Landessozialgericht Niedersachsen-Bremen
Beschl. v. 16.11.2018, Az.: L 11 AL 140/18 B ER

Bibliographie

Gericht
LSG Niedersachsen-Bremen
Datum
16.11.2018
Aktenzeichen
L 11 AL 140/18 B ER
Entscheidungsform
Beschluss
Referenz
WKRS 2018, 43399
Entscheidungsname
[keine Angabe]
ECLI
[keine Angabe]

Verfahrensgang

vorgehend
SG Bremen - 26.09.2018 - AZ: S 13 AL 136/18 ER

Tenor:

Die Beschwerde des Antragstellers gegen den einstweiligen Rechtsschutz ablehnenden Beschuss des Sozialgerichts Bremen vom 26. September 2018 wird zurückgewiesen. Kosten sind auch für das Beschwerdeverfahren nicht zu erstatten. Der Antrag, dem Antragsteller für das Beschwerdeverfahren Prozesskostenhilfe zu gewähren, wird abgelehnt.

Gründe

I.

Der Antragsteller begehrt, die Antragsgegnerin im Wege der einstweiligen Anordnung zur vorläufigen Gewährung von Berufsausbildungsbeihilfe (BAB) nach dem Sozialgesetzbuch Drittes Buch - Arbeitsförderung - (SGB III) zu verpflichten.

Der 1992 geborene Antragsteller ist afghanischer Staatsangehöriger und hält sich nach seinen eigenen Angaben seit dem 25. Mai 2016 in der Bundesrepublik Deutschland auf. Er verfügt für die Dauer seines bislang nicht abgeschlossenen Asylverfahrens über eine Aufenthaltsgestattung nach § 55 Asylgesetz (AsylG).

Am 20. Juli 2018 beantragte der Antragsteller bei der Antragsgegnerin im Hinblick auf seine am 1. August 2018 beginnende Berufsausbildung zum Kfz-Mechatroniker die Gewährung von BAB (voraussichtliches Ausbildungsende: 31. Januar 2021). Während seiner Ausbildung erhält der Antragsteller eine monatliche Ausbildungsvergütung von zunächst 605,- EUR (2. Ausbildungsjahr: 700,- EUR; 3. Ausbildungsjahr: 761,- EUR). Er lebt als Alleinstehender in einer Ein-Zimmer-Wohnung in Bremen, für die er einschließlich Nebenkosten 425,- EUR pro Monat zu zahlen hat. Zu seinen Eltern, die "in einem anderen Land" wohnen, hat er nach seinen eigenen Angaben keinen Kontakt mehr. Sein Vater sei Rentner und seine Mutter arbeitslos (vgl. im Einzelnen: handschriftliche Erklärung des Antragstellers ohne Datum, Bl. 12 der Verwaltungsakte - VA -).

Die Antragsgegnerin lehnte den BAB-Antrag mit der Begründung ab, dass der Antragsteller nicht zu dem nach §§ 56, 59 SGB III grundsätzlich anspruchsberechtigten Personenkreis gehöre (Bescheid vom 27. Juli 2018).

Hiergegen wandte der Antragsteller im Widerspruchsverfahren ein, dass eine Prüfung des § 132 Abs 1 SGB III unterblieben sei. Dessen Voraussetzungen seien erfüllt, da sich der Antragsteller seit mehr als 15 Monaten gestattet in der Bundesrepublik Deutschland aufhalte und auch darüber hinaus ein rechtmäßiger dauerhafter Aufenthalt zur erwarten sei. Schließlich habe der Antragsteller aufgrund seiner Berufsausbildung einen (gebundenen) Anspruch auf Erteilung einer Duldung nach § 60a Abs 2 Satz 4 des Gesetzes über den Aufenthalt, die Erwerbstätigkeit und die Integration von Ausländern im Bundesgebiet (Aufenthaltsgesetz - AufenthG -). Für die Zeit nach Abschluss der Berufsausbildung falle die Prognose für einen weiteren rechtmäßigen Aufenthalt ebenfalls positiv aus. Schließlich habe das deutsche Aufenthaltsrecht mittlerweile die Rechtsprechung des Europäischen Gerichtshofs für Menschenrechte (EGMR) zu Artikel 8 der Europäischen Menschenrechtskonvention (EMRK) übernommen, wonach Ausländer, die umfassend in die hiesigen Verhältnisse integriert seien, als sog. faktische Inländer zu behandeln seien. Hinzu komme, dass der Antragsteller eine Ausbildung in einem sog. Mangelberuf durchlaufe (wobei in der Widerspruchsbegründung vom 21. August 2018 in diesem Zusammenhang wohl fehlerhaft eine Tätigkeit als Informatiker angeführt wird). Dementsprechend sei zu erwarten, dass der Antragsteller im Rahmen der sog. Vorrangprüfung eine positive Entscheidung für eine spätere Arbeitsaufnahme erhalten und dann auch keine Belastung für das Sozialsystem darstellen werde. Zudem sei zu berücksichtigen, dass das Bundesland Bremen aus humanitären Gründen von Abschiebungen nach Afghanistan absehe. Soweit der Betroffene erwerbstätig sei, werde regelmäßig unmittelbar nach Abschluss des Asylverfahrens eine Aufenthaltserlaubnis nach § 25 Abs 5 AufenthG erteilt.

