Verwaltungsgericht Hannover
Urt. v. 02.12.2010, Az.: 13 A 2616/10
Besoldung; Ermessen; Fürsorgepflicht; Rechtsmissbrauch; Treu und Glauben; Verjährung; Verjährungseinrede
Bibliographie
- Gericht
- VG Hannover
- Datum
- 02.12.2010
- Aktenzeichen
- 13 A 2616/10
- Entscheidungsform
- Urteil
- Referenz
- WKRS 2010, 41076
- Entscheidungsname
- [keine Angabe]
- ECLI
- ECLI:DE:VGHANNO:2010:1202.13A2616.10.0A
Rechtsgrundlagen
- 195 BGB
- 242 BGB
Tenor:
Die Klage wird abgewiesen.
Der Kläger trägt die Kosten des Verfahrens.
Die Entscheidung ist wegen der Kosten vorläufig vollstreckbar. Der Vollstreckungsschuldner kann die Vollstreckung durch Sicherheitsleistung in Höhe des zu vollstreckenden Betrags abwenden, wenn nicht die Vollstreckungsgläubigerin zuvor Sicherheit in entsprechender Höhe leistet.
Tatbestand
Der Kläger, ein Ruhestandsbeamter, begehrt Kinderzuschlag für die Zeit ab August 2004 bis Dezember 2008.
Der Kläger erhält Hinterbliebenen-Versorgungsbezüge ab 01.09.2004. Ab dieser Zeit bestand für den Kläger grundsätzlich auch ein Anspruch auf Familienzuschlag der Stufe 2 (Kinderzuschlag) für seine Tochter C. Dieser Kinderzuschlag wurde jedoch versehentlich nicht gezahlt. Im Bescheid vom 04.10.2004 heißt es dazu wörtlich u.a. "Familienzuschlag (ohne Kinderanteil)".
Erst im Zusammenhang mit einer Ruhensberechnung nach § 53 BeamtVG im März 2010 fiel der Beklagten auf, dass der Kläger keinen Kinderzuschlag erhielt. Daraufhin gewährte die Beklagte mit Bescheid vom 10.03.2010 dem Kläger rückwirkend Kinderzuschlag ab 01.01.2007. Für die davorliegende Zeit lehnte die Beklagte eine Nachzahlung ab, weil der Anspruch verjährt sei.
Hiergegen legte der Kläger Widerspruch ein. Die Beklagte hätte den Fehler selbst schon länger bemerken müssen. Immerhin habe sie auch "Halbwaisenrente" für seine Tochter gezahlt.
Mit Widerspruchsbescheid vom 29.04.2010 (Datum im Entwurf in den Verwaltungsvorgängen, der Originalbescheid trägt das Datum 29.10.2010), abgesandt als Einschreiben am 30.04.2010, wies die Beklagte den Widerspruch zurück. Eine Unzulässigkeit der Verjährungseinrede aus fürsorgerechtlichen Erwägungen liege nicht vor.
Der Kläger hat am 03.06.2010 Klage erhoben.
Verjährung sei nicht eingetreten. Der Fehler sei für ihn, den Kläger, nicht erkennbar gewesen. Die Verjährungsfrist beginne aber erst, wenn er, der Kläger, von den den Anspruch begründenden Umständen Kenntnis erlange oder sie ohne grobe Fahrlässigkeit hätte erkennen müssen. Er habe sich darauf verlassen können, dass die Beklagte die Bezüge korrekt berechnet. Selbst wenn Verjährung eingetreten sei, sei jedenfalls die Berufung darauf treuwidrig. Von staatlichen Behörden sei zu erwarten, dass sie sich rechtstreu verhalten und gegebene Ansprüche erfüllen.
Der Kläger beantragt,
den Bescheid vom 10.03.2010 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides aufzuheben und die Beklagte zu verpflichten, ihm, dem Kläger, den Kinderanteil im Familienzuschlag auch für die Zeit zwischen August 2004 und Dezember 2006 zu bewilligen und zu zahlen.
Die Beklagte beantragt,
die Klage abzuweisen.
