Oberlandesgericht Braunschweig
Urt. v. 20.03.2024, Az.: 9 U 54/23

Anspruch auf Entschädigungszahlungen wegen Störungen der Mobiltelefonverbindung bei mehreren mit dem Mobilfunkanbieter abgeschlossenen Mobilfunkverträgen; Gesamtheit der vertraglich geschuldeten Telekommunikationsleistungen

Bibliographie

Gericht
OLG Braunschweig
Datum
20.03.2024
Aktenzeichen
9 U 54/23
Entscheidungsform
Urteil
Referenz
WKRS 2024, 13741
Entscheidungsname
[keine Angabe]
ECLI
ECLI:DE:OLGBS:2024:0320.9U54.23.00

Verfahrensgang

vorgehend
LG Göttingen - 01.09.2023 - AZ: 4 O 78/23

Amtlicher Leitsatz

  1. 1.

    "Dienst" im Sinne des § 58 Abs. 1, 3 TKG in der aktuellen Fassung vom 23. Juni 2021 bezeichnet nicht die jeweilige vertragliche Einzelleistung (wie z. B. "Telefonie über Mobilfunk"), sondern die Gesamtheit der vertraglich geschuldeten Telekommunikationsleistungen.

  2. 2.

    Ein Verbraucher kann eine pauschale Entschädigung gemäß § 58 Abs. 3 TKG nicht schon dann verlangen, wenn er störungsbedingt nur einzelne von mehreren vertraglich geschuldeten Telekommunikationsleistungen nicht nutzen kann, da es insoweit an einem "vollständigen Dienstausfall" i. S. v. § 58 Abs. 1, 3 TKG in der aktuellen Fassung vom 23. Juni 2021 fehlt.

In dem Rechtsstreit
der X. Mobilfunk[Name geändert]GmbH, vertreten durch die Geschäftsführer,
Beklagte, Berufungsklägerin und Anschlussberufungsbeklagte,
Prozessbevollmächtigte:
RAe W.,
gegen
Herrn B., ,
Kläger, Berufungsbeklagter und Anschlussberufungskläger,
Prozessbevollmächtigte:
Rechtsanwälte Dr. B.
hat das Oberlandesgericht Braunschweig - 9. Zivilsenat - durch den Vorsitzenden Richter
am Oberlandesgericht Brand, die Richterin am Oberlandesgericht Dr. Schäfer-Altmann und
die Richterin am Amtsgericht Eixner im schriftlichen Verfahren gemäß § 128 Abs. 2 ZPO auf die Schriftsätze, die bis zum 29. Februar 2024 eingereicht werden konnten, für Recht erkannt:

Tenor:

Dieses Urteil und das vorbezeichnete Urteil des Landgerichts Göttingen, soweit dieses aufrechterhalten worden ist, sind ohne Sicherheitsleistung vorläufig vollstreckbar.

Die Revision wird nicht zugelassen.

Der Streitwert des Berufungsverfahrens wird auf 7.500,00 € festgesetzt.

Gründe

I.

Der Kläger verlangt von der Beklagten eine Entschädigungszahlung nach § 58 Abs. 3 TKG wegen Störungen der Mobiltelefonverbindung bei mehreren mit der Beklagten abgeschlossenen Mobilfunkverträgen im Zeitraum von März bis einschließlich Dezember des Jahres 2022.

