Landessozialgericht Niedersachsen-Bremen
Urt. v. 14.11.2018, Az.: L 3 U 137/15
Bibliographie
- Gericht
- LSG Niedersachsen-Bremen
- Datum
- 14.11.2018
- Aktenzeichen
- L 3 U 137/15
- Entscheidungsform
- Urteil
- Referenz
- WKRS 2018, 43411
- Entscheidungsname
- [keine Angabe]
- ECLI
- [keine Angabe]
Verfahrensgang
- vorgehend
- SG Hildesheim - 09.09.2015 - AZ: S 11 U 130/11
Tenor:
Auf die Berufung der Klägerin wird das Urteil des Sozialgerichts Hildesheim vom 9. September 2015 aufgehoben und der Bescheid der Beklagten vom 24. Juni 2011 in Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 3. November 2011 abgeändert. Es wird festgestellt, dass die Lungenkrebserkrankung des am 9. Januar 2010 verstorbenen Ehegatten der Klägerin eine Berufskrankheit nach Nr 4109 der Anl 1 zur Berufskrankheitenverordnung gewesen ist. Die Beklagte wird verurteilt, der Klägerin Hinterbliebenenleistungen zu gewähren. Die Beklagte hat die Kosten der Klägerin in beiden Rechtszügen zu erstatten. Die Revision wird nicht zugelassen.
Tatbestand
Im Streit stehen die Anerkennung einer Lungenkrebserkrankung als Berufskrankheit (BK) nach Nr 4109 der Anl 1 zur Berufskrankheitenverordnung (BKV (Bösartige Neubildungen der Atemwege und der Lungen durch Nickel oder seine Verbindungen; BK Nr 4109)) und die Gewährung von Hinterbliebenenleistungen.
Der 1958 geborene Ehemann der Klägerin (Versicherter) hatte ab April 1974 eine 3-jährige Ausbildung zum Kessel- und Behälterbauer absolviert und war im Anschluss für etwa ein Jahr als Behälterbauer tätig. Nach Ableistung des Wehrdienstes war er von 1979 bis 1998 als Rohrleitungsmonteur und seit 1998 als Anlagenmechaniker beschäftigt. Während seiner gesamten beruflichen Tätigkeiten verrichtete er Schweiß- und Schleifarbeiten an Rohren aus Chrom-Nickel-Stahl.
Im Mai 2009 wurde bei dem Versicherten ein vom rechten Lungenoberlappen ausgehendes Adenobronchialkarzinom mit Lebermetastasen und malignem Pleuraerguss diagnostiziert (Bericht der Lungenklinik F. vom 10. Juli 2009; Bericht Prof. Dr. G. vom 12. Juni 2009). Nachdem die Krankenkasse den Krankheitsfall der Berufsgenossenschaft (BG) Metall Nord Süd als BK angezeigt hatte, nahm die BG Ermittlungen zur Feststellung einer BK und dem Bestehen von Leistungsansprüchen auf (ua Schreiben der BG an den Versicherten vom 12. August 2009). Am 9. Januar 2010 verstarb der Versicherte.
Nach den Ermittlungen des Präventionsdienstes der BG war der Versicherte während seines gesamten Tätigkeitszeitraums bei der H. GmbH von April 1974 bis zur Diagnose der Krebserkrankung gegenüber Schleifstäuben von chrom-/nickelhaltigen Stählen und entsprechenden Schweißrauchen exponiert. Bei dem vorwiegend angewandten WIG-Schweißverfahren seien die früheren Grenzwerte von 0,05 mg/m³ für Chrom(VI)-Verbindungen und 0,5 mg/m³ für Nickeloxid immer unterschritten worden. Bei gelegentlichen Plasmaschneidearbeiten sei zwar mit häufigen Überschreitungen zu rechnen, jedoch seien solche Arbeiten eher selten durchzuführen gewesen (Stellungnahme I. vom 3. Februar 2010, ergänzt durch das Gesprächsprotokoll vom 6. Juni 2011). Zusammengefasst sei der Versicherte Einwirkungen durch Chrom(VI)-Verbindungen im Umfang von 307 µg/m³ x Jahre und durch Nickel und seine Verbindungen im Umfang von 2.253 µg/m³ x Jahre ausgesetzt gewesen (Stellungnahme I. vom 4. März 2010).
Zur Klärung der Todesursache ließ die Beklagte den Versicherten mit dem Einverständnis der Klägerin exhumieren. Die Analyse der bei der Obduktion entnommenen Lungengewebsproben durch den Arbeitsmediziner Prof. Dr. Dr. J. ergab eine aus arbeitsmedizinisch-toxikologischer Sicht relevante Kumulation von Chrom und Nickel bzw deren Verbindungen am Zielorgan Lunge zum Todeszeitpunkt. Bezogen auf das Trockengewicht waren die oberen Normgrenzen um bis zu 28,8-fach (Chrom) bzw 53,7-fach (Nickel) überschritten (Befundbericht Prof. Dr. Dr. J. vom 14. April 2010).
Im Anschluss erstattete Prof. Dr. Dr. J. ein Gutachten, in dem er zu dem Ergebnis kam, dass eine für die Lungenkrebserkrankung des Versicherten zumindest als teilursächlich wesentlich einzustufende Exposition gegenüber VI-wertigem Chrom oder oxidischen Nickelverbindungen nicht vorgelegen habe. Die ermittelten Chrom- und Nickelkonzentrationen im Lungengewebe spiegelten vor allem die inhalative Exposition gegenüber chrom-nickelhaltigen Stäuben wider, die beim Schleifen von Edelstählen aufträten. Diesen zumindest teilweise lungengängigen Stäuben mit hoher Biobeständigkeit in der Oxidationsstufe 0 (elementares bzw metallisches Chrom und Nickel) könne jedoch kein beim Menschen als gesichert anzunehmendes krebserzeugendes Potenzial zugeordnet werden (Gutachten vom 27. Juli 2010 mit ergänzender Stellungnahme vom 26. Januar 2011).
In einem weiteren Gutachten gelangte der Pathologe Prof. Dr. K. zu der Einschätzung, dass der Tod des Versicherten allein Folge des lokal fortgeschrittenen metastasierenden Bronchialkarzinoms sei (Gutachten vom 12. Oktober 2010). Der Landesgewerbearzt vertrat die Auffassung, dass die Lungenkrebserkrankung durch die beruflichen Belastungen durch Chrom und Nickel und ihre Verbindungen verursacht worden und wie eine BK anzuerkennen sei (Stellungnahme Dr. L. vom 9. November 2010).
