Oberlandesgericht Celle
Urt. v. 12.12.2016, Az.: 20 U 18/16

Versorgungsansprüche; Ausgleichsbetrag; Zusagen

Bibliographie

Gericht
OLG Celle
Datum
12.12.2016
Aktenzeichen
20 U 18/16
Entscheidungsform
Urteil
Referenz
WKRS 2016, 43154
Entscheidungsname
[keine Angabe]
ECLI
[keine Angabe]

Tenor:

Die Berufung der Beklagten gegen das Urteil des Landgerichts H. vom 18. März 2016 - Geschäftszeichen …- wird zurückgewiesen.

Die Entscheidung über die Kosten des Berufungsverfahrens bleibt dem Schlussurteil vorbehalten.

Die Revision wird zugelassen.

Gründe

I.

Der Kläger begehrt von der Beklagten als früheres Mitglied des Klägers Zahlung von Ausgleichsansprüchen für die Alters- und Hinterbliebenenversorgung von Arbeitnehmern und gesetzlichen Vertretern des Klägers.

Der Kläger ist die Dachorganisation der unternehmerischen Wohnungswirtschaft in N. und B. Bis zum Wegfall der Wohnungsgemeinnützigkeit zum 01.01.1990 war er der zugelassene regionale Prüfverband nach dem Wohnungsgemeinnützigkeitsrecht, dem die Beklagte als Zwangsmitglied bis zum 01.01.1990 angehörte. Mit Aufhebung des Wohnungsgemeinnützigkeitsrechts entfiel die Zwangsmitgliedschaft der Beklagten im Prüfungsverband. Sie verblieb zunächst als freiwilliges Mitglied, kündigte aber mit Schreiben vom 10.09.2009 ihre Mitgliedschaft im Prüfungsverband des Klägers zum 31.12.2011.

Daraufhin berechnete der Kläger der Beklagten Ausgleichsansprüche gemäß § 3 Abs. 1 Satz 1 WGÜbfG in Höhe von 103.426,76 € auf der Grundlage des Anteils der Mitgliedsbeiträge des Beklagten am Gesamtbeitragsaufkommen des Klägers im Jahr 2011 (1,25 %). Wegen der weiteren Berechnung des Ausgleichsanspruchs wird auf das vom Kläger vorgelegte versicherungsmathematische Gutachten vom 3. Mai 2012 (Anlage K1) verwiesen.

Zwischen den Parteien sind Grund und Höhe des Anspruchs streitig.

Mit dem angefochtenen Grundurteil hat das Landgericht H. den Klageanspruch dem Grunde nach für gerechtfertigt erklärt. Dem Kläger stehe aus § 3 Abs. 1 S. 1 WGÜbfG ein Zahlungsanspruch auf anteiligen Ausgleich der bis zum 2. August 1988 gegebenen Zusagen für die Gewährung von Alters- und Hinterbliebenenversorgung für diejenigen Vertreter und Arbeitnehmer zu, die zum Zeitpunkt der Kündigung der Beklagten noch Anspruchsinhaber waren. Die Geltendmachung als Einmalzahlung sei berechtigt, weil die Beklagte von der gesetzlichen Möglichkeit, laufende Zahlungen zu leisten, keinen Gebrauch gemacht habe. Insbesondere sei der Anspruch nicht wegen der laufenden Beitragszahlung in der Vergangenheit ausgeschlossen, sondern nach dem Willen des Gesetzgebers als Kompensation für den zukünftigen Wegfall der Beiträge des ausscheidenden Wohnungsunternehmens zu leisten. Daneben sei der Anspruch nicht davon abhängig, ob der Kläger wirtschaftlich dazu in der Lage sei, die Versorgungsansprüche aus eigenen Mitteln zu erfüllen. Dem Anspruch stehe schließlich nicht der Einwand der Treuwidrigkeit des Inhalts entgegen, der Kläger habe es unterlassen, aus den Beitragszahlungen ausreichende Rücklagen für die Erfüllung der Versorgungszusagen zu bilden.