Die Antragsgegnerin wies der Widerspruch des Antragstellers mit Widerspruchsbescheid vom 29. August 2018 zurück. Zur Begründung legte die Antragsgegnerin zunächst nochmals ausführlich dar, weshalb der Antragsteller aus ihrer Sicht nicht zu dem nach § 59 Abs 1 SGB III förderungsfähigen Personenkreis gehört (Seite 2 - 4 des Widerspruchsbescheides). Der Antragsteller falle auch nicht unter § 132 SGB III (Ausländerinnen und Ausländer, bei denen ein rechtmäßiger und dauerhafter Aufenthalt zu erwarten sei). Diese Vorschrift finde derzeit lediglich Anwendung auf Staatsangehörige folgender Länder: Eritrea, Irak, Iran, Somalia und Syrien.

Gegen den Widerspruchsbescheid hat der Antragsteller am 6. September 2018 beim Sozialgericht (SG) Bremen Klage erhoben und gleichzeitig den im vorliegenden Verfahren streitbefangenen Antrag auf Erlass einer einstweiligen Anordnung gestellt. Für die Prognoseentscheidung nach § 132 SGB III sei in seinem Fall nicht auf den Ausgang des Asylverfahrens abzustellen, da er für die Zeit seiner Berufsausbildung einen Anspruch auf Erteilung einer Duldung nach § 60a Abs 2 Satz 4 AufenthG habe. Nach Abschluss der Berufsausbildung im Mangelberuf "Kraftfahrzeugmechatroniker" sei von einem positiven Ergebnis der sog. Vorrangprüfung auszugehen (Erteilung einer ausländerrechtliche Erlaubnis zur Ausübung der Beschäftigung). Aufgrund seiner Integration in der Bundesrepublik Deutschland könne der Kläger sich zusätzlich auf Artikel 8 EMRK berufen.

Auf den Einwand der Antragsgegnerin, wonach eine positive Bleibeperspektive eine Gesamtschutzquote im Asylverfahren von über 50 % voraussetze, dieser Wert für Afghanistan jedoch nicht erreicht werde, hat der Antragsteller darauf hingewiesen, dass die Schutzquote für Afghanistan in der Zeit von Januar bis Juni 2017 bei 46,7 % gelegen habe. Zusätzlich sei bei negativen Entscheidungen die Erfolgsquote vor den Verwaltungsgerichten sehr hoch gewesen sei. Von Januar bis September 2017 seien lediglich 23,7 % aller Klagen abgewiesen worden. Insgesamt ergebe sich daraus eine Schutzquote von deutlich über 50 % (vgl. hierzu auch die vom Antragsteller zur Gerichtsakte gereichten Statistiken, Bl. 16 - 18 der Gerichtsakte).

Das SG hat den Erlass einer einstweiligen Anordnung mit der Begründung abgelehnt, dass kein Anordnungsanspruch glaubhaft gemacht worden sei. Der Antragsteller zähle nicht zu dem nach § 59 SGB III förderungsfähigen Personenkreis. Insbesondere sei er weder als Flüchtling anerkannt noch verfüge er derzeit über eine Duldung nach § 60a AufenthG. Beim Antragsteller sei auch kein rechtmäßiger und dauerhafter Aufenthalt zu erwarten. Für diese Prognose sei auf die Gesamtschutzquote für Asylbewerber des jeweiligen Herkunftslandes abzustellen und erforderlich, dass der Betroffene aus einem derjenigen Länder stammt, für welche das Bundesamt für Migration und Flüchtlinge (BAMF) eine Gesamtschutzquote von über 50 % ermittelt hat. Für Afghanistan betrage die Gesamtschutzquote dagegen lediglich 35,6 % (für die Monate Januar bis Juli 2018). Ein höherer Wert der Gesamtschutzquote lasse sich auch nicht unter Berücksichtigung des Erfolgs vieler verwaltungsgerichtlicher Asylverfahren begründen. So sei u.a. zu berücksichtigen, dass 41 % der Asylverfahren auf sonstige Weise (z.B. durch Rücknahme) ihre Erledigung gefunden hätten. Aussagekräftige und belastbare Zahlen, die einer Prognose zugrunde gelegt werden können, könnten hieraus somit nicht abgeleitet werden. Ebenso wenig rechtfertige der Umstand, dass dem Kläger nach Abschluss des Asylverfahrens voraussichtlich eine Duldung nach § 60a AufenthG erteilt werde, eine andere Entscheidung. Eine solche auf die Dauer der Berufsausbildung begrenzte Duldung bewirke weder die Rechtmäßigkeit des Aufenthaltes noch erlaube sie einen Rückschluss auf die Dauerhaftigkeit des weiteren Aufenthaltes in der Bundesrepublik Deutschland (Beschluss vom 26. September 2018).

Gegen diesen Beschluss richtet sich die am 1. Oktober 2018 eingelegte Beschwerde des Antragstellers. Anstelle der vom SG herangezogenen Gesamtschutzquote sei auf die sog. "bereinigte Schutzquote" abzustellen. Nur diese berücksichtige die inhaltlichen Entscheidungen, die bezüglich eines Herkunftslandes getroffen werden. Dagegen würden bei der Gesamtschutzquote auch rein formelle Entscheidungen, insbesondere in den sog. "Dublin-Verfahren" berücksichtigt. Da das Verwaltungsgericht Bremen mit Beschluss vom 24. Oktober 2017 die aufschiebende Wirkung der Asylklage des Antragstellers angeordnet und somit die Erfolgsaussichten zumindest als offen bewertet habe, sei die Bleibeperspektive des Antragstellers - entgegen der Auffassung des SG - auch bei individueller Betrachtung positiv. Für die Zeit der Berufsausbildung habe der Kläger Anspruch auf eine Duldung nach § 60a Abs 2 Satz 4 AufenthG. Gleichzeitig lägen die Voraussetzungen für die Erteilung einer Aufenthaltserlaubnis nach § 25 Abs 5 AufenthG i.V.m. der Rechtsprechung des EGMR zu Artikel 8 EMRK vor. Diese Aufenthaltserlaubnis sei dem Antragsteller auch bereits deshalb zu erteilen, weil das Bundesland Bremen Asylsuchende aus Afghanistan regelmäßig nicht abschiebe. Ergänzend bezieht sich der Antragsteller auf ein Schreiben des Migrationsamtes der Freien Hansestadt Bremen vom 18. Oktober 2018, mit dem bestätigt wird, dass die Absolvierung der Berufsausbildung einen Duldungsgrund i.S.d. § 60a Abs 2 Satz 4 AufenthG darstellt. Nach Abschluss des Asylverfahrens komme "generell" die Erteilung einer Aufenthaltserlaubnis nach § 25 Abs 5 SGB III in Betracht. Allerdings würde der Antragsteller vor Erteilung einer solchen Aufenthaltserlaubnis aufgefordert werden, einen gültigen Nationalpass vorzulegen, bzw. würde geprüft werden, ob die Beschaffung eines Reisepasses unzumutbar sei.

