Verwaltungsgericht Hannover
v. 06.12.2010, Az.: 13 A 1420/10
Dienstwaffenphobie; Dienstunfall; Meldung; Fristversäumnis; Veranlagung
Bibliographie
- Gericht
- VG Hannover
- Datum
- 06.12.2010
- Aktenzeichen
- 13 A 1420/10
- Entscheidungsform
- Gerichtsbescheid
- Referenz
- WKRS 2010, 47900
- Entscheidungsname
- [keine Angabe]
- ECLI
- [keine Angabe]
Rechtsgrundlagen
- § 30 BeamtVG
- § 45 Abs 2 BeamtVG
- § 31 Abs 3 BeamtVG
Tenor:
Die Klage wird abgewiesen.
Der Kläger trägt die Kosten des Verfahrens.
Die Entscheidung ist wegen der Kosten vorläufig vollstreckbar. Der Vollstreckungsschuldner kann die Vollstreckung durch Sicherheitsleistung in Höhe des zu vollstreckenden Betrags abwenden, wenn nicht die Vollstreckungsgläubigerin zuvor Sicherheit in entsprechender Höhe leistet.
Tatbestand:
Der Kläger begehrt die Anerkennung einer Dienstwaffenphobie als Folge eines Dienstunfalls.
Bei dem Kläger handelt es ich um einen früheren Polizeikommissar.
Bei Schießübungen wahrscheinlich am 25.02.2005 mit der neueingeführten Dienstwaffe P2000 löste sich - offenbar aufgrund eines Materialfehlers an der Waffe - ein Sicherungsstift. Ein weiterer Schaden trat nicht ein. Fortan weigerte sich der Kläger jedoch, eine Waffe vom Typ P2000 zu benutzen und er wollte weiterhin den früheren Waffentyp P7 führen. Unter den 16.10.2007 beantragte er schriftlich, wieder das Vorgängermodell führen zu dürfen, weil er durch den Vorfall traumatisiert worden sei.
Bei dem Kläger wurden folgende Krankheiten diagnostiziert:
rezidivierende depressive Störung F33.1
Angststörung mit Dienstwaffenphobie F40.2
Nikotinabusus F17.1
Hxpercholerinämie E78.0.
Der Kläger wurde u.a. in der Zeit vom 22.07.2008 bis 26.08.2008 in der D. Klinik in E. behandelt. In dem daraufhin erstellten Arztbericht der Klinik vom 17.09.2008 heißt es u.a.: „Er erlebte die Fallerfassung und sozialmedizinische Beurteilung als für sich stimmig, konnte auch akzeptieren, dass wir eine Traumafolgestörung bzw. einen Dienstunfall ausgeschlossen haben“ (Seite 7 des ärztlichen Entlassungsberichts).
Der Kläger wurde mit Ablauf des Monats März 2009 als dauerhaft dienstunfähig in den Ruhestand versetzt. Gegen die Festsetzung der Versorgung hat der Kläger Widerspruch eingelegt mit dem Ziel, ein Unfallruhegehalt zu erhalten.
Bereits am 04.03.2009 beantragte der Kläger mit Schriftsatz seiner jetzigen Prozessbevollmächtigten vom 03.03.2009, den Vorfall auf dem Schießstand - allerdings mit der Jahresangabe „Anfang 2008“ - als Dienstunfall anzuerkennen.
Mit Bescheid vom 22.10.2009 lehnte die Beklagte es ab, die Erkrankung des Klägers „rezidivierende depressive Störung und Angststörung mit Dienstwaffenphobie“ als Dienstunfall anzuerkennen. Den hiergegen vom Kläger eingelegten Widerspruch wies die Beklagte mit Widerspruchsbescheid vom 23.02.2010, zugestellt am 24.02.2010, zurück.
Der Kläger hat am 17.03.2010 Klage erhoben.
Er trägt vor: Erstmalig sei 2008 festgestellt worden, dass eine Dienstwaffenphobie bei ihm vorliege. Eine Meldung innerhalb der 2-Jahres-Frist des § 45 BeamtVG habe nicht erfolgen können. Die Unfallfolge „Dienstwaffenphobie“ sei erst von der D. Klinik festgestellt worden. Die Voraussetzungen der 10-Jahres-Frist des § 45 Abs. 2 BeamtVG lägen in seinem Fall vor. Im Schriftsatz vom 06.10.2010 trägt der Kläger weiter vor, er habe in einem Personalgespräch am 12.02.2008 mündlich den Unfall beim Schusswaffentraining mitgeteilt und deshalb die 2-Jahres-Frist eingehalten.
Im verwaltungsgerichtlichen Streitverfahren trug der Kläger bis zum Schriftsatz vom 06.10.2010 vor, der zugrunde liegende Vorfall habe sich am 25.02.2005 ereignet (Bl. 2 Gerichtsakte - GA). Im Verwaltungsverfahren hatte der Kläger zunächst als Datum „Anfang 2008“ genannt (Bl. 24 der Beiakte A), später korrigierte er sich dahingehend, der Vorfall habe „Anfang 2005“ stattgefunden (Bl. 30 Beiakte A). Gegenüber dem Amtsarzt gab er Ende Januar 2009 an, „vor 2 Jahren“ (mithin 2007) habe sich der Vorfall ereignet (Bl. 3 des amtsärztlichen Gutachtens (Bl. 46 Beiakte B). Im Schriftsatz vom 06.10. 2010 bezieht sich der Kläger nun vor Gericht ebenfalls auf einen Vorfall aus dem Jahr 2007 (Gerichtsakte Bl. 55).
