Verwaltungsgericht Hannover
Urt. v. 21.06.2019, Az.: 4 A 12841/17

artenschutzrechtliches Zugriffsverbot; Bauvoranfrage; Bestimmtheit; Eingriffsfläche; Entfernung; Erfordernis konkreter Vorhabenbezug; Freistellung; Hamsterumsiedlung; Maßnahmenfläche; räumlicher Zusammenhang; unbestimmt

Bibliographie

Gericht
VG Hannover
Datum
21.06.2019
Aktenzeichen
4 A 12841/17
Entscheidungsform
Urteil
Referenz
WKRS 2019, 69828
Entscheidungsname
[keine Angabe]
ECLI
[keine Angabe]

Amtlicher Leitsatz

Leitsatz

1. Ist ein Antrag auf Feststellung der Freistellung von artenschutzrechtlichen Zugriffsverboten (im Fall der Umsetzung eines Konzepts zur Hamsterumsiedlung) nicht auf die Nutzbarkeit eines bestimmten Grundstücks für eine konkrete Art der Nutzung gerichtet, sondern auf die allgemeine Zulässigkeit abstrakter Nutzungen sämtlicher Grundstücke im Geltungsbereich eines Bebauungsplans, ist die entsprechend formulierte Bauvoranfrage nicht hinreichend bestimmt.
2. Ein auf die Umsiedlung von Feldhamstern ausgerichtetetes Konzept, bei dem die Hamster eingefangen und in einem Ersatzhabitat ausgesetzt werden, das rund 8 km von den bisherigen Fortpflanzungs- und Ruhestätten entfernt liegt und durch eine vielbefahrene Bundesstraße von dem bisherigen Vorkommensgebiet getrennt wird, erfüllt nicht die Voraussetzungen für die Freistellung des Vorhabens vom Verbot nach § 44 Abs. 1 Nr. 3 i.V.m. Abs. 5 Satz 2 Nr. 3 BNatSchG. Es fehlt insoweit am erforderlichen räumlichen Zusammenhang.

Tenor:

Die Klage wird abgewiesen.

Die Klägerin trägt die Kosten des Verfahrens.

Das Urteil ist wegen der Kosten vorläufig vollstreckbar. Die Klägerin kann die Vollstreckung durch Leistung einer Sicherheit in Höhe von 110 % des aus dem Urteil vollstreckbaren Betrages abwenden, wenn nicht die Vollstreckungsgläubigerin zuvor Sicherheit in Höhe von 110 % des zu vollstreckenden Betrags leistet.

Tatbestand:

Die Klägerin begehrt die Feststellung, dass – nach einer ihrem Vorschlag entsprechenden Umsiedlung von Feldhamstern - bei Durchführung von Bauvorhaben im Gebiet eines ihrer Bebauungspläne kein Verstoß gegen die naturschutzrechtlichen Tötungs- und Störungsverbote vorliegt sowie die Aufhebung von Ziffer 3 der ihr erteilten Baugenehmigung für die Errichtung einer Kindertagesstätte, welche die Herstellung und Erhaltung einer hamstergerecht zu bewirtschaftenden Fläche regelt, hilfsweise die Abänderung der Nebenbestimmung Ziffer 3 durch die Umsetzung ihres Konzepts zur Umsiedlung von Feldhamstern.

Der Rat der Klägerin beschloss am 19.12.2013 den Bebauungsplan Nr. C. } „Erweiterung Gewerbepark – Pattensen“, der mit Bekanntmachung im Gemeinsamen Amtsblatt der Region Hannover und der Landeshauptstadt A-Stadt Nr. D. in Kraft getreten ist und den nordöstlichen Teil des räumlichen Geltungsbereichs des Bebauungsplans Nr. E. } überplant. Ausweislich der Begründung zum Bebauungsplan wurden bei einer Bestandsaufnahme des seinerzeitigen Umweltzustands im Plangebiet unter anderem ca. 24 Baue des (streng geschützten) Feldhamsters festgestellt, für den die Zugriffsverbote des § 44 Abs. 1 BNatSchG gelten. Weiter heißt es in der Begründung zum Bebauungsplan wie folgt (S. 41):

„Die erheblichen Beeinträchtigung des Schutzguts „Tiere“ entsteht dadurch, dass Feldlerche, Wiesenstelze und Feldhamster, die das Plangebiet nutzen, ihren Lebensraum verlieren. Das lässt sich nicht vermeiden, wenn die Ziele des Bebauungsplans verwirklicht werden sollen. Damit der Eingriff zugelassen werden kann, muss die Beeinträchtigung kompensiert werden. Das „Artenschutzfachliche Gutachten“ kommt zu dem Ergebnis, dass der Ausgleichsbedarf 3,07 ha beträgt, bestehend aus 2,60 ha „Kernflächen“ und 0,47 ha „Schutzstreifen“. Durch den Ausgleich für den Feldhamster wird auch der Ausgleichsbedarf für die Feldvögel gedeckt.

Der Ausgleichsbedarf wird südlich der F. Straße auf dem Flurstücks C. (64.540 qm) der Flur D., Gemarkung Pattensen gedeckt. Die Fläche gehörte einem Pattenser Landwirt. Er wird sie in Zukunft im Rahmen einer vertraglichen Vereinbarung mit der Stadt nach den Vorgaben des Gutachtens „hamstergerecht“ gestalten und bewirtschaften, d.h. er wird eine Kernfläche von 2,60 ha schaffen, und er wird Schutzstreifen auf rd. 0,50 ha anlegen. Die Lage des Flurstücks 41 ergibt sich aus dem folgenden Luftbild: Die Fläche liegt in dem Bereich, in den die Feldhamster aus dem Plangebiet „vergrämt“ werden“.

