähe zwingend voraus, die für mehrere Pflegedienste vor Ort bei den zum Zeitpunkt der Behördenentscheidung vorhandenen räumlichen Verhältnissen realistisch nicht zu praktizieren ist. Hier nutzt die Klägerin Synergieeffekte, wenn eben nicht für jeden Patienten eine eigene Nachtwache erforderlich ist - die wohl Bestandteil des hohen Pflegesatzes ist -, sondern ein oder zwei Nachtwachen die Betreuung aller Patienten ausreichend sicherstellen. Einer solchen einheitlichen Betreuung der Patienten entspricht auch die einheitliche Wahl des behandelnden Arztes. Wurden die Bewohner ursprünglich von Dr. Wichmann behandelt, wechselten die Bewohner geschlossen zu Dr. N..
Anders als in dem Konzept und in dem Internetauftritt dargestellt, erfolgt die Aufnahme neuer Bewohner auch nicht aufgrund einer Entscheidung der Bewohner und/oder ihrer Betreuer. Bereits die Aufnahme von Bewohnern in Kurzzeitpflege (z.B. Herr Werner O.) spricht gegen ein Aufnahmeverfahren durch und fokussiert auf die Interessen der Bewohner an einem Leben in der Gemeinschaft. Dass die Entscheidungen über die Aufnahme neuer Bewohner im Interesse der Klägerin bzw. ihres Pflegedienstes erfolgten, kann daraus geschlossen werden, dass ausschließlich schwerstpflegebedürftige Menschen in die "Wohngemeinschaft D. " aufgenommen werden. Dies dient in jedem Fall dem Interesse des klägerischen Pflegedienstes und den dadurch eröffneten Synergieeffekten, eine Orientierung an einem aktiven Miteinander der Bewohner kann dem nicht entnommen werden. Der tatsächlich durch die Klägerin gesteuerte Aufnahmeablauf ergibt sich aus der Darstellung, wie sie die Klägerin selbst in einem Schreiben an den Beklagten vom 02.03.2009 erläutert hat:
"Unser Haus hat Frau P. in die Versorgung übernommen, nachdem ihr Lebenspartner Hr. Q. in einem persönlichen Gespräch mit dem Leiter der Wohngruppe Herrn R. die Dringlichkeit einer Übernahme deutlich gemacht und um ein freies Zimmer gebeten hatte. Dem wurde von Seiten Herrn R. entsprochen. Frau P. wurde in der Klinik S. besucht und die Aufnahme terminiert."
Bei Herrn R. handelt es sich um den stellvertretenden Geschäftsführer der Klägerin, wie sie an anderer Stelle ausführt. Dieser Ablauf wird durch die Korrespondenz der Betreuerin Frau T. mit dem Beklagten und dem Amtsgericht - Vormundschaftsgericht - in U. bestätigt. Das Fehlen der eigenen Entscheidung der Bewohner über den Einzug neuer Bewohner wird auch nicht durch das Schreiben der Betreuerin V. an den Beklagten widerlegt, in dem sie schreibt, sie sei mehrfach wegen des Einzugs neuer Mieter angesprochen worden. Die Bestimmung über den Einzug in eine wahre Wohngemeinschaft ist konstitutiver Bestandteil einer solchen Lebensform. Diese erschöpft sich nicht darin, der Entscheidung, die ein Dritter getroffen hat, zuzustimmen. Die Bestimmung der Mitglieder bedeutet einen Rechtsanspruch der Mitbewohner auf Wahl der Mitbewohner (HessVGH, Beschluss vom 25.08.2011, a.a.O.). Dies setzt einen entsprechenden Rechtsverzicht der Eigentümer des Hauses, der Klägerin und ihres Ehemannes, voraus. Hierfür ist jedoch nichts dargetan.
Schließlich ergibt sich aus den bereits dargestellten Umständen, dass die Wohngemeinschaft D. auch die Voraussetzungen des § 1 Abs. 1 HeimG insoweit erfüllt, als die Einrichtung unabhängig von der Anzahl und dem Wechsel der Bewohner Bestand hat. Dies wird durch Erklärung der Klägerin in der mündlichen Verhandlung unterstrichen, wonach sich die Zahl der Bewohner von 15 auf 7 reduziert hat. Dies hat sicher Einfluss auf die ökonomische Tragfähigkeit des Konzepts, erkennbar nicht jedoch auf den Bestand der Einrichtung gehabt. Darüber hinaus hat sich der Mietpreis der Patienten - anders als bei echten Wohngemeinschaft - nach dem Bekunden der Klägerin durch die Reduzierung der Zahl der Bewohner nicht verändert.
Der Beklagte hat sein Ermessen erkannt und es fehlerfrei ausgeübt. Der in der Entscheidung der 4. Kammer des Gerichts dargestellte Vermerk der Ortsfeuerwehr K. vom 14.07.2007, nach dem es damals weder möglich war, mit Einsatzfahrzeugen an die ehemalige G. heranzufahren, noch das Treppenhaus zu benutzen, belegt, dass die Bewohner auf den Schutz angewiesen sind, den die Heimaufsicht bietet.
Die Rechtsgrundlage für das von dem Beklagten in der Verfügung vom 21.01.2010 ausgesprochene Verbot, neue Heimbewohner in der klägerischen Einrichtung aufzunehmen, ist § 17 Abs. 1 HeimG. Das Verbot ergibt sich als notwendige Folge der Betriebsuntersagung.
Der mit Verfügung des Beklagten vom 21.01.2010 auf den 31.03.2010 festgesetzte Termin zur anderweitigen Unterbringung der in der klägerischen Einrichtung befindlichen Bewohner ist durch Zeitablauf überholt und damit erledigt. Das Gericht geht davon aus, dass eine Frist von weiteren sechs Wochen nach Vollstreckbarkeit ausreichend ist, um die angemessene Unterbringung der Heimbewohner als weitere notwendige Folge der Betriebsuntersagung zu gewährleisten.
Auch die Androhung des Zwangsgeldes und der Ersatzvornahme ist rechtlich nicht zu beanstanden. Der Beklagte hat die Androhung der Zwangsmittel zutreffend auf §§ 64 ff. Nds.SOG gestützt, deren Erforderlichkeit in ausreichendem Maße begründet und die Höhe des Zwangsgeldes nachvollziehbar bemessen. Wegen der weiteren Einzelheiten wird insoweit auf die Verfügung des Beklagten vom 21.01.2010 Bezug genommen.
Die Kostenpflicht der Klägerin folgt aus § 154 Abs. 1 VwGO abzuweisen.
Die Entscheidung über die vorläufige Vollstreckbarkeit wegen der Kosten beruht auf § 167 VwGO in Verbindung mit §§ 708 Nr. 11, 711 Satz 1 ZPO.
Die Berufung wurde gem. § 124 a VwGO zugelassen, weil der Sache wegen der in Frage stehenden Fähigkeit der weitgehend in ihrer Entscheidungskompetenz eingeschränkten Bewohner, eine Wohngemeinschaft ohne Anwendung des Heimgesetzes zu bilden, grundsätzliche Bedeutung zukommt.