Oberlandesgericht Celle
Beschl. v. 06.12.2016, Az.: 1 AR (Ausl) 55/16
Entschädigung nach StrEG bei zu Unrecht vollzogener Auslieferungshaft
Bibliographie
- Gericht
- OLG Celle
- Datum
- 06.12.2016
- Aktenzeichen
- 1 AR (Ausl) 55/16
- Entscheidungsform
- Beschluss
- Referenz
- WKRS 2016, 33188
- Entscheidungsname
- [keine Angabe]
- ECLI
- ECLI:DE:OLGCE:2016:1206.1AR.AUSL55.16.0A
Rechtsgrundlagen
- IRG § 15
- StrEG § 2
Amtlicher Leitsatz
Eine Entschädigung in entsprechender Anwendung des Gesetzes über die Entschädigung für Strafverfolgungsmaßnahmen (StrEG) wegen zu Unrecht in Deutschland aufgrund eines ausländischen Auslieferungsersuchens erlittener Auslieferungshaft kommt jedenfalls dann nicht in Betracht, wenn die Behörden der Bundesrepublik Deutschland die unberechtigte Verfolgung nicht zu vertreten haben.
Tenor:
Der Antrag des Verfolgten auf Feststellung einer Entschädigungspflicht für die erlittene Auslieferungshaft wird abgelehnt.
Gründe
I.
Die Republik Türkei erstrebte die Auslieferung des Verfolgten zum Zwecke der Vollstreckung des Restes einer Freiheitsstrafe von 15 Jahren wegen Totschlags, zu der der Verfolgte vom Strafgerichtshof in Ö. am 9. März 2007 (Grundnummer: 2001/229-35, Urteilsnummer: 2006/624) verurteilt worden war.
Nach der Verhaftung des Verfolgten auf der Grundlage einer Interpol-Ausschreibung der türkischen Behörden am 8. Juni 2016 in H. und dem Erlass einer Festhalteanordnung durch das Amtsgericht Hannover am 9. Juni 2016 ordnete der Senat am 10. Juni 2016 die vorläufige Auslieferungshaft gegen den Verfolgten an. Nachdem die Auslieferungsunterlagen zunächst am 29. Juni 2016 in elektronischer Form bei der Generalstaatsanwaltschaft und sodann am 13. Juli 2016 im Original beim Bundesamt für Justiz in deutscher Übersetzung eingegangen waren, beschloss der Senat am 15. Juli 2016 die Anordnung der förmlichen Auslieferungshaft gegen den Verfolgten, wobei der Senat betonte, dass nach vorläufiger Würdigung (der Auslieferungsunterlagen) eine Strafbarkeit des dem Auslieferungsersuchen zu Grunde liegenden Tatgeschehens sowohl nach türkischem als auch deutschem Recht gegeben sei, die Beurteilung einer Strafbarkeit nach deutschem Recht allerdings unter dem Vorbehalt einer Klärung des Vorliegens des Rechtfertigungsgrundes der Notwehr stehe.
Mit Beschluss vom 2. August 2016 hat der Senat sodann den Auslieferungshaftbefehl aufgehoben und diese Entscheidung darauf gestützt, dass eine doppelte Strafbarkeit im Sinne des Art. 2 Abs. 1 EuAlÜbk nicht gegeben sei, weil die dem Auslieferungsersuchen zu Grunde liegende Tat des Verfolgten nach deutschem Recht wegen Notwehr gerechtfertigt gewesen sei. Insofern erscheine die Auslieferung als von vornherein unzulässig im Sinne des § 15 Abs. 2 IRG, so dass eine Aufrechterhaltung der Auslieferungshaft nicht weiter in Betracht komme. Der Verfolgte wurde daraufhin am 2. August 2016 aus der Haft entlassen.
Mit Beschluss vom 11. November 2016 hat der Senat schließlich die Auslieferung des Verfolgten an die Türkei für unzulässig erklärt und zur Begründung auf den Beschluss vom 2. August 2016 verwiesen. Zugleich hat der Senat einen erneuten Antrag der Generalstaatsanwaltschaft auf Anordnung von Auslieferungshaft, mit dem die Generalstaatsanwaltschaft ihren Antrag, die Auslieferung für zulässig zu erklären, verbunden hatte, abgelehnt.
Mit Schreiben seines Rechtsbeistandes Rechtsanwalt S. vom 21. November 2016 hat der Verfolgte nunmehr beantragt, der Senat möge feststellen, dass der Verfolgte für die erlittene Auslieferungshaft nach § 2 StrEG zu entschädigen sei.
Die Generalstaatsanwaltschaft hat beantragt, den Antrag auf Feststellung einer Entschädigungspflicht abzulehnen.
II.
Der Antrag des Verfolgten auf Feststellung einer Entschädigungspflicht für die erlittene Auslieferungshaft in entsprechender Anwendung des § 2 StrEG ist abzulehnen.
Für die beantragte Feststellung einer Entschädigungspflicht in entsprechender Anwendung des Gesetzes über die Entschädigung für Strafverfolgungsmaßnahmen (StrEG) ist aus Rechtsgründen kein Raum.
1. Nach Ansicht des KG Berlin und des OLG Düsseldorf kommt eine (entsprechende) Anwendung von § 2 StrEG bei auf Ersuchen ausländischer Behörden in der Bundesrepublik Deutschland - retrospektiv betrachtet - zu Unrecht erlittener Auslieferungshaft generell nicht in Betracht (KG Berlin, Beschluss vom 29. November 2010 - (4) Ausl A 915/06 (183/06), NStZ-RR 2011, 207; KG Berlin, Beschluss vom 30. Januar 2009 - (4) AuslA. 522-03 (139/140/07), StV 2009, 423; OLG Düsseldorf, Beschluss vom 25. Juli 1991 - 4 Ausl (A) 231/89 - 26/91 III, NJW 1992, 646 [OLG Düsseldorf 25.07.1991 - 4 Ausl (A) 231/89 - 26/91 IIII]. Vgl. auch OLG Köln, Beschluss vom 4. Juli 2005 - 6 Ausl 53-05/24/05, NStZ-RR 2006, 151 [OLG Köln 04.07.2005 - 6 Ausl 53/05 - 24/05 -]; OLG Hamm, Beschluss vom 17. Januar 1997 - (2) 4 Ausl 30/91 (36/96), NStZ 1997, 246 [OLG Hamm 17.01.1997 - (2) 4 Ausl. 30/91]). Demnach schiede die beantragte Feststellung einer Entschädigungspflicht von vornherein aus.
2. Nach - allerdings bereits älterer - Rechtsprechung des BGH ist zwar eine Entschädigung eines Verfolgten wegen zu Unrecht erlittener Auslieferungshaft in entsprechender Anwendung des StrEG nicht generell ausgeschlossen, sie komme allerdings nur in Betracht, wenn die unberechtigte Inhaftierung von den Behörden der Bundesrepublik Deutschland zu vertreten sei (BGH, Beschluss vom 9. Juni 1981 - 4 ARs 4/81, BGHSt 30, 152). Ausdrücklich hat der BGH festgestellt, dass ein zu Unrecht in Auslieferungshaft genommener Verfolgter für den Vollzug der Haft nicht in entsprechender Anwendung des StrEG aus der Staatskasse entschädigt werden könne, wenn die Behörden der Bundesrepublik Deutschland die unberechtigte Verfolgung nicht zu vertreten haben (BGH, Beschluss vom 17. Januar 1984 - 4 ARs 19/83, BGHSt 32, 221. Ebenso OLG Celle, Beschluss vom 14. Juni 2010 - 1 Ausl 7/10, StraFo 2010, 431; OLG Celle, Beschluss vom 17. Januar 2002 - 1 (3) ARs 8/01 (Ausl), Nds. RPfl. 2002, 269; Schomburg/Hackner, in: Schomburg u.a. [Hrsg.], Internationale Rechtshilfe in Strafsachen, 5. Aufl. 2012, Vor § 15 Rn. 10 ff.).
Die Festnahme des Verfolgten und die Anordnung der vorläufigen Auslieferungshaft durch Beschluss des Senats vom 10. Juni 2016 erfolgten aus der Basis einer Interpol-Ausschreibung der türkischen Behörden. In der Interpol-Ausschreibung war das Tatgeschehen, das der Verurteilung des Verfolgten zu Grunde lag, lediglich dahingehend beschrieben, dass der Verfolgte sein Opfer, das Rache nehmen wollte für die Tötung seines Hundes, angriff und auf dieses einstach, wodurch das Opfer ums Leben kam. Auf der Basis dieses mitgeteilten Sachverhalts bestand kein Anlass, Zweifel an der Strafbarkeit des Tatgeschehens nach deutschem Recht zu hegen. Zunächst erschien die Auslieferungshaft damit nicht von vornherein unzulässig und war daher rechtskonform. Erst die nach Vorlage der vollständigen Auslieferungsunterlagen ergab sich die Notwendigkeit einer Prüfung und Beantwortung der Frage, ob das nunmehr in Einzelheiten mitgeteilte Tathandeln des Verfolgten nach deutschem Recht wegen Handelns in Notwehr gerechtfertigt war. Die Notwendigkeit dieser Prüfung hat der Senat, wie seinem Beschluss vom 15. Juli 2016, mit dem er die förmliche Auslieferungshaft angeordnet hat und der unmittelbar nach Vorlage der Akten mit den vollständigen Auslieferungsunterlagen erging, zu entnehmen ist, sogleich erkannt. Als Ergebnis der komplexen Prüfung hat der Senat dann - wie dargetan - den Auslieferungshaftbefehl mit Beschluss vom 2. August 2016 mangels doppelter Strafbarkeit des Tatgeschehens im Sinne des Art. 2 Abs. 1 EuAlÜbk aufgehoben und die sofortige Freilassung des Verfolgten veranlasst.
Die - retrospektiv betrachtet - zu Unrecht vollzogene Auslieferungshaft ist vorliegend also nicht durch Organe der Bundesrepublik Deutschland zu vertreten, sondern beruht allein darauf, dass der Interpol-Ausschreibung der türkischen Behörden nicht zu entnehmen war, dass der Verfolgte bei Anwendung deutschen Strafrechts auf das Tatgeschehen gerechtfertigt handelte.
Selbst wenn man daher - der Rechtsprechung des BGH folgend - eine Entschädigungspflicht für erlittene Auslieferungshaft nach dem StrEG für grundsätzlich möglich erachtete, käme sie im vorliegenden Fall nicht in Betracht.
3. Soweit der BGH (vgl. BGH, Beschluss vom 17. Januar 1984 - 4 ARs 19/83, BGHSt 32, 221) darauf hingewiesen hat, dass der Ausschluss von Entschädigungsansprüchen nach dem StrEG Ansprüche aus Art. 5 Abs. 5 EMRK unberührt lasse, hat der Senat darüber nicht zu befinden, da solche Ansprüche gegenüber der Landesjustizverwaltung geltend zu machen und gegebenenfalls vor den ordentlichen Gerichten einzuklagen sind (OLG München, Beschluss vom 5. Juli 1995 - 1 Ws 289/95, NStZ-RR 1996, 125 [OLG München 05.07.1995 - 1 Ws 289/95]; OLG Düsseldorf, Beschluss vom 25. Juli 1991 - 4 Ausl (A) 231/89 - 26/91 III, NJW 1992, 646 [OLG Düsseldorf 25.07.1991 - 4 Ausl (A) 231/89 - 26/91 IIII]).