Der Kläger war zum Betrieb seines (ersten) Mobiltelefonanschlusses mit der Ruf-Endnummer 19 Kunde bei der Beklagten, einer Anbieterin von Mobilfunkleistungen ("Handyverträgen"). Ab dem 17.2.2022 konnte er aufgrund einer Netzstörung mit seinem Mobiltelefon in seiner Wohnung sowie in deren unmittelbarer Nähe regelmäßig nicht mehr telefonieren, an allen anderen Orten aber durchaus. Ungeachtet dieser auf diese Weise anhaltenden Störung schloss der Kläger am 13.3.2022 mit der Beklagten einen weiteren Mobilfunkvertrag zur Ruf-Endnummer 93 mit vertraglichem Beginn zum 18.3.2022. Die Störung, die sich in gleicher Weise bei dem weiteren Mobilfunkanschluss zeigte, meldete er der Beklagten am 22.3.2022. Obwohl beide Mobilfunkanschlüsse noch in seinem unmittelbaren häuslichen Umfeld gestört blieben, schloss der Kläger bei der Beklagten am 24.4.2022 noch einen zusätzlichen Mobilfunkvertrag mit der Ruf-Endnummer 95 ab. Auch bei dessen vertraglich vorgesehenem Beginn zeigte sich dieselbe Störung. Die Störung hielt bis mindestens 31.12.2022 an. Mit seiner Klage begehrt der Kläger von der Beklagten für diesen Zeitraum für jeden der drei Mobilfunkanschlüsse eine Entschädigung von jeweils 10 € pro Tag, insgesamt 7.500,00 € nebst Verzugszinsen. Wegen der weiteren Einzelheiten des Sach- und Streitstands I. Instanz und der darin gestellten Anträge wird auf den Tatbestand des landgerichtlichen Urteils (S. 2 - 5 = Bl. 811 - 814, Bd. I. d.A.) Bezug genommen.

Das Landgericht hat der Klage in Bezug auf den schon vor der Störung bestehenden Anschluss mit der Ruf-Endnummer 19 stattgegeben und die Beklagte zur Zahlung von 2.810,00 € nebst Zinsen verurteilt.

Der Anspruch folge aus § 58 Abs. 1, 3 TKG. Es liege eine Störung im Sinne der Vorschrift vor. Zwar habe die Beklagte den vom Kläger behaupteten Ausfall des Sendemastes an dessen Wohnort bestritten. Sie habe jedoch dargelegt, dass aufgrund wechselnder Störungen anderer Stationen die den Kläger versorgende Basisstation zeitweilig überlastet gewesen sei. Dies stelle eine Störung dar, weil die Basisstation ihre originäre Aufgabe aufgrund der Auslastung nicht mehr habe erfüllen können. Die insoweit mindestens sekundär darlegungspflichtige Beklagte habe keine weiteren Angaben dazu gemacht, aus welchem Grund und in welchem Zeitraum die Störungen der anderen Stationen bestanden haben. Deshalb sei davon auszugehen, dass die Störung über den gesamten Zeitraum angedauert habe.

Die Störung habe einen vollständigen Ausfall des Dienstes bewirkt. Dienst sei der vertraglich mit dem Verbraucher vereinbarte Telekommunikationsdienst. Zwar könne der Telekommunikationsdienst aus einem Bündel von Leistungen, wie Anschluss, Telefonie, Datenübertragung und SMS bestehen. Dies bedeute aber nicht, dass ein vollständiger Ausfall nur anzunehmen wäre, wenn alle in einem Vertrag geschuldeten Leistungen nicht mehr möglich seien. Nach der Legaldefinition in § 3 Nr. 61 TKG seien Telekommunikationsdienste in der Regel gegen Entgelt über Telekommunikationsnetze erbrachte Dienste, die Internetzugangsdienste, interpersonelle Telekommunikationsdienste und Dienste, die ganz oder überwiegend in der Übertragung von Signalen bestehen, umfassen. Gemessen daran sei der Telekommunikationsdienst nicht die Gesamtheit der vertraglich geschuldeten Leistungen, sondern die jeweilige einzelne vertraglich vereinbarte Leistung. Auch die Möglichkeit, bei Abschluss eines Mobilfunkvertrages Datenoptionen und Telefonie separat zu buchen, zeige, dass es sich hierbei um zwei verschiedene Dienste handele. Vorliegend sei ein vollständiger Ausfall des Dienstes "Telefonie über Mobilfunk" gegeben gewesen. Der Kläger habe im streitgegenständlichen Zeitraum in seiner Wohnung mit den genannten Telefonnummern nicht telefonieren können.

Unerheblich sei, dass der Kläger und seine Familienangehörigen außerhalb der klägerischen Wohnung telefonieren konnten. Das Wesen der Mobiltelefonie sei es, zu jeder Zeit und an jedem Ort telefonieren zu können, ohne dafür den Ort wechseln zu müssen.