Sie tritt der Klage entgegen. Anhaltspunkte für ein qualifiziertes Fehlverhalten der Behörde seien nicht ersichtlich, so dass sie, die Beklagte, ihr Recht auf Erhebung der Verjährungseinrede haben ausüben dürfen. In besonderen Ausnahmefällen sei zwar aus fürsorgerechtlichen Gründen geboten, von der Erhebung der Verjährungseinrede abzusehen, wenn die Verjährungseinrede für einen Beamten eine unbillige Härte darstelle. Eine ernste finanzielle Notlage des Klägers sei hier jedoch nicht geltend gemacht worden. Da keine besonderen konkreten Umstände für eine Härte vorliegen, sei schon deshalb auch keine entsprechende Ermessensentscheidung erforderlich gewesen.
Alle Beteiligten haben sich mit einem Urteil ohne mündliche Verhandlung und mit einer Entscheidung des Berichterstatters anstelle der Kammer einverstanden erklärt.
Wegen des weiteren Sachverhalts wird auf den Inhalt der Gerichtsakten und der beigezogenen Verwaltungsvorgänge Bezug genommen.
Entscheidungsgründe
Im Einverständnis der Beteiligten ergeht die Entscheidung gemäß § 87a Abs. 2 und 3 VwGO durch den Berichterstatter und nach § 101 Abs. 2 VwGO weiterhin ohne mündliche Verhandlung.
Soweit der Kläger die vollständige Aufhebung des Bescheides vom 10.03.2010 begehrt, ist die Klage mangels einer Beschwer unzulässig, wie das Aufhebungsbegehren sich insoweit gegen den gewährenden Teil des Bescheides richtet.
Im Übrigen ist die Klage zulässig, in der Sache jedoch unbegründet.
Da dem Kläger erst ab September 2004 Hinterbliebenenversorgung zusteht, kann schon von daher ihm für den Monat August 2004 kein Kinderzuschlag gewährt werden.
Aber auch für die Zeit ab 01.09.2004 bis 31.12.2006 hat er mit seinem Begehren auf Bewilligung und Zahlung des Kinderzuschlages keinen Erfolg. Zwar erfüllt der Kläger in dieser Zeit unstreitig die Voraussetzungen für die Gewährung des Kinderzuschlages. Der Kläger kann diesen Anspruch jedoch nicht mehr durchsetzen, weil er verjährt ist und die Beklagte sich auf die Verjährung beruft.
Der Anspruch auf Hinterbliebenenversorgung unterliegt der dreijährigen Verjährungsfrist nach § 195 BGB. Diese Verjährungsfrist beginnt mit dem Schluss des Jahres, in dem 1. der Anspruch entstanden ist und 2. der Gläubiger von den den Anspruch begründenden Umständen und der Person des Schuldners Kenntnis erlangt oder ohne grobe Fahrlässigkeit erlangen müsste.
Die den Anspruch begründenden Umstände liegen hier in der Existenz der minderjährigen Tochter des Klägers, für die Kindergeld beansprucht werden kann. Diese Umstände waren dem Kläger unstreitig bekannt. Nicht erforderlich ist der Schluss des Gläubigers von den Tatsachen auf die Rechtsfolge. Da im Bescheid vom 04.10.2004 es zudem ausdrücklich auf Seite 2 heißt "Familienzuschlag (ohne Kinderanteil)", der Kläger jedoch eine minderjährige Tochter hatte, hätte es überdies nahegelegen, zumindest nachzufragen, weshalb ein Kinderanteil nicht gewährt worden ist. Dies hat der Kläger unterlassen. Nach alledem begann die Verjährung für die im Jahr 2006 zustehenden Kinderanteile ab 01.01.2007 an zu laufen und endete mit Ablauf des 31.12.2009. Für die zustehenden Kinderanteile der Jahre 2004 und 2005 begann die Verjährungsfrist entsprechend bereits ab 01.01.2005 bzw. 01.01.2006 und endete in der Folge schon mit Ablauf des 31.12.2007 bzw. 2008.
