Verwaltungsgericht Hannover
Urt. v. 22.09.2011, Az.: 12 A 3846/10

Einvernehmen; Frist; Hemmung; Planungshoheit; Unterbrechung; Zurückstellung

Bibliographie

Gericht
VG Hannover
Datum
22.09.2011
Aktenzeichen
12 A 3846/10
Entscheidungsform
Urteil
Referenz
WKRS 2011, 45281
Entscheidungsname
[keine Angabe]
ECLI
[keine Angabe]

Amtlicher Leitsatz

Leitsatz

Die Zurückstellung eines Baugesuchs gemäß § 15 Abs. 3 Satz 1 BauGB unterbricht den Lauf der Frist des § 36 Abs. 2 Satz 2 BauGB mit der Folge, dass nach dem Ende der Zurückstellung eine neue Frist von zwei Monaten zu laufen beginnt.

Tenor:

Der immissionsschutzrechtliche Vorbescheid vom 22.04.2010 (Az. E.) zur Errichtung einer Windenergieanlage vom Typ Enercon E-82 auf dem Flurstück 14, Flur 7, Gemarkung F. (G.) und der dazu ergangene Widerspruchsbescheid vom 04.08.2010 werden aufgehoben.

Die Gerichtskosten sowie die außergerichtlichen Kosten der Klägerin tragen der Beklagte und die Beigeladene jeweils zur Hälfte. Im Übrigen tragen die Beteiligten ihre außergerichtlichen Kosten selbst.

Die Entscheidung ist wegen der Kosten gegen Sicherheitsleistung in Höhe von 110 % des jeweils zu vollstreckenden Betrags vorläufig vollstreckbar.

Die Berufung wird zugelassen.

Tatbestand:

Die Klägerin wendet sich gegen einen der Beigeladenen erteilten immissionsschutzrechtlichen Vorbescheid zur planungsrechtlichen Zulässigkeit der Errichtung einer Windenergieanlage.

Unter dem 06.02.2009 beantragte die Beigeladene bei dem Beklagten die Erteilung eines immissionsschutzrechtlichen Vorbescheids zur planungsrechtlichen Zulässigkeit der Errichtung einer Windenergieanlage vom Typ ENERCON E-82 mit einer Nennleistung von 2.000 kW auf dem Flurstück 14, Flur 7, Gemarkung F. (G.). Die geplante Anlage soll eine Nabenhöhe von 98,38 m, eine Gesamthöhe von 139,38 m sowie einen Rotordurchmesser von 82 m aufweisen. Der Anlagenstandort liegt außerhalb der Konzentrationsfläche für Windenergieanlagen, die die Klägerin in ihrem Flächennutzungsplan in der Fassung der seit dem 23.04.2010 wirksamen 67/16. Änderung dargestellt hat.

Mit Schreiben vom 16.02.2009, der Klägerin zugegangen am 18.02.2009, übersandte der Beklagte der Klägerin eine Ausfertigung des Antrags zur Stellungnahme und Erteilung des Einvernehmens gemäß § 36 BauGB.

Mit Schreiben vom 27.03.2009 beantragte die Klägerin bei dem Beklagten die Zurückstellung des Baugesuchs der Beigeladenen für ein Jahr gemäß § 15 Abs. 3 BauGB im Hinblick auf die seit dem Aufstellungsbeschluss vom 06.03.2008 in Aufstellung befindliche 67/16. Änderung ihres Flächennutzungsplans mit einer geplanten Konzentrationsfläche für die Windenergienutzung. Diesem Antrag kam der Beklagte mit bestandskräftigem Bescheid vom 06.04.2009, der Beigeladenen zugestellt am 11.04.2009, insoweit nach, als er die Entscheidung über den Antrag der Beigeladenen unter Anordnung der sofortigen Vollziehung bis zum 06.04.2010 aussetzte.

In der Zwischenzeit verfolgte die Klägerin die Änderung ihres Flächennutzungsplans zwecks Ausweisung einer Konzentrationsfläche im Bereich H.. Die öffentliche Auslegung des Planentwurfs fand vom 15.10.2009 bis zum 20.11.2009 statt. Mit Schreiben vom 06.10.2009 beteiligte die Klägerin die Träger öffentlicher Belange. In seiner Sitzung vom 10.12.2009 beschloss der Rat der Klägerin über die eingegangenen Einwendungen sowie über die Gesamtabwägung. Über weitere außerhalb der gesetzten Frist eingegangene Einwendungen sowie eine angeforderte Stellungnahme der Firma EADS zu einer möglichen Beeinflussung der Radaranlage der Bundeswehr in I. beschloss der Rat im Rahmen einer ergänzenden Abwägung am 11.03.2010. Zugleich beschloss er an diesem Tag die 67/16. Änderung des Flächennutzungsplans. Am 13.04.2010 genehmigte der Beklagte die Änderung, die am 23.04.2010 mit der öffentlichen Bekanntmachung in Kraft trat.

Bereits mit E-Mail vom 16.04.2010 hatte der Beklagte der Klägerin mitgeteilt, dass am 25.04.2010 die Einvernehmensfiktion gemäß § 36 Abs. 2 BauGB eintreten werde. Wenn die Klägerin am 23.04.2010 den neuen Flächennutzungsplan bekanntmachen sollte, könne am selben Tag die Versagung des Einvernehmens erfolgen.

Mit E-Mail vom 21.04.2010 forderte die Beigeladene den Beklagten auf, den beantragten Vorbescheid kurzfristig zu erteilen. Daraufhin teilte der Beklagte der Klägerin mit E-Mail vom 22.04.2010 mit, dass entgegen der Mitteilung vom 16.04.2010 nach erneuter Überprüfung der Fristen von einem zwischenzeitlichen Eintritt der Einvernehmensfiktion auszugehen sei.

Ebenfalls unter dem 22.04.2010, der Klägerin zugegangen am 27.04.2010, erteilte der Beklagte der Beigeladenen den beantragten Vorbescheid. Zur Begründung führte der Beklagte aus, das Einvernehmensersuchen vom 16.02.2009 habe die Zwei-Monats-Frist des § 36 Abs. 2 Satz 2 BauGB in Lauf gesetzt. Fristablauf sei der 18.04.2009 gewesen. Aufgrund der Zurückstellung des Baugesuchs mit Bescheid vom 06.04.2009 sei die Frist unterbrochen worden, sodass sie erst am 19.04.2010 abgelaufen sei. Damit sei am 20.04.2010 die Einvernehmensfiktion eingetreten, weil die Klägerin bis dahin keine Stellungnahme abgegeben habe.

Mit Telefaxschreiben vom 23.04.2010 versagte die Klägerin ihr gemeindliches Einvernehmen im Hinblick auf die Änderung ihres Flächennutzungsplans. Zur Begründung führte sie aus, dass die geplante Anlage außerhalb der darin ausgewiesenen Konzentrationsfläche liege und deshalb planungsrechtlich unzulässig sei.

Unter dem 29.04.2010 legte die Klägerin Widerspruch gegen den Vorbescheid ein. Zur Begründung trug sie vor, der Beklagte habe die Frist des § 36 Abs. 2 Satz 2 BauGB fehlerhaft bestimmt. Tatsächlich sei die Frist frühestens am 30.04.2010 abgelaufen, sodass sie ihr Einvernehmen fristgerecht versagt habe. Ohnehin habe der Beklagte die Klägerin erneut beteiligen und ihr dazu eine neue Frist von zwei Monaten einräumen müssen. Jedenfalls aber habe der Beklagte am 22.04.2010 keinen Vorbescheid erteilen dürfen, der die - wie dem Beklagten bekannt gewesen sei - einen Tag später in Kraft getretene Änderung des Flächennutzungsplans missachtet habe.

Mit Widerspruchsbescheid vom 04.08.2010 wies der Beklagte den Widerspruch zurück. Die Frist des § 36 Abs. 2 Satz 2 BauGB habe zunächst am 19.02.2009 zu laufen begonnen. Mit der Zustellung des Zurückstellungsbescheids an die Beigeladene am 11.04.2009, nachdem 51 von 60 Tagen der Frist verstrichen gewesen seien, sei der Fristlauf gehemmt worden. Nach dem Auslaufen der Zurückstellung am 06.04.2010 seien noch neun Tage der Frist verblieben, sodass die Einvernehmensfiktion am 16.04.2010 eingetreten sei. Bis dahin habe die Klägerin ihr Einvernehmen nicht versagt, sodass der Vorbescheid zu erteilen gewesen sei.

Die Klägerin hat am 06.09.2010 Klage erhoben. Die Klage sei zulässig und die von dem Beklagten getroffene Entscheidung rechtswidrig, weil die Einvernehmensfiktion nicht eingetreten sei. Die Zurückstellung der Entscheidung gemäß § 15 Abs. 3 BauGB führe dazu, dass nach Ablauf der Zurückstellungsfrist alle Fristen neu zu laufen begännen. Die Aussetzung nach § 15 Abs. 3 Satz 1 BauGB habe insofern die gleiche Wirkung wie die Aussetzung eines gerichtlichen Verfahrens gemäß § 249 Abs. 1 ZPO. Die Aussetzung unterbreche nicht nur die planungsrechtliche Frist für die Erteilung des Einvernehmens, sondern auch die Bearbeitungsfrist nach § 10 Abs. 6a und Abs. 9 BImSchG. Deshalb sei aufgrund der Unterbrechung des Fristlaufs von einem Fristablauf erst am 07.06.2010 auszugehen. Gehe man hingegen von einer durch die Aussetzung bewirkten Hemmung aus, sei diese mit ihrem Antrag auf Zurückstellung am 27.03.2009 eingetreten, sodass die Zurückstellungsfrist erst am 29.04.2010 abgelaufen sei. Richtigerweise habe die Entscheidungsfindung des Beklagten aber nach Ablauf der Zurückstellung gänzlich von neuem beginnen müssen. Dafür hätten drei Monate zur Verfügung gestanden, innerhalb derer er sie erneut um die Erteilung des Einvernehmens habe ersuchen müssen. Erst ein erneutes Ersuchen hätte die Frist des § 36 Abs. 2 Satz 2 BauGB in Lauf gesetzt. Die Vorschrift des § 36 Abs. 2 Satz 2 BauGB bewirke eine materielle Präklusion, was ein striktes Verfahren mit verlässlich erkennbaren Fristläufen voraussetze. Sei die Genehmigung daher ohne das erforderliche Einvernehmen erteilt worden, sei sie rechtswidrig und schon deshalb aufzuheben. Selbst wenn man dem aber nicht folgen sollte, sei der Vorbescheid rechtswidrig, weil ihn der Beklagte nicht am 22.04.2010 in Kenntnis des am nächsten Tag erfolgenden Inkrafttretens der Änderung des Flächennutzungsplans habe erteilen dürfen. Das gelte insbesondere aufgrund der vorherigen Mitteilung des Beklagten, dass die Frist zur Versagung des Einvernehmens erst nach dem 23.04.2010 ablaufe. Ein solches Verhalten verletze das aus Art. 28 Abs. 2 GG folgende Gebot des gemeindefreundlichen Verhaltens und verstoße gegen Treu und Glauben. Der vor dem Inkrafttreten stehende Flächennutzungsplan sei eine Rechtstatsache, die die Genehmigungsbehörde nicht einfach beiseite schieben könne. Eine Amtspflichtverletzung hätte eine Verzögerung der Entscheidung um einen Tag nicht bedeutet. Bei der Aufstellung eines Flächennutzungsplans mit Konzentrationswirkung handele es sich um ein komplexes Vorhaben, das innerhalb von zwölf Monaten kaum zu bewältigen sei. Deshalb sei es falsch zu behaupten, der Gesetzgeber habe den Gemeinden mit dieser kurzen Zurückstellungsfrist zumuten wollen, ihre Planung auf Biegen und Brechen innerhalb eines Jahres abzuschließen und zur Rechtswirksamkeit zu bringen. Die Sache sei auch nicht entscheidungsreif gewesen. Weder die naturschutzrechtlichen Fragen noch die Frage einer Beeinträchtigung der Radaranlage I. seien geklärt gewesen. Der Beklagte habe die Vorwirkung des planreifen Entwurfs des Flächennutzungsplans beachten müssen. Dieser stelle einen entgegenstehenden öffentlichen Belang dar und begründe zumindest im Innenverhältnis zwischen ihr und dem Beklagten das Verbot, einen positiven Bescheid zu erlassen. Sie, die Klägerin, habe die Veröffentlichung des Flächennutzungsplans nicht verzögert. Auf Anweisung des Beklagten sei eine Überarbeitung der Ausfertigung der Planurkunde erforderlich gewesen, die einige Tage in Anspruch genommen habe. Sie habe keine Möglichkeit gehabt, ihr Einvernehmen bereits vor dem Inkrafttreten des Flächennutzungsplans rechtmäßig zu versagen. Die Ausschlusswirkung des § 35 Abs. 3 Satz 3 BauGB setze erst mit dem Inkrafttreten ein. Sie habe angesichts des Verhaltens des Beklagten auch keine Veranlassung gehabt, das Einvernehmen vor dem Inkrafttreten zu verweigern.

Die Klägerin beantragt,

den Vorbescheid vom 22.04.2010 und den Widerspruchsbescheid vom 04.08.2010 aufzuheben.

Der Beklagte und die Beigeladene beantragen,

die Klage abzuweisen.

Der Beklagte trägt vor, die Zustellung der Entscheidung nach § 15 Abs. 3 BauGB an die Beigeladene habe nur zu einer Hemmung und nicht zum Neubeginn der verfahrensrechtlichen Fristen geführt. Möglicherweise sei § 15 Abs. 3 BauGB im immissionsschutzrechtlichen Verfahren schon nicht anwendbar. Jedenfalls sei § 249 ZPO auf die Fristenberechnung im Verwaltungsverfahren nicht anzuwenden. Der Begriff der Aussetzung werde - wie § 424 FamFG zeige - im Prozessrecht nicht einheitlich verwendet. Ein Neubeginn der Frist des § 36 Abs. 2 Satz 2 BauGB stehe im Widerspruch zu der gebotenen Beschleunigung des Verfahrens, die dazu führe, dass die Frist nicht einmal einvernehmlich verlängert werden könne. Vielmehr stelle sich die Frage, ob der Fristlauf gemäß § 36 Abs. 2 Satz 2 BauGB von der Zurückstellung des Baugesuchs überhaupt betroffen sei. § 36 Abs. 2 Satz 2 BauGB sei insofern kein Unterbrechungstatbestand zu entnehmen. Erst recht sei nicht ersichtlich, dass nach Ablauf der Zurückstellung eine erneute Anfrage bei der Klägerin erforderlich gewesen sei. Auch dies sei mit dem Beschleunigungsgedanken nicht zu vereinbaren. Die Klägerin müsse Fristen eigenständig ermitteln und überwachen und dürfe sich nicht auf unverbindliche Hinweise einer anderen Behörde verlassen. Noch am 03.02.2010 habe die Klägerin im Kreishaus erklärt, keine Äußerung abzugeben und die Einvernehmensfiktion eintreten zu lassen. Spätestens nach dem Ratsbeschluss vom 11.03.2010 habe sie die Gelegenheit gehabt, ihr Einvernehmen zu versagen. Es sei auch nicht verständlich, warum die Klägerin nach der Genehmigung des Flächennutzungsplans am 13.04.2010 anderthalb Wochen gewartet habe, bis die Veröffentlichung erfolgt sei. Entgegen der Auffassung der Klägerin sei die Entscheidung am 22.04.2010 nicht überhastet erfolgt, sondern aufgrund der Entscheidungsreife des Antrags geboten gewesen. Naturschutzrecht habe der Erteilung des Vorbescheids nicht entgegen gestanden. Die Wehrbereichsverwaltung habe mitgeteilt, dass im Hinblick auf die Radaranlage I. keine Bedenken bestünden. Der Flächennutzungsplan der Klägerin habe noch keine Wirkungen entfaltet, auch nicht gegenüber dem Beklagten "nach innen". Eine rechtliche Grundlage für diese Auffassung der Klägerin fehle. Der Grundsatz des gemeindefreundlichen Verhaltens sei aufgrund der Rechtspflicht, den Vorbescheid zu erteilen, nicht verletzt.

Die Beigeladene trägt darüber hinaus vor, die Klage sei bereits unzulässig. Aufgrund der Einvernehmensfiktion fehle ihr die Klagebefugnis für eine Klage gegen die Genehmigung für das entsprechende Vorhaben. Die Einvernehmensfiktion sei am 18.04.2009 oder zumindest am 14.04.2010 eingetreten. Die Aussetzung gemäß § 15 Abs. 3 BauGB wirke sich auf den Lauf der Frist des § 36 Abs. 2 Satz 2 BauGB nicht aus. Die Auffassung der Klägerin, nach dem Ablauf einer Zurückstellung nach § 15 Abs. 3 BauGB sei das Einvernehmen erneut einzuholen, könne nicht richtig sein, weil sich dies auch auf Fälle des bereits erteilten Einvernehmens bzw. der bereits eingetretenen Einvernehmensfiktion erstrecken müsste. § 15 Abs. 3 BauGB und § 36 Abs. 2 BauGB seien voneinander unabhängig. § 15 Abs. 3 BauGB sichere nicht etwa § 36 BauGB verfahrensrechtlich ab, sondern gebe der Gemeinde unabhängig von § 36 BauGB die Möglichkeit, neues Planungsrecht zu schaffen. Es handele sich um eine reine Verfahrensvorschrift, die die Pflicht der Gemeinde, einem rechtmäßigen Vorhaben das Einvernehmen zu erteilen, nicht berühre. Das Genehmigungsverfahren beginne nicht von neuem, sondern werde von dem Stand an weitergeführt, den es vor der Zurückstellung gehabt habe. Selbst wenn man aber davon ausgehe, dass die Zurückstellung Auswirkungen auf die Frist des § 36 Abs. 2 Satz 2 BauGB habe, sei nur von einer - § 209 BGB entsprechenden - Ablaufhemmung auszugehen, sodass die Einvernehmensfiktion am 14.04.2010 eingetreten sei. Ein Neubeginn entsprechend § 249 Abs. 1 ZPO sei bereits mit der amtlichen Überschrift des § 15 BauGB ("Zurückstellung von Baugesuchen") unvereinbar. Der Begriff der Aussetzung finde sich - anders als bei § 249 ZPO - nur im Gesetzestext selbst. Daraus folge, dass sich § 15 BauGB nicht an § 249 ZPO orientiere. Ausgesetzt werde gemäß § 15 Abs. 3 BauGB überdies nur die Entscheidung, nicht aber das Genehmigungsverfahren als solches. Mit anderen Worten werde nur die Entscheidung hinausgezögert, während das Verfahren in der Aussetzungszeit weiterzuführen sei. Die Auffassung, die Zurückstellung führe zu einem Neubeginn der Frist des § 36 Abs. 2 Satz 2 BauGB, verlängere die Jahresfrist des § 15 Abs. 3 Satz 1 BauGB faktisch auf 14 Monate und benachteilige den Bauherrn unangemessen. Eventuelle Schwierigkeiten, die bei Annahme einer Hemmung bei der Fristberechnung auftreten könnten, seien nicht geeignet, eine solche Benachteiligung zu rechtfertigen. In der Sache sei der Vorbescheid im maßgeblichen Zeitpunkt seines Erlasses rechtmäßig ergangen. Der planreife Entwurf des Flächennutzungsplanes entfalte keine Vorwirkung als unbenannter öffentlicher Belang gemäß § 35 Abs. 3 Satz 1 BauGB. Zwar habe das Bundesverwaltungsgericht diese Frage zuletzt offen gelassen. Das Baugesetzbuch messe einem in Aufstellung befindlichen Flächennutzungsplan jedoch - anders als § 3 Abs. 1 Nr. 4 ROG für in Aufstellung befindliche Ziele der Raumordnung - keine rechtliche Wirkung bei. Der Gesetzgeber habe sich mit § 15 Abs. 3 Satz 1 BauGB dafür entschieden, der Gemeinde bis zu einem Jahr Zeit zu geben, um einen neuen Flächennutzungsplan in Kraft zu setzen. Diese Frist werde durch eine rechtliche Wirkung des in Aufstellung befindlichen Flächennutzungsplans unzulässig verlängert. Abzulehnen sei auch die Annahme einer Vorwirkung lediglich nach innen gegenüber der Genehmigungsbehörde. Schließlich stehe weder Natur- und Artenschutzrecht noch die Funktionsfähigkeit der Radaranlage I. dem Vorbescheid entgegen. Gegebenenfalls seien im Genehmigungsverfahren Auflagen zu formulieren. Der Grundsatz des gemeindefreundlichen Verhaltens sei nicht verletzt. Der Antrag der Beigeladenen sei entscheidungsreif gewesen, sodass eine Genehmigungspflicht bestanden habe. § 10 Abs. 6a BImSchG setze nur eine Höchstdauer für die Bearbeitung fest, enthalte aber keine Abweichung von dem Grundsatz, dass ein Antrag nach Eintreten der Entscheidungsreife zu bescheiden sei. Der Grundsatz des gemeindefreundlichen Verhaltens reiche jedenfalls nicht soweit, dass er von dem Beklagten ein rechtswidriges und amtshaftungsbegründendes Verhalten verlange. Schließlich sei für den Fall, dass das Einvernehmen entgegen der obigen Ausführungen fristgerecht versagt worden sei, von der Rechtswidrigkeit der Versagung auszugehen. Die 67/16. Änderung sei aus den Gründen eines Normenkontrollantrags vom 21.04.2011 unwirksam. Die Klägerin, die es trotz Ausschöpfung der Möglichkeit einer Neuplanung unter Zuhilfenahme der Plansicherungsinstrumente nicht geschafft habe, einen wirksamen Flächennutzungsplan aufzustellen, sei im Anfechtungsprozess nicht schutzwürdig.

Wegen des weiteren Sachverhalts - insbesondere der mit dem Normenkontrollantrag vom 21.04.2011 vorgetragenen Einwände gegen die Änderung des Flächennutzungsplans - wird auf den Inhalt der Gerichtsakten und der beigezogenen Verwaltungsvorgänge Bezug genommen.

Entscheidungsgründe

Die zulässige Klage ist begründet.

Der Vorbescheid vom 22.04.2010 und der Widerspruchsbescheid vom 04.08.2010 sind rechtswidrig und verletzen die Klägerin in ihren Rechten (§ 113 Abs. 1 Satz 1 VwGO).

Der der Beigeladenen gemäß § 9 BImSchG erteilte immissionsschutzrechtliche Vorbescheid ist rechtswidrig, weil der Beklagte ihn ohne das gemäß § 36 Abs. 1 Satz 1 und 2 BauGB erforderliche Einvernehmen der Klägerin erteilt hat.

Gemäß § 36 Abs. 1 Satz 1 BauGB wird über die Zulässigkeit von Vorhaben nach den §§ 31, 33 bis 35 BauGB im bauaufsichtlichen Verfahren von der Baugenehmigungsbehörde im Einvernehmen mit der Gemeinde entschieden. Das Einvernehmen der Gemeinde ist gemäß § 36 Abs. 1 Satz 2 BauGB auch erforderlich, wenn in einem anderen Verfahren über die Zulässigkeit nach den vorbezeichneten Vorschriften entschieden wird. Danach bedarf es für die Erteilung eines immissionsschutzrechtlichen Vorbescheids, der sich auf die planungsrechtliche Zulässigkeit der Errichtung einer Windenergieanlage im Gemeindegebiet der Klägerin bezieht (vgl. § 13 BImSchG), des gemeindlichen Einvernehmens. Dieses gemeindliche Einvernehmen fehlt in diesem Fall. Weder hat die Klägerin ihr Einvernehmen erteilt, noch ist die Einvernehmensfiktion des § 36 Abs. 2 Satz 2 BauGB eingetreten. Danach gilt das Einvernehmen der Gemeinde als erteilt, wenn es nicht binnen zwei Monaten nach Eingang des Ersuchens der Genehmigungsbehörde verweigert wird. Diese Fiktion war bei Erteilung des Vorbescheids am 22.04.2010 nicht eingetreten.

Gemäß § 36 Abs. 2 Satz 2 BauGB begann die Zwei-Monats-Frist mit dem Eingang des entsprechenden Ersuchens bei der Klägerin am 18.02.2009. Der dadurch in Gang gesetzte Lauf der Frist wurde jedoch dadurch unterbrochen, dass der Beklagte die Entscheidung über den Antrag der Beigeladenen auf Erteilung des Vorbescheids gemäß § 15 Abs. 3 BauGB mit bestandskräftigem Bescheid vom 06.04.2009 bis zum 06.04.2010 ausgesetzt hat. Die Aussetzung hatte nach Auffassung der Kammer die in § 249 Abs. 1 ZPO bezeichneten Rechtswirkungen zur Folge. Der Lauf aller Fristen - auch der Frist des § 36 Abs. 2 Satz 2 BauGB - hörte auf und begann mit Beendigung der Aussetzung von neuem. Mit Ablauf des 06.04.2010 lief demnach eine neue Zwei-Monats-Frist, innerhalb deren Lauf der Beklagte am 22.04.2010 - rechtswidrigerweise - den Vorbescheid erteilt hat.

Die abweichenden Rechtsauffassungen des Beklagten und der Beigeladenen teilt die Kammer nicht.

Soweit der Beklagte in Zweifel zieht, dass § 15 BauGB auf Verfahren nach dem Bundesimmissionsschutzgesetz überhaupt Anwendung findet (bejahend etwa Bielenberg/Stock, in: Ernst/Zinkahn/Bielenberg, BauGB, § 15, Rn. 24 <Stand der Bearbeitung: September 2004>, m.w.N.), kann diese Frage offen bleiben. Denn der Beklagte selbst hat mit Bescheid vom 06.04.2009 die Aussetzung des immissionsschutzrechtlichen Verfahrens gemäß § 15 Abs. 3 BauGB verfügt. Dieser Bescheid ist wirksam und bestandskräftig, sodass es auf seine Rechtsmäßigkeit nicht ankommt.

Aus Sicht der Kammer spricht im Ergebnis nichts dafür, die mit Bescheid vom 06.04.2009 verfügten Rechtswirkungen der Zurückstellung gemäß § 15 Abs. 3 BauGB nicht auf den Lauf der Frist des § 36 Abs. 2 Satz 2 BauGB zu erstrecken. Zunächst folgt dies nicht aus dem Wortlaut des § 15 Abs. 3 Satz 1 BauGB, wonach "die Entscheidung über die Zulässigkeit von Vorhaben" ausgesetzt wird. Diese Vorschrift kann zwar auch so verstanden werden, dass lediglich die Genehmigungsentscheidung als solche ausgesetzt wird, während das auf die Entscheidung hinführende Genehmigungsverfahren als Verwaltungsverfahren gemäß § 9 VwVfG von der Zurückstellungsentscheidung nicht berührt und mithin uneingeschränkt fortgeführt wird. Das ist jedoch nicht das gesetzgeberische Ziel. Schon in der amtlichen Überschrift "Zurückstellung von Baugesuchen" wird die Absicht deutlich, nicht bloß die eigentliche Genehmigungsentscheidung, sondern das Baugesuch als solches, mithin also das Baugenehmigungsverfahren auszusetzen. Auch in der Literatur wird - soweit sie sich dazu äußert - die Aussetzung der Entscheidung mit der Aussetzung des Verwaltungsverfahrens gleichgesetzt (vgl. Sennekamp, in: Brügelmann, BauGB, § 15, Rn. 9 und 49 <Stand der Bearbeitung: Januar 2011>; Bielenberg/Stock, in: Ernst/Zinkahn/Bielenberg, BauGB, § 15, Überschrift vor Rn. 21 und Rn. 52 <Stand der Bearbeitung: September 2004>; Reidt, in: Gelzer/Bracher/Reidt, Bauplanungsrecht, 6. Aufl. 2001, Rn. 2833 und 2846; Schmaltz, in: Schrödter, BauGB, 6. Aufl. 1998, § 15, Rn. 7 f.; Hinsch, NVwZ 2007, 770 <775>; der Sache nach auch OVG Koblenz, Beschl. v. 23.05.2002 - 8 B 10633/02, juris: Aussetzung der "Bearbeitung des Bauantrags"; VGH Kassel, Beschl. v. 10.07.2009 - 4 B 426/09, juris). Aussetzung der Entscheidung meint mithin Aussetzung des Verfahrens. Die gegenteilige Auffassung, die sich - soweit ersichtlich - weder in der Rechtsprechung noch in der Literatur findet, hätte demgegenüber die wenig überzeugende Konsequenz, dass ein Genehmigungsantrag auf der Basis des (noch) geltenden Planungsrechts zur Entscheidungsreife geführt werden müsste, obwohl sich ein neues - typischerweise entgegenstehendes - Planungsrecht bereits abzeichnet. Dies würde dem Gebot der Verfahrensökonomie widersprechen und wäre überdies auch kaum im Interesse des Antragstellers, der mit den Kosten der - möglicherweise überflüssigen - Verfahrensschritte belastet wäre.

Eine Wirkung der Aussetzung auf den Lauf der Frist des § 36 Abs. 2 Satz 2 BauGB scheidet auch nicht deshalb aus, weil sich § 36 BauGB nicht dazu verhält, welche Auswirkungen eine Zurückstellung nach § 15 BauGB auf den Fristlauf entfaltet. Eine solche explizite Aussage in § 36 BauGB ist aufgrund der allgemein gehaltenen Rechtsfolge des § 15 BauGB, der eine Vorschrift des formellen Baurechts darstellt (vgl. BVerwG, Urt. v. 10.12.1971 - IV C 32.69, juris), von vornherein nicht zu erwarten. Die Entscheidung nach § 15 BauGB wirkt deshalb auf das gesamte Genehmigungsverfahren ein, ohne dass es einer entsprechenden Anordnung im Einzelfall bedarf. Regelungsbedürftig wäre die Ausnahme, nämlich die fehlende Einwirkung einer Zurückstellung auf einen wesentlichen Verfahrensschritt.

Die Kammer teilt auch nicht die Auffassung der Beigeladenen, § 15 BauGB und § 36 BauGB seien isoliert zu betrachten. Beide Vorschriften stehen vielmehr in einer Wechselbeziehung. Denn § 15 BauGB und § 36 BauGB verfolgen mit verschiedenen Mitteln ein identisches Ziel: Sie dienen der Sicherung der aus Art. 28 Abs. 2 GG folgenden Planungshoheit der Gemeinde. Das Einvernehmenserfordernis des § 36 BauGB bezweckt, die Gemeinde in den Fällen, in denen sie noch nicht geplant hat, im bauaufsichtlichen Genehmigungsverfahren an der Beurteilung der bauplanungsrechtlichen Zulässigkeitsvoraussetzungen von Vorhaben mitentscheidend zu beteiligen (vgl. nur Söfker, in: Ernst/Zinkahn/Bielenberg, BauGB, § 36, Rn. 9 <Stand der Bearbeitung: Dezember 2006>). § 15 BauGB dient demgegenüber der Sicherung einer zukünftigen, durch einen Planaufstellungs- oder Planänderungsbeschluss hinreichend konkretisierten Planung (vgl. VGH Kassel, Beschl. v. 10.07.2009 - 4 B 426/09, juris). Die Vorschriften setzen damit an verschiedenen Stellen an, greifen aber an einer entscheidenden Stelle ineinander. § 36 BauGB zielt nämlich auch darauf ab, der Gemeinde Gelegenheit zu geben, aus Anlass eines konkreten Bauantrags ihre Bauleitplanung zu ändern und zu ihrer Sicherung mit den Mitteln der §§ 14 und 15 BauGB ein bisher planungsrechtlich zulässiges Vorhaben zu verhindern (vgl. BVerwG, Urt. v. 19.02.2004 - 4 CN 16/03, juris; Urt. v. 07.02.1986 - 4 C 43/83, juris).