Dagegen hält die Antragsgegnerin auch weiterhin die aktuelle Gesamtschutzquote des jeweiligen Herkunftslandes für das maßgebliche Kriterium der Prognoseentscheidung nach § 132 SGB III. Die Gesamtschutzquote für Asylbewerber aus Afghanistan liege unter 50 %. Auch unter Berücksichtigung des Schreibens des Migrationsamtes sei sowohl von einem offenen Asylverfahren als auch von einem offenen aufenthaltsrechtlichen Status auszugehen. Das Migrationsamt habe keine einzelfallbezogene Zusage zu einer bestimmten ausländerrechtlichen Entscheidung gegeben. Dementsprechend sei für die Beurteilung der Bleibeperspektive auf die halbjährlich vom BAMF veröffentlichte Gesamtschutzquote abzustellen.

Auf Aufforderung des Senats hat der Antragsteller eine schriftliche Bescheinigung des Ausbildungsbetriebs vorgelegt, wonach er, nachdem er im Ausbildungsbetrieb bereits ein einjähriges Praktikum abgeleistet hatte, seit 1. August 2018 seiner Berufsausbildung nachgeht. Er verfüge über gute Deutschkenntnisse, sei pünktlich und gehe zur Berufsschule sowie zu Lehrgängen.

II.

Die form- und fristgerecht eingelegte Beschwerde ist zulässig, jedoch unbegründet. Das SG hat rechtsfehlerfrei den Erlass einer einstweiligen Anordnung abgelehnt.

1.

Nach § 86b Abs 2 Satz 2 Sozialgerichtsgesetz (SGG) kann das Gericht eine einstweilige Anordnung zur Regelung eines vorläufigen Zustandes in Bezug auf ein streitiges Rechtsverhältnis treffen, wenn eine solche Regelung zur Abwendung wesentlicher Nachteile notwendig erscheint. Der Erlass einer solchen Regelungsanordnung setzt voraus, dass nach materiellem Recht ein Anspruch auf die begehrte Leistung besteht (Anordnungsanspruch) und die Regelungsanordnung zur Abwendung wesentlicher Nachteile notwendig ist, insbesondere auch ein Eilbedürfnis vorliegt (Anordnungsgrund). Sowohl der Anordnungsanspruch als auch der Anordnungsgrund sind glaubhaft zu machen (§ 86b Abs 2 Satz 4 SGG i.V.m. § 920 Abs 2 Zivilprozessordnung - ZPO -).

2.

Der Antragsteller hat im Hinblick auf die in Streit stehende BAB keinen Anordnungsanspruch glaubhaft gemacht.

a.

Nach § 56 SGB III haben Auszubildende Anspruch auf BAB während einer Berufsausbildung, wenn

1. die Berufsausbildung förderungsfähig ist, 2. 3. sie zum förderungsfähigen Personenkreis gehören und die sonstigen persönlichen Voraussetzungen für eine Förderung erfüllt sind und 4. 5. ihnen die erforderlichen Mittel zur Deckung des Bedarfs für den Lebensunterhalt, die Fahrkosten und die sonstigen Aufwendungen (Gesamtbedarf) nicht anderweitig zur Verfügung stehen.

Der Antragsteller gehört als afghanischer Staatsangehöriger und in seiner Eigenschaft als Asylbewerber nicht zu dem nach § 59 SGB III förderungsfähigen Personenkreis. Dies ist auch zwischen den Beteiligten unstreitig. Zur weiteren Begründung verweist der Senat zwecks Vermeidung von Wiederholungen auf die diesbezüglichen Ausführungen im Widerspruchsbescheid vom 29. August 2018 (S. 2 bis 4) sowie im angefochtenen Beschluss des SG (S. 5).

b.

Entgegen der Auffassung des Antragstellers ist nach derzeitigem Sach- und Streitstand auch nicht erkennbar, dass der Antragsteller die Voraussetzungen der Sonderregelung für die Ausbildungsförderung von Ausländerinnen und Ausländern (§ 132 SGB III) erfüllt.

Nach § 132 Abs 1 Satz 1 Nr 2 SGB III gehören Ausländerinnen und Ausländer, bei denen ein rechtmäßiger und dauerhafter Aufenthalt zu erwarten ist, nach Maßgabe der folgenden Sätze zum förderungsfähigen Personenkreis nach § 59 SGB III für Leistungen nach den §§ 56 und 122 SGB III, wenn ihr Aufenthalt seit mindestens 15 Monaten gestattet ist.