Gegen das Urteil, auf das sich der Senat zur näheren Sachdarstellung bezieht, wendet sich die Beklagte mit ihrer Berufung, mit der sie ihre Einwände gegen die Haftung dem Grunde nach weiterverfolgt. Sie ist der Ansicht, § 3 Abs. 1 S. 1 WGÜbfG normiere keine zwingende Ausgleichszahlungspflicht des ausscheidenden Mitglieds an den Prüfungsverband. Vielmehr habe sich das „Ob“ der Ausgleichszahlungspflicht an den finanziellen Verhältnissen des Prüfungsverbandes zu orientieren. Hierzu behauptet die Beklagte unter Vorlage einer gutachterlichen Stellungnahme vom 28. Juni 2016 (Anlagenheftung), der Kläger könne bereits ohne Rückgriff auf Liquiditätsreserven aus seinen laufend erwirtschafteten Erträgen sämtliche Versorgungszusagen erfüllen, selbst wenn diese in vollem Umfange als Liquidität abflössen. Vor diesem Hintergrund sei die Inanspruchnahme auch rechtsmissbräuchlich, denn bei einem gleichzeitigen Austritt aller Mitglieder zum 31.12.2011 hätten alle Versorgungszusagen wegen aus der vorhandenen Liquidität finanziert werden können.

Die Beklagte beantragt,

unter Abänderung des auf die mündliche Verhandlung vom 18. März 2016 ergangenen Grundurteils des Landgerichts H. - Geschäftsnummer … - die Klage abzuweisen.

Der Kläger beantragt,

die Berufung der Beklagten zurückzuweisen.

Er verteidigt das angefochtene Urteil. Er vertritt weiterhin die Ansicht, dass seine finanzielle Leistungsfähigkeit für die Frage des Ausgleichsanspruchs ohne Bedeutung sei. Eine nur subsidiäre Haftung der ausscheidenden Mitglieder nach Abschmelzen des Eigenkapitals und der Rücklagen würde die Gefahr der Insolvenz der Prüfverbände bergen, deren Eintritt durch die gesetzliche Regelung gerade verhindert werden solle.

II.

Die zulässige Berufung bleibt ohne Erfolg. Das Landgericht hat zutreffend entschieden, dass der Ausgleichsanspruch des Klägers dem Grunde nach besteht und insbesondere nicht davon abhängt, dass der Kläger derzeit in der Lage wäre, die Versorgungszusagen - wenn sie in einer Summe fällig wären - aus vorhandenen Erträgen oder Rückstellungen zu begleichen.

1. Der erstinstanzliche Einwand der Unzuständigkeit des Landgerichts H. ist in der Berufungsinstanz gemäß § 513 Abs. 2 ZPO unbeachtlich und wird von der Beklagten auch nicht weiter aufrechterhalten.

2. Der Kläger hat gegen die Beklagte dem Grunde nach einen Anspruch aus
§ 3 Abs. 1 S. 1 WGÜbfG auf Zahlung eines Ausgleichsbetrags zur Erfüllung der Zusagen für Versorgungsansprüche.

§ 3 Abs. 1 S. 1 WGÜbfG regelt:

„Scheidet ein am 31. Dezember 1989 als gemeinnütziges Wohnungsunternehmen oder als Organ der staatlichen Wohnungspolitik anerkanntes Unternehmen aus dem Prüfungsverband, dem es angehört, aus, so hat es entsprechend dem Verhältnis seines Beitrags am Gesamtbeitragsaufkommen des Prüfungsverbands, insbesondere durch einmalige oder laufende Zahlungen, dazu beizutragen, dass die bis zum 2. August 1988 von dem Prüfungsverband an gesetzliche Vertreter und Arbeitnehmer gegebenen Zusagen für die Gewährung von Alters- und Hinterbliebenenversorgung erfüllt werden können.“

Diese Voraussetzungen sind hier gegeben:

a. Kläger und Beklagte erfüllen die personalen Eigenschaften als Prüfungsverband bzw. Wohnungsunternehmen im Sinne des früheren Wohnungsgemeinnützigkeitsrechts. Unstreitig waren vom Kläger vor dem Stichtag 2. August 1988 gegenüber gesetzlichen Vertretern und Arbeitnehmern Zusagen für die Gewährung von Alters- und Hinterbliebenenversorgung gegeben worden, die auch nach Wirksamwerden der Kündigung des Beklagten ab dem 1. Januar 2012 noch zu erfüllen waren bzw. sind. Der Umfang der Verpflichtung des Klägers und die darauf beruhende Berechnung des Ausgleichsanspruchs sind für die Frage der Haftung dem Grunde nach ohne Belang.

b. Entgegen der Ansicht der Beklagten setzt der Anspruch des Klägers nicht voraus, dass er zur Erfüllung der eingegangenen Verpflichtungen auf die Unterstützung des ausscheidenden Mitglieds wirtschaftlich angewiesen ist, weil Rücklagen gebildet wurden oder andere finanzielle Mittel hierfür zur Verfügung stehen.

(1). Weder der Wortlaut der Regelung noch die Gesetzesbegründung (vgl. BT-Drs 11/2157) geben ausreichende Anhaltspunkte dafür, dass die Verpflichtung des ausscheidenden Mitglieds, zur Erfüllung der Versorgungszusagen beizutragen, nur subsidiär für den Fall der Leistungsunfähigkeit des Prüfverbandes (=Klägers) eintreten soll. Die Gesetzesformulierung „hat entsprechend dem Verhältnis seines Betrages am Gesamtbeitragsaufkommen des Prüfungsverbandes…dazu beizutragen“ ist unbedingt und knüpft den Anspruch dem Grunde nach nicht an den im 2. Halbsatz genannten Zweck der Zahlung, dass nämlich die Versorgungszusagen „erfüllt werden können“. Insbesondere ergibt sich aus der Gesetzesbegründung (a.a.O., S 212), dass durch die Regelung gerade gewährleistet werden soll, der Gefahr vorzubeugen, „dass die Verbände nicht mehr in der Lage sein könnten, ihre in der Vergangenheit eingegangenen Zusagen…einzuhalten“. Wenn aber Zweck der Regelung ist, zu verhindern, dass sich bei den Prüfverbänden eine finanzielle Schieflage durch Schmälerung des Beitrags- und Gebührenaufkommens infolge des Mitgliederschwunds nach Austritten entwickelt, kann diese finanzielle Schieflage nicht Voraussetzung des Zahlungsanspruchs sein.

Würde man der Argumentation der Beklagten folgen, könnten zunächst sie selbst und nach ihr noch weitere Wohnungsgenossenschaften sanktionslos austreten, solange sich aus dem Beitragsaufkommen der verbleibenden Genossenschaften – gegebenenfalls nach stufenweiser Erhöhung der Beitragssätze – die Versorgungsansprüche noch erfüllen ließen. Nach der Gesetzesbegründung soll eine Erhöhung der finanziellen Anforderungen gegenüber den verbliebenen Mitgliedern jedoch gerade ausgeschlossen werden, um einem weiteren Mitgliederschwund vorzubeugen. Um dieses Ziel zu erreichen, kann die Konsequenz nur sein, dass jedes ausscheidende Mitglied mit Wirksamwerden des Austritts seinen anteiligen Beitrag zur Erfüllung der Versorgungszusagen leisten muss.

(2). Vor diesem Hintergrund ist es unbeachtlich, ob in der Bilanz des Klägers Rückstellungen für die Versorgungszusagen ausgewiesen sind. Ohnehin sind derartige Rückstellungen kein Nachweis einer aktuell für die Versorgungsleistungen einsetzbaren Liquidität. Sie sind vielmehr nach den für die Erstellung von Handelsbilanzen geltenden Regeln (§§ 246 ff, 253 Abs. 2 HGB) in der Passivseite der Bilanz mit dem nach vernünftiger kaufmännischer Beurteilung notwendigen Erfüllungsbetrag anzusetzen. Auch im Übrigen bedarf es keiner betriebswirtschaftlichen Bewertung der finanziellen Leistungsfähigkeit des Klägers als Voraussetzung bzw. Ausschlussgrund des Ausgleichsanspruchs.

(3). Im Kern wendet die Beklagte insbesondere ein, sie werde doppelt in Anspruch genommen, weil sie schon vor dem Wegfall der Wohnungsgemeinnützigkeit zum 1. Januar 1990 und sodann bis zum Zeitpunkt des Wirksamwerdens der Kündigung mit ihren Genossenschaftsbeiträgen zur Erfüllung der Versorgungszusagen beigetragen habe und nunmehr erneut, unabhängig von schon von ihr vorab finanzierten Rücklagen, für künftige Versorgungszusagen einstehen müsse. Dieser Einwand ist für den Anspruch aus § 3 WGÜbfG indes unbeachtlich. Zwar sollen die Beiträge nach § 4 Nr. 2a der Satzung auch zur Erfüllung der eingegangenen Verpflichtungen (u.a. Altersversorgung) dienen. Damit ist aber noch keine Aussage getroffen über den zeitlichen Verwendungszweck der Beiträge. Es liegt vielmehr auf der Hand, dass die laufenden Beiträge gerade zur Erfüllung der jeweils fälligen Versorgungsansprüche dienen sollen. Der Anspruch aus § 3 WGÜbfG zielt demgegenüber auf die Erfüllung künftiger Verpflichtungen.

