Landessozialgericht Niedersachsen-Bremen
Beschl. v. 29.11.2018, Az.: L 8 SO 134/18 B ER
Sozialhilfe in Form der Kostenübernahme für die Betreuung in einer stationären Einrichtung; Freizügigkeitsvermutung für Unionsbürger; Besondere Härte; Krankheitsbedingte Reiseunfähigkeit
Bibliographie
- Gericht
- LSG Niedersachsen-Bremen
- Datum
- 29.11.2018
- Aktenzeichen
- L 8 SO 134/18 B ER
- Entscheidungsform
- Beschluss
- Referenz
- WKRS 2018, 50785
- Entscheidungsname
- [keine Angabe]
- ECLI
- [keine Angabe]
Verfahrensgang
- vorgehend
- SG Hannover - 29.05.2018 - AZ: S 27 SO 166/18 ER
Rechtsgrundlagen
- § 86b Abs. 2 S. 2 SGG
- § 19 Abs. 3 SGB XII
- § 53 Abs. 1 S. 1 SGB XII
- § 23 Abs. 3 S. 6 SGB XII
- § 23 Abs. 1 S. 3 SGB XII
Fundstellen
- NZS 2019, 234
- SAR 2019, 14-17
Redaktioneller Leitsatz
1. Das nach der Härtefallregelung des § 23 Abs. 1 Satz 3 SGB XII grundsätzlich eröffnete Ermessen kann im Einzelfall derart eingeschränkt sein, dass sich nur eine Hilfegewährung als rechtmäßig erweist.
2. Unter anderem ist für die Hilfe zur Krankheit bei Notwendigkeit einer unaufschiebbaren Krankenbehandlung eine solche Ermessensreduzierung auf Null anzuerkennen.
3. Eine besondere Härte kann insbesondere im Falle einer krankheitsbedingten Reiseunfähigkeit angenommen werden.
Tenor:
Die Beschwerde der Antragsgegnerin gegen den Beschluss des Sozialgerichts Hannover vom 29. Mai 2018 wird zurückgewiesen.
Die Antragsgegnerin hat die außergerichtlichen Kosten der Antragstellerin auch für das Beschwerdeverfahren zu erstatten.
Gründe
I.
Die Antragstellerin begehrt im Wege des einstweiligen Rechtsschutzes Sozialhilfe in Form der Kostenübernahme für die Betreuung in einer stationären Einrichtung.
Die 1989 geborene Antragstellerin hat die italienische Staatsangehörigkeit und ist, soweit ersichtlich, alleinstehend.
Sie hält sich wohl seit 2004 zumindest überwiegend in Deutschland auf und wohnte zeitweise bei ihrer Mutter, die ebenfalls die italienische Staatsangehörigkeit hat. Sie befand sich wiederholt in stationärer Behandlung in der D. E. (3. bis 5. Juli 2013, 12. Dezember 2014 bis 10. März 2015, 2. März 2016 bis 20. April 2017, 16. bis 19. Dezember 2017, 12. Januar bis 5. Oktober 2018). Es wurde bei ihr eine emotional impulsive Persönlichkeitsstörung vom Borderline Typ mit chronischer Suizidalität und wiederholten Krisen mit akuter Suizidalität und multiplen Suizidversuchen diagnostiziert (Schreiben der D. E. vom 31. August 2018).
Einen Antrag auf Sozialhilfe in Form der Kostenübernahme für den Besuch einer Tagesstätte sowie Leistungen des Betreuten Wohnens lehnte die Antragsgegnerin mit der Begründung ab, die Antragstellerin habe kein Aufenthaltsrecht und sei daher von Leistungen ausgeschlossen (Bescheid der Antragsgegnerin vom 14. Juni 2017 in Gestalt des Widerspruchsbescheides der Region Hannover vom 9. Oktober 2017). Gegen diese Entscheidung erhob die Antragstellerin Klage beim Sozialgericht (SG) Hannover (- S 27 SO 466/17 -); das Klageverfahren ist weiter anhängig. Auf einen im November 2017 gestellten Eilantrag verpflichtete das SG die Region Hannover, der Antragstellerin vorläufig Leistungen der Eingliederungshilfe nach dem SGB XII für die Zeit vom 1. Dezember 2017 bis zum 31. Mai 2018 für die Inanspruchnahme ambulant Betreuten Wohnens zu gewähren (Beschluss vom 29. November 2017 - S 27 SO 476/17 ER -). Tatsächlich wohnte die Antragstellerin im Anschluss an die zum 20. April 2017 beendete stationäre Behandlung bis zur erneuten stationären Behandlung ab dem 12. Januar 2018 wieder bei ihrer Mutter in Hannover und nahm, soweit ersichtlich, keine Leistungen des Betreuten Wohnens in Anspruch.