Das Vergrämungskonzept sieht eine vergrämende Bewirtschaftung der Flächen von Norden nach Süden und eine diesem folgende phasenweise Erschließung der Flächen vor und geht davon aus, dass das Einfangen und Umsiedeln der einzelnen Feldhamster, die bisher im Plangebiet leben, im Einklang mit dem Artenschutzfachlichen Gutachten wegen der zweifelhaften Erfolgsaussichten nicht sachgerecht ist (S. 47 der Begründung zum B-Plan).

Im Auftrag der Klägerin ermittelte die Ingenieurgemeinschaft G. im Frühjahr und Sommer 2015 die aktuellen Bestandsgrößen der Hamsterpopulation nördlich der F. Straße sowie südlich angrenzend im Dreieck F. Straße – B 3-Ortsumgehung –H. Straße. Nach dem Ergebnis der Hamsterkartierung aus dem Oktober 2015 wurden im Rahmen der Frühjahrs- und Sommerkartierung jeweils 52 Nachweise für Bauten erbracht, davon im Frühjahr 33 im nördlichen und 19 im südlichen Sektor und im Sommer 25 im nördlichen und 27 im südlichen Sektor, so dass eine relative Verschiebung in Richtung Süden festgestellt worden ist.

Unter dem 29.04.2015 beschloss der Rat der Klägerin die 2. Änderung des Bebauungsplans Nr. I. „E.“, mit dem auf einer Fläche an der Nordseite der F. Straße die Errichtung einer neuen Kindertagesstätte ermöglicht werden sollte. Ausweislich der Begründung zum Bebauungsplan hält die Klägerin CEF-Maßnahmen – in Hinblick auf das Vorkommen des Feldhamsters – für nicht erforderlich, da die Vergrämung Sache der Durchführung der Bebauungspläne Nr. I. und J. sei.

Mit Bescheid vom 03.12.2015 erteilte die Beklagte der Klägerin die Baugenehmigung für das Bauvorhaben „Errichtung einer Kommunalen Einrichtung, hier: Kindertagesstätte in Holzrahmenbauweise“ im Gebiet des Bebauungsplans Nr. I. unter der aufschiebenden Bedingung, dass die Baugenehmigung erst wirksam wird, sobald die Bedingung (Nebenbestimmung Naturschutzrecht) erfüllt worden ist, d.h. die unten genannte Fläche muss zur Verfügung stehen und durch Vorlage eines Planes nachgewiesen werden. Aus diesem Grund dürfte die Durchführung der Baumaßnahme auch nicht früher begonnen werden. Die Nebenbestimmung 3 lautet:

„Im räumlichen Zusammenhang ist eine hamstergerecht zu bewirtschaftende Fläche von 1.715 m² herzustellen und dauerhaft zu erhalten. Diese sollte als Erweiterung der Feldhamsterfläche der Finanz-Informatik auf dem im Besitz der Stadt Pattensen befindlichen Flurstück K. der Flur 3 der Gemarkung Pattensen geschaffen werden. Eine Fläche an anderer Stelle ist möglich, soweit durch Sachverständigengutachten nachgewiesen wird, dass diese für die genannten Zwecke ebenso geeignet ist. Für die auf einem Lageplan im Maßstab 1:2000 zu kennzeichnende Fläche ist ein im Einvernehmen mit der Naturschutzbehörde abgeschlossener Bewirtschaftungsvertrag vorzulegen, der die feldhamstergerechte Bewirtschaftung sicherstellt. Der Lageplan ist vor Baubeginn vorzulegen.(…)“

Die Begründung der Bedingung nimmt Bezug auf die massiv rückläufige Entwicklung des Feldhamsters, der im Gemeindegebiet der Klägerin einen Verbreitungsschwerpunkt findet:

„Sofern bedingt durch die Änderung der betreffenden Rahmenbedingungen, die abhängig von der Konkretisierung und Umsetzung des Konzepts für den Feldhamster in der Bauleitplanung sind, das Erfordernis des Bewirtschaftungsvertrags erübrigt, ist ein entsprechender Antrag auf Änderung der Baugenehmigung bei der Bauaufsicht der Region Hannover zu stellen.

Der genehmigte Bewirtschaftungsvertrag muss solange bestehen bleiben, bis eine entsprechend geänderte Baugenehmigung vorliegt.“

Die Ausgleichsmaßnahme wurde im Plangebiet Nr. J. auf der Fläche nördlich der Gebäude der Finanz-Informatik umgesetzt.

Unter dem 09.05.2016 beantragte die Klägerin nach Abschluss der Bauarbeiten bei der Beklagten die Feststellung, dass bei der Durchführung von Vorhaben im Gebiet des Bebauungsplans Nr. J. kein Verstoß gegen die Verbote des § 44 Abs. 1 Nr. 1 und Nr. 3 BNatSchG vorliege, wenn die von der Ingenieurgemeinschaft G. GmbH vom 25.04.2016 beschriebene „Verfahrensweise für die geplante Feldhamster-Umsiedlung“ mit einer Umsiedlung von Feldhamstern durchgeführt werde. Gleichzeitig beantragte die Klägerin die Aufhebung der Ziffer 3 der Baugenehmigung vom 03.12.2015 nach Erlass des beantragten feststellenden Verwaltungsakts und legte zahlreiche Unterlagen (u.a. die „Verfahrensweise für die geplante Feldhamster-Umsiedlung“ der Ingenieurgemeinschaft G. vom 25.04.2016, die Untersuchung von Feldhamstervorkommen durch die Ingenieurgemeinschaft G., die artenschutzrechtliche Stellungnahme der Ingenieurgemeinschaft G. und den Entwurf einer notariellen Vereinbarung mit dem Eigentümer von Ersatzsiedlungsflächen) vor. Sie habe auf dem betreffenden Baugrundstück bislang keine Feldhamster vorgefunden. Entsprechend der Vorgehensweise zur Umsiedlung von Feldhamstern im 3. Bauabschnitt des Baugebiets Pattensen-Mitte-Nord sollen die Flächen, auf denen sich die Hamster derzeit aufhalten, zum Einfangen der Tiere vorbereitet werden, die Tiere sodann eingefangen und auf – jenseits der östlich gelegenen Bundesstraße B 3 - hergerichtete Hamsterausgleichsflächen umgesetzt werden, die den von der Beklagten genehmigten Hamsterausgleichsflächen für das Baugebiet Pattensen-Mitte-Nord III entsprächen.