Über den Asylantrag des Antragstellers ist bislang nicht entschieden worden, insbesondere ist ihm bislang weder die Flüchtlingseigenschaft (§ 3 AsylG) noch subsidiärer Schutz (§ 4 AsylG) gewährt worden. Er hat auch nicht glaubhaft gemacht, dass bei ihm ein rechtmäßiger und dauerhafter Aufenthalt in der Bundesrepublik Deutschland zu erwarten ist.

Erforderlich für eine positive Bleibeperspektive i.S.d. § 132 Abs 1 Satz 1 Nr 2 SGB III ist, dass aus ex-ante-Sicht eine überwiegend wahrscheinliche Aussicht darauf besteht, dass die jeweilige Person den Status als Flüchtling (§§ 3ff. AsylG) oder einen subsidiären Schutz (§ 4 AsylVfG) erlangen wird (vgl. Schmidt-De Caluwe in: Mutschler/Schmidt-De Caluwe/Coseriu, SGB III, 6. Auflage 2017, § 132 Rn 8; Buser in: Eicher/Schlegel, SGB III nF - Arbeitsförderung, Stand 2018, § 132 Rn 30). In der Gesetzesbegründung zum insoweit wortgleichen § 44 Abs 4 Satz 2 Nr 1 AufenthG wird die Erwartung eines rechtmäßigen und dauerhaften Aufenthalts zugunsten derjenigen Asylbewerber bejaht, die aus einem Land mit einer hohen Anerkennungsquote kommen oder bei denen eine belastbare Prognose für einen erfolgreichen Asylantrag besteht (BT-Drs 18/6185, Seite 48).

aa.

Als Maßstab für diese Prognose wird in der bislang zu § 132 SGB III ergangenen sozialgerichtlichen Rechtsprechung auf die vom BAMF errechnete Gesamtschutzquote abgestellt. Eine positive Bleibeperspektive ist demnach zu bejahen, wenn die Gesamtschutzquote für Angehörige des jeweiligen Herkunftsstaats mehr als 50 % beträgt (vgl. etwa: Landessozialgericht - LSG - Berlin-Brandenburg, Beschluss vom 3. Mai 2017 - L 14 AL 52/17 B ER -; LSG Mecklenburg-Vorpommern, Beschluss vom 27. August 2018 - L 2 AL 29/18 B ER -; LSG Nordrhein-Westfalen, Beschlüsse vom 19. April 2018 - L 9 AL 227/17 - und 6. August 2018 - L 20 AL 74/18 B ER -; SG Dortmund, Beschluss vom 13. Juli 2018 - S 22 AL 927/16 -; ebenso für die Beurteilung der Bleibeperspektive nach § 44 Abs 4 Satz 2 Nr 1 AufenthG: Bayerischer Verwaltungsgerichtshof, Beschluss vom 21. Februar 2017 - 19 CE 16.2204 -).

Die Gesamtschutzquote für Afghanistan (als Herkunftsland des Antragstellers) liegt bei derzeit lediglich 36,3 % (vgl. Seite 2 der letzten Ausgabe des Asylgeschäftsberichts des BAMF [für den Monat September 2018] - Zahlen für die Monate Januar bis September 2018). Bei Zugrundelegung der Gesamtschutzquote, d.h. bei einer statistisch geprägten bzw. (rein) schematischen Auslegung des § 132 SGB III Abs 1 Satz 1 SGB III besteht somit keine überwiegend wahrscheinliche Aussicht auf einen dauerhaften Aufenthalt und damit auch kein Anspruch auf BAB. Insoweit stellt der erkennende Senat zumindest im einstweiligen Rechtsschutz ausschließlich auf die vom BAMF ermittelte Gesamtschutzquote ab, errechnet dagegen nicht - wie vom Antragsteller geltend gemacht (vgl. etwa: Schriftsätze vom 20. und 28. September 2018) - eine "bereinigte" Schutzquote. Schließlich ist der erkennende Senat - ebenso wie die Antragsgegnerin - für Fragen des Aufenthaltsrechts sachlich nicht zuständig. Er kann somit nicht ohne Weiteres selbst einschätzen, ob das Asylbegehren letztlich erfolgreich sein wird oder nicht. Das Abstellen auf die vom BAMF ermittelte Gesamtschutzquote stellt sowohl für den Antragsgegner als auch für den Senat ein objektiviertes Kriterium zur Verfügung, anhand dessen eine - zumindest vorläufige und damit für den einstweiligen Rechtsschutz tragfähige - Beurteilung der Aufenthaltsperspektive möglich ist (so auch bereits: LSG Nordrhein-Westfalen, Beschluss vom 6. August 2018, a.a.O., Rn 40).

bb.