Mit Bescheid vom 24. Juni 2011 lehnte es die Beklagte (als Rechtsnachfolgerin der BG) gegenüber der Klägerin ab, die Erkrankung des Versicherten als BK nach den Nrn 1103, 4109 und 4104 der Anl 1 zur BKV anzuerkennen. Die Erkrankung sei auch nicht nach § 9 Abs 2 Siebtes Buch Sozialgesetzbuch (SGB VII) wie eine BK anzuerkennen. Ansprüche auf Leistungen im Rahmen der Sonderrechtsnachfolge und ein Anspruch auf Hinterbliebenenleistungen bestünden nicht. Zur Begründung ihrer Entscheidung verwies die Beklagte im Wesentlichen auf das Gutachten von Prof. Dr. Dr. J ...
Den dagegen von der Klägerin erhobenen Widerspruch wies die Beklagte mit Widerspruchsbescheid vom 3. November 2011 zurück.
Am 9. November 2011 hat die Klägerin bei dem Sozialgericht (SG) Hildesheim Klage erhoben und dort geltend gemacht, dass ihr Ehegatte bei seiner beruflichen Tätigkeit etwa 34 Jahre lang nickel- und chromhaltigen Emissionen ausgesetzt gewesen sei. Nach dem Ergebnis der Lungengewebsanalyse seien die Normwerte für die Chrom- und Nickelkonzentration um ein Vielfaches überschritten gewesen. Der Versicherte habe bis 1979 nur gelegentlich und danach überhaupt nicht mehr geraucht. Es sei danach eindeutig, dass die Lungenkrebserkrankung durch die beruflichen Einwirkungen von Chrom und Nickel verursacht worden ist.
Das SG hat Befundberichte und -unterlagen der behandelnden Ärzte des Versicherten beigezogen und den Internisten, Lungen- und Bronchialheilkundler Dr. M. sowie den Arbeitsmediziner Prof. Dr. N. gutachtlich gehört. Dr. M. ist zu dem Ergebnis gelangt, dass es keinen Anhalt für eine berufsbedingte Erkrankung gebe (Gutachten vom 12. Februar 2014 mit ergänzenden Stellungnahmen vom 24. und 25. April 2014 sowie vom 13. Juni 2014). Demgegenüber hat der Sachverständige Prof. Dr. N. die Auffassung vertreten, dass die berufliche Exposition gegenüber Nickel und seinen Verbindungen wesentliche Ursache für die Erkrankung des Versicherten gewesen sei. Maßgebend seien dabei die außergewöhnlich hohe Exposition des Versicherten gegenüber nickelhaltigen Stäuben und der wissenschaftlich gesicherte Nachweis, dass auch metallisches Nickel beim Menschen Lungenkrebs erzeugen kann (Gutachten vom 7. Oktober 2014 und ergänzende Stellungnahme vom 18. März 2015).
Die Beklagte ist dem Gutachten von Prof. Dr. N. entgegengetreten und hat dazu eine Stellungnahme ihres Beratungsarztes Dr. O. (vom 24. Januar 2015) vorgelegt. Danach habe die Exposition gegenüber metallischem Nickel für die Verursachung von Bronchialkarzinomen auch nach aktuellem Kenntnisstand keine wissenschaftlich gesicherte ursächliche Bedeutung.
Ferner hat die Beklagte eine Neuberechnung ihres Präventionsdienstes vorgelegt, wonach sich die kumulative Belastung des Versicherten gegenüber Nickel und seinen Verbindungen nur auf 1.073 µg/m³ x Jahre belaufen habe (Stellungnahme P. vom 29. Januar 2015).
Mit Urteil vom 9. September 2015 hat das SG Hildesheim die Klage abgewiesen. Die Klägerin habe keinen Anspruch auf Hinterbliebenenleistungen, weil die Lungenkrebserkrankung ihres Ehemannes keine BK Nr 4109 gewesen sei. Dabei seien bereits die arbeitstechnischen Voraussetzungen des BK-Tatbestandes nicht erfüllt. Nach der Rechtsprechung des Bundessozialgerichts (BSG; Bezugnahme auf das Urteil vom 12. Januar 2010 - B 2 U 5/08 R) und der herrschenden unfallmedizinischen Lehrmeinung sei dafür eine berufliche Einwirkung durch Nickel von 5.000 µg/m³ x Jahre, zumindest jedoch in Höhe des Halbwerts erforderlich. Dieser Wert werde nach beiden Berechnungen des Präventionsdienstes nicht erreicht. Dem stehe das von Prof. Dr. N. angeführte eklatante Überschreiten der Normwerte im Lungengewebe des Versicherten nicht entgegen, da dieses auch andere als berufliche Gründe haben könne.
Gegen das ihren Prozessbevollmächtigten am 28. September 2015 zugestellte Urteil hat die Klägerin am 9. Oktober 2015 Berufung zum Landessozialgericht (LSG) Niedersachsen-Bremen eingelegt. Sie vertieft ihr bisheriges Vorbringen und stützt sich auf die Ausführungen des Sachverständigen Prof. Dr. N ... Für die Anerkennung der BK Nr 4109 könnten keine beruflichen Belastungen durch Nickel und seine Verbindungen in der Größenordnung von 5.000 µg/m³ x Jahre gefordert werden.
Die Klägerin beantragt,
- 1.
das Urteil des Sozialgerichts Hildesheim vom 9. September 2015 aufzuheben und den Bescheid der Beklagten vom 24. Juni 2011 in Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 3. November 2011 abzuändern,
- 2.
festzustellen, dass die Lungenkrebserkrankung ihres am 9. Januar 2010 verstorbenen Ehemannes eine Berufskrankheit nach Nr 4109 der Anl 1 zur Berufskrankheitenverordnung gewesen ist,
- 3.
die Beklagte zu verurteilen, ihr Hinterbliebenenleistungen zu gewähren.
Die Beklagte beantragt,
die Berufung zurückzuweisen.
