Oberlandesgericht Oldenburg
Beschl. v. 29.10.2010, Az.: 5 W 66/10

Voraussetzungen der Geltendmachung der Geschäftsgebühr bei Abschluss eines Prozessvergleichs

Bibliographie

Gericht
OLG Oldenburg
Datum
29.10.2010
Aktenzeichen
5 W 66/10
Entscheidungsform
Beschluss
Referenz
WKRS 2010, 29041
Entscheidungsname
[keine Angabe]
ECLI
ECLI:DE:OLGOL:2010:1029.5W66.10.0A

Verfahrensgang

vorgehend
LG Oldenburg - 13.08.2010 - AZ: 8 O 3385/08

Fundstellen

  • AGS 2011, 42-44
  • AnwBl 2011, 228-229
  • JurBüro 2011, 85-86
  • MDR 2011, 394-395
  • RVGreport 2011, 67-68

Amtlicher Leitsatz

Ein Prozessvergleich, in dem keine ausdrückliche Regelung zur Abgeltung der Geschäftsgebühr getroffen wird, stellt weder eine Erfüllung noch einen Vollstreckungstitel im Sinne von § 15 a RVG dar.

In dem Rechtsstreit

1. P...H... O..., vertreten durch den Geschäftsführer S..., ...

2. Dr. med. F. J. D..., ...

3. Herr K..., ...

Beklagte und Beschwerdeführer,

Prozessbevollmächtigte zu 1, 2 und 3:

Rechtsanwältinnen und Rechtsanwälte ...

gegen

J... B..., ...

Klägerin,

Prozessbevollmächtigter:

Rechtsanwalt ...

Beschwerdegegner,

hat der 5. Zivilsenat des Oberlandesgerichts Oldenburg durch den Richter am Oberlandesgericht ... als Einzelrichter am

29. Oktober 2010

beschlossen:

Tenor:

Die sofortige Beschwerde der Beklagten gegen den Kostenfestsetzungsbeschluss des Landgerichts Oldenburg vom 13. August 2010 wird zurückgewiesen.

Die Kosten des Beschwerdeverfahrens haben die Beklagten als Gesamtschuldner zu tragen.

Der Beschwerdewert wird auf bis zu 600,00 € festgesetzt.

Gründe

1

I. Die Klägerin hat die Beklagten vor dem Landgericht Oldenburg wegen einer angeblich fehlerhaften ärztlichen Behandlung auf Schadensersatz in Anspruch genommen. Im Dezember 2008 hat sie für den Rechtsstreit Prozesskostenhilfe unter Beiordnung von Rechtsanwalt ... beantragt. Die nach Bewilligung von Prozesskostenhilfe zugestellte Klage enthält die Anträge, die Beklagten als Gesamtschuldner zu verurteilen, an die Klägerin ein angemessenes Schmerzensgeld - mindestens jedoch 10.000,00 € - nebst Zinsen zu zahlen und festzustellen, dass die Beklagten als Gesamtschuldner verpflichtet sind, ihr "sämtliche materiellen und immateriellen Schäden zu ersetzen", die ihr aus der behaupteten fehlerhaften ärztlichen Behandlung "entstanden sind oder noch entstehen werden, soweit diese Ansprüche nicht auf Sozialversicherungsträger oder sonstige Dritte übergegangen sind".

2

Am 29. Januar 2010 haben die Parteien vor dem Landgericht einen Prozessvergleich geschlossen. Darin haben die Beklagten zu 1) und 2) sich als Gesamtschuldner verpflichtet, an die Klägerin "zur Abgeltung der [...] geltend gemachten Forderungen im Zusammenhang mit der Operation vom 5.1.2005" einen Betrag in Höhe von 12.000,00 € zu zahlen. Weiter wurde vereinbart, dass damit "alle evtl. Ansprüche aus dieser Operation vom 5.1.2005 und der entsprechenden Behandlung" erledigt seien, "auch insoweit wie sie noch nicht erkennbar geworden sind oder in Zukunft erst auftreten". Die Kosten des Rechtsstreits und des Vergleichs haben die Beklagten zu 1) bis 3) als Gesamtschuldner zu 2/3 und die Klägerin zu 1/3 übernommen.

3

In der Folge hat Rechtsanwalt ...i gemäß § 126 Abs. 1 ZPO beantragt, die Kosten gegen die Beklagten festzusetzen. Dabei hat er anfänglich - unter anderem - eine 1,3Geschäftsgebühr gemäß Nr. 2300 VVRVG und eine um die hälftige Geschäftsgebühr verringerte 1,3Verfahrensgebühr gemäß Nr. 3100 VVRVG in Ansatz gebracht. Nachdem die Beklagten darauf hingewiesen hatten, dass außergerichtlich entstandene Gebühren nicht festsetzungsfähig seien, hat er den Antrag auf Festsetzung der Geschäftsgebühr zurückgenommen und stattdessen eine 1,3Verfahrensgebühr in voller Höhe geltend gemacht.