Insoweit verhelfen der Beklagten auch die Grundsätze der Rechtsprechung zur Beitragserhebung der IHK nicht zum Erfolg. Insbesondere hat das VG H. in der von der Beklagten zitierten Entscheidung (VG Hamburg, Urteil vom 02. März 2016 – 17 K 2912/14 –, juris) gerade entschieden, dass es der IHK - als dem Kläger vergleichbarer „Aufsichtsverband“ - die Bildung unangemessener Rücklagen gegenüber den Mitgliedern nicht gestattet ist. Daraus folgt bereits, dass das Beitragsaufkommen in der Regel dem Zweck dienen soll, laufende Versorgungsansprüche zu befriedigen.

Ungeachtet dessen kann davon ausgegangen werden, dass dem Gesetzgeber bei Formulierung der Anspruchsvoraussetzungen von § 3 WGÜbfG der Normalfall eines ordnungsgemäß und verantwortungsvoll wirtschaftenden Prüfverbandes vor Augen stand, ohne dass deswegen die bisherige Beitragszahlung des ausscheidenden Mitglieds als Abzugsposten Berücksichtigung finden sollte.

Der Einwand der Beklagten, der Kläger habe während der Zeit ihrer Zugehörigkeit zum Kläger Rückstellungen für die Altersversorgung gebildet, hätte dies zumindest aber veranlassen müssen, würde jedem ausscheidenden Mitglied aus dem Prüfverband zu einem doppelten Einwand gegen die Inanspruchnahme für die Ausgleichspflicht verhelfen: Hat der Prüfverband ausreichende Rückstellungen gebildet, könnte die ausscheidende Genossenschaft sich auf die wirtschaftliche Leistungsfähigkeit des Prüfverbands berufen. Wurden hingegen keine Rückstellungen veranlasst, könnte die ausscheidende Genossenschaft dem Anspruch des Prüfverbands auf Ausgleichszahlung den Einwand der Verletzung seiner genossenschaftlichen Pflichten entgegenhalten.

b. Schließlich steht der Feststellung des - auf eine Einmalzahlung gerichteten - Anspruchs dem Grunde nach nicht entgegen, dass in § 3 WGÜbfG alternative Möglichkeiten („insbesondere durch einmalige oder laufende Zahlungen“) des Beitrags zur Erfüllung der Versorgungszusagen genannt werden.

Weder der Gesetzeswortlaut noch dessen Begründung geben belastbare Anhaltspunkte dafür her, ob es sich um eine Wahlschuld i. S. d. § 262 BGB, bei der dem Schuldner das Wahlrecht zusteht und die Verurteilung nur zu alternativen Leistungen erfolgen kann (vgl. Staudinger-Löwisch, BGB, 2014, § 262 Rn.26), oder um einen Fall elektiver Konkurrenz im Sinne eines Wahlrechts des Gläubigers aus verschiedenen Rechten (vgl. Palandt-Grüneberg, BGB, 75. Aufl, § 262 Rn. 6) handelt.

Bei einem Vergleich mit ähnlichen Interessenlagen sprechen hier aber überwiegende Argumente für ein Wahlrecht des Klägers als Anspruchsinhaber. Die Frage der Auswahl zwischen einer (abgezinsten) Einmalzahlung oder einer fortlaufenden Zahlung stellt sich insbesondere im Schadensrecht, z.B. bei Schmerzensgeldansprüchen oder bei Verdienstausfallschäden wegen Körperverletzungen (§ 843 BGB). Unabhängig davon, unter welchen Voraussetzungen jeweils Kapitalabfindung oder Rentenzahlungen begehrt werden können, steht das Wahlrecht in diesen Fällen immer dem Anspruchsinhaber zu.

III.

Eine Vollstreckbarkeitserklärung war mangels vollstreckungsfähigen Inhalts des angefochtenen Urteils und des Berufungsurteils nicht geboten.

Die Zulassung der Revision folgt aus § 543 Abs. 2 Nr. 2 ZPO, weil die Frage der Leistungs(un)fähigkeit des Prüfverbandes als Anspruchsvoraussetzungen aus § 3 WGÜbfG bislang weder obergerichtlich noch höchstrichterlich geklärt ist.