Oberverwaltungsgericht Niedersachsen
Beschl. v. 17.09.2007, Az.: 12 ME 225/07

Bestimmung eines Ersatzfahrzeugs bei der Anordnung einer Fahrtenbuchauflage; Anordnung einer Fahrtenbuchauflage wegen Unmöglichkeit der Feststellung des Fahrzeugführers nach einer Zuwiderhandlung gegen Verkehrsvorschriften

Bibliographie

Gericht
OVG Niedersachsen
Datum
17.09.2007
Aktenzeichen
12 ME 225/07
Entscheidungsform
Beschluss
Referenz
WKRS 2007, 41051
Entscheidungsname
[keine Angabe]
ECLI
ECLