Oberlandesgericht Oldenburg
Beschl. v. 08.11.2010, Az.: 5 U 89/10

Haftung des Krankenhausträgers für Fehleinschätzungen des Belegarztes hinsichtlich der erforderlichen Ausstattung für zu erwartende ärztliche Behandlungsmaßnahmen in der Geburtshilfe

Bibliographie

Gericht
OLG Oldenburg
Datum
08.11.2010
Aktenzeichen
5 U 89/10
Entscheidungsform
Beschluss
Referenz
WKRS 2010, 30865
Entscheidungsname
[keine Angabe]
ECLI
ECLI:DE:OLGOL:2010:1108.5U89.10.0A

Verfahrensgang

vorgehend
LG Aurich - AZ: 2 O 350/05

Fundstellen

  • ArztR 2011, 219
  • GesR 2011, 158-159
  • MDR 2011, 361-362
  • MedR 2011, 592-594
  • VersR 2011, 1401

Amtlicher Leitsatz

Die Entscheidung, ob die Ausstattung eines Belegkrankenhauses ausreicht, um die nach der Eingangsdiagnose zu erwartenden ärztlichen Behandlungsmaßnahmen bewältigen zu können, hier Aufnahme einer Schwangeren oder Überweisung in ein Perinatalzentrum, obliegt allein dem Belegarzt. Für dessen Fehlbeurteilung haftet der Krankenhausträger weder nach § 278 BGB noch nach § 831 BGB.

In dem Rechtsstreit

K... J... B..., geb. am ...2002,

vertreten durch die Eltern

Frau M... B...,

und

Herrn S... B...,

Kläger und Berufungskläger,

Prozessbevollmächtigte:

Rechtsanwälte ...

gegen

1. Krankenhaus R..., vertreten durch den Geschäftsführer ..., ...

2. Dr. C... H...,

Beklagte und Berufungsbeklagte,

Prozessbevollmächtigte zu 1, 2:

Rechtsanwälte ...

hat der 5. Zivilsenat des Oberlandesgerichts Oldenburg durch den Vorsitzenden Richter am Oberlandesgericht ..., den Richter am Landgericht ... und den Richter am Oberlandesgericht ...

am 8. November 2010

beschlossen:

Tenor:

I. Der Senat beabsichtigt, die Berufung durch nicht anfechtbaren einstimmigen Beschluss nach § 522 Abs. 2 ZPO zurückzuweisen, soweit sie sich dagegen wendet, dass die Klage gegen die Beklagte zu 1) abgewiesen worden ist.

Es besteht Gelegenheit zur Stellungnahme zu diesem Hinweisbeschluss und Entscheidung über die Aufrechterhaltung der Berufung unter Kostengesichtspunkten binnen zwei Wochen nach Zustellung des Beschlusses.

II. Der Senat lässt sich bei seiner Absicht, nach § 522 Abs. 2 ZPO zu verfahren, von folgenden Überlegungen leiten:

Die Rechtssache hat weder grundsätzliche Bedeutung noch erfordert die Fortbildung des Rechts oder die Sicherung einer einheitlichen Rechtsprechung eine Entscheidung des Berufungsgerichts durch Urteil.

Die Berufung hat auch keine Aussicht auf Erfolg.

Die Klägerin nimmt die Beklagten wegen angeblicher Behandlungsfehler im Zusammenhang mit ihrer Geburt in Anspruch. Der Beklagten zu 1) wirft sie vor, ihre Mutter am 18.05.2002 stationär aufgenommen zu haben, obwohl eine zureichende medizinische Betreuung der erkennbar risikobehafteten Schwangerschaft im Hause der Beklagten nicht gewährleistet gewesen sei. Die Beklagte habe durch geeignete organisatorische Maßnahmen die Aufnahme der Kindesmutter verhindern oder zumindest deren umgehende Verlegung in ein Perinatalzentrum sicherstellen müssen. In Folge der auch von der Beklagten zu 1) zu vertretenden Frühgeburt in der rechnerisch 24. + 5 SSW habe sie unter anderem an einer bronchopulmonalen Dysplasie sowie einer Retinopahia praematurorum gelitten. Erst im Dezember 2002 habe sie nach Hause entlassen werden können. Noch heute seien bei ihr deutliche Entwicklungsverzögerungen feststellbar.

Das Landgericht hat die auf Schmerzensgeld und Feststellung der Ersatzpflicht der Beklagten gerichtete Klage abgewiesen. Zur Begründung hat es ausgeführt, die Beklagte zu 1) sei zu keinen organisatorischen Maßnahmen verpflichtet gewesen, die eine Aufnahme der Mutter der Klägerin verhindert hätten. Sämtliche Aufnahmeindikationen durch einen angestellten Arzt prüfen zu lassen, sei nicht geboten und übersteige das Maß des Zumutbaren.