Mit Bescheid vom 21. Januar 2018 lehnte die Antragsgegnerin Leistungen der Eingliederungshilfe nach dem SGB XII in Form der Kostenübernahme für eine stationäre Betreuung der Antragstellerin ab. Die Antragstellerin unterliege mangels Freizügigkeitsrechts dem Leistungsausschluss nach § 23 Abs. 3 Satz 1 Nr. 2 SGB XII; die Ausnahme nach § 23 Abs. 3 Satz 7 SGB XII betreffe keine Leistungen der Eingliederungshilfe. Den Widerspruch der Antragstellerin gegen diese Entscheidung wies die Antragsgegnerin mit Widerspruchsbescheid vom 11. April 2018 zurück. Insoweit ist beim SG Hannover ein weiteres Klageverfahren anhängig (- S 27 SO 218/18 -).
Am 12. April 2018 hat die Antragstellerin beim SG Hannover einen Eilantrag gestellt und zunächst beantragt, die Region Hannover im Wege der einstweiligen Anordnung zu verpflichten, vorläufig die Kosten "für die Maßnahme stationäres betreutes Wohnheim" zu übernehmen. Auf den Hinweis der Region Hannover, dass die Landeshauptstadt Hannover - die jetzige Antragsgegnerin - für die streitige Leistung zuständig sei, hat das SG das Rubrum entsprechend geändert, wozu die Antragstellerin ihre Zustimmung erteilt hat (Schreiben vom 24. April 2018).
In der Sache hat die Antragstellerin vorgetragen, dass sie nach Beendigung der laufenden stationären psychiatrischen Behandlung die Entlassung in ein psychiatrisches Wohnheim anstrebe und hierfür auf eine Kostenzusage angewiesen sei. Eine Rückkehr in die Wohnung der Mutter sei ausgeschlossen, weil diese sich zur Aufnahme der Antragstellerin nicht in der Lage sehe. Ein Leistungsausschluss greife nicht ein, weil sie sich erlaubt im Sinne des Europäischen Fürsorgeabkommens (EFA) in Deutschland aufhalte.
Das SG hat mit Beschluss vom 29. Mai 2018 die Antragsgegnerin im Wege der einstweiligen Anordnung verpflichtet, der Antragstellerin für die Zeit vom 29. Mai bis zum 30. November 2018 vorläufig Leistungen der Eingliederungshilfe nach dem SGB XII für die Inanspruchnahme der stationären Maßnahme "Wohnen für Menschen mit seelischen Behinderungen" zu gewähren. Die Antragstellerin habe glaubhaft gemacht, dass sie die Leistungsvoraussetzungen erfülle. Nach vorläufiger Prüfung sei ein Anspruch nicht wegen eines fehlenden Aufenthaltsrechts ausgeschlossen, denn nach summarischer Prüfung könne sich die Antragstellerin auf das Gleichbehandlungsgebot nach Art. 1 EFA stützen, wie das Gericht im Beschluss vom 29. November 2017 ausgeführt habe. Im Hinblick auf die Gefahr einer erneuten Dekompensation sei auch ein Anordnungsgrund glaubhaft gemacht.
Gegen den Beschluss vom 29. Mai 2018 richtet sich die am 29. Juni 2018 eingelegte Beschwerde der Antragsgegnerin. Die Antragstellerin sei nach § 23 Abs. 3 Satz 1 Nr. 2 SGB XII von Leistungen der Eingliederungshilfe ausgeschlossen. Etwas anderes ergebe sich nicht aus § 23 Abs. 3 Satz 7 SGB XII, weil die Vorschrift sich nur auf die in § 23 Abs. 1 Satz 1 und 2 SGB XII genannten Leistungen und damit nicht auf die Eingliederungshilfe beziehe. Auch Art. 1 EFA stehe dem Leistungsausschluss nicht entgegen, denn es könne nicht von einem erlaubten Aufenthalt der Antragstellerin in Deutschland ausgegangen werden.