Will aber § 36 BauGB der Gemeinde die Möglichkeit einräumen, aus Anlass eines konkreten Bauantrags neu zu planen und diese Planung gemäß § 15 BauGB abzusichern, wäre es widersprüchlich, einer Zurückstellung nach § 15 BauGB keine Wirkungen auf den Lauf der Frist des § 36 Abs. 2 Satz 2 BauGB beizumessen. Der vorliegende Fall dürfte vielmehr typisch dafür sein, in welchen Fällen § 15 BauGB zum Einsatz gelangt: Die Gemeinde erhält aufgrund des Ersuchens der Baugenehmigungsbehörde Kenntnis von einem ihren Planungsabsichten widersprechenden Vorhaben. Da sie dem Vorhaben (noch) nichts entgegensetzen kann, entscheidet sie nicht über das Ersuchen, sondern beantragt eine Zurückstellung mit dem Ziel, entgegenstehendes Planungsrecht neu zu schaffen. Ginge man vor diesem Hintergrund gleichwohl davon aus, die Frist des § 36 Abs. 2 Satz 2 BauGB werde von einer Zurückstellung nicht berührt, sodass die Einvernehmensfiktion trotz Zurückstellung eintreten würde, fielen die materiell-rechtliche Position der Gemeinde - die Planungshoheit - und ein wesentliches formelles Sicherungsinstrument - das Einvernehmenserfordernis des § 36 BauGB - auseinander. Die Gemeinde wäre zwar auch nach Erteilung des Einvernehmens bzw. nach Eintritt der Einvernehmensfiktion nicht gehindert, neues Planungsrecht zu schaffen (vgl. BVerwG, Urt. v. 19.02.2004 - 4 CN 16/03, juris). Sie wäre aber verfahrensrechtlich in einer deutlich schlechteren Position, weil das neue Planungsrecht ohne eine - eigenständige Rechtsschutzmöglichkeiten eröffnende - Ersetzung des Einvernehmens gemäß § 36 Abs. 2 Satz 3 BauGB von der Baugenehmigungsbehörde übergangen werden könnte. Eine Rechtfertigung dafür, die verfahrensrechtliche Position der Gemeinde derart zu schwächen, ist nicht ersichtlich. Sie läuft der Gesamtkonzeption des Schutzes der gemeindlichen Selbstverwaltung, wie sie in den §§ 14, 15 BauGB und in § 36 BauGB zum Ausdruck kommt, erkennbar zuwider.

Führt demnach eine Zurückstellung eines Baugesuchs gemäß § 15 BauGB zu einer Aussetzung des Baugenehmigungsverfahrens insgesamt, sind die konkreten Auswirkungen auf den Fristlauf in Anlehnung an § 249 Abs. 1 ZPO zu bestimmen. Die Aussetzung des Verfahrens hat danach die Wirkung, dass der Lauf einer jeden Frist aufhört und nach Beendigung der Aussetzung die volle Frist von neuem zu laufen beginnt (ebenso Sennekamp, in: Brügelmann, BauGB, § 15, Rn. 9, 42, 50 <Stand der Bearbeitung: Januar 2011>).

Für eine Auslegung des Begriffs der Aussetzung in Anlehnung an § 249 Abs. 1 ZPO spricht aus Sicht der Kammer zunächst, dass bereits das Bundesbaugesetz von 1960 in § 15 BBauG eine Regelung zur Aussetzung des Verfahrens kannte. Die Gesetzesbegründung (zu § 19 BBauG-E, BT-Drs. 3/336, S. 67) trifft zur Bedeutung des Begriffs keinerlei Aussage. In der Gesetzesbegründung wird lediglich der Begriff der Aussetzung wiederholt, sodass dem Gesetzgeber der rechtliche Gehalt offenbar als selbstverständlich vor Augen stand. Die Kammer hält es daher für naheliegend, diesen Gehalt entsprechend der zu diesem Zeitpunkt schon bestehenden Regelung des § 249 Abs. 1 ZPO zu bestimmen. Eine andere rechtliche Bestimmung ist nicht ersichtlich. Daran ändert auch der auf § 424 FamFG bezogene Hinweis des Beklagten, der Begriff der Aussetzung werde im geltenden Recht nicht einheitlich gebraucht, nichts. § 424 FamFG regelt nicht die Aussetzung eines Verfahrens, sondern die Aussetzung der Vollziehung einer Freiheitsentziehung.

Im allgemeinen Verwaltungsverfahrensrecht ist die Aussetzung des Verfahrens zwar ungeregelt, die Möglichkeit einer solchen Aussetzung ist jedoch - soweit ersichtlich - allgemein anerkannt (vgl. VGH München, Beschl. v. 31.01.1997 - 5 CE 96.3769, BayVBl. 1998, 185). Die Wirkungen der Aussetzung werden in der Literatur - soweit sie sich dazu verhält - einhellig dahingehend bestimmt, dass die Aussetzung entsprechend § 249 Abs. 1 ZPO zu einer Unterbrechung aller laufenden Fristen und deren Neubeginn nach Wiederaufnahme des Verfahrens führt (vgl. Pünder, in: Erichsen/Ehlers, Allgemeines Verwaltungsrecht, 14. Aufl. 2010, § 13, Rn. 48; Riedl, in: Obermayer, VwVfG, 3. Aufl. 1999, § 9, Rn. 66; Schwarz, in: Fehling/Kastner/Wahrendorf, Verwaltungsrecht, 2006, § 9 VwVfG, Rn. 22, m.w.N.). Dem schließt sich die Kammer an, denn ein im Verwaltungsverfahrensrecht verwendeter Rechtsbegriff hat im Regelfall keinen anderen Inhalt als ein wortgleicher Rechtsbegriff des Prozessrechts (vgl. Bonk/Schmitz, in: Stelkens/Bonk/Sachs, VwVfG, 7. Aufl. 2008, § 1, Rn. 59). Dabei handelt es sich - anders als der Beklagte meint - nicht etwa um eine analoge Anwendung prozessrechtlicher Vorschriften im Verwaltungsverfahren. Es geht lediglich darum, dass gleichlautende Rechtsbegriffe des Verwaltungsverfahrens- und des Prozessrechts im Regelfall den gleichen Regelungsgehalt aufweisen. Aus diesem Grund spielt es auch keine Rolle, dass § 249 Abs. 1 ZPO keine Anwendung auf Fristen des materiellen Rechts wie etwa Verjährungsfristen findet (vgl. Feiber, in: Münchener Kommentar zur ZPO, 2. Aufl. 2000, § 249, Rn. 5). Denn unabhängig davon, ob man in § 36 Abs. 2 Satz 2 BauGB eine materiell-rechtliche Frist sieht, wird nicht die Regelungswirkung des § 249 Abs. 1 ZPO auf das öffentliche Recht übertragen, sondern lediglich der Begriff der Aussetzung in § 15 BauGB in Anlehnung an § 249 Abs. 1 ZPO bestimmt.

Ist demnach für das allgemeine Verwaltungsverfahrensrecht anerkannt, dass eine Aussetzung des Verfahrens die Folgen des § 249 Abs. 1 ZPO bewirkt, sind Gründe dafür, die Rechtswirkungen der besonderen Regelung über die Aussetzung eines Verfahrens gemäß § 15 BauGB abweichend zu bestimmen, nicht ersichtlich. Im Gegenteil entspricht die Auslegung des Begriffs der Aussetzung in Orientierung an § 249 ZPO dem Sinn und Zweck der Vorschrift. § 15 Abs. 3 BauGB geht davon aus, dass die Gemeinde während der Zurückstellung eine neue planungsrechtliche Grundlage schafft. Für alle Beteiligten muss demnach ein ausreichender zeitlicher Spielraum bestehen, das Vorhaben auf der Basis dieser neuen Grundlage zu beurteilen. Damit wäre es nicht vereinbar, wenn die Zurückstellung bloß eine Hemmung der Fristen entsprechend § 209 BGB zur Folge hätte. Denn in diesem Fall wäre es möglich, dass die Fristen unter Umständen schon vor dem Wirksamwerden der Zurückstellungsentscheidung nahezu abgelaufen sind, sodass eine ausreichende Zeitspanne nicht mehr zur Verfügung steht. Das gilt gerade für die gemäß § 36 BauGB zu beteiligende Gemeinde, die ihre Gremien einberufen muss, um über das Einvernehmen zu entscheiden. Der Gesetzgeber gibt in § 36 Abs. 2 Satz 2 BauGB zu erkennen, dass die Gemeinde für ihre Entscheidung zwei Monate Zeit haben soll. Diese zwei Monate müssen der Gemeinde ungeschmälert auch dann zur Verfügung stehen, wenn sie zunächst neues Planungsrecht schafft und erst anschließend eine Entscheidung trifft.

Nicht zuletzt - darauf hat die Klägerin zu Recht hingewiesen - spricht der Grundsatz, dass zumindest Fristen, die - wie § 36 Abs. 2 Satz 2 BauGB - eine Präklusion zur Folge haben (vgl. OVG Münster, Urt. v. 28.11.2007 - 8 A 2325/06, juris; Beschl. v. 21.12.2010 - 8 B 1426/10, juris; OVG Lüneburg, Urt. v. 18.03.1999 - 1 L 6696/96, juris; VGH München, Urt. v. 26.01.2006 - 26 B 02.2957, juris), für den Adressaten eindeutig zu bestimmen sein müssen. Das ist bei Annahme einer Unterbrechung des Fristlaufs und einem Neubeginn nach dem Ende der Aussetzung, nicht aber bei einer Hemmung gewährleistet. Der Zurückstellungsbescheid muss nämlich im Sinne der Rechtssicherheit und Rechtsklarheit die Zurückstellungsfrist eindeutig bestimmen (vgl. Bielenberg/Stock, in: Ernst/Zinkahn/Bielenberg, BauGB, § 15, Rn. 46 <Stand der Bearbeitung: September 2004>). Nicht nur für den Bauherrn sondern auch für die Gemeinde ist damit klar erkennbar, wann die unterbrochene Frist erneut in Lauf gesetzt wird. Geht man demgegenüber von einer Hemmung aus, bedarf es einer durchaus problematischen Berechnung. Gerade der vorliegende Fall mit seinen zahlreichen und ganz überwiegend fehlerhaften Berechnungsversuchen - nicht nur auf Seiten des Beklagten - zeigt deutlich, dass die damit zwangsläufig verbundenen Unsicherheiten der Bedeutung einer Frist mit Präklusionswirkung nicht gerecht werden.

Überzeugende Gründe, der Aussetzungsregelung des § 15 BauGB in Abweichung von den skizzierten allgemeinen Grundsätzen gleichwohl lediglich die Rechtswirkungen einer Fristenhemmung entsprechend § 209 BGB beizumessen, tragen demgegenüber weder der Beklagte noch die Beigeladene vor. Soweit sich beide auf den in § 36 Abs. 2 Satz 2 BauGB und auch § 15 Abs. 3 Satz 1 BauGB angelegten Beschleunigungsgedanken beziehen und eine faktische Verlängerung der Zurückstellungsfrist auf 14 Monate beanstanden, trifft dies nur eingeschränkt zu. Nach Ablauf der Zurückstellungsfrist muss die Baugenehmigungsbehörde den Antrag nämlich unverzüglich weiter bearbeiten, während parallel die Frist des § 36 Abs. 2 Satz 2 BauGB erneut in Lauf gesetzt wird. Das Verfahren ruht mithin nicht, sodass die Verzögerung der Entscheidung von geringerem Gewicht ist. Das gilt vor allem auch vor dem Hintergrund, dass eine maximale Verlängerung der Bearbeitungsdauer von zwei Monaten im Raum steht. Eine unangemessene Benachteiligung des Bauherrn liegt darin nicht. Ohnehin darf die gebotene Beschleunigung nicht soweit gehen, dass die verfahrensrechtliche Sicherung der in Art. 28 Abs. 2 GG verankerten Planungshoheit der Gemeinde aufgrund zu kurzer Fristen nicht mehr ausreichend gewährleistet wäre.

Soweit schließlich das Niedersächsische Oberverwaltungsgericht zu der wohl vergleichbaren Frage der Wirkungen der Aussetzung nach § 15 BBauG auf den Lauf der Frist nach § 19 Abs. 3 Satz 6 BBauG ausgeführt hat, die Frist laufe mit Ablauf der Zurückstellung weiter (vgl. OVG Lüneburg, Beschl. v. 25.01.1993 - 1 L 85/90, NVwZ 1994, 81 f.; ebenso Lemmel, in: Schlichter/Stich, Berliner Kommentar zum BauGB, 2. Aufl. 1995, § 15, Rn. 16; wohl auch Schmaltz, in: Schrödter, BauGB, 6. Aufl. 1998, § 15, Rn. 8), fehlt der Entscheidung diesbezüglich jede Begründung. Der Fall bot zu einer näheren Befassung mit dem Begriff der Aussetzung auch keinen Anlass, da die maßgebliche Frist bei jeder Betrachtungsweise eingehalten war.

Auf die weitere von der Klägerin aufgeworfene Frage, ob die Aussetzung nicht bloß den Fristlauf unterbricht, sondern zusätzlich ein neues Ersuchen gemäß § 36 Abs. 1 BauGB verlangt, kommt es unter diesen Voraussetzungen nicht an (ablehnend VG Hannover, Urt. v. 22.09.2011 - 12 A 3847/10, juris).

War mithin bei Erteilung des Vorbescheids am 22.04.2010 die Einvernehmensfiktion des § 36 Abs. 2 Satz 2 BauGB noch nicht eingetreten, durfte der Beklagte den Vorbescheid nicht erteilen. Ihm stand und steht das fehlende und am 23.04.2010 wirksam verweigerte Einvernehmen der Klägerin entgegen. Ein ohne wirksames Einvernehmen erteilter Vorbescheid ist auf den Rechtsbehelf der Gemeinde aufzuheben, ohne dass es darauf ankommt, ob die Gemeinde ihr Einvernehmen verweigern durfte und ob ein Anspruch des Bauherrn auf Erteilung bestand (vgl. BVerwG, Beschl. v. 11.08.2008 - 4 B 25/08, juris; Beschl. v. 05.03.1999 - 4 B 62/98, juris; Urt. v. 10.08.1988 - 4 C 20/84, juris; OVG Lüneburg, Urt. v. 23.06.2009 - 12 LC 136/07, juris). Die Gründe dafür hat das Niedersächsische Oberverwaltungsgericht in der letztgenannten Entscheidung wie folgt zusammengefasst: Der Bundesgesetzgeber habe mit der Einvernehmensregelung erreichen wollen, dass die Gemeinde sich mit ihren Vorstellungen auch gegenüber einem etwaigen Rechtsanspruch des Bauherrn durchsetze. Er habe der Gemeinde in § 36 Abs. 1 Satz 1 BauGB deshalb eine Art Mitentscheidungsbefugnis im Baugenehmigungsverfahren für die Fälle eingeräumt, in denen sie nicht selbst Baugenehmigungsbehörde sei. Nach dem gesetzgeberischen Willen solle sich bei unterschiedlichen Auffassungen über die planungsrechtliche Genehmigungsfähigkeit eines Vorhabens die negative Stellungnahme der Gemeinde gegenüber der positiven Auffassung der Baugenehmigungsbehörde im Verwaltungsverfahren grundsätzlich durchsetzen. Mache die Gemeinde von ihrem Recht in § 36 Abs. 1 Satz 1 BauGB Gebrauch und verweigere ihr Einvernehmen, komme dem Bauherrn im Verpflichtungsprozess auf Erteilung der ihm vorenthaltenen Baugenehmigung die Klägerrolle zu. Diese prozessuale Konstellation erlaube der Gemeinde zudem, sich nicht nur auf die Sach- und Rechtslage zu berufen, die bei Erteilung der Baugenehmigung bestanden habe, sondern Veränderungen geltend zu machen, die bis zu dem für Verpflichtungsklagen maßgeblichen Beurteilungszeitpunkt eingetreten seien. Wenn dagegen auch in der Anfechtungssituation, in der sich die Gemeinde im Widerspruchs- oder Klageverfahren gegen eine ohne wirksames Einvernehmen erteilte Genehmigung wende, zu prüfen wäre, ob das Einvernehmen zu Recht verweigert worden sei, würde die der Gemeinde vom Gesetzgeber mit Blick auf das Recht der kommunalen Selbstverwaltung eingeräumte Rechtsposition entwertet. Die Gemeinde wäre dann nämlich im Falle der Verletzung ihres Mitwirkungsrechts in die vom Gesetzgeber nicht gewollte Kläger- bzw. Widerspruchsführerrolle auch hinsichtlich der Frage der Rechtmäßigkeit der Einvernehmensversagung gedrängt, aus der heraus sie ihre Rechtsposition (nicht zuletzt unter Berücksichtigung eines anderen Beurteilungszeitpunkts) verteidigen müsste. Allein die Verletzung des Mitwirkungsrechts der Gemeinde führe in diesen Fällen daher zur Zulässigkeit und Begründetheit einer Klage. Diesen zutreffenden Erwägungen schließt sich die Kammer auch für den hier vorliegenden Fall an, in dem der Beklagte den Vorbescheid bereits vor der Versagung des Einvernehmens erteilt hat. Die von der Beigeladenen aufgeworfene Frage, ob die Klägerin mit der 67/16. Änderung ihres Flächennutzungsplans eine wirksame Konzentrationsfläche gemäß § 35 Abs. 3 Satz 3 BauGB dargestellt hat, ist demnach für dieses Verfahren ohne Belang.

Die Kostenentscheidung folgt aus § 154 Abs. 1 und 3 VwGO i.V. mit § 159 Satz 1 VwGO, § 100 Abs. 1 ZPO. Die Entscheidung über die vorläufige Vollstreckbarkeit beruht auf § 167 VwGO i. V. mit § 709 Satz 2 ZPO.

Die Zulassung der Berufung erfolgt gemäß § 124a Abs. 1 Satz 1 VwGO i.V. mit § 124 Abs. 2 Nr. 3 VwGO wegen grundsätzlicher Bedeutung der Rechtssache.