Sie verteidigt die erstinstanzliche Entscheidung. Nach neueren, bislang unveröffentlichten und behördenintern herangezogenen Daten ergebe sich für Chrom(VI) nunmehr eine kumulative Belastungsdosis von 245 µg/m³ x Jahre. Für den Umfang der Exposition gegenüber Nickel und seinen Verbindungen lägen keine neuen Erkenntnisse vor. Dazu hat die Beklagte eine Stellungnahme ihres Präventionsdienstes (vom 17. Januar 2018) vorgelegt.
Zur weiteren Aufklärung des Sachverhalts hat der Senat den Sachverständigen Prof. Dr. N. ergänzend gutachtlich gehört. Der Sachverständige hat an seiner Einschätzung festgehalten und ausgeführt, dass die Lungenkrebserkrankung des Versicherten aus arbeitsmedizinischer Sicht die Voraussetzungen einer BK Nr 4109 erfülle. Zudem sei der Tod des Versicherten mit Wahrscheinlichkeit durch die Folgen der BK verursacht worden (Gutachten vom 11. Mai 2018).
Wegen der weiteren Einzelheiten des Sachverhalts und des Vorbringens der Beteiligten wird auf den Inhalt der Prozessakten und der beigezogenen Verwaltungsakte der Beklagten Bezug genommen.
Entscheidungsgründe
Die Berufung der Klägerin ist zulässig und begründet. Das SG hat ihre Klage zu Unrecht abgewiesen.
I. Streitgegenstand ist der Bescheid vom 24. Juni 2011 in Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 3. November 2011, mit dem die Beklagte es abgelehnt hat, die Lungenkrebserkrankung des Versicherten als BK nach den Nrn 1103, 4109 und 4104 der Anl 1 zur BKV oder (gemäß § 9 Abs 2 SGB VII) wie eine BK anzuerkennen und der Klägerin Hinterbliebenenleistungen zu gewähren. Die dagegen erhobene Klage hat die Klägerin im Lauf des erstinstanzlichen Verfahrens auf die Feststellung einer BK Nr 4109 und die Gewährung von Hinterbliebenenleistungen beschränkt (Schriftsatz vom 20. Oktober 2014).
Die Klage ist als kombinierte Anfechtungs-, Feststellungs- und Leistungsklage gemäß §§ 54 Abs 1 und 4, 55 Abs 1 Nr 1 SGG statthaft und auch im Übrigen zulässig. Insbesondere liegt das für die Klage auf Feststellung einer BK Nr 4109 erforderliche Feststellungsinteresse vor, weil der Klägerin als Sonderrechtsnachfolgerin des Versicherten (§ 56 Abs 1 S 1 Nr 1 Sozialgesetzbuch Erstes Buch (SGB I)) infolge des Versicherungsfalls noch Ansprüche auf Verletztengeld und/oder Gewährung einer Verletztenrente für die Zeit bis zum Ableben ihres Ehegatten zustehen können (vgl dazu auch BSG SozR 4-2700 § 63 Nr 6). Derartige Ansprüche sind insbesondere nicht gemäß § 59 S 2 SGB I erloschen, weil im Zeitpunkt des Todes des Versicherten bereits ein Verwaltungsverfahren über sie anhängig gewesen ist.
II. Die Klage hat auch in der Sache Erfolg. Die Lungenkrebserkrankung des Versicherten war eine BK Nr 4109 (dazu unter 1.). Aufgrund dieses Versicherungsfalls steht der Klägerin auch ein Anspruch auf Hinterbliebenenleistungen zu (dazu unter 2.).
1.a) BKen sind gemäß § 9 Abs 1 S 1 SGB VII Krankheiten, die die Bundesregierung durch Rechtsverordnung mit Zustimmung des Bundesrats als BKen bezeichnet (sog Listen-BKen) und die Versicherte infolge einer den Versicherungsschutz nach den §§ 2, 3 oder 6 SGB VII begründenden Tätigkeit erleiden. Insoweit ist die Bundesregierung ermächtigt, in der Rechtsverordnung solche Krankheiten als BKen zu bezeichnen, die nach den Erkenntnissen der medizinischen Wissenschaft durch besondere Einwirkungen verursacht sind, denen bestimmte Personengruppen durch ihre versicherte Tätigkeit in erheblich höherem Grade als die übrige Bevölkerung ausgesetzt sind (§ 9 Abs 1 S 2 SGB VII).
Aus diesen Vorgaben lassen sich bei einer Listen-BK im Regelfall folgende Tatbestandsmerkmale ableiten, die ggf bei einzelnen BKen einer Modifikation bedürfen: Die Verrichtung einer - grundsätzlich - versicherten Tätigkeit (sachlicher Zusammenhang) muss zu Einwirkungen von Belastungen, Schadstoffen oä auf den Körper geführt (Einwirkungskausalität) haben und die Einwirkungen müssen eine Krankheit verursacht haben (haftungsbegründende Kausalität). Dabei müssen die "versicherte Tätigkeit", die "Verrichtung", die "Einwirkungen" und die "Krankheit" iSd Vollbeweises, also mit an Sicherheit grenzender Wahrscheinlichkeit vorliegen. Für die nach der Theorie der wesentlichen Bedingung zu beurteilenden Ursachenzusammenhänge genügt demgegenüber die hinreichende Wahrscheinlichkeit, nicht allerdings eine bloße Möglichkeit (BSG SozR 4-5671 Anl 1 Nr 3101 Nr 5 mwN). Dabei ist der Beweisgrad der hinreichenden Wahrscheinlichkeit erfüllt, wenn mehr für als gegen den Ursachenzusammenhang spricht und ernste Zweifel ausscheiden (BSG, Urteil vom 27. Juni 2017 - B 2 U 17/15 R, juris mwN).
b) Nach diesen Maßgaben war die Lungenkrebserkrankung des Versicherten eine BK Nr 4109.
aa) Der Versicherte hat von April 1974 bis März 1977 eine Ausbildung zum Kessel- und Behälterbauer bei der H. GmbH absolviert und war dort im Anschluss bis Februar 1978 als Behälterbauer beschäftigt. Von Mai 1979 bis Mai 1998 hat er bei demselben Unternehmen als Rohrleitungsmonteur und von Juni 1998 bis zur Diagnose seiner Krebserkrankung im Mai 2009 als Anlagenmechaniker gearbeitet. In diesen Tätigkeiten war er als Beschäftigter gemäß § 539 Abs 1 Nr 1 Reichsversicherungsordnung (RVO; anwendbar bis zum 31. Dezember 1996) bzw § 2 Abs 1 Nr 1 SGB VII (anwendbar ab dem 1. Januar 1997) Versicherter der gesetzlichen Unfallversicherung.
bb) Während und aufgrund der genannten versicherten Tätigkeiten war der Kläger Einwirkungen durch metallisches Nickel und Nickeloxid und damit den im Tatbestand der BK Nr 4109 genannten Einwirkungen durch Nickel und seine Verbindungen ausgesetzt. Das ergibt sich aus den Ermittlungen des Präventionsdienstes der BG bzw der Beklagten (vgl dazu insbesondere die Stellungnahmen vom 3. Februar 2010, 4. März 2010 und 29. Januar 2015) und steht zwischen den Beteiligten dem Grunde nach auch nicht im Streit.
cc) Bei dem Versicherten bestand ein Adenobronchialkarzinom des rechten Lungenoberlappens, das im Mai 2009 diagnostiziert worden ist. Damit lag eine Erkrankung vor, die nach den aktuellen wissenschaftlichen Erkenntnissen - auf die im Nachfolgenden noch näher eingegangen wird - potenziell sowohl durch Nickeloxide als auch durch metallisches Nickel verursacht werden und demzufolge eine BK Nr 4109 sein kann (vgl Mehrtens/Brandenburg, Die Berufskrankheitenverordnung, Stand: 1/2018, M 4109, Anmerkungen Rn 3 und 4; Schönberger/Mehrtens/Valentin, Arbeitsunfall und Berufskrankheit, 9. Aufl, S 1178 ff).
dd) Es ist auch hinreichend wahrscheinlich, dass die Krebserkrankung des Versicherten durch die beruflichen Einwirkungen von Nickel und seinen Verbindungen verursacht worden ist.
Für den Ursachenzusammenhang zwischen Einwirkung und Erkrankung gilt im BKen-Recht wie auch sonst in der gesetzlichen Unfallversicherung die Theorie der wesentlichen Bedingung, die zunächst auf der naturwissenschaftlich-philosophischen Bedingungstheorie beruht, nach der jedes Ereignis (jede Bedingung) Ursache eines Erfolges ist, das nicht hinweggedacht werden kann, ohne dass der Erfolg entfiele (conditio-sine-qua-non). Erst wenn auf dieser ersten Stufe feststeht, dass ein bestimmtes Ereignis - hier die Einwirkung durch einen Arbeitsstoff - eine naturphilosophische Ursache der Krankheit ist, stellt sich auf der zweiten Stufe die Frage, ob die Einwirkung auch wesentliche Ursache ist. Das ist zu bejahen, wenn sie rechtlich die Realisierung einer in den Schutzbereich des jeweils erfüllten Versicherungstatbestands fallenden Gefahr ist (vgl BSG SozR 4-5671 Anl 1 Nr 1103 Nr 1).
(1) Die Einwirkungen durch Nickel und Nickeloxid waren im naturwissenschaftlichen Sinn ursächlich für die Entstehung der Lungenkrebserkrankung des Versicherten, denn sie können mit Wahrscheinlichkeit nicht hinweggedacht werden, ohne dass die Erkrankung entfallen wäre.
Der Senat folgt insofern dem schlüssig begründeten und überzeugenden Gutachten des Sachverständigen Prof. Dr. N ... Für den Zusammenhang sprechen danach die hohe Exposition des Versicherten gegenüber nickelhaltigen Stäuben am Arbeitsplatz, in geringerem Umfang auch gegenüber oxidischen Nickelverbindungen in Schweißrauchen über einen Zeitraum von ungefähr 34 Jahren und die wissenschaftlich gesicherte Erkenntnis, dass sowohl oxidische Nickelverbindungen als auch metallisches Nickel beim Menschen krebserzeugend ist. Dabei steht zwischen den Beteiligten im Wesentlichen nur noch der Umfang der Exposition im Streit; an ihrer mittlerweile überholten Auffassung, wonach metallischem Nickel für die Verursachung von Bronchialkarzinomen keine wissenschaftlich gesicherte ursächliche Bedeutung zukommt, hält die Beklagte auf Nachfrage des Senats ausdrücklich nicht mehr fest (Schriftsatz vom 19. Januar 2018). Auch ansonsten hat sie keine gewichtigen Gründe dargelegt, die gegen den Ursachenzusammenhang sprechen könnten, und solche sind auch von Amts wegen nicht ersichtlich.
(a) Die Frage, welcher Einwirkungen es mindestens bedarf, um eine BK zu verursachen oder die Anerkennung einer BK unter Einbeziehung weiterer Kriterien zu rechtfertigen, ist im Allgemeinen unter Zuhilfenahme medizinischer, naturwissenschaftlicher und technischer Sachkunde nach dem im Entscheidungszeitpunkt aktuellen wissenschaftlichen Erkenntnisstand zu beantworten (vgl BSG, Urteil vom 27. Juni 2006 - B 2 U 20/04 R, juris Rn 20 - SozR 4-2700 § 9 Nr 7 mwN). Als aktueller Erkenntnisstand sind solche durch Forschung und praktische Erfahrung gewonnenen Erkenntnisse anzusehen, die von der großen Mehrheit der auf dem betreffenden Gebiet tätigen Fachwissenschaftler anerkannt werden, über die also - von vereinzelten, nicht ins Gewicht fallenden Gegenstimmen abgesehen - Konsens besteht (BSG aaO und SozR 4-2700 § 9 Nr 26). Gibt es keinen aktuellen allgemeinen wissenschaftlichen Erkenntnisstand zu einer bestimmten Fragestellung, kann in Abwägung der verschiedenen Auffassungen einer nicht nur vereinzelt vertretenen Auffassung gefolgt werden (BSG SozR 4-5671 Anl 1 Nr 1103 Nr 1 mwN).
Nach den Ausführungen des Sachverständigen Prof. Dr. N. existiert jedoch kein allgemein anerkannter wissenschaftlicher Erkenntnisstand zur Dosis-Wirkungsbeziehung von Einwirkungen durch Nickel und seinen Verbindungen und des Risikos einer Lungenkrebserkrankung. Insoweit liegen aktuell keine ausreichenden Daten vor, aus denen ein mit einer Risikoverdopplung oder zumindest mit einer erheblichen quantifizierbaren Erhöhung des Erkrankungsrisikos assoziiertes Dosismaß abgeleitet werden könnte (vgl dazu auch Letzel in: Triebig/Kentner/Schiele, Arbeitsmedizin, 4. Aufl, S 346; Pesch ua in: Letzel/Nowak, Handbuch der Arbeitsmedizin, 4. EL 10/07, D II-1.1.N-1, S 16 f; Schönberger/Mehrtens/Valentin aaO, S 1178 ff). Einen allgemein anerkannten Erkenntnisstand bildet insbesondere nicht das von Norpoth und Popp im Jahr 1994 "im Sinne eines vereinfachten BK-Anerkennungsverfahrens" vorgeschlagene orientierende Dosismaß in Höhe von 5.000 µg/m³ x Jahre ab. Denn dieser vorgeschlagene Wert wird allgemein als nicht wissenschaftlich begründet angesehen (Pesch ua aaO; Schönberger/Mehrtens/Valentin aaO; vgl auch Senatsurteil vom 29. August 2018 - L 3 U 109/15, juris).
Entgegen der Auffassung des SG ist eine solche Gesamtbelastungsdosis auch nicht aufgrund der Rechtsprechung des BSG im Sinne einer arbeitstechnischen Voraussetzung für die Anerkennung der BK Nr 4109 zu fordern. In der dazu vom SG angeführten Entscheidung hat das BSG insoweit lediglich die im Revisionsverfahren nicht angegriffenen tatsächlichen Feststellungen des Berufungsgerichts zugrunde gelegt (BSG SozR 4-2700 § 9 Nr 17, Rn 34; vgl dazu auch BSG, Urteil vom 29. November 2011 - B 2 U 26/10 R, juris). Das ändert nichts daran, dass der Senat die zum Zeitpunkt seiner Entscheidung aktuellen wissenschaftlichen Erkenntnisse zur Dosis-Wirkungs-Beziehung zugrunde zu legen hat und beinhaltet insbesondere keine vom Verordnungsgeber nicht normierte Vorgabe für die Anerkennung einer BK Nr 4109.
Soweit der Sachverständige Prof. Dr. N. davon ausgeht, dass epidemiologische Studien von Grimsrud ua aus den Jahren 2002 ff wichtige Erkenntnisse zum Lungenkrebsrisiko durch Nickel und seine Verbindungen erbracht haben, lässt sich dem ebenfalls kein allgemein anerkannter wissenschaftlicher Erkenntnisstand entnehmen. Nach den obigen Ausführungen wird die aktuelle Datenlage in der Literatur praktisch einhellig als unzureichend bezeichnet; dabei nehmen Letzel/Nowak (aaO, S 19) auch ausdrücklich Bezug auf die Studienergebnisse von Grimsrud ua. Zudem hat Schneider in einer Veröffentlichung aus dem Jahr 2008 (ASUMed 2008, 326) auf die Schwächen der Studie hingewiesen; danach ergeben sich aufgrund geringer Fallzahlen breite Konfidenzintervalle, die die Belastbarkeit einer Dosis-Wirkungs-Beziehung in Frage stellen.
(b) Das Fehlen gesicherter Erkenntnisse zur Dosis-Wirkungs-Beziehung zwischen Einwirkungen durch Nickel und seine Verbindungen und der Entstehung von Lungenkrebs bedeutet jedoch nicht, dass die Anerkennung einer BK Nr 4109 von vornherein nicht in Betracht kommt. Dagegen spricht schon der Umstand, dass der Verordnungsgeber bösartige Neubildungen ua der Lungen durch Nickel oder seine Verbindungen ausdrücklich als Listen-BK bezeichnet hat, ohne eine dafür notwendige Mindestbelastungsdosis zu bezeichnen. Daraus kann zwar nicht abgeleitet werden, dass jede noch so geringe Einwirkung dieser Arbeitsstoffe für einen Ursachenzusammenhang spricht oder gar dessen Wahrscheinlichkeit begründet. Vorliegend ist jedoch eine arbeitsmedizinisch relevante und hohe Exposition des Versicherten gegenüber metallischem Nickel und oxidischen Nickelverbindungen bewiesen.
Für die Beurteilung des Umfangs der beruflichen Einwirkungen durch diese Stoffe liegen nur teilweise arbeitsplatzbezogene Messergebnisse vor. Die präventionsdienstliche Stellungnahme vom 3. Februar 2010 enthält dazu nur den Hinweis auf eine im Jahr 2008 durchgeführte Messung im Beschäftigungsbetrieb des Versicherten. Danach war der Grenzwert für Nickeloxid von 0,5 mg/m³ bei dem WIG-Schweißverfahren im Bereich Behälterbauer unterschritten. Darüber hinaus finden sich aber keine Anhaltspunkte auf weitere Messungen am Arbeitsplatz des Versicherten, insbesondere in Bezug auf die bei Schleifarbeiten auftretenden Belastungen durch Nickelmetall enthaltende Stäube und die Einwirkung von Nickeloxiden bei anderen Schweißverfahren, die der Versicherte während seiner beruflichen Tätigkeiten ebenfalls angewandt hat. Eine weitere Schwierigkeit besteht darin, dass die zeitlichen Anteile der Einzeltätigkeiten des Versicherten im Nachhinein unter Heranziehung der Angaben des Arbeitgebers nur ungefähr geschätzt werden konnten (zur Zulässigkeit von Schätzungen von Einwirkungen im BK-Recht vgl BSG SozR 4-5671 Anl 1 Nr 4111 Nr 3). Dabei reichen die Schätzungen der Mitarbeiter des Beschäftigungsbetriebs vom Februar 2010 teils weit in die Vergangenheit zurück; sie umfassen den Zeitraum ab dem Beginn der Ausbildung des Versicherten im Frühjahr 1974. Gleichzeitig gab es nach den Ermittlungen des Präventionsdienstes besonders belastende Einzeltätigkeiten (zB andere Schweißverfahren als das WIG-Schweißen sowie Plasmaschneidearbeiten), deren retrospektive Schätzung für einen mehrere Jahrzehnte umfassenden Zeitraum mit erheblichen Unwägbarkeiten verbunden ist. Insoweit können sich schon kleinere Abweichungen von den tatsächlichen zeitlichen Anteilen dieser Tätigkeiten in relevantem Ausmaß auf die Gesamtbelastungsdosis auswirken.
Auch aus diesen Gründen müssen die vom Präventionsdienst angenommenen Werte nicht für die Tätigkeiten des Versicherten zutreffen. Die Zugrundelegung der arbeitstechnischen Analyse aufgrund von Schätzungen und Erfahrungswerten kommt deshalb nur in Betracht, wenn und soweit für den Versicherten keine aussagekräftigeren individuellen Feststellungen möglich sind; Prof. Dr. Dr. J. bezeichnet die vom Präventionsdienst zugrunde gelegten Daten insofern zutreffend als ultima ratio.
Vorliegend können aber Feststellungen über die Nickelkonzentration im Lungengewebe des Versicherten getroffen werden, die eine für die arbeitsmedizinische Zusammenhangsbeurteilung hinreichende individuelle Abschätzung der tatsächlichen Expositionen ermöglichen. Danach war der Versicherte bei Ausübung seiner beruflichen Tätigkeiten von 1974 bis zur Diagnose der Krebserkrankung im Jahr 2009 - mithin über einen Zeitraum von ungefähr 34 Jahren - in außergewöhnlich hohem Umfang gegenüber nickelhaltigen Stäuben exponiert. Das steht zur vollen Überzeugung des Senats aufgrund des Befundberichts über Chrom- und Nickelanalysen in Lungengewebsproben mit arbeitsmedizinisch-toxikologischer Expertise von Prof. Dr. Dr. J. vom 14. April 2010, dessen Ausführungen im Gutachten vom 26. Juli 2010 und der im erstinstanzlichen Verfahren sowie im Berufungsverfahren eingeholten Gutachten von Prof. Dr. N. fest. Danach überschritt die Nickelkonzentration im Lungengewebe des Versicherten die normale Konzentration um das bis zu 53-fache; auch die Normgrenzen für Chrom waren massiv (maximal um den Faktor 28,8) überschritten. Entgegen der Auffassung der Beklagten belegt das nicht nur einen pathologischen Zustand, sondern beweist eine massive berufliche Nickelexposition. So folgert auch Prof. Dr. Dr. J. aus den Ergebnissen seiner Analysen eine aus arbeitsmedizinisch-toxikologischer Sicht relevante Kumulation von Chrom und Nickel bzw deren Verbindungen am Zielorgan Lunge. Dazu stellt er in seinem Gutachten ergänzend fest, dass die Analysenergebnisse eine deutliche inhalative Belastung der Lunge durch Chrom und Nickel sowie in wahrscheinlich geringerem Umfang durch deren Verbindungen aufzeigen. Prof. Dr. N. schließt daraus überzeugend auf eine außergewöhnlich hohe Exposition gegenüber nickelhaltigen Stäuben, was schon aufgrund der exzessiven Überschreitung der Normwerte nachvollziehbar ist. Das deckt sich weitestgehend mit den Annahmen von Prof. Dr. Dr. J ... Zwar führen beide Gutachter dazu übereinstimmend aus, dass eine Differenzierung der Analyseergebnisse nach Oxidationsstufen oder Verbindungen des jeweiligen Metalls an sich nicht möglich sei. Im Ergebnis nehmen aber beide mit nachvollziehbarer Begründung an, dass die festgestellten Gewebekonzentrationen vor allem die inhalative Exposition des Versicherten gegenüber chrom-nickelhaltigen (Schleif-)Stäuben widerspiegeln, die metallisches Chrom und metallisches Nickel enthalten haben. Diese lungengängigen Stäube zeichnen sich durch eine hohe Biobeständigkeit aus und werden nur in einem geringen Umfang wieder aus der Lunge eliminiert.
Die vorliegenden individuellen Analysenwerte lassen nach gesicherten wissenschaftlichen Erkenntnissen auch einen Rückschluss auf die inhalative Belastung des Versicherten durch Nickel und seine Verbindungen zu. Das gilt jedenfalls dann, wenn - wie hier (vgl dazu noch im Folgenden) - keine Alternativursachen ersichtlich sind. Insoweit ist es in der arbeitsmedizinischen Literatur praktisch unbestritten, dass Chrom- und Nickelanalysen in Lungengewebsproben die retrospektive Abschätzung der stattgehabten inhalativen Exposition erlauben; das nimmt insbesondere auch Prof. Dr. Dr. J. für das hier angewandte Verfahren der elektrothermalen Atomabsorptionsspektrophotometrie mit Zeeman-Untergrundkompensation an (vgl Raithel in: ASUMed 1996, 262; ders in: ASUMed 2008, 328; Letzel in: Triebig/Kentner/Schiele, Arbeitsmedizin, 4. Aufl 2014, S 346; Pesch in ASUMed 2008, S 331; Zschiesche in ASUMed 2008, S 335). Die Beklagte hat weder Anhaltspunkte dafür dargelegt noch ist von Amts wegen ersichtlich, dass diese Erkenntnisse mittlerweile überholt sein könnten. Demzufolge musste der Senat auch nicht der Beweisanregung der Beklagten nachgehen, zusätzlich Prof. Dr. Dr. J. zu dem insoweit aktuellen (aber bereits geklärten) wissenschaftlichen Stand zu hören.
Nach den überzeugenden Ausführungen von Prof. Dr. N. lässt der Nachweis der hohen Beladung der Lunge des Versicherten mit Nickel den eindeutigen Schluss auf eine außergewöhnlich hohe Exposition zu. Dabei sind die Analysenergebnisse nicht mit dem Ergebnis der Berechnungen des Präventionsdienstes vereinbar; sie lassen vielmehr auf eine signifikant höhere tatsächliche Belastung als vom Präventionsdienst angenommen schließen. Während sich aus der Berechnung des Präventionsdienstes lediglich eine durchschnittliche Expositionshöhe (Luftkonzentration) von 31,56 µg/m³ (entspricht 0,03156 mg/m³) ergibt ([1.073 µg/m³ x Jahre]: 34 Jahre), lassen die Ergebnisse der Lungengewebsuntersuchung den Rückschluss auf eine Nickel-Staubbelastung gegenüber einer Konzentration von mehreren mg/m³ zu (S 19 des Gutachtens von Prof. Dr. N. vom 11. Mai 2018). Bei dieser Sachlage kann dem Ergebnis der allein auf Schätzungen und Erfahrungswerten beruhenden Berechnungen des Präventionsdienstes, bei denen die hohe Nickelkonzentration in der Lunge des Versicherten gänzlich unberücksichtigt geblieben ist, von vornherein keine ausschlaggebende Bedeutung beigemessen werden. Eine genauere oder gar mathematisch exakte Rückrechnung lassen die Ergebnisse der Lungengewebsuntersuchung nicht zu, weil die vom Versicherten aufgenommene Dosis nicht nur von der Luftkonzentration, sondern entscheidend auch vom zeitlichen Umfang der jeweiligen Einzeltätigkeiten abhängig ist, der nicht exakt dokumentiert ist und nur noch geschätzt werden kann. Außerdem bilden die Analysenergebnisse nur den Ist-Zustand ungefähr zum Todeszeitpunkt ab; aufgrund der teilweisen Eliminierung der Metalle muss aber davon ausgegangen werden, dass der Versicherte tatsächlich noch höheren Expositionen durch metallisches Nickel ausgesetzt gewesen ist, als es durch die in den Lungengewebsproben gefundene Nickelkonzentration bewiesen ist.
Die Ergebnisse der Nickelanalyse in den Lungengewebsproben des Versicherten und die daraus zu folgernde außergewöhnlich hohe Exposition gegenüber Nickel und seinen Verbindungen rechtfertigen nach der nachvollziehbar begründeten Einschätzung des Sachverständigen Prof. Dr. N. aus arbeitsmedizinischer Sicht den Schluss, dass die Lungenkrebserkrankung durch die Einwirkungen von Nickelmetall und oxidischen Nickelverbindungen verursacht worden ist. Der Sachverständige nimmt insofern Bezug auf eine Arbeit von Prof. Dr. Dr. J. ua (in: ASUMed 1996, 362), in der die Zusammenhänge zwischen Expositionsdauer und -höhe und Lungengewebskonzentrationen anhand von kasuistischen Beispielen und die gutachterlichen Empfehlungen zur Anerkennung einer BK in diesen Fällen dargelegt werden. Auf dieser Grundlage stellt Prof. Dr. N. zutreffend fest, dass die Nickelkonzentrationen in der Größenordnung von einigen 10.000 ng/g Trockengewicht (TG) in den Fällen, in denen die Anerkennung einer BK Nr 4109 empfohlen worden war, mit der Nickelkonzentration im Lungengewebe des Versicherten vergleichbar sind. Während etwa in dem von Raithel ua (aaO) beschriebenen Fall des Patienten Nr 8 Nickelkonzentrationen zwischen 30.770 bis 32.510 ng/g TG bei gleichzeitig festgestelltem jahrzehntelangen erheblichen Zigarettenkonsum (ca 25 Zigaretten täglich) zur Empfehlung der Anerkennung einer BK Nr 4109 geführt haben, erreichten die Werte des Versicherten mit bis zu 32.210 ng/g TG eine vergleichbare Höhe. Es ist daher ohne weiteres nachvollziehbar, dass der Sachverständige von einer arbeitsmedizinisch relevanten Gesamtbelastung des Versicherten ausgeht, die mit Wahrscheinlichkeit für die Entstehung der Krebserkrankung ursächlich geworden ist.
Mit der Zugrundelegung des Gutachtens des Sachverständigen Prof. Dr. N. folgt der Senat auch nicht einer nur vereinzelt vertretenen Auffassung; vielmehr wendet der Sachverständige gerade die Grundsätze an, die ua von Prof. Dr. Dr. J. entwickelt worden sind. Da im Übrigen im arbeitsmedizinischen Schrifttum Einigkeit darüber besteht, dass aktuell keine ausreichenden Daten zur Beurteilung der hier relevanten Dosis-Wirkungs-Beziehung existieren und deshalb auch keine konkreten Vorschläge für die Anerkennung eines erhöhten Erkrankungsrisikos im Falle einer bestimmten Einwirkungsdosis vorhanden sind, hält es der Senat für sachgerecht, der unter Bezugnahme auf Raithel ua (aaO) begründeten Auffassung des Sachverständigen zu folgen.
Für den Ursachenzusammenhang spricht ferner die mittlerweile gesicherte wissenschaftliche Erkenntnis, dass neben oxidischen Nickelverbindungen auch metallisches Nickel am Zielorgan Lunge humankanzerogen wirkt (vgl dazu die Nachweise im Gutachten von Prof. Dr. N. vom 11. Mai 2018, S 8 und Anl 1; Schönberger/Mehrtens/Valentin aaO, S 1178). Die gegenteilige Auffassung von Prof. Dr. Dr. J. (im Gutachten vom Juli 2010 bzw Januar 2011) und Dr. O. (zuletzt geäußert in der beratungsärztlichen Stellungnahme vom 24. Januar 2015) entspricht demgegenüber nicht mehr dem aktuellen Erkenntnisstand; an dieser Auffassung hält die Beklagte auch ausdrücklich nicht mehr fest.
Als Konkurrenzursachen, die für die Entstehung der Lungenkrebserkrankung (mit-)ursächlich geworden sein könnten, kommen zwar der frühere Zigarettenkonsum des Versicherten sowie eine ubiquitäre Belastung in Frage. Der Sachverständige hat hierzu jedoch nachvollziehbar dargelegt, dass diese von der beruflichen Exposition unabhängigen Faktoren nicht quantifizierbar und allenfalls gering sind. Der Versicherte hat das zuvor nur gelegentliche Rauchen bereits im Jahr 1979 (Vorbringen im erstinstanzlichen Verfahren), spätestens aber 1987 (Angabe im Verwaltungsverfahren) aufgegeben; das ergibt sich aus den glaubhaften Angaben der Klägerin. Hinweise für ein relevant erhöhtes Krebsrisiko infolge des Tabakrauchkonsums bestehen auch ansonsten nicht; insbesondere finden sich dafür in den vorliegenden ärztlichen Befundunterlagen keine Anknüpfungspunkte. Damit lässt sich schon nicht feststellen, dass das Rauchen im naturwissenschaftlichen Sinn Ursache der Krebserkrankung geworden ist. Dasselbe gilt hinsichtlich der ubiquitären Belastung durch Nickel und seine Verbindungen, der auch beruflich nicht exponierte Personen ausgesetzt sind. Abgesehen davon, dass diese Belastung nicht quantifizierbar ist - wogegen auch die Beklagte keine Einwendungen erhoben hat - belegt gerade das exzessive Überschreiten der Normwerte für die Nickelkonzentration im Lungengewebe, dass die beruflichen Belastungen des Versicherten um ein Vielfaches höher gelegen haben als die Hintergrundbelastung, die sich auch in den Normwerten abbildet. Für die Vermutung des SG, der Versicherte könnte im privaten Bereich erhöhten Nickelbelastungen ausgesetzt gewesen sein, werden weder Anhaltspunkte von der Beklagten dargelegt noch sind solche von Amts wegen ersichtlich.
Gegen den Ursachenzusammenhang könnte allenfalls sprechen, dass der Versicherte an einem Adenokarzinom erkrankt gewesen ist, während Krebserkrankungen durch Nickel oder seine Verbindungen (ebenso wie solche durch Chrom oder seine Verbindungen) typischerweise als Plattenepithelkarzinome auftreten (vgl dazu Schönberger/Mehrtens/Valentin aaO, S 1175, 1179). Das schließt den Ursachenzusammenhang aber nicht aus, weil im Einzelfall auch andere Tumoren wie zB Adenokarzinome infolge von Einwirkungen durch diese Arbeitsstoffe auftreten und damit als BK Nr 4109 anerkennungsfähig sein können (vgl Schönberger/Mehrtens/Valentin aaO, S 1179).
Nach alledem sprechen mehr und gewichtigere Umstände für als gegen den Ursachenzusammenhang. Folglich ist es hinreichend wahrscheinlich, dass die Lungenkrebserkrankung des Versicherten durch die berufliche Exposition gegenüber Nickel und seinen Verbindungen verursacht worden ist.
(2) Die beruflichen Einwirkungen durch Nickelmetall und Nickeloxid sind auch wesentliche Ursache der Lungenkrebserkrankung des Versicherten.
In diesem Zusammenhang ist entscheidend, ob der begründete Versicherungsschutz den Sinn und Zweck hat, gegen Schäden der konkret eingetretenen Art zu schützen (vgl dazu BSG SozR 4-5671 Anl 1 Nr 1103 Nr 1). Das ist hier eindeutig der Fall; die kausal auf den versicherten Nickeleinwirkungen beruhende Lungenkrebserkrankung des Versicherten ist vom Schutzzweck der BK Nr 4109 erfasst. Die gesetzliche Unfallversicherung soll im Rahmen dieser Listen-BK ua vor bösartigen Neubildungen der Lunge (und damit insbesondere vor Bronchialkarzinomen) durch betriebliche Nickel- und Nickeloxidbelastungen schützen und im Falle des Eintritts einer solchen Erkrankungsleistungen gewähren. Dabei hat der Verordnungsgeber keinen Schwellenwert festgeschrieben, der überschritten sein muss, damit die BK Nr 4109 festgestellt werden kann. Da andere Ursachen nicht festgestellt bzw nicht quantifiziert werden können, kann mit dem Sachverständigen Prof. Dr. N. festgestellt werden, dass die versicherten Einwirkungen alleinige wesentliche Ursache der Krebserkrankung geworden sind.
2. Der Klägerin steht aufgrund der bei dem Versicherten festgestellten BK Nr 4109 auch ein Anspruch auf Hinterbliebenenleistungen zu.
a) Rechtsgrundlage für den geltend gemachten Anspruch ist die Regelung in § 63 Abs 1 SGB VII. Danach haben Hinterbliebene eines Versicherten Anspruch auf verschiedene (im Gesetz näher bezeichnete) Hinterbliebenenleistungen, wenn der Tod des Versicherten "infolge eines Versicherungsfalls eingetreten ist" - also durch einen Arbeitsunfall oder eine BK (vgl hierzu § 7 Abs 1 SGB VII). Diese Voraussetzungen sind hier erfüllt.
b) Die Klägerin ist Witwe des am 9. Januar 2010 verstorbenen Versicherten. Damit gehört sie zum Kreis der anspruchsberechtigten Personen gemäß § 64 Abs 1, 65 Abs 1 SGB VII.
c) Der Tod des Versicherten ist auch infolge des Versicherungsfalls der BK Nr 4109 eingetreten. Das folgt zur Überzeugung des Senats aus dem Gutachten von Prof. Dr. K., das im Wege des Urkundenbeweises verwertet werden kann, weil es den formalen und inhaltlichen Anforderungen an ein gerichtliches Sachverständigengutachten entspricht. Die Einschätzung ist vom Sachverständigen Prof. Dr. N. bestätigt worden; danach ist der Tod des Versicherten allein Folge des lokal fortgeschrittenen metastasierenden Bronchialkarzinoms. An der Richtigkeit dieser Beurteilung, die auch von der Beklagten nicht infrage gestellt wird, bestehen angesichts der Ausführungen von Prof. Dr. Dr. J. (Befundbericht und arbeitsmedizinisch-toxikologische Expertise vom 14. April 2010; Gutachten vom 26. Juli 2010) sowie des Beratungsarztes Dr. O. (Stellungnahmen vom 13. Februar 2010 und 24. Januar 2015) keine Zweifel.
Soweit der Sachverständige Dr. M. eine hiervon abweichende Auffassung vertritt, kann seinem Gutachten nicht gefolgt werden. Der Sachverständige geht schon grundlegend von falschen Voraussetzungen aus, indem er die gesicherte wissenschaftliche Erkenntnis ignoriert, wonach Einwirkungen durch Chromate sowie Nickel und seinen Verbindungen geeignet sind, beim Menschen Lungenkrebs zu erzeugen. Dass er diese Erkenntnisse in Abrede stellt, stellt seine Befähigung ernsthaft infrage, die vorliegend entscheidenden arbeitsmedizinischen Zusammenhänge fachlich zutreffend zu beurteilen. Damit ist sein Gutachten insgesamt unverwertbar.
III. Die Kostenentscheidung folgt aus § 193 Abs 1 SGG.
Gründe, die Revision zuzulassen (§ 160 Abs 2 SGG), sind nicht ersichtlich.