Die Möglichkeit über WLAN zu telefonieren lasse den Anspruch nicht entfallen. Ein Entfall der Entschädigung sei nur denkbar, wenn der Nutzer vom Anbieter "eine im Wesentlichen gleichwertige Ersatzmöglichkeit" für die Nutzung des ausgefallenen Dienstes erhalte. Es sei gerichtsbekannt, dass die Versorgung einer Wohnung oder eines Hauses mit WLAN "nicht immer gleichmäßig und in zufriedenstellendem Maße" gelinge. Die Telefonie über WLAN, die zudem von der verfügbaren Bandbreite abhänge, stelle damit keine im Wesentlichen gleichwertige Alternative zur Mobilfunktelefonie dar.

Der Kläger könne aber nur für den von seiner Tochter genutzten Anschluss mit der Ruf-Endnummer 19 eine Entschädigung beanspruchen. Denn er habe die anderen beiden Verträge erst am 13.3.2022 und am 24.4.2022 und damit fast einen Monat bzw. mehr als zwei Monate nach dem Auftreten der Störung abgeschlossen. Es sei mit dem Sinn und Zweck der Entschädigungsregelung nicht vereinbar, wenn ein Mobilfunkkunde in dem positiven Wissen um das Bestehen einer längerfristigen Störung einen Mobilfunkvertrag abschließe und im Anschluss eine Entschädigung erlange. Der Kläger habe sich daher treuwidrig im Sinne von § 242 BGB verhalten.

Gegen dieses ihrem Prozessbevollmächtigten am 8.9.2023 zugestellte Urteil hat die Beklagte mit am 19.9.2023 eingegangenem Schriftsatz Berufung eingelegt und diese innerhalb der antragsgemäß verlängerten Begründungsfrist mit am 29.11.2023 per Telefax eingegangenem Schriftsatz begründet. Darin verfolgt die Beklagte das Ziel der Klageabweisung weiter. Sie ist der Ansicht, das Landgericht habe den Begriff des "Dienstes" im Sinne des § 58 Abs. 3 Satz 1 TKG falsch ausgelegt. Ein Entschädigungsanspruch komme nur bei gleichzeitigem Ausfall aller vertraglich vereinbarten Telekommunikationsleistungen in Betracht. Unabhängig davon stelle die Möglichkeit über WLAN zu telefonieren eine geeignete Ersatzlösung dar und lasse den Entschädigungsanspruch entfallen.

Die Beklagte beantragt,

- wie erkannt - .

Der Kläger beantragt,

die Berufung der Beklagten zurückzuweisen.

Er verteidigt das angefochtene Urteil, soweit es zu seinen Gunsten ergangen ist.

Im Übrigen ist er der Ansicht, er habe sich nicht treuwidrig verhalten. Schließlich habe die Beklagte ihn, als er mit ihr trotz der bekannten Störung zwei weitere Mobilfunkverträge abgeschlossen habe, nicht auf das Vertragsrisiko hingewiesen.

Im Wege der Anschlussberufung beantragt der Kläger,

das Urteil des Landgerichts Göttingen 01.09.2023 - 4 O 78/23 - abzuändern, soweit damit die Klage abgewiesen wurde, und die Beklagte weiter zu verurteilen, über den dem Kläger mit dem angefochtenen Urteil bereits zuerkannten Betrag hinaus einen weiteren Betrag in Höhe von 4.690,00 € nebst Zinsen hieraus in Höhe von fünf Prozentpunkten über dem jeweiligen Basiszinssatz seit Rechtshängigkeit zu zahlen.

Die Beklagte beantragt,

die Anschlussberufung zurückzuweisen.

Wegen der weiteren Einzelheiten des Berufungsvorbringens der Parteien wird auf den klägerischen Schriftsatz vom 07.11.2023 (Bl. 16 - 19, Bd. II. d.A.) sowie den Schriftsatz der Beklagten vom 29.11.2023 (Bl. 28 - 48, Bd. II. d.A.) Bezug genommen.

II.

Berufung und Anschlussberufung sind zulässig (nachfolgend zu Ziff. 1). Die Berufung ist begründet (s. u. zu Ziff. 2), die Anschlussberufung hingegen nicht (s. u. zu Ziff. 3). Gründe für die Zulassung der Revision sind nicht gegeben (s. u. zu Ziff. 4).