Der Kläger beantragt,
den Bescheid der Beklagten vom 22.10.2009 in der Form des Widerspruchsbescheides vom 23.02.2010 aufzuheben und die Beklagte zu verpflichten, die bei ihm festgestellte Dienstwaffenphobie als Folge eines Dienstunfalls vom 25.02.2005 anzuerkennen.
Die Beklagte beantragt,
die Klage abzuweisen
Sie tritt der Klage entgegen.
Alle Beteiligte haben sich mit einer Entscheidung des Berichterstatters anstelle der Kammer einverstanden erklärt.
Zu der Entscheidungsform Gerichtsbescheid wurden die Beteiligten gehört (Bl. 54 der Gerichtsakte).
Wegen des weiteren Sachverhalts wird auf den Inhalt der Gerichtsakten und der beigezogenen Verwaltungsvorgänge Bezug genommen.
Entscheidungsgründe
Im Einverständnis der Beteiligten ergeht die Entscheidung gemäß § 87a Abs. 2 und 3 VwGO durch den Berichterstatter.
Die Voraussetzungen zur Entscheidung durch Gerichtsbescheid liegen vor, § 84 VwGO. Das Gericht sieht den Sachverhalt als geklärt an und die Sache weist auch keine besonderen Schwierigkeiten in tatsächlicher oder rechtlicher Art auf.
Die zulässige Klage ist unbegründet. Der Kläger hat keinen Anspruch darauf, dass bei ihm der Vorfall - sei es, dass er Ende Februar 2005 stattgefunden hat, sei es, dass er sich erst Anfang 2007 ereignete - oder die Erkrankung „Dienstwaffenphobie“ als Dienstunfalls anerkannt wird.
Der Vorfall mit der Dienstwaffe P2000 geschah nach dem ursprünglichen Klagevortrag des Klägers am 25.02.2005. Nach § 45 Abs. 1 BeamtVG sind Unfälle, aus denen Unfallfürsorgeansprüche entstehen können, innerhalb einer Ausschlussfrist von zwei Jahren nach dem Eintritt des Unfalls beim Dienstvorgesetzten zu melden. Der Kläger hat jedoch erst mit Schriftsatz vom 03.03.2009 angezeigt, dass er den seinerzeitigen Vorfall mit der Dienstwaffe als Dienstunfall ansieht.
Die Anerkennung der Dienstwaffenphobie selbst als Dienstunfall iSd. § 31 Abs. 3 BeamtVG mit der Folge, dass die Ausschlussfrist erst ab dem Zeitpunkt läuft, in dem der Beamte erkennt, dass er an einer solchen Krankheit leidet (BeamtVGVwV Nr. 45.1.3) kommt nicht in Betracht. Denn eine Dienstwaffenphobie gehört nicht zu den Krankheiten nach § 1 Unfallfürsorge-KrankheitenVO iVm. der BerufskranheitenVO.
Zwar ist eine Unfallmeldung grundsätzlich dann entbehrlich, wenn der Dienstvorgesetzte von dem Unfall bereits Kenntnis erlangt hat. Die allgemeine Kenntnis des Dienstvorgesetzten, dass 2005 die vom Kläger benutzte Waffe einen Materialfehler hatte und der Kläger gern seine alte Dienstwaffe P7 weiter verwenden wollte, reicht dafür aber nicht aus. Erforderlich ist vielmehr, dass der Dienstvorgesetzte Kenntnisse davon hat, dass der betroffene Beamte dadurch einen Schaden mit Krankheitswert erlitten hat und nicht nur eine Abneigung gegen einen bestimmten Waffentyp ohne Krankheitswert entwickelte. Eine „Dienstwaffenphobie“ aufgrund des sich lösenden Sicherungsstiftes war seinerzeit für den Dienstherrn indes nicht erkennbar.
Zwar räumt § 45 Abs. 2 BeamtVG einem geschädigten Beamten bei Versäumung der Ausschlussfrist nach Absatz 1 eine weitergehende Frist von zehn Jahren ein, wenn innerhalb dieser Frist glaubhaft gemacht wird, dass mit der Möglichkeit einer den Anspruch auf Unfallfürsorge begründenden Folge des Unfalles nicht habe gerechnet werden können oder wenn der Berechtigte durch außerhalb seines Willens liegende Umstände gehindert worden ist, den Unfall zu melden. Die Meldung muss, nachdem mit der Möglichkeit einer den Anspruch auf Unfallfürsorge begründenden Folge des Unfalles gerechnet werden konnte oder das Hindernis für die Meldung weggefallen ist, innerhalb dreier Monate erfolgen.