Die am Verfahren beteiligte untere Naturschutzbehörde der Beklagten äußerte sich mit Stellungnahme vom 01.11.2016 ablehnend zu dem Vorschlag der Klägerin, die Hamster auf die östlich der Bundesstraße B 3 gelegene Fläche umzusiedeln. Mit Bescheid vom 18.11.2016, zugestellt am 30.11.2016, lehnte die Beklagte die Erteilung einer Baugenehmigung für die geänderte Ausführung der artenschutzrechtlichen Maßnahmen ab. Der Antrag der Klägerin, die festgeschriebene Bereitstellung und Bewirtschaftung einer nahegelegenen 1.715 m² großen Flächen durch die Umsiedlung der im Gebiet lebenden Hamster auf eine für 15 Jahre für eine hamstergerechte Bewirtschaftung zu sichernde Fläche östlich der B 3 zu ersetzen, sei mit dem Artenschutzrecht (§ 44 Abs. 5 BNatSchG) nicht zu vereinbaren. Die ökologische Funktion der von dem Eingriff bzw. Vorhaben betroffenen Fortpflanzungs- oder Ruhestätte werde nicht im räumlichen Zusammenhang erfüllt. Aufgrund der großen Entfernung und der zahlreichen zu überquerenden Straßen sei aus Sicht der unteren Naturschutzbehörde ein funktional räumlicher Zusammenhang nicht mehr gegeben. Zwischen Eingriffs- und Maßnahmenfläche lägen ca. 8 km. Selbst für die mobilen männlichen Feldhamster sei üblicherweise nur ein durchschnittlicher Aktivitätsradius von max. 500 Metern zugrunde zu legen, für weibliche Feldhamster nur 200 Meter. Soweit die Klägerin darüber hinaus die Feststellung beantragt habe, dass bei Durchführung von Vorhaben im Gebiet des Bebauungsplans Nr. J. kein Verstoß gegen die Verbote des § 44 Abs. 1 Nr. 1 und Nr. 3 BNatSchG vorliege, wenn die beschriebene Verfahrensweise für die geplante Feldhamster-Umsiedlung durchgeführt werde, könne dieser Antrag nicht beschieden werden, da die Prüfung und Genehmigung eines Bebauungsplans durch eine übergeordnete Behörde abgeschafft worden sei.

Hiergegen erhob die Klägerin am 27.12.2016 Widerspruch und legte eine artenschutzfachliche Stellungnahme der Ingenieurgemeinschaft G. (Dipl.-Ing. L.) vom 17.03.2017 vor. Nach dieser Stellungnahme stelle eine Verlegung der Ausgleichsfläche auf die Ostseite der B 3 mit einer Umsiedlung der Hamsterindividuen von der bisherigen Ausgleichsfläche eine erfolgversprechende Alternative dar, weil sie eine deutlich höhere Wahrscheinlichkeit biete, dass die betreffenden Tiere die Ausgleichsfläche auch erreichten und diese Ausgleichsfläche auch eine deutlich bessere Langfristperspektive für das dortige Hamstervorkommen biete. Die Vorgabe der unteren Naturschutzbehörde, dass die für den Feldhamster gedachte Ausgleichsfläche räumlich näher sein müsse, lasse die Frage unbeantwortet, aufgrund welcher biologischer Eigenschaften der Feldhamster die für ihn gedachte Ausgleichsfläche auffinden und besiedeln solle. Die bloße Aufwertung der Ausgleichsfläche löse bei den Individuen im Vorhabenbereich kein zielgerichtetes Suchverhalten aus. Daher sei nicht ersichtlich, dass nur durch das Planungsmodell der Beklagten den Anforderungen des § 44 Abs. 5 BNatSchG entsprochen werde.

Unter dem 27.11.2017 gab die untere Naturschutzbehörde der Beklagten eine Stellungnahme zum Widerspruch aus naturschutzfachlicher Sicht ab. Für die Erfüllung des Kriteriums des räumlichen Zusammenhangs seien die artspezifische Vernetzungsdistanz (angenommen mit maximal 500 Metern) sowie die Möglichkeit des Austauschs, somit das mögliche Aufeinandertreffen einzelner Tiere erforderlich. Dies ergebe sich auch den Ausführungen des Bundesverwaltungsgerichts im Urteil 9 A 14.12 sowie den Stellungnahmen des MU. Zudem führten stark befahrene mehrspurige Straßen, deren Isolationswirkungen nicht durch Schutzzäune und Querungshilfen aufgehoben werden, zu einer effektiven Trennung lokaler Individuengruppen.

Den Widerspruch vom 27.12.2016 wies die Beklagte mit Widerspruchsbescheid vom 01.12.2017 zurück und führte dabei aus, dass der Widerspruch unzulässig ist, soweit der Erlass eines feststellenden Verwaltungsakts begehrt werde, da insoweit kein Vorverfahren vorgesehen sei, und unbegründet, soweit er sich auf den Antrag zu 2 bezieht.

Die Klägerin hat am 29.12.2017 Klage erhoben. Die von ihr beantragte Feststellung, dass das Konzept über die Verfahrensweise für die geplante Feldhamsterumsiedlung geeignet sei, für Bauvorhaben in dem betreffenden Gebiet des Bebauungsplans Nr. J. festzustellen, dass – falls diesen Konzepten gefolgt werde – kein Verstoß gegen die Verbote des § 44 Abs. 1 Nr. 1 und Nr. 3 BNatSchG vorliege, stelle eine Bauvoranfrage dar. Eine solche Bauvoranfrage setze kein konkretes Bauvorhaben voraus, sondern könne sich – als vor die Klammer gezogene Frage - auf mehrere Bauvorhaben beziehen. Da der zugrundeliegende Bebauungsplan keine vorgezogenen Ausgleichsmaßnahmen festsetze, sei § 44 Abs. 5 BNatSchG zwingend zu beachten und anzuwenden. Die von ihr vorgeschlagenen Umsiedlungsmaßnahmen seien die fachlich zutreffende und erfolgversprechende Maßnahme zum Schutz der Hamster vor Tötung oder Verletzung. Soweit die Beklagte demgegenüber darauf verwiesen hat, dass es am erforderlichen räumlichen Funktionszusammenhang fehle, sei die Funktionsfähigkeit des theoretischen Planungsmodels der Beklagten in der Praxis nicht nachgewiesen. Die Überquerung einer öffentlichen Verkehrsfläche (wie hier der B 3) stelle keine besondere Gefahr für die Tiere dar. Aus diesem Grunde habe sie auch einen Anspruch auf Aufhebung der Nebenbestimmung zu Ziffer 3. Alternativ stehe es der Beklagten frei, eine weniger belastende Nebenbestimmung zu formulieren.

Die Klägerin beantragt,

1. unter Aufhebung des Bescheids der Beklagten vom 18.11.2016 in Gestalt des Widerspruchsbescheids der Beklagten vom 01.12.2017 die Beklagte zu verpflichten, festzustellen, dass bei der Durchführung von Vorhaben im Gebiet des Bebauungsplans Nr. C. „}Erweiterung Gewerbepark-Pattensen“ kein Verstoß gegen die Verbote des § 44 Abs. 1 Nr. 1 und Nr. 3 BNatSchG vorliegt, wenn die in der von der Ingenieurgemeinschaft G. GmbH vom 25.04.2016 beschriebene „Verfahrensweise für die geplante Feldhamsterumsiedlung“ mit einer Umsiedlung der Feldhamster durchgeführt wird,B

2. sowie die Ziffer 3 der Baugenehmigung vom 03.12.2015 nach Erlass des eben genannten beantragten feststellenden Verwaltungsakts aufzuheben,

3. hilfsweise, die Ziffer 3 der Baugenehmigung vom 03.012.2015 dahingehend zu ändern, dass die Hamsterbewirtschaftung in der von der Ingenieurgemeinschaft G. GmbH vom 25.04.2016 beschriebenen „Verfahrensweise für die geplante Feldhamsterumsiedlung“ mit einer Umsiedlung der Feldhamster durchgeführt wird.

Die Beklagte beantragt,

die Klage abzuweisen.

Die Klägerin habe keinen Anspruch auf die unter Ziffer 1 begehrte Entscheidung. Diese sei auf die Überprüfung der Rechtmäßigkeit ihres Bebauungsplans gerichtet, die nicht in die Zuständigkeit der Beklagten falle. Der Antrag habe auch nicht als Bauvoranfrage verstanden werden können, da die Klägerin weder das vorgeschriebene Antragsformular benutzt noch eine vorhaben- bzw. grundstücksbezogene Frage gestellt habe. Insoweit sei die Bauvoranfrage unbestimmt. Die Frage, ob eine Hamsterpopulation durch ein Vorhaben beeinträchtigt werde, könne nicht unabhängig von der konkreten Maßnahme beurteilt werden. Die Aussage eines Vorbescheids stelle eine Teilmenge des Regelungsgehalts einer Baugenehmigung dar; diese könne jedoch nur vorhaben- und grundstücksbezogen erteilt werden. Zudem verstießen die abstrakt bezeichneten Vorhaben gegen das in § 44 BNatSchG normierte Tötungsverbot, ohne dass die vorgeschlagenen Ausgleichsmaßnahmen die Voraussetzungen nach § 44 Abs. 5 Satz 2 und 3 BNatSchG erfüllten. Schließlich liege das Baugrundstück für die Kindertagesstätte im Bereich des Bebauungsplans Nr. I. „M.. Änderung“, so dass der Antrag zu 1. keine Auswirkungen auf die im Antrag zu 2. genannte Baugenehmigung haben kann.

Wegen der weiteren Einzelheiten des Sachverhalts wird auf den Inhalt der Gerichtsakte und des beigezogenen Verwaltungsvorgangs Bezug genommen.

Entscheidungsgründe

Die Klage hat weder mit ihren Hauptanträgen zu 1.) und 2.) noch mit dem Hilfsantrag zu 3.) Erfolg.

1. Die Klage auf Verpflichtung der Beklagten festzustellen, dass bei Umsetzung der Verfahrensweise für die geplante Hamsterumsiedlung bei Durchführung von Vorhaben im Gebiet des Bebauungsplans Nr. J. kein Verstoß gegen § 44 Abs. 1 Nr. 1 und Nr. 3 BNatSchG vorliegt, ist zulässig, aber unbegründet.