1.

Die Beklagte hat ihre Berufung form- und fristgerecht eingelegt und begründet, §§ 517, 519, 520 ZPO. Insbesondere ist die Ersatzübermittlung der Berufungsbegründung per Telefax wirksam, § 130d Satz 2 und 3, § 130 Nr. 6 Hs. 2 ZPO. Zwar ist die Berufungsbegründung durch einen Rechtsanwalt grundsätzlich elektronisch zu übermitteln (§ 130d Satz 1 ZPO). Die Beklagte hat jedoch entsprechend § 130d Satz 2, 3 ZPO glaubhaft gemacht, dass ihr eine elektronische Übermittlung technisch unmöglich war. Laut amtlicher Auskunft fanden am 29.11.2023 im fraglichen Zeitraum Wartungsarbeiten des IT.Niedersachsen an der virtuellen Poststelle Niedersachsen (Intermediär) statt, die den Empfang von Nachrichten per EGVP behinderten (vgl. Verfügung vom 05.12.2023, Bl. 54R, Bd. II. d.A., sowie die Kopie der amtlichen Auskunft auf Bl. 55, Bd. II. d.A.). Die Ersatzübermittlung nach den allgemeinen Vorschriften - vorliegend per Telefax unter Wiedergabe der Unterschrift in Kopie (siehe Schriftsatz vom 29.11.2023, S. 2 = Bl. 23, Bd. II. d.A.) - war damit wirksam, § 130d Satz 2, § 130 Nr. 6, Hs. 2 ZPO.

Die Anschlussberufung ist ebenfalls zulässig. Der Kläger hat sie form- und fristgerecht am 8.11.2023, mithin vor Ablauf der erst danach gesetzten Berufungserwiderungsfrist (vgl. Verfügung vom 05.12.2023 = Bl. 54, Bd. II. d.A.), eingereicht, § 524 Abs. 2 Satz 2 ZPO.

2.

Die Berufung hat in der Sache Erfolg. Der Kläger hat gegen die Beklagte unter keinem rechtlichen Gesichtspunkt einen Entschädigungsanspruch wegen der behaupteten Netzausfälle. Insbesondere ist die Auffassung des Landgerichts, dem Kläger stehe ein Entschädigungsanspruch aus § 58 Abs. 3 TKG zu, nicht frei von Rechtsfehlern.

Es fehlt an dem Tatbestandsmerkmal des "vollständigen Ausfalls des Dienstes", vgl. § 58 Abs. 3 TKG. Der "Dienst" im Sinne des § 58 Abs. 3 TKG ist der vertraglich mit dem Verbraucher vereinbarte Telekommunikationsdienst. Vollständiger Dienstausfall bedeutet die gänzliche Nichtverfügbarkeit des Dienstes. Entgegen der Ansicht des Klägers und des Landgerichts genügt es dabei nicht, wenn ein Verbraucher - wie hier - lediglich daran gehindert ist, über das vom Anbieter zur Verfügung gestellte Mobilfunknetz zu telefonieren. Kann der Verbraucher die sonstigen vertraglich vereinbarten Telekommunikationsleistungen, wie beispielsweise die Datenübertragung oder das Versenden von SMS, weiterhin nutzen, ist der "Dienst" nicht vollständig, sondern nur teilweise ausgefallen. "Dienst" im Sinne des § 58 Abs. 3 TKG bezeichnet nicht die jeweilige vertragliche Einzelleistung (wie z. B. "Telefonie über Mobilfunk"), sondern die Gesamtheit der vertraglich geschuldeten Telekommunikationsleistungen (BeckOK InfoMedienR/Kiparski, 42. Ed. 1.2.2022, TKG § 58 Rn. 33; Schuler, K&R 2023, 766, 768 [LG Göttingen 01.09.2023 - 4 O 78/23]).

a)