Auf Anfrage des Senats hat die Antragsgegnerin mitgeteilt, dass die Ausländerbehörde bisher nicht den Verlust des Freizügigkeitsrechts festgestellt habe; wegen der ordnungsbehördlichen Ummeldung der Antragstellerin sei inzwischen die Stadt Wunstorf zuständig (Schreiben vom 27. November 2018).
Die Antragstellerin ist am 1. September 2018 in ein Wohnheim für Menschen mit seelischen Behinderungen aufgenommen worden, jedoch nach Mitteilung der Antragsgegnerin umgehend in die Psychiatrie zurückgekehrt.
Nach Beendigung der stationären Behandlung am 5. Oktober 2018 ist sie erneut in ein Wohnheim für Menschen mit seelischen Behinderungen aufgenommen worden; dort wird sie weiterhin betreut.
Wegen der weiteren Einzelheiten des Sach- und Streitstandes wird auf den Inhalt der Gerichtsakte und der beigezogenen Verwaltungsakten der Antragsgegnerin verwiesen. Diese Akten haben dem Senat vorgelegen und sind Gegenstand der Entscheidungsfindung gewesen.
II.
Die Beschwerde ist zulässig, aber unbegründet. Das SG hat die Antragsgegnerin zu Recht verpflichtet, der Antragstellerin vorläufig Eingliederungshilfe in Form der Kostenübernahme für die stationäre Betreuung im Wohnheim für Menschen mit seelischen Behinderung zu gewähren.
Der Eilantrag ist als Antrag auf Erlass einer einstweiligen Anordnung nach § 86b Abs. 2 Satz 2 SGG statthaft und auch im Übrigen zulässig. Der Eilantrag bezieht sich auf die Kostenübernahme für eine hinreichend konkretisierte Maßnahme, wobei die erforderliche Konkretisierung spätestens im Beschwerdeverfahren erfolgt ist. Für die Zulässigkeit des Eilantrages kommt es nicht darauf an, dass sich die Antragstellerin im streitbefangenen Zeitraum - 29. Mai bis 30. November 2018 - zeitweise in stationärer Krankenhausbehandlung befunden hat und insoweit keine Kosten für die streitige Maßnahme angefallen sind.
Der Antrag auf Erlass einer einstweiligen Anordnung ist auch begründet.
Einstweilige Anordnungen sind nach § 86b Abs. 2 Satz 2 SGG zur Regelung eines vorläufigen Zustandes in Bezug auf ein streitiges Rechtsverhältnis zulässig, wenn eine solche Regelung zur Abwendung wesentlicher Nachteile nötig erscheint. Voraussetzung für den Erlass einer einstweiligen Anordnung ist, dass ein geltend gemachtes Recht gegenüber dem Antragsgegner besteht (Anordnungsanspruch) und der Antragsteller ohne den Erlass der begehrten Anordnung wesentliche Nachteile erleiden würde (Anordnungsgrund). Sowohl die hinreichende Wahrscheinlichkeit eines in der Sache gegebenen materiellen Leistungsanspruchs als auch die Eilbedürftigkeit der Regelung zur Abwendung wesentlicher Nachteile sind glaubhaft zu machen (§ 86b Abs. 2 Satz 4 SGG i.V.m. § 920 Abs. 2 ZPO).
Das Eilverfahren betrifft ausschließlich einen Anspruch auf Eingliederungshilfe nach dem SGB XII.
Lebensunterhaltssichernde Leistungen (vgl. § 27b SGB XII) sind weder von der Antragstellerin beantragt noch vom SG zugesprochen worden. Lediglich ergänzend wird daher darauf hingewiesen, dass der Leistungsausschluss nach § 23 Abs. 3 Satz 1 SGB XII insoweit schon wegen der fehlenden Verlustfeststellung im Sinne von § 23 Abs. 3 Satz 7 Halbsatz 2 SGB XII nicht eingreifen kann.