Die Klägerin hat klargestellt, dass sie die Erteilung eines Bauvorbescheids mit dem Inhalt begehrt, dass bei der Durchführung von Vorhaben kein Verstoß gegen § 44 Abs. 1 Nr. 1 und 3 BNatSchG vorliegt, wenn die Umsiedlung der Feldhamster entsprechend der von der Ingenieurgemeinschaft G. GmbH am 25.04.2016 beschriebenen „Verfahrensweise für die geplante Hamsterumsiedlung“ durchgeführt wird. Entgegen der Auffassung der Beklagten war der insoweit erhobene Widerspruch gegen die Ablehnung des beantragten feststellenden Verwaltungsakts zulässig, da die Erteilung eines Bauvorbescheids mit dem beantragten Inhalt als Verwaltungsakt nach den Vorschriften der Niedersächsischen Bauordnung im Sinne von § 80 Abs. 4 i.V.m. Abs. 2 Nr. 4 lit a Niedersächsisches Justizgesetz anzusehen und ein Vorverfahren daher durchzuführen ist.

Die Klage hat aber in der Sache keinen Erfolg. Der Vorbescheidantrag ist sachlich nicht bescheidungsfähig, weil sich die Anfrage nicht auf ein konkretes Vorhaben auf einem konkreten Grundstück bezieht.

Nach § 73 Abs. 1 NBauO ist für eine Baumaßnahme auf Antrag über einzelne Fragen, über die im Baugenehmigungsverfahren zu entscheiden wäre und die selbständig beurteilt werden könnten, durch Bauvorbescheid zu entscheiden. Die von der Klägerin aufgeworfene Frage nach dem Entgegenstehen artenschutzrechtlicher Zugriffsverbote (§ 44 Abs. 1 Nr. 1 und Nr. 3 BNatSchG) stellt eine Frage des öffentlichen Baurechts im Sinne von § 2 Abs. 12 NBauO dar, die grundsätzlich selbständig beurteilt werden kann. Soweit nach § 18 Abs. 2 BNatSchG auf Vorhaben in Gebieten mit Bebauungsplänen die Eingriffsregelungen der §§ 14 bis 17 BNatSchG nicht anzuwenden sind (weil die naturschutzrechtlichen Eingriffsfolgen bereits in der Bauleitplanung planerisch im Wege der Abwägung bewältigt werden), gilt dies nicht für die besonderen artenschutzrechtlichen Zugriffsverbote des § 44 BNatSchG; diese werden erst unmittelbar im Rahmen der Vorhabenzulassung relevant, d.h. im Wege der Konfliktbewältigung durch Abschichtung erfolgt eine Prüfung der Zugriffsverbote einschließlich der Notwendigkeit der Erteilung einer Befreiung oder Ausnahme im Vorhaben-Zulassungsverfahren (Lütkes/Ewer, BNatSchG, 2. Auflage, § 18, Rn. 2, 48). Dementsprechend trifft § 44 Abs. 5 Satz 1 BNatSchG die Regelung, dass für Vorhaben im Sinne des § 18 Abs. 2 Satz 1 BNatSchG (d.h. Vorhaben in Gebieten mit Bebauungsplänen) die Zugriffs-, Besitz- und Vermarktungsverbote nach Maßgabe der Sätze 2 bis 5 gelten.

Allerdings bezieht sich die von der Klägerin gestellte Frage (nach der Freistellung von den artenschutzrechtlichen Zugriffsverboten im Fall der Umsetzung des Konzepts zur Hamsterumsiedlung) nicht auf die Nutzbarkeit eines bestimmten Grundstücks für eine konkrete Art der Nutzung, sondern auf die allgemeine Zulässigkeit abstrakter Nutzungen sämtlicher Grundstücke im Gebiet des Bebauungsplans Nr. J.. Damit ist die Bauvoranfrage nicht mehr hinreichend bestimmt.

Grundsätzlich ist in der Rechtsprechung anerkannt, dass der Bautragsteller bei der Festlegung des Verfahrensgegenstands im Vorbescheidsverfahren weitgehend frei ist und es prinzipiell keinen Bedenken begegnet, mit einer Bauvoranfrage nur nach der grundsätzlichen planungsrechtlichen Zulässigkeit eines Vorhabens seiner Art nach zu fragen, auch wenn das Vorhaben nur in groben Umrissen bestimmt ist und seine Ausführung im Einzelnen einer späteren Prüfung vorbehalten bleibt. Insofern erhält der Bauantragsteller einer auf eine bestimmte, aber nur auf die grundsätzliche Bebaubarkeit eines Grundstücks mit einem bestimmten Vorhaben beschränkte Bauvoranfrage auch nur einen mit einer spiegelbildlich beschränkten Bindungswirkung versehenen Vorbescheid (OVG NRW, Urt. v. 14.10.2013 – 2 A 204/12 – juris, Rn. 45 m.w.N.). Erforderlich ist jedoch, dass der Antrag auf Erteilung des Vorbescheids so bestimmt und klar ist, dass auf ihn, würde ihm stattgegeben, ein verständlicher, inhaltlich genau abgegrenzter, eindeutig bestimmter Verwaltungsakt ergehen kann, der in dem durch ihn entschiedenen Umfang die spätere Baugenehmigung für das Bauvorhaben bindet. Unzulässig ist damit eine Bauvoranfrage, mit der jenseits eines konkreten Vorhabens eine rechtsverbindliche Abklärung der Bandbreite rechtlich möglicher Nutzungsoptionen für ein Grundstück bzw. die Erfassung evtl. einschränkender Rahmenbedingungen angestrebt wird, da eine Bauvoranfrage zwingend einen konkreten Vorhabenbezug erfordert (OVG NRW, Beschl. v. 30.11.2015 – 2 A 1080/15 – BeckRS 2015, 56131, Rn. 13). Das Erfordernis des konkreten Vorhabenbezugs ergibt sich bereits aus der Rechtsnatur des Vorbescheids als vorweggenommener Teil des feststellenden Ausspruchs der Baugenehmigung, die sich auch nur auf ein konkretes Vorhaben auf einem konkreten Grundstück beziehen kann (OVG NRW, Beschl. v. 30.11.2015, a.a.O., Rn. 13). Nicht Gegenstand einer Bauvoranfrage kann demgemäß eine Frage sein, die sich für jegliches Vorhaben auf den betroffenen Grundstücken in gleicher Weise stellt (BayVGH, Urt. v. 14.02.2008 – 15 B 06.3463 – ZfBR 2008, 391, 392).