Dagegen wendet sich die Klägerin mit ihrer Berufung. Sie vertritt weiterhin die Auffassung, die Beklagte zu 1) habe durch eine Dienstanweisung an die Beklagte zu 2) sicherstellen müssen, dass keine Hochrisikoschwangeren aufgenommen würden. Die Beklagte zu 1) sei daher antragsgemäß zu verurteilen.

Dem vermag sich der Senat nicht anzuschließen. Die Entscheidung des Landgerichts erweist sich auch unter Berücksichtigung des Berufungsvorbringens als zutreffend. Weder hat die Beklagte zu 1) vertragliche Pflichten verletzt, noch haftet sie der Klägerin nach deliktsrechtlichen Vorschriften.

Der Beklagten zu 1) ist nicht vorzuwerfen, dass die Aufnahme der Kindesmutter bzw. ihr Verbleib in der Klinik R... möglicherweise aus medizinischer Sicht fehlerhaft war. Die Entscheidung, ob eine Aufnahme und ein Verbleib der Kindesmutter in der von der Beklagten zu 1) betriebenen Klinik verantwortet werden konnte, oblag nach den zwischen den Parteien getroffenen Absprachen der Beklagten zu 2). Die Beklagte zu 1) hat insoweit keine eigenen Pflichten verletzt. Für eine etwaige Fehlentscheidung der Beklagten zu 2) haftet sie nicht.

Zwischen der Mutter der Klägerin und der Beklagten zu 1) bestand ein sog. ´gespaltener ArztKrankenhausVertrag´, in dessen Schutzbereich die Klägerin einbezogen war. Die entsprechenden Feststellungen des Landgerichts werden von der Berufung nicht in Zweifel gezogen.

Bei einer solchen Vertragsgestaltung zeichnet grundsätzlich der Belegarzt für die ärztlichen Behandlungsleistungen verantwortlich, während der Krankenhausträger für die allgemeinen Krankenhausleistungen einzustehen hat. Zum Aufgabenkreis des Belegarztes zählt dabei namentlich die Beantwortung der Frage, ob die Ausstattung des Krankenhauses ausreicht, um die nach der Eingangsdiagnose zu erwartenden ärztlichen Behandlungsmaßnahmen bewältigen zu können (Martis/Winkhart, Arzthaftungsrecht, 3. Aufl., Rn. 180). Der Träger des Belegkrankenhauses haftet für diese Entscheidung regelmäßig nicht (aaO.).

Die Entscheidung über die Aufnahme der Kindesmutter bzw. die Notwendigkeit ihrer Verlegung fällt demnach in den belegärztlichen Leistungsbereich. Sie ist allein von der Beklagten zu 2) zu verantworten.

Ein etwaiges Fehlverhalten der Beklagten zu 2) kann der Beklagten zu 1) auch nicht gemäß § 278 BGB zugerechnet werden. Voraussetzung wäre, dass erstere im Pflichtenkreis der Beklagten zu 1), wie er durch den Inhalt des Schuldverhältnisses festgelegt ist, tätig geworden ist. Die Belegärztin wurde bei der Entscheidung über Aufnahme bzw. Verlegung der Kindesmutter jedoch gerade im eigenen Pflichtenkreis tätig. Sie war insoweit nicht Erfüllungsgehilfin der Beklagten zu 1).

Eine Verletzung vertraglicher Pflichten durch die Beklagte zu 1) ist darüber hinaus weder unter dem Gesichtspunkt der pflegerischen und medizinischen Betreuung, der Überwachung des Krankenhauspersonals noch der allgemeinen Krankenhausorganisation ersichtlich.

Mängel der Unterbringung, Verpflegung oder pflegerischen Versorgung der Kindesmutter, die in den Verantwortungsbereich der Beklagten zu 1) fallen, sind ebenso wenig ersichtlich, wie solche der Überwachung des eigenen Personals der Beklagten zu 1). Namentlich sind keine unzureichenden personellen oder apparativen Voraussetzungen der gynäkologischen Belegarztabteilung durch die Klägerin substantiiert vorgetragen worden.

Eine Pflichtverletzung wäre danach allenfalls unter dem Gesichtspunkt einer mangelnden Organisation denkbar.