Die Einrede der Verjährung durch die Beklagte stellt weiterhin keine unzulässige Rechtsausübung dar. Zwar hat die Beklagte bzw. dessen Rechtsvorgänger seinerzeit einen Fehler begangen und die Tochter des Klägers nicht berücksichtigt. Allein aus diesem Umstand kann jedoch noch nicht abgeleitet werden, dass nunmehr die Erhebung der Verjährungseinrede gegen die auch im öffentlichen Recht geltenden Grundsätze von Treu und Glauben iSd § 242 BGB verstößt. Andernfalls wären die Verjährungsvorschriften im Bereich der Besoldung praktisch gegenstandslos, weil in der Regel immer auch ein Fehler der Behörde vorliegt.
Um die Verjährungseinrede zu einer unzulässigen Rechtsausübung werden zu lassen, müssen deshalb vielmehr besondere Umstände hinzutreten, damit diese Rechtsausübung seitens der Behörde als treuwidrig qualifiziert werden kann. Der Einwand der unzulässigen Rechtsausübung erfordert ein qualifiziertes Fehlverhalten des Dienstherrn, das nicht notwendig schuldhaft zu sein braucht, das aber angesichts der Umstände des Einzelfalls die Einrede der Verjährung deshalb als treuwidrig erscheinen lässt, weil der Beamte veranlasst worden ist, verjährungsunterbrechende oder ggf. auch verjährungshemmende Schritte zu unterlassen (vgl. VG Gelsenkirchen, Urteil vom 30.08.2010, - 12 K 2749/09 -, zit. n. juris).
Derartige Umstände sind hier nicht erkennbar. Zwar wurde für die Tochter auch Halbwaisenversorgung gezahlt; die Existenz der Tochter war mithin bekannt. Es liegen aber keine Anhaltspunkte dafür vor, dass deshalb die Beklagte oder ihr Rechtsvorgänger auf jeden Fall den Fehler hätte früher bemerken und beheben können. Es handelte sich um ein Versehen, wie es immer wieder in einer Massenverwaltung vorkommen kann. Der Kläger wurde weiterhin dadurch nicht veranlasst, verjährungsunterbrechende Schritte zu unterlassen.
Durch den Eintritt der Verjährung geht der Anspruch an sich nicht unter. Er ist lediglich nicht mehr durchsetzbar, wenn die Verjährungseinrede erhoben wird . Die Einrede der Verjährung kann vom Schuldner erhoben werden, muss es aber nicht. Das Gericht hält an seiner Auffassung fest, dass die Entscheidung, ob die Einrede erhoben wird oder nicht, im pflichtgemäßen Ermessen einer Behörde steht und insoweit grundsätzlich auch eine Ermessensentscheidung erfordert (offengelassen BVerwG, Urteil vom 25.11.1982, - 2 C 32/81 -, zit. n. juris), wobei allerdings der Übergang bei den Gründen, die gegen eine Verjährungseinrede sprechen können und den Gründen, die für eine ggf. unzulässige Rechtsausübung sprechen können, fließend sein kann.
Zu Recht weist die Beklagte in ihrem Schriftsatz vom 04.11.2010 darauf hin, dass, wenn die Nichterfüllung eines an sich bestehenden Anspruches für den Gläubiger eine besondere unbillige Härte darstellt, dann - jedenfalls wenn es sich um eine beamtenrechtliche Angelegenheit handelt - eine Behörde als Schuldner prüfen muss, ob möglicherweise Fürsorgegesichtspunkte gegen eine Verjährungseinrede sprechen. Die dann zu treffende Entscheidung stellt eine Ermessenentscheidung dar.
In den angefochtenen Bescheiden (Ausgangs- und Widerspruchsbescheid) wurde die Frage der Ermessensausübung nicht ausdrücklich von der Beklagten angesprochen. Gleichwohl hat die Beklagte die in das Ermessen einzustellenden Gesichtspunkte gesehen und zumindest im Widerspruchsbescheid auch gewürdigt. Denn es heißt dort, eine Unzulässigkeit der Verjährungseinrede aus fürsorgerechtlichen Erwägungen liege nicht vor. Formal setzt sich die Beklagte damit mit dem Einwand der unzulässigen Rechtsausübung auseinander, also ob die Erhebung der Einrede gegen die Grundsätze von Treu und Glauben verstößt. Stellt die Verjährungseinrede aber keine unzulässige Rechtsausübung dar, kann sie auch nicht wegen Verletzung der Fürsorgepflicht ermessensfehlerhaft sein (so auch VG Gelsenkirchen, a.a.O.).