Gemessen daran fehlt es der Bauvoranfrage der Kläger an erforderlichen Bezug auf ein konkretes Vorhaben auf einem konkreten Grundstück. Die Frage, ob bei Umsetzung des Hamsterumsiedlungskonzepts eine Freistellung von den artenschutzrechtlichen Zugriffsverboten möglich ist, stellt sich für jegliches Vorhaben auf jeglichem Grundstück im Plangebiet, hat also die abstrakte Bebaubarkeit einer Vielzahl von Grundstücken zum Gegenstand, und ist mangels konkreten Vorhabensbezugs kein tauglicher Gegenstand einer Bauvoranfrage.

2. Soweit die Klägerin mit dem Klageantrag zu 2.) die Aufhebung der Nebenbestimmung in Ziffer 3 der Baugenehmigung vom 03.12.2015 für den Fall begehrt, dass die Bauvoranfrage gemäß dem Klagantrag zu 1.) positiv beschieden wird, hat die Klage ebenfalls keinen Erfolg.

Der Klageantrag zu 2.) auf Aufhebung der Nebenbestimmung Nr. 3 in der Baugenehmigung vom 03.12.2015 knüpft an den Erlass des unter 1.) beantragten Verwaltungsakts an, d.h. er ist unter der Bedingung gestellt, dass der Klagantrag zu 1.) Erfolg hat. Damit handelt es sich um einen Fall der uneigentlichen Eventualklagehäufung, da der „Hilfs“-Antrag für den Fall des Erfolgs des Hauptantrags gestellt ist (vgl. hierzu nur Sodan/Ziekow, VwGO, 5. Auflage 2018, § 44, Rn. 6), d.h. die Rechtshängigkeit des Hilfsantrags auflösend bedingt ist durch den Misserfolg des Hauptantrags. Dabei setzt die Zulässigkeit des Eventual-Antrags voraus, dass dieser im (rechtlichen oder tatsächlichen) Zusammenhang mit dem Hauptantrag steht (Sodan/Ziekow, VwGO, 5. Auflage, § 44, Rn. 17; Eyermann/Rennert, 15. Auflage 2019, VwGO § 44 Rn. 9).

Ein rechtlicher Zusammenhang zwischen der Nebenbestimmung der Baugenehmigung vom 03.12.2015 für eine Kindertagesstätte im Geltungsbereich des Bebauungsplans Nr. I. und dem beantragten feststellenden Bauvorbescheid für Vorhaben im Geltungsbereich des Bebauungsplans Nr. J. ist anzunehmen, da die hamstergerecht zu bewirtschaftende Ausgleichsfläche für die Kita im Geltungsbereich des Bebauungsplans Nr. J. liegt. Allerdings ist über den Klageantrag zu 2.) bereits deshalb nicht (mehr) zu entscheiden, weil der Klagantrag zu 1.) keinen Erfolg hat und nur im Fall eines Erfolgs des Antrags über den Antrag zu 2.) zu entscheiden gewesen wäre.

3.) Auch der Klageantrag zu 3.) hat im Ergebnis keinen Erfolg. Die Klägerin begehrt die Abänderung der ihr erteilten Baugenehmigung dahingehend, dass anstelle des abgeschlossenen Bewirtschaftungsvertrags für die Ausgleichsfläche für Feldhamster eine Umsiedlung der Hamster auf Flächen östlich der B 3 entsprechend des vorgelegten Konzepts erfolgt.

Zwar sieht die Baugenehmigung vom 03.12.2015 ausdrücklich die Möglichkeit vor, dass ein Antrag auf Änderung der Baugenehmigung gestellt werden kann, sofern sich - bedingt durch die Änderung der betreffenden Rahmenbedingungen, die abhängig von der Konkretisierung und Umsetzung des Konzepts für den Feldhamster in der Bauleitplanung sind - das Erfordernis des Bewirtschaftungsvertrags erübrigt.

Allerdings erfüllt das von der Klägerin vorgelegte Konzept zur Hamsterumsiedlung nicht die Voraussetzungen einer Freistellung des Vorhabens von den artenschutzrechtlichen Zugriffsverboten, so dass die Klägerin keinen Anspruch auf Ersetzung der bisherigen Nebenbestimmung durch eine auf die Umsetzung des Hamsterumsiedlungskonzepts gerichtete Nebenbestimmung hat.

Nach § 44 Abs. 1 Nr. 1 BNatSchG ist es verboten, wild lebenden Tiere der besonders geschützten Arten nachzustellen, sie zu fangen, zu verletzen oder zu töten; nach Nr. 3 BNatSchG ist es verboten, Fortpflanzungs- oder Ruhestätten der wild lebenden Tier der besonders geschützten Arten aus der Natur zu entnehmen, zu beschädigen oder zu zerstören. Beim Feldhamster (Cricetus cricetus) handelt es sich um eine besonders geschützte Art gemäß § 7 Abs. 2 Nr. 13 b) aa) BNatSchG i. V. m. dem Anhang IV der Richtlinie 92/43/EWG, auf den diese artenschutzrechtlichen Zugriffsverbote Anwendung finden.