Die Antragstellerin hat einen Anspruch gegen die Antragsgegnerin auf Eingliederungshilfe nach dem SGB XII in Form der Kostenübernahme für die von ihr begehrte stationäre Leistung glaubhaft gemacht.
Die Antragsgegnerin ist für die streitige Leistung zuständig. Dies ergibt sich im Außenverhältnis zur Antragstellerin bereits daraus, dass es sich um eine Teilhabeleistung (§ 4 SGB IX) handelt und die Antragsgegnerin den Antrag nicht nach § 14 Abs. 1 Satz 2 SGB IX (in der ab 1. Januar 2018 geltenden Fassung vom 23. Dezember 2016, BGBl I 3234) an einen anderen Rehabilitationsträger weitergeleitet hat (vgl. Bundessozialgericht - BSG -, Urteil vom 25. September 2014 - B 8 SO 7/13 R - juris Rn. 19). Die Antragsgegnerin gehört jedenfalls in ihrer Eigenschaft als Träger der öffentlichen Jugendhilfe (§ 69 Abs. 1 SGB VIII i.V.m. § 1 Abs. 2 Satz 1 Nds. AG SGB VIII) zu den Rehabilitationsträgern (§ 6 Abs. 1 Nr. 6 SGB IX); für die Anwendbarkeit des § 14 SGB IX ist es unerheblich, dass die Antragstellerin die Leistungsvoraussetzungen nach dem SGB VIII bereits aus Altersgründen nicht erfüllen kann(vgl. § 41 i.V.m. § 7 Abs. 1 Nr. 3 SGB VIII). Im Übrigen ist eine Zuständigkeit der Antragsgegnerin auch nach den einschlägigen sozialhilferechtlichen Bestimmungen zu bejahen. Grundsätzlich ist das Land Niedersachsen als überörtlicher Träger der Sozialhilfe für stationäre Leistungen der Eingliederungshilfe sachlich (§ 97 Abs. 2 Satz 1 SGB XII i.V.m. § 6 Abs. 2 Nr. 1 a) Nds. AG SGB XII) und örtlich (§ 98 Abs. 2 SGB XII) zuständig. Die Antragsgegnerin wird aber vom überörtlichen Träger u.a. bezogen auf stationäre Leistungen der Eingliederungshilfe herangezogen (§ 99 Abs. 2 SGB XII, § 8 Abs. 2 Satz 1 Nds. AG SGB XII i.V.m. § 2 Abs. 1 Satz 1 Nr. 2 DVO Nds. AG SGB XII) und entscheidet im eigenen Namen (§ 9 Abs. 5 Nds. AG SGB XII). Dass die Antragsgegnerin im Rahmen der Heranziehung die örtlich zuständige Kommune ist, beruht auf § 3 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 DVO Nds. AG SGB XII i.V.m. § 98 Abs. 2 SGB XII.
Die Antragstellerin hat glaubhaft gemacht, dass sie die allgemeinen Leistungsvoraussetzungen nach § 19 Abs. 3 i.V.m. § 53 Abs. 1 Satz 1 SGB XII erfüllt, worüber zwischen den Beteiligten kein Streit besteht. Das Gleiche gilt für die besonderen Leistungsvoraussetzungen nach § 54 Abs. 1 Satz 1 SGB XII i.V.m. § 55 SGB IX in der bis zum 31. Dezember 2017 geltenden Fassung. Insbesondere kann von der Notwendigkeit der stationären Leistung ausgegangen werden (§ 4 Abs. 1 SGB IX). Mit dem Träger der Einrichtung bestehen zudem Vereinbarungen nach § 75 Abs. 3 SGB XII (zur Rechtsfolge bei fehlender Vereinbarung: § 75 Abs. 4 SGB XII).
Die Antragstellerin hat ebenfalls glaubhaft gemacht, dass die streitige Leistung nicht nach § 23 Abs. 3 Satz 1 SGB XII ausgeschlossen ist, wobei ein Leistungsausschluss allenfalls nach der ersten Alternative von Nr. 2 der Vorschrift in Betracht kommt.