Da nach den haushaltsrechtlichen Grundsätzen der Wirtschaftlichkeit und Sparsamkeit es grundsätzlich geboten ist, dass eine Behörde, wenn sie eine Zahlungsverpflichtung dadurch vermeiden kann, die Einrede der Verjährung erhebt
(vgl. VG Ansbach, Urteil vom 26.05.2009 - AN 1 K 08.00302 -, zit. n. juris: "Der Dienstherr ist nicht nur berechtigt, sondern nach dem Grundsatz der sparsamen Haushaltsführung [vgl. Art. 7 Abs. 1 Satz 1, 34 Abs. 2 Satz 1 BayHO] grundsätzlich auch verpflichtet, gegenüber [verjährten] Besoldungs- und Versorgungsansprüchen die Einrede der Verjährung geltend zu machen [vgl. BVerwG, Urteil vom 25.11.1982, C 32.81; BVerwGE 66, 256, [BVerwG 25.11.1982 - BVerwG 2 C 32.81] m.w.N.; Urteil vom 15.6.2006, 2 C 14/05, ZBR 2006, 347; Beschluss vom 30.6.1992, 2 B 23.92, Buchholz 239.1 § 35 BeamtVG Nr. 3 Satz 1]. Damit wird dem Rechtsfrieden wie auch möglichen Beweisschwierigkeiten Rechnung getragen, ohne dass der Grundsatz der Alimentationspflicht prinzipiell in Frage gestellt wird"; siehe daneben OVG Koblenz, Urteil vom 05.02.2007 - 2 A 11330/06.OVG -, zit. n. juris: "Der Dienstherr ist nach dem Grundsatz der sparsamen Haushaltsführung grundsätzlich verpflichtet, gegen Besoldungs- und Versorgungsansprüche die Einrede der Verjährung geltend zu machen.")
und sie davon nur bei Vorliegen besonderer Umstände absehen kann, die hier aber nicht erkennbar sind, bedurfte es im vorliegenden Fall ausnahmsweise auch keiner besonderen ausdrücklich im Bescheid zu erwähnenden Ermessensentscheidung, zumal die Beklagte erkennbar fürsorgerechtliche Erwägungen angestellt hat.
Auch das Bundesverwaltungsgericht hält eine ausdrückliche Ermessensentscheidung dann nicht für erforderlich, wenn eine Fürsorgepflichtverletzung nicht gegeben ist. Es hat in der oben zitierten Entscheidung u.a. ausgeführt:
"Das Bundesverwaltungsgericht hat wiederholt die Frage offengelassen, ob und wann es unabhängig von dem Gesichtspunkt einer gegen Treu und Glauben verstoßenden unzulässigen Rechtsausübung ermessensfehlerhaft sein kann, daß eine Behörde die Einrede der Verjährung gegenüber einer unstreitig begründeten Forderung eines ihrer Beamten oder Versorgungsempfänger auf Gehalts- oder Versorgungsbezüge erhebt (BVerwGE 23, 166 [BVerwG 26.01.1966 - BVerwG VI C 112.63] (168, 174); 42, 353 (357)). Immerhin ist zu beachten, daß die Dienstherren innerdienstlich durch das Haushaltsrecht (vgl. §§ 58, 59 der Bundeshaushaltsordnung - BHO - vom 19. August 1969 (BGBl. I S. 1284)) gehalten sind, die Einrede der Verjährung auch geltend zu machen (Weiß/Niedermaier/Summer/Zängl, BayBG, Art. 90 Erl. 19). Die Frage bedarf aber auch im vorliegenden Fall keiner abschließenden Entscheidung. Die Einrede der Verjährung kann nicht aus Gründen der Fürsorgepflicht ermessensfehlerhaft sein."
Nach alledem war die Klage abzuweisen.
Gründe für die Zulassung der Berufung gem. §§ 124a Abs. 1, 124 Abs. 2 Nr. 3 und 4 VwGO sind nicht ersichtlich.
Die Kostenentscheidung folgt aus § 154 Abs. 1 VwGO. Die Entscheidung über die vorläufige Vollstreckbarkeit beruht auf § 167 VwGO in Verbindung mit §§ 708 Nr. 11, 711 Satz 1 ZPO.