Durch die Nebenbestimmung Nr. 3 zur Baugenehmigung für die Kita vom 03.12.2015, derzufolge eine 1.715 qm große Ausgleichsfläche für die Errichtung der Kita herzustellen und durch einen feldhamstergerechten Bewirtschaftungsvertrag auf dem Flurstück K. der Flur 3 Gemarkung Pattensen dauerhaft zu erhalten ist, ist das Vorhaben (Errichtung einer Kita) vom Zerstörungsverbot des § 44 Abs. 1 Nr. 3 i.V.m. Abs. 5 Satz 2 Nr. 3 BNatSchG freigestellt, da im unmittelbaren räumlichen Bereich des Feldhamstervorkommens (im B-Plangebiet Nr. J.) eine hamstergerechte Ausgleichsfläche für dessen Fortpflanzungs- und Ruhestätten geschaffen worden ist.

Demgegenüber verstoßen die im Konzept zur beabsichtigten Hamsterumsiedlung genannten Maßnahmen (Einfangen und Umsetzen der Hamster auf eine Fläche östlich der B 3, mit der Absicht, eine bauliche Nutzbarkeit der Flächen im Gebiet des B-Plans Nr. J. zu ermöglichen) sowohl gegen die Zugriffsverbote des § 44 Abs. 1 Nr. 1 als auch des § 44 Abs. 1 Nr. 3 BNatSchG, da der Feldhamster entgegen Nr. 1 gefangen wird und entgegen Nr. 3 auch seine Fortpflanzungs- und Ruhestätten (infolge der beabsichtigten Bebauung) beschädigt oder zerstört werden, ohne dass jedenfalls die Voraussetzungen für eine Freistellung von dem artenschutzrechtlichen Zugriffsverbot des $ 44 Abs. 1 Nr. 3 BNatSchG erfüllt sind.

Nach § 44 Abs. 5 Satz 2 BNatSchG gilt für die Freistellung von Vorhaben folgende Regelung:

„Sind in Anhang IV Buchstabe a der Richtlinie 92/43/EWG aufgeführte Tierarten, europäische Vogelarten oder solche Arten betroffen, die in einer Rechtsverordnung nach § 54 Absatz 1 Nummer 2 aufgeführt sind, liegt ein Verstoß gegen
1. das Tötungs- und Verletzungsverbot nach Absatz 1 Nummer 1 nicht vor, wenn die Beeinträchtigung durch den Eingriff oder das Vorhaben das Tötungs- und Verletzungsrisiko für Exemplare der betroffenen Arten nicht signifikant erhöht und diese Beeinträchtigung bei Anwendung der gebotenen, fachlich anerkannten Schutzmaßnahmen nicht vermieden werden kann,
2. das Verbot des Nachstellens und Fangens wild lebender Tiere und der Entnahme, Beschädigung oder Zerstörung ihrer Entwicklungsformen nach Absatz 1 Nummer 1 nicht vor, wenn die Tiere oder ihre Entwicklungsformen im Rahmen einer erforderlichen Maßnahme, die auf den Schutz der Tiere vor Tötung oder Verletzung oder ihrer Entwicklungsformen vor Entnahme, Beschädigung oder Zerstörung und die Erhaltung der ökologischen Funktion der Fortpflanzungs- oder Ruhestätten im räumlichen Zusammenhang gerichtet ist, beeinträchtigt werden und diese Beeinträchtigungen unvermeidbar sind,
3. das Verbot nach Absatz 1 Nummer 3 nicht vor, wenn die ökologische Funktion der von dem Eingriff oder Vorhaben betroffenen Fortpflanzungs- und Ruhestätten im räumlichen Zusammenhang weiterhin erfüllt wird.

Soweit erforderlich, können auch vorgezogene Ausgleichsmaßnahmen vereinbart werden.“

Die Freistellung vom Verbot nach § 44 Abs. 1 Nr. 3 i.V.m. Abs. 5 Satz 2 Nr. 3 BNatSchG setzt damit voraus, dass die ökologische Funktion der von dem Vorhaben betroffenen Fortpflanzungs- und Ruhestätten im räumlichen Zusammenhang weiterhin erfüllt wird. Für diese naturschutzfachliche Einschätzung steht der zuständigen Behörde ein Beurteilungsspielraum zu, der nur eingeschränkt überprüfbar ist. Die gerichtliche Kontrolle ist darauf beschränkt, ob die Einschätzungen der zuständigen Behörde im konkreten Einzelfall naturschutzfachlich vertretbar sind und nicht auf einem unzulänglichen oder gar ungeeigneten Bewertungsverfahren beruhen (BVerwG, Urt. v. 28.03.2013 - BVerwG 9 A 22.11 - BVerwGE 146, 145 Rn. 114 und v. 06.11.2012 - BVerwG 9 A 17.11 - BVerwGE 145, 40 Rn. 100).

Die untere Naturschutzbehörde hat mit Stellungnahme vom 01.11.2016 im Verwaltungsverfahren ausgeführt, dass es am erforderlichen räumlichen Zusammenhang angesichts der Entfernung von rund 8 km zwischen Eingriffs- und Maßnahmenfläche (und der dazwischenliegenden B 3) fehle. Die Notwendigkeit von Fang und Umsiedlung zeige, dass eine Freistellung nach § 44 Abs. 5 BNatSchG gerade nicht möglich sei.