Grundsätzlich ist für die Beurteilung, ob ein Unionsbürger (§ 1 FreizügG/EU) ein Aufenthaltsrecht hat oder wegen Fehlen eines Aufenthaltsrechts dem Leistungsausschluss nach § 23 Abs. 3 Satz 1 Nr. 2 SGB XII unterfällt, auf das Vorliegen eines materiellen Freizügigkeitsrechts abzustellen. Die zu Gunsten der Unionsbürger bestehende Freizügigkeitsvermutung reicht für die Annahme eines Aufenthaltsrechts im Sinne von § 23 Abs. 3 Satz 1 Nr. 2 SGB XII nicht aus (ständige Rechtsprechung des BSG zu § 7 Abs. 1 Satz 2 SGB II und § 23 Abs. 3 SGB XII jeweils in der bis zum 28. Dezember 2016 geltenden Fassung; vgl. BSG, Urteil vom 3. Dezember 2015 - B 4 AS 44/15 R - juris Rn. 34).
Es kann offenbleiben, ob die Freizügigkeitsvermutung für Unionsbürger ausreicht, um einen erlaubten Aufenthalt im Sinne von Art. 1 EFA begründen zu können (ablehnend: BSG, Urteil vom 9. August 2018 - B 14 AS 32/17 R - jurisRn. 35; wohl a.A.: Siefert in jurisPK-SGB XII, 2. Auflage 2014, § 23 1. Überarbeitung Rn. 47). Bei Annahme eines erlaubten Aufenthalts (Art. 11 EFA) könnte sich die Antragstellerin, da Italien zu den Signatarstaaten des EFA gehört, auf das Gleichbehandlungsgebot nach Art. 1 EFA stützen. Sie hätte in diesem Fall einen Anspruch auf Leistungen der Eingliederungshilfe; die sich aus § 23 SGB XII ergebenden Einschränkungen fänden keine Anwendung (vgl. Siefert, a.a.O., § 23 1. Überarbeitung Rn. 74).
Es bedarf auch keiner Entscheidung, ob die Antragstellerin ein materielles Aufenthaltsrecht nach dem FreizügG/EU hat. In Frage dürfte in erster Linie ein von der Mutter abgeleitetes Freizügigkeitsrecht (§ 2 Abs. 1 Nr. 6 i.V.m. § 3 FreizügG/EU) kommen, wobei zwischenzeitlich sowohl für die Mutter als auch für die Antragstellerin ein Daueraufenthaltsrecht (§ 4a FreizügG/EU) entstanden sein kann.
Darüber hinaus kann offenbleiben, ob sich die - hier zu bejahende - Gegenausnahme vom Leistungsausschluss nach § 23 Abs. 3 Satz 1 Nr. 2 SGB XII gemäß § 23 Abs. 3 Satz 7 SGB XII (fünfjähriger Aufenthalt in Deutschland) allein auf die in § 23 Abs. 1 Satz 1 und 2 SGB XII aufgeführten Sozialhilfeleistungen und damit nicht auf die Leistungen der Eingliederungshilfe bezieht. Hierfür könnte entsprechend der Auffassung der Antragsgegnerin der nur eingeschränkte Verweis auf Leistungen nach § 23 Abs. 1 Satz 1 und 2 SGB XII (und nicht Satz 3, dazu auch gleich) sprechen.
Jedenfalls hat die Antragstellerin glaubhaft gemacht, dass sie die streitigen Leistungen nach § 23 Abs. 3 Satz 6 SGB XII beanspruchen kann.
Nach dieser Vorschrift werden, soweit dies im Einzelfall besondere Umstände erfordern, Leistungsberechtigten nach Satz 3 zur Überwindung einer besonderen Härte andere Leistungen im Sinne von Absatz 1 gewährt (Halbsatz 1); ebenso sind Leistungen über einen Zeitraum von einem Monat hinaus zu erbringen, soweit dies im Einzelfall auf Grund besonderer Umstände zur Überwindung einer besonderen Härte und zur Deckung einer zeitlich befristeten Bedarfslage geboten ist (Halbsatz 2). Beide Härtefallregelungen können auch nebeneinander Anwendung finden (Siefert, a.a.O., § 23 1. Überarbeitung Rn. 106). Zudem können sich auch Leistungsberechtigte nach § 23 Abs. 3 Satz 7 SGB XII (bei einem mindestens fünf Jahre währenden Aufenthalt in Deutschland) auf die Härtefallregelungen berufen. Der persönliche Anwendungsbereich des § 23 Abs. 3 Satz 6 SGB XII ist insoweit nicht reduziert. Hierfür sprechen im Sinne eines "Erst-recht-Schlusses" Sinn und Zweck der Härtefallregelungen, bei Vorliegen besonderer Umstände unzumutbare Härten zu vermeiden (vgl. BT-Drs. 18/10211, S. 16 f.), die auch bei Leistungsberechtigten nach § 23 Abs. 3 Satz 7 SGB XII in Betracht kommen können. Der Verweis aus § 23 Abs. 3 Satz 6 Halbsatz 1 SGB XII auf (sämtliche) Leistungen nach § 23 Abs. 1 SGB XII schließt die mögliche Gewährung von Eingliederungshilfe im Ermessenswege gemäß § 23 Abs. 1 Satz 3 SGB XII mit ein.