Der Betroffene hat mit dem Vorliegen eines nach § 30 ff. BeamtVG relevanten Unfalls zu rechnen, wenn er das schadensstiftende Ereignis erkennt (hier Vorfall bei der Schießübung) und die Möglichkeit eines Schadenseintritts absehbar, also hinreichend wahrscheinlich ist. Das kausale Ereignis muss bemerkbar gewesen sein. Davon ist bei einem Unfall regelmäßig auszugehen, wenn Beschwerden auftreten, die einem dienstlich veranlassten Ereignis zugeordnet werden können, oder wenn nach allgemeiner Lebenserfahrung mit einiger Wahrscheinlichkeit anzunehmen ist, dass ein dienstlich veranlasstes Ereignis zu einem Körperschaden führt. Es ist nicht erforderlich, dass sich der Verletzte die Überzeugung von der Wahrscheinlichkeit eines Kausalzusammenhangs verschafft hat oder verschaffen konnte. Ausreichend ist vielmehr, dass ein Ereignis stattgefunden hat, das auch in der Laiensphäre als dienstlich bedingter Unfall oder - hier nicht vorliegend - als unfallgleiches Geschehen zu qualifizieren und aus der Sicht eines objektiven Betrachters geeignet ist, Ansprüche auf Unfallfürsorge zu begründen (vgl. Plog /Wiedow/ Lehmhöfer/ Bayer, BeamtVG, RdNr. 10 b zu § 45). Demgegenüber kann mit der Möglichkeit einer den Anspruch auf Unfallfürsorgeleistungen begründete Unfallfolge nicht erst dann gerechnet werden, wenn verletzungsbedingt organische Veränderungen in einem längeren Entwicklungsprozess zu gravierenden Beschwerden oder Ausfallerscheinungen führen. (Stegmüller/Schmalhofer/Bauer a.a.O. RdNr. 2 Erl. 5.3 zu § 45; BayVGH vom 21.11.2008 Az. 3 ZB 08.1824).
Gemessen an diesen Grundsätzen hätte der Kläger den Vorfall - wenn er den wie von ihm anfangs vorgetragen, sich im Februar 2005 ereignete - bereits seit langen anzeigen müssen. Ab dem Zeitpunkt, an dem der Beamte versuchte, seine alte Waffe - die P7 - wieder zurückzubekommen und er mit der neuen Waffe nicht mehr schießen konnte, hatten auch für einen Laien genügend Anhaltspunkte vorgelegen, um zumindest mit der Möglichkeit eines Zusammenhangs seines Leidens mit dem dienstlichen Vorfall im Jahr 2005 rechnen zu können. Selbst wenn diese Erkenntnis erst während seines Klinikaufenthalts in der D. Klinik 2008 beim Kläger entstanden sein sollte, wurde danach ein vermeintlicher Dienstunfall nicht innerhalb dreier Monate danach angezeigt. Dass in der Klinik mit dem Kläger auch über einen etwaigen Zusammenhang seiner Erkrankung und einem Dienstunfall gesprochen wurde, belegt der vom Kläger übersandte Arztbrief des Klinikums.
Sollte der Vorfall, auf den sich der Kläger beruft, sich aber doch erst im Februar 2007 ereignet haben, wie es dem Schriftsatz vom 06.10.2010 zu entnehmen ist, dann kann die Klage gleichwohl keinen Erfolg haben. Denn es ist auch materiell ein Dienstunfall zu verneinen. Nicht um eine "äußere Einwirkung" handelt es sich dann, wenn der Körperschaden durch Umstände hervorgerufen wird, für die eine besondere psychische oder physische Veranlagung oder das willentliche Verhalten des betroffenen Beamten die wesentliche Ursache ist (vgl. Bundesverwaltungsgericht, Beschluss vom 09.02.2007 - 2 B 19/07, Juris RdNr. 8, Bundesverwaltungsgericht Urteil vom 15.09.1994 - 2 C 24/92 - Juris RdNr. 17). So liegt es hier. Zur Überzeugung des Gerichts liegt die wesentliche Ursache für die psychische Erkrankung des Klägers nicht in den dienstlichen Ereignissen, sondern in der individuellen Disposition und subjektiven Veranlagung des Klägers. Wenn der beschriebene Vorfall bei der Schießübung beim Kläger bereits die „Dienstwaffenphobie“ auslösen konnte, dann muss der Kläger entsprechend psychisch vorgeprägt gewesen sein, so dass die Phobie nicht kausal auf den Vorfall zurückgeführt werden kann.
Im Übrigen folgt das Gericht der Begründung des angefochtenen Bescheides sowie des Widerspruchsbescheides und sieht gemäß § 117 Abs. 5 VwGO von der weiteren Begründung ab.
Gründe für die Zulassung der Berufung gem. §§ 124a Abs. 1, 124 Abs. 2 Nr. 3 und 4 VwGO sind nicht ersichtlich.
Die Kostenentscheidung folgt aus § 154 Abs. 1 VwGO. Die Entscheidung über die vorläufige Vollstreckbarkeit beruht auf § 167 VwGO in Verbindung mit §§ 708 Nr. 11, 711 Satz 1 ZPO.