Die Kammer sieht keinen Anlass, diese fachlich nachvollziehbare Einschätzung der unteren Naturschutzbehörde in Zweifel zu ziehen. Das Gesetz geht dem Wortlaut nach davon aus, dass eine Freistellung von den Verboten des § 44 Abs. 1 Nr. 3 BNatSchG nur unter bestimmten Voraussetzungen möglich ist, nämlich wenn die Ausgleichsfläche im räumlichen Zusammenhang mit den Fortpflanzungs- und Ruhestätten steht, die durch das Vorhaben zerstört werden. Das kann im Einzelfall dann gegeben sein, wenn in der Umgebung im ausreichenden Umfang und in entsprechender Güte geeignete Ersatzhabitate gelegen sind, bei denen dann davon ausgegangen werden kann, dass sie von der lokalen Population angenommen werden (Heugel in: Lütkes/Ewer, BNatSchG, 2. Auflage, § 44, Rn. 49). Der Begriff des räumlichen Zusammenhangs hebt dabei auf die artspezifischen Vernetzungsdistanzen ab; etwaige Ersatzlebensräume müssen sich innerhalb des Aktionsradius der betroffenen Individuen befinden (Lau, in: Frenz/Müggendorf, BNatSchG, Aufl. 16, § 44, Rn. 48, zitiert nach juris).

Angesichts der Tatsache, dass die Ersatzhabitate in ca. 8 km Entfernung östlich der B 3 entstehen sollen, fehlt es an diesem räumlichen Zusammenhang, so dass eine Freistellung nicht möglich ist. Dabei berücksichtigt die Kammer zum einen, dass der durchschnittliche Aktivitätsradius bei männlichen Feldhamster bei max. 500 Metern und für weibliche Feldhamster bei etwa 200 Metern liegt und demzufolge bei einem Abstand von 8000 Metern eine Vernetzung mit dem bisherigen Lebensraum ausscheiden muss. Zum anderen führt auch die – nach den unwidersprochen gebliebenen Ausführungen der Beklagten – hohe Verkehrsdichte auf der B 3 dazu, dass die Straße eine unüberwindbare Grenze innerhalb des Lebensraums bildet und ein genetischer Austausch der vormals zusammengehörigen Population nicht mehr möglich ist.

Keine andere Bewertung ergibt sich, soweit man die Umsiedlungsmaßnahme als vorgezogene Ausgleichsmaßnahme nach § 44 Abs. 5 Satz 3 BNatSchG ansehen würde. Diese Vorschrift knüpft an die zu Art. 12 Abs.1 lit d Flora-Fauna-Habitat-RL entwickelten sog. „CEF-Maßnahmen“ an, Maßnahmen zur Sicherung der kontinuierlichen ökologischen Funktionalität von Fortpflanzungs- und Ruhestätten („funktionserhaltende Maßnahmen“), die als vorbeugende, schadensbegrenzende Maßnahmen „auf eine Minimierung, wenn nicht gar die Beseitigung der negativen Auswirkungen einer Tätigkeit abzielen“ (so Leitfaden zum strengen Schutzsystem für Tierarten von gemeinschaftlichem Interesse im Rahmen der Flora-Fauna-Habitat-RL 92/43/EWG, 2007, 53, II.3.4.d, Tz. 74). Darüber hinaus könnten derartige Maßnahmen aber auch zur Verbesserung oder zum Management einer Fortpflanzungs- oder Ruhestätte beitragen; als Beispiele werden die Erweiterung einer entsprechenden Stätte oder die Schaffung neuer Habitate, zumindest „in direkter funktioneller Verbindung zu einer Fortpflanzungs- oder Ruhestätte“ genannt (Leitfaden zum strengen Schutzsystem für Tierarten von gemeinschaftlichem Interesse im Rahmen der Flora-Fauna-Habitat-RL 92/43/EWG, 2007, 53, II.3.4.d, Tz. 74). Entscheidend ist die Wahrung oder gar Verbesserung der ökologischen Funktionalität der geschützten Stätte, die die Prüfung einer Ausnahme nach Art. 16 der Flora-Fauna-Habitat-RL entbehrlich machen (Leitfaden zum strengen Schutzsystem für Tierarten von gemeinschaftlichem Interesse im Rahmen der Flora-Fauna-Habitat-RL 92/43/EWG, 2007, 53, II.3.4.d, Tz. 75; zitiert nach BeckOK UmweltR/Gläß BNatSchG § 44 Rn. 73).

Auch insoweit ist jedenfalls ein funktioneller Zusammenhang bzw. ein räumlicher Zusammenhang im Sinne von § 44 Abs. 5 Satz 2 zum bisherigen Fortpflanzungs- und Ruhestättenbereich erforderlich (Lau, in: Frenz/Müggendorf, BNatSchG, Aufl. 16, § 44, Rn. 51, zitiert nach juris), der nach den obigen Ausführungen hier fehlt.

Ob darüber hinaus eine Sicherung der östlich der B 3 vorgesehenen Ausgleichsflächen für einen Zeitraum von 15 Jahren über einen Pachtvertrag (zeitlich) ausreichend sein kann, um von einer dauerhaften Sicherung dieser Flächen ausgehen zu können, muss das Gericht daher nicht mehr entscheiden. Auch die Frage, ob das zur Entscheidung gestellte Vorhaben die Vorrausetzungen für eine Ausnahmegenehmigung nach § 45 Abs. 7 BNatSchG erfüllt, stellt sich angesichts des bereits im Verwaltungsverfahren auf die Feststellung einer Freistellung von den Zugriffsverboten beschränkten Antrags im gerichtlichen Verfahren nicht.

Die Kostenentscheidung folgt aus § 154 Abs. 1 VwGO. Die Entscheidung über die vorläufige Vollstreckbarkeit beruht auf § 167 VwGO in Verbindung mit § 708 Nr. 11 und § 711 Satz 1 und 2 ZPO.