Ebenso wenig hat der Antragsteller glaubhaft gemacht, dass in seinem Fall - unabhängig von der Gesamtschutzquote - individuelle, d.h. in seiner Person liegende Umstände eine positive Bleibeperspektive i.S.d. § 132 Abs 1 Satz 1 Nr 2 SGB III begründen könnten (vgl. zu dieser einzelfallbezogen und somit nicht schematischen bzw. statistischen Auslegung des § 132 Abs 1 Satz 1 SGB III: LSG Nordrhein-Westfalen, Beschlüsse vom 19. April 2018 und 6. August 2018, a.a.O.; Schmidt-De Caluwe in: Mutschler/Schmidt-De Caluwe/Coseriu, a.a.O., Rn 10; ähnlich wohl auch: Thym, Öffentliche Anhörung von Sachverständigen im Deutschen Bundestag - Ausschuss für Arbeit und Soziales - am 17. Juni 2016, Ausschussdrucksache 18(11)681, S. 119f; anderer Ansicht [allein auf statistische Werte abstellend]: Buser in: Eicher/Schlegel, a.a.O., Rn 30).

Die Aufenthaltsgestattung des Antragstellers (§ 55 AsylG) ist zeitlich auf die Dauer seines Asylverfahrens beschränkt, begründet somit keinen Anhaltspunkt für einen dauerhaften Aufenthalt. Dies gilt auch für die dem Antragsteller nach Abschluss seines Asylverfahrens ggf. zu erteilende Duldung für die Dauer der Berufsausbildung nach § 60a Abs 2 Satz 4 AufenthG. Schließlich ist auch diese Duldung zeitlich eng begrenzt (ebenso: LSG Mecklenburg-Vorpommern, Beschlüsse vom 20. Juli 2018 - L 2 AL 7/18 B ER - und 27. August 2018 - L 2 AL 29/18 B ER -; LSG Nordrhein-Westfalen, Beschluss vom 6. August 2018, a.a.O.). Unabhängig davon hängt bei Vorliegen einer Duldung nach § 60a Abs 2 Satz 4 AufenthG ein Anspruch auf BAB auch nicht primär von einer positiven Bleibeperspektive i.S.d. § 132 Abs 1 Satz 1 Nr 2 SGB III ab, sondern von den Voraussetzungen des § 132 Abs 2 Nr 2 SGB III ("Geduldete Ausländerinnen und Ausländer [§ 60a AufenthG] gehören zum förderungsfähigen Personenkreis nach § 59 SGB III für Leistungen ( ...) nach den §§ 51, 56 und 122 SGB III, wenn sie sich seit mindestens sechs Jahren ununterbrochen rechtmäßig, gestattet oder geduldet im Bundesgebiet aufhalten und kein Beschäftigungsverbot nach § 60a Absatz 6 AufenthG besteht").