Die Klägerin verweist in diesem Zusammenhang auf eine Entscheidung des Bundesgerichtshofs, wonach der Krankenhausträger im Rahmen seiner Organisationspflichten gegen eine Handhabung einzuschreiten habe, nach der der Belegarzt dem von der Klinik gestellten Pflegepersonal Aufgaben überlässt, die dessen Kompetenzen übersteigen. Derartige Umstände liegen offensichtlich nicht vor. Die Organisationspflichten des Krankenhausträgers beschränken sich jedoch nicht darauf, einer Überforderung seiner Beschäftigten durch den Arzt entgegen zu wirken hat. Sie umfassen auch die Planung und Kontrolle, generell keine Eingriffe durchzuführen bzw. durch den Belegarzt durchführen zu lassen, für die die personelle oder apparative Ausstattung nicht vorhanden ist (Martis/Winkhart, Arzthaftungsrecht, Rn. K 178).

Danach bestand möglicherweise eine Verpflichtung der Beklagten zu 1), durch geeignete Maßnahmen dafür Sorge zu tragen, dass Geburten in einem sehr frühen Schwangerschaftsstadium in der von ihr betriebenen, hierauf nicht spezialisierten Klinik vermieden und die Schwangeren dazu an besser geeignete Perinatalzentren verwiesen wurden. Voraussetzung für ein Einschreiten gegen die Aufnahme der Mutter der Klägerin wäre jedoch, dass der Beklagten zu 1) bekannt war, dass diese Aufnahme zum Zwecke der Geburt der Klägerin erfolgte oder eine Frühgeburt zumindest drohte. Dass die Beklagte zu 1) eine solche Kenntnis hatte, ist nicht ersichtlich.

Von einer Aufnahme der Kindesmutter in der Absicht, die Frühgeburt der Klägerin vorzubereiten, konnte sie schon deshalb nicht ausgehen, weil selbst die Beklagte zu 2) glaubte, die Schwangerschaft noch halten zu können. Dass die Beklagte zu 1) über bessere Erkenntnisse verfügte und ihr die mögliche Fehlerhaftigkeit dieser Erwartung der Belegärztin bewusst war, ist nicht ersichtlich.

Zu einer Überprüfung der Beurteilung durch die Beklagte zu 2) war die Beklagte zu 1) dagegen nicht verpflichtet. Damit würde letztlich, wie auch das Landgericht zutreffend ausgeführt hat, eine Verpflichtung des Krankenhauses begründet, sämtliche Aufnahmediagnosen der Belegärzte zu überprüfen. Das widerspräche der vertraglich vereinbarten Abgrenzung der jeweiligen Pflichtenkreise zwischen Arzt und Krankenhausträger beim gespaltenen ArztKrankenhausVertrag. Insoweit wird auf die obigen Ausführungen verwiesen. Die Annahme einer derartigen Verpflichtung überspannt die Anforderungen an den Krankenhausträger.

Anzuerkennen ist lediglich eine begrenzte Überwachungspflicht, die ein Einschreiten des Trägers erfordert, wenn ihm Umstände bekannt werden, welche ihn an der Zuverlässigkeit des Belegarztes zweifeln lassen (Deutsch, NJW 2000, 1745, 1747). So hat der Bundesgerichtshof in einer Entscheidung vom 7.12.2004, Az. VI ZR 212/03 ausgeführt, dass ein Klinikträger unter dem Gesichtspunkt des Organisationsfehlers haften könne, wenn er nicht sicherstelle, dass bei einem vom Pflegepersonal als fehlerhaft erkannten ärztlichen Vorgehen ein Einschreiten erfolge.

Dass eine solche Erkenntnis bei Beschäftigten der Beklagten zu 1) vorlag ist jedoch weder behauptet, noch ersichtlich. Etwaige Zweifel der Hebamme, Frau K... S..., sind der Beklagten nicht zuzurechnen, da sie lediglich Beleghebamme, also gerade nicht Angestellte der Beklagten war (vergl. Geiß/Greiner, Arzthaftungsrecht, 6. Aufl., Rn. 43). Darüber hinaus ist nicht dargelegt, dass die Hebamme vor dem Tag der Verlegung der Kindesmutter in das Perinatalzentrum des Klinikums ... das Vorgehen der Beklagten zu 2) überhaupt in Frage gestellt hätte.

Da für deliktsrechtliche Ansprüche der Klägerin die gleiche Abgrenzung der Verantwortlichkeiten zwischen der Beklagten zu 1) als der Krankenhausträgerin und der Beklagten zu 2) als der Belegärztin maßgeblich ist, scheiden auch derartige Ansprüche gegen die Beklagte zu 1) wegen Verletzung eigener Pflichten aus.

Eine Verantwortlichkeit der Beklagten zu 1) für etwaige Fehler der Beklagten zu 2) gemäß § 831 BGB besteht ebenfalls nicht, da die Belegärztin mangels Weisungsgebundenheit gegenüber dem Krankenhausträger nicht Verrichtungsgehilfin im Sinne der Vorschrift ist (Martis/Winkhart, Arzthaftungsrecht, Rn. K 199).

Es verbleibt damit bei der Klageabweisung.