4

Diesen Ansatz hat die Rechtspflegerin in ihren Kostenfestsetzungsbeschluss vom 13. August 2010 übernommen.

5

Dagegen haben die Beklagten sofortige Beschwerde erhoben. Sie nehmen den Standpunkt ein, dass auf die Verfahrensgebühr eine 0,65Geschäftsgebühr nebst anteiliger Mehrwertsteuer hätte angerechnet werden müssen. Die Rechtspflegerin hat der Beschwerde nicht abgeholfen und die Sache dem Oberlandesgericht zur Entscheidung vorgelegt.

6

II. Die sofortige Beschwerde ist gemäß § 11 Abs. 1 RpflG, §§ 104 Abs. 3 Satz 1, 567 Abs. 2, 569 ZPO zulässig. Da sie darauf abzielt, die Kostenlast der Beklagten zu verringern, wertet der Senat sie - trotz des nicht eindeutigen Wortlauts der Beschwerdeschrift - als ein namens und in Vollmacht der Beklagten eingelegtes Rechtsmittel.

7

III. In der Sache musste der sofortigen Beschwerde der Erfolg versagt bleiben. Die Rechtspflegerin hat es zu Recht abgelehnt, bei der Festsetzung der von den Beklagten zu erstattenden Kosten die Geschäftsgebühr hälftig auf die Verfahrensgebühr des streitigen Verfahrens anzurechnen.

8

1. Maßgebend ist § 15a RVG. Diese Regelung ist zwar erst in Kraft getreten, nachdem die Klägerin ihren Bevollmächtigten bereits beauftragt hatte, nämlich am 5. August 2009. Doch stellt § 15a RVG eine bloße Klarstellung der schon zuvor bestehenden Rechtslage dar und findet deshalb auch Anwendung, wenn die Auftragserteilung des Erstattungsberechtigten an seinen Prozess beziehungsweise Verfahrensbevollmächtigten vor dem 5. August 2009 erfolgt war (vgl. BGH, Beschluss vom 03.02.2010, Az.: XII ZB 177/09, JurBüro 2010, S. 420. Beschluss vom 17.06.2010, Az.: V ZB 176/09, AGS 2010, S. 459 f., jeweils mit w. N.).

9

2. Die Vorschrift des § 15a RVG behandelt in ihrem Absatz 1 lediglich das Innenverhältnis des Rechtsanwalts zu seinem Auftraggeber. Prinzipiell wirkt sich daher die Anrechnung gemäß Vorbemerkung 3 Absatz 4 VVRVG im Verhältnis zu Dritten, also insbesondere im Kostenfestsetzungsverfahren, nicht aus.

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Diesen Grundsatz schränkt § 15a Abs. 2 RVG unter bestimmten - abschließend beschriebenen - Voraussetzungen ein, um im Außenverhältnis sicherzustellen, dass ein Dritter nicht über den Betrag hinaus auf Ersatz und Erstattung in Anspruch genommen werden kann, den der Anwalt von seinem Mandanten verlangen kann (vgl. BGH, Beschluss vom 02.09.2009, Az.: II ZB 35/07, NJW 2009, S. 3101, 3102 m. w. N.). Vorgesehen ist eine Anrechnung nur, soweit der Dritte den Anspruch auf eine der beiden Gebühren erfüllt hat, wegen einer dieser Ansprüche gegen ihn ein Vollstreckungstitel besteht oder beide Gebühren in demselben Verfahren gegen ihn geltend gemacht werden.

11

3. Die vorliegende Konstellation unterfällt keiner dieser drei Fallgruppen:

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a) Dass die Beklagten die im Streit befindliche Geschäftsgebühr gezahlt haben, ist weder vorgetragen noch sonst ersichtlich. Ebenso wenig lässt sich der zwischen den Parteien zustande gekommene Vergleich als Erfüllung qualifizieren. Zwar hat das Oberlandesgericht Stuttgart es für möglich gehalten, einen Vergleich "zumindest" als Annahme an Erfüllung statt (§ 364 Abs. 1 BGB) einzuordnen mit der Folge, dass § 15a Abs. 2 RVG eingreift (vgl. Beschluss vom 16.07.2010, Az.: 8 W 317/10, AnwBl. 2010, S. 723). Doch ging es dabei um eine Vereinbarung, in der es heißt, die "außergerichtlichen Geschäftsgebühren" seien "von dem [...] Vergleich umfasst und abgegolten".