Bereits aus dem Wortlaut des § 58 Abs. 3 Satz 1 TKG folgt, dass für den Dienstbegriff die Gesamtheit der geschuldeten Leistungen maßgeblich ist. Erforderlich ist ein "vollständiger Ausfall des Dienstes" [Hervorhebung hier durch den Senat]. Hätte der Gesetzgeber an die jeweilige vertragliche Einzelleistung anknüpfen wollen, wäre zu erwarten gewesen, stattdessen vom "vollständigen Ausfall eines Dienstes" zu sprechen.

b)

Diese Auslegung wird auch durch die Gesetzesbegründung gestützt:

aa)

Danach bezieht sich die Regelung zur Entstörung "auf Festnetz- und Mobilfunkverträge" (BT-Drs. 19/26108, 290). Das verdeutlicht, dass Anknüpfungspunkt für den Entschädigungsanspruch nicht die jeweilige vertragliche Einzelleistung, sondern der Festnetz- bzw. Mobilfunkvertrag als solcher ist (vgl. BeckOK InfoMedienR/Kiparski, 42. Ed. 1.2.2022, TKG § 58 Rn. 33). Zwar können bei Abschluss von Mobilverträgen verschiedene Einzelleistungen auch separat gebucht werden. Dies bedeutet jedoch nicht, dass es sich hierbei um verschiedene Dienste handeln würde. Maßgeblich für die Bestimmung des vom Anbieter geschuldeten Dienstes ist allein die zwischen den Parteien bestehende vertragliche Vereinbarung. Dies gilt unabhängig davon, ob die Einzelleistungen separat oder zusammen gebucht wurden. Denn die Leistungen bilden in beiden Fällen einen einheitlichen Mobilfunkvertrag.

bb)

Die Gesetzesbegründung spricht ferner ausdrücklich davon, es bleibe dem Anbieter "zur Vermeidung langandauernder Dienstausfälle und der sich daraus ergebenden Haftungsfolgen [...] unbenommen, dem Verbraucher sinnvolle Ersatzlösungen zur Verfügung zu stellen, um ihm die Nutzung seiner Dienste ganz oder zumindest teilweise [Hervorhebung durch den Senat] zu ermöglichen" (BT-Drs. 19/26108, 291). Der Gesetzgeber geht demzufolge davon aus, dass ein Ersatzanspruch bei teilweiser Behebung des Ausfalls vollständig entfällt (vgl. BeckOK InfoMedienR/Kiparski, 42. Ed. 1.2.2022, TKG § 58 Rn. 34; Beck'scher TKG-Kommentar/Brünning, 5. Aufl., TKG § 58 Rn. 43). Anknüpfungspunkt für den Begriff des "Dienstes" kann dann aber nur die Gesamtheit der vertraglich geschuldeten Leistungen, nicht dagegen die jeweilige vertragliche Einzelleistung sein.

c)

Die Legaldefinition des Telekommunikationsdienstes in § 3 Nr. 61 TKG steht dem nicht entgegen. Anders als das Landgericht meint, sind der Begriff des Telekommunikationsdienstes in § 3 Nr. 61 TKG und der Begriff des Dienstes in § 58 Abs. 3 TKG keine Synonyme (vgl. auch Schuler, K&R 2023, 766, 768 [LG Göttingen 01.09.2023 - 4 O 78/23]). Die Legaldefinition in § 3 Nr. 61 TKG dient maßgeblich der Bestimmung des Anwendungsbereichs des TKG (§ 1 Abs. 2 TKG). Sie gilt unabhängig von konkreten vertraglichen Vereinbarungen und baut darum auf einem rein funktional-technischen Ansatz auf (vgl. BT-Drs. 19/26108, 236). Der Begriff des "Dienstes" in § 58 Abs. 3 TKG knüpft dagegen an die konkrete vertragliche Vereinbarung der Vertragsparteien an.

d)

Die Gesetzessystematik spricht ebenfalls dafür, auf die Gesamtheit der vertraglich geschuldeten Telekommunikationsleistungen abzustellen. In § 57 Abs. 4 Satz 1 TKG ist ein eigenständiges Minderungsrecht geregelt. Dieses knüpft tatbestandlich an eine vertragliche Schlechtleistung an und sichert auf Rechtsfolgenseite das Äquivalenzinteresse des Verbrauchers (vgl. BT-Drs. 19/26964, 47 f.). Dagegen beinhaltet § 58 Abs. 3 TKG eine Art gesetzlich normierte "Vertragsstrafe" (so die Gesetzesbegründung, vgl. BT-Drs. 19/26108, 291) für den Fall des vollständigen Ausfalls des Dienstes. Der Verbraucher ist im Falle von Beeinträchtigungen und Ausfällen vertraglicher Einzelleistungen über das Minderungsrecht in § 57 Abs. 4 Satz 1 TKG bereits ausreichend geschützt.