cc. Die vom Migrationsamt der Freien Hansestadt Bremen in ihrer Bescheinigung vom 18. Oktober 2018 erwähnte Aufenthaltserlaubnis nach § 25 Abs 5 AufenthG kann im vorliegenden Fall ebenfalls keinen Anordnungsanspruch begründen. Zwar bestimmt § 132 Abs 3 SGB III, dass Ausländerinnen und Ausländer, die (u.a.) eine Aufenthaltserlaubnis nach § 25 Absatz 5 AufenthG besitzen, zum förderungsfähigen Personenkreis nach § 59 SGB III für (u.a.) BAB-Leistungen gehören, wenn sie sich seit mindestens drei Monaten ununterbrochen rechtmäßig, gestattet oder geduldet im Bundesgebiet aufhalten. Der aufenthaltsrechtliche Status des Antragstellers beruht jedoch derzeit auf § 55 AsylG. Über eine Aufenthaltserlaubnis nach § 25 Abs 5 AufenthG verfügt er derzeit nicht. Bei dem Schreiben des Migrationsamtes der Freien Hansestadt Bremen handelt es sich auch nicht um eine Zusicherung zur (zukünftigen) Erteilung einer Aufenthaltserlaubnis nach § 25 Abs 5 AufenthG. Hierfür fehlt es an einem entsprechenden Rechtsbindungswillen i.S.d. § 38 Verwaltungsverfahrensgesetz - VwVfG -. Das Migrationsamt hat lediglich bescheinigt, dass für den Antragsteller "generell ( ...) auch" die Erteilung eines solchen Aufenthaltserlaubnis "in Betracht" kommt. Vorab würde der Antragsteller jedoch "auch dazu" aufgefordert, einen gültigen Nationalpass vorzulegen. Zudem würde vorab geprüft werden, ob die Beschaffung eines Reisepasses unzumutbar ist. Hieraus ergibt sich zur Überzeugung des Senats, dass die Erteilung einer Aufenthaltserlaubnis nach § 25 Abs 5 AufenthG erst nach einer zu gegebener Zeit von der Ausländerbehörde vorzunehmenden rechtlichen Prüfung erfolgen kann und nicht bereits jetzt zugesichert worden ist. Der Auffassung des Antragstellers, dass die vom Migrationsamt genannten Voraussetzungen für die Erteilung einer Aufenthaltserlaubnis nach § 25 Abs 5 AufenthG "weder besondere Schwierigkeiten aufwerfen noch einen - Ungewissheit birgenden Prüfungsspielraum des Migrationsamtes" beinhalten, stimmt der erkennende Senat aus den genannten Gründen nicht zu.

Der vom Antragsteller zur Begründung einer positiven Bleibeperspektive angeführte zukünftige Geschehensablauf (weiterhin erfolgreiche Integration des Antragstellers, erfolgreicher Abschluss der Berufsausbildung im "Mangelberuf" Mechatroniker, nachfolgend: Aufnahme einer Beschäftigung als Mechatroniker mit bedarfsdeckendem Erwerbseinkommen) weist so erhebliche Unwägbarkeiten auf, dass er keine positive Bleibeperspektive belegen kann. Dies gilt auch für den vom Antragsteller angeführten Umstand, dass im Bundesland Bremen derzeit keine Abschiebungen in das Herkunftsland des Antragstellers stattfinden. Es kann bereits nicht vorhergesehen werden, ob diese Abschiebepraxis auch in Zukunft, z.B. nach der planmäßig im Mai 2019 erfolgenden Neuwahl der Bremischen Bürgerschaft und einem möglichen Regierungswechsel beibehalten wird. Selbst der Antragsteller räumt insoweit ein, dass das derzeitige Abschiebeverbot eine "politische Leitentscheidung des Innensenators" darstellt (vgl. Schriftsatz vom 28. September 2018). Zudem dürfte die Möglichkeit bzw. Wahrscheinlichkeit einer Abschiebung ins Herkunftsland (z.B. nach einer negativen Asylentscheidung oder nach Auslaufen der Duldung nach § 60a Abs 2 Satz 4 AufenthG) von der - derzeit nicht zu prognostizierenden - weiteren Entwicklung der politischen Lage in Afghanistan sowie vom (zukünftigen) Wohnsitz des Antragstellers abhängen (entweder in Bremen oder aber in einem anderen Bundesland, von dem aus Abschiebungen nach Afghanistan durchgeführt werden).

c. Nach alledem kann weder bei schematischer bzw. statistischer Auslegung des § 132 Abs 1 Satz 1 Nr 2 SGB III noch bei zusätzlicher Berücksichtigung der Umstände des Einzelfalls eine positive Bleibeperspektive als glaubhaft gemacht angesehen werden.

3. Prozesskostenhilfe kann auch für das Beschwerdeverfahren nicht gewährt werden, weil der Rechtsverfolgung des Antragstellers - wie bereits im Einzelnen dargelegt - die hinreichende Erfolgsaussicht fehlt (vgl. zu dieser Voraussetzung für die Gewährung von Prozesskostenhilfe: § 73a SGG i.V.m. § 114 ZPO).

4. Die Kostenentscheidung ergeht in entsprechender Anwendung des § 193 SGG

Dieser Beschluss ist unanfechtbar (§ 177 SGG).