13

Ob dieser Wortlaut, auf den das Oberlandesgericht Stuttgart sich ausdrücklich gestützt hat, tatsächlich die Annahme einer Erfüllung im Sinne des § 15a Abs. 2 RVG rechtfertigt (ablehnend OLG Celle, Beschluss vom 29.09.2010, Az.: 2 W 266/10, Tz. 29 ff., zitiert nach juris), kann hier dahingestellt bleiben. In dem vorliegenden Rechtsstreit ist die fragliche Geschäftsgebühr weder in der Klageschrift noch in dem geschlossenen Vergleich explizit angesprochen. Jedenfalls unter diesen Umständen lässt sich eine Erfüllung nicht bejahen. Wie auch das Oberlandesgericht Stuttgart konzediert, kann derart allgemein gehaltenen Erledigungsklauseln schon nicht entnommen werden, ob von einer Erfüllung des Anspruchs oder von einem Verzicht auf ihn auszugehen ist.

14

b) Entgegen der Auffassung der Beklagten kann in dem Vergleich auch keine Titulierung der vorgerichtlich entstandenen Geschäftsgebühr erblickt werden.

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aa) Zutreffender Ansicht nach bildet ein Prozessvergleich selbst dann keinen auf die Geschäftsgebühr bezogenen Vollstreckungstitel, wenn diese Gebühr ausdrücklich zum Gegenstand des Rechtsstreits gemacht worden ist, es sei denn, der Vergleich verhält sich unmissverständlich dazu, in welcher Höhe die Geschäftsgebühr mit abgegolten werden soll (vgl. OLG Celle, Beschluss vom 29.09.2010, Az.: 2 W 266/10, Tz. 26 f., zitiert nach juris m. w. N.. OLG München, Beschluss vom 13.10.2009, Az.: 11 W 2244/09, JurBüro 2010, S. 23, 24. OLG Naumburg, Beschluss vom 18.02.2010, Az.: 2 W 5/10, JurBüro 2010, S. 298, 299. a. A. OLG Saarbrücken, Beschluss vom 04.01.2010, Az.: 9 W 338/09, JurBüro 2010, S. 194, 195 mit Blick auf eine Gestaltung, in der mit der Klage ausdrücklich auch die Geschäftsgebühr als Nebenforderung geltend gemacht worden war).

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bb) In dem vorliegenden Fall ist - wie gesagt - noch nicht einmal eindeutig erkennbar, dass die Klage und der Vergleich sich überhaupt auf die Geschäftsgebühr beziehen. Erst recht ist dem Vergleich nicht zu entnehmen, in welcher Höhe die Geschäftsgebühr mit abgegolten werden soll.

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Schon die Formulierung des § 15a Abs. 2 RVG ("soweit [...] wegen einer dieser Ansprüche ein Vollstreckungstitel besteht") zeigt aber, dass der Titel die Geschäftsgebühr als eigenen bezifferten Gegenstand ausweisen muss. Nur dann kann konkret festgestellt werden, in welcher Höhe die Geschäftsgebühr auf die entstandene Verfahrensgebühr anzurechnen ist (vgl. OLG Celle, Beschluss vom 29.09.2010, Az.: 2 W 66/10, Tz. 28, zitiert nach juris).

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c) Schließlich scheidet auch die dritte Variante des § 15a Abs. 2 RVG aus. Wie die Rechtspflegerin zutreffend ausgeführt hat, werden die Geschäftsgebühr und die Verfahrensgebühr, auf die die Beschwerde sich bezieht, nicht (mehr) in demselben Verfahren geltend gemacht. Ob die Geschäftsgebühr Gegenstand des Hauptsacheverfahrens war oder nicht, ist in Gestaltungen der vorliegenden Art unerheblich. Denn dasselbe Verfahren im Sinne des § 15a Abs. 2 RVG wird nicht bereits dadurch begründet, dass im Erkenntnisverfahren eine Geschäftsgebühr klageweise geltend gemacht worden ist und sodann im nachfolgenden Kostenfestsetzungsverfahren die Verfahrensgebühr in Ansatz gebracht wird (vgl. OLG Celle, Beschluss vom 29.09.2010, Az.: 2 W 266/10, Tz. 34 ff., zitiert nach juris. OLG München, Beschluss vom 13.10.2009, Az.: 11 W 2244/09, JurBüro 2010, S. 23, 24[OLG München 13.10.2009 - 11 W 2244/09]).

19

IV. Die Kostenentscheidung folgt aus §§ 97 Abs. 1, 100 Abs. 4 ZPO.