Da das Minderungsrecht zudem nicht bei jeder Schlechtleistung, sondern nur "im Falle von anhaltenden oder häufig auftretenden erheblichen Abweichungen zwischen der tatsächlichen und der im Vertrag angegeben Leistung eines Telekommunikationsdienstes" (§ 57 Abs. 4 Satz 1 Nr. 2 TKG) greift, verbliebe dem Minderungsrecht bei Zugrundelegung der landgerichtlichen Auslegung kaum ein sinnvoller Anwendungsbereich. Es ist nichts dafür erkennbar, dass der Gesetzgeber dies gewollt hat. Vielmehr hat er bewusst ein Minderungsrecht für Störungen des Äquivalenzinteresses geschaffen und den auf der Rechtsfolgenseite in der Regel deutlich intensiveren Entschädigungsanspruch aus § 58 Abs. 3 TKG nur für Fälle des vollständigen Ausfalls des vertraglich geschuldeten Leistungsbündels vorgesehen.

e)

Ferner widerspricht die von § 58 Abs. 3 Satz 2 TKG vorgesehene Rechtsfolge der landgerichtlichen Auslegung. Danach beträgt die Höhe der Entschädigung am dritten und vierten Tag 5 Euro oder 10 Prozent und ab dem fünften Tag 10 Euro oder 20 Prozent der vertraglich vereinbarten Monatsentgelte, je nach dem welcher Betrag höher ist. Unter Zugrundelegung der landgerichtlichen Auslegung müsste bei Ausfall mehrerer vertraglicher Einzelleistungen letztlich ein Entschädigungsanspruch von täglich 10 Euro pro ausgefallener Einzelleistung bestehen. Bei Ausfall von Telefonie, Datenübertragung und SMS müsste dem Verbraucher also konsequenterweise ein Entschädigungsanspruch von 30 Euro pro Tag zustehen (vgl. Schuler, K&R 2023, 766, 768 [LG Göttingen 01.09.2023 - 4 O 78/23]). Es ist indes weder dem Gesetzeswortlaut noch der Gesetzesbegründung zu entnehmen, dass der Gesetzgeber eine solche "Vervielfachung" der Haftung beabsichtigt hat.

Auch der Umstand, dass die prozentuale Entschädigung von 20 Prozent sich der Höhe nach an dem vertraglich vereinbarten Monatsentgelt und nicht an dem auf die Einzelleistung entfallenden Betrag orientiert, spricht gegen die landgerichtliche Auslegung. Fällt beispielsweise eine in ihrer Bedeutung für den Verbraucher eher untergeordnete Einzelleistung wie z. B. das Versenden von SMS aus, so wäre eine Entschädigung, die das gesamte Monatsentgelt zugrunde legt, unangemessen hoch.

f)

Eine Auslegung, die für den Dienstbegriff auf die Gesamtheit der geschuldeten Leistungen abstellt, ist auch mit Sinn und Zweck des Entschädigungsanspruchs aus § 58 Abs. 3 TKG vereinbar. Der Anspruch soll Anbietern von Telekommunikationsdiensten einen wirtschaftlichen Anreiz bieten, Störungen schnellstmöglich zu beheben. Denn laut Gesetzesbegründung sei es in der Vergangenheit zu einer Vielzahl unzureichender bzw. fehlender Bearbeitungen von Störungsmeldungen gekommen (vgl. BT-Drs. 19/26108, 290). Gleichzeitig hat der Gesetzgeber aber auch betont, dass dem Anbieter durch Schaffung sinnvoller Ersatzlösungen die Möglichkeit gegeben werden soll, Haftungsfolgen zu vermeiden (s.o.). Der Gesetzgeber hat somit einen wirtschaftlich sinnvollen Ausgleich der widerstreitenden Interessen angestrebt. Ein solcher sinnvoller Ausgleich wird gewährleistet, wenn der Verbraucher bei Ausfall von Einzelleistungen sein Minderungsrecht aus § 57 Abs. 4 TKG geltend machen und bei Totalausfall der geschuldeten Telekommunikationsleistungen über den intensiveren Entschädigungsanspruch aus § 58 Abs. 3 TKG vorgehen kann.