Das nach § 23 Abs. 1 Satz 3 SGB XII grundsätzlich eröffnete Ermessen kann im Einzelfall derart eingeschränkt sein, dass sich nur eine Hilfegewährung als rechtmäßig erweist (sog. Ermessensreduzierung auf Null). Dies ist beispielsweise für die Hilfe zur Krankheit bei Notwendigkeit einer unaufschiebbaren Krankenbehandlung anerkannt worden (zu § 23 SGB XII in der bis zum 28. Dezember 2016 geltenden Fassung: BSG, Urteil vom 18. November2014 - B 8 SO 9/13 R - juris Rn. 28; zur Eingliederungshilfe: Siefert, a.a.O., § 23 1. Überarbeitung Rn. 36). Wenn die tatbestandlichen Voraussetzungen nach § 23 Abs. 3 Satz 6 SGB XII vorliegen, dürfte das der Behörde eingeräumte (Auswahl-) Ermessen regelmäßig auf Null reduziert sein, soweit sich die besondere Härte i.S. des § 23 Abs. 3 Satz 6 Halbsatz 1 SGB XII aus der Behinderung bzw. den Umständen des behinderungsbedingten Bedarfs an Eingliederungshilfe ergibt. Eine besondere Härte kann sich insbesondere aus schwerwiegenden gesundheitlichen Beeinträchtigungen ergeben, etwa im Falle einer krankheitsbedingten Reiseunfähigkeit (Senatsbeschluss vom 13. Juli 2017 - L 8 SO 129/17 B ER -) oder einer dialysepflichtigen Nierenerkrankung (Landessozialgericht Baden-Württemberg, Beschluss vom 28. März 2018 - L 7 AS 430/18 ER-B -).
Vorliegend hat die Antragstellerin glaubhaft gemacht, dass die streitige Leistung auf Grund besonderer Umstände und zur Überwindung einer besonderen Härte geboten ist. Sie bedarf aktuell auf Grund ihrer schweren psychischen Erkrankung auch nach Beendigung der stationären Krankenhausbehandlung einer umfassenden Betreuung in einer stationären Einrichtung. Anderenfalls droht ihr eine erneute Destabilisierung mit akuter Suizidalität. Der Senat hat - unter Berücksichtigung des dokumentierten Krankheitsverlaufs - keine Veranlassung, von der entsprechenden Einschätzung der D. E. in den Stellungnahmen 26. April und 31. August 2018 abzuweichen, zumal diese auch von der Antragsgegnerin nicht in Frage gestellt wird. Eine Rückkehr in den Haushalt der Mutter ist derzeit offenbar ausgeschlossen; gleichzeitig spricht vieles dafür, dass die Mutter weiterhin eine wichtige Bezugsperson für die Antragstellerin ist. Unter diesen Umständen erweist sich allein eine Hilfegewährung mit den gesundheitlichen Belangen der Antragstellerin als rechtmäßig; das der Antragsgegnerin gemäß § 23 Abs. 3 Satz 6 Halbsatz 1 SGB XII i.V.m. § 23 Abs. 1 Satz 3 SGB XII an sich eingeräumte Ermessen ist auf Null reduziert.
Ein Anordnungsgrund ist ebenfalls glaubhaft gemacht.
Die Kostenentscheidung beruht auf § 193 SGG.
Dieser Beschluss ist unanfechtbar (§ 177 SGG).