3.

Die Anschlussberufung ist unbegründet. Da - wie ausgeführt - die Voraussetzungen eines Anspruchs aus § 58 Abs. 3 TKG wie auch aus sonstigen Anspruchsgrundlagen bereits dem Grunde nach nicht vorliegen, ist schon deshalb auch die weitergehende Klageforderung nicht begründet.

III.

Die Kostenentscheidung ergibt sich aus § 97 Abs. 1 ZPO.

Die Entscheidung über die vorläufige Vollstreckbarkeit beruht auf den §§ 708 Nr. 10, 711, 713, 544 Abs. 2 Nr. 1 ZPO.

Die Voraussetzungen für die Zulassung der Revision gemäß § 543 Abs. 2 ZPO liegen nicht vor.

Der Zulassungsgrund des § 543 Abs. 2 Nr. 1 ZPO erfordert eine klärungsbedürftige Rechtsfrage. Klärungsbedürftig ist eine Rechtsfrage nicht allein deshalb, weil sie noch nicht vom Bundesgerichtshof beantwortet wurde. Andernfalls liefe die Bejahung der Klärungsbedürftigkeit auf einen Zirkelschluss hinaus. Klärungsbedürftig ist eine Rechtsfrage beispielsweise erst dann, wenn sie in der obergerichtlichen Rechtsprechung oder in der Literatur unterschiedlich beurteilt wird (vgl. Nober in: Anders/Gehle, ZPO, 82. Aufl., § 543 Rn. 8; Prütting/T. Winter in: Wieczorek/Schütze, ZPO, 5. Aufl., § 543 Rn. 16). Es ist nichts dafür ersichtlich, dass der Begriff des "vollständigen Ausfalls des Dienstes" i. S. v. § 58 Abs. 3 TKG anders verstanden wird als hier dieser Entscheidung zugrundegelegt. Dass das Landgericht Göttingen in der Vorinstanz eine andere Auffassung vertreten hat, begründet keinen Revisionszulassungsgrund nach § 543 Abs. 2 Nr. 2 ZPO. Die Sicherung der Einheitlichkeit der Rechtsprechung erfordert vorliegend nicht die Zulassung der Revision. Von einer uneinheitlichen Rechtsprechung im Sinne dieser Zulassungsnorm kann erst gesprochen werden, wenn sie auf der Ebene der zuständigen Berufungsgerichte vorliegt (vgl. BVerfG WM 2016, 1434, 1435 zu IV 1 b aa [2]). Auch das ist hier derzeit nicht der Fall. Aus dem Umstand, dass der Zulassungsgrund der Divergenz unterschiedliche entscheidungserhebliche obergerichtliche Rechtsauffassungen voraussetzt, folgt gleichzeitig, dass die Rechtsprechung der Berufungsgerichte selbst Bestandteil der Fortbildung des Rechts ist und, solange sie nicht entscheidungserheblich divergiert, keiner Vereinheitlichung durch das Revisionsgericht bedarf.

Der festgesetzte Streitwert folgt aus der Addition der Werte des mit dem jeweiligen Rechtsmittel geltend gemachten Interesses an der Abänderung der Entscheidung, §§ 47 Abs. 1, 48 Abs. 1, 45 Abs. 1 Satz 1, Abs. 2 GKG, 3 ZPO

Der Schriftsatz der Beklagten vom 29.2.2024 (Bl. 97-105 d.A.) ist nicht berücksichtigt worden und brauchte daher zuvor dem Kläger nicht zugänglich gemacht zu werden.

Brand
Dr. Schäfer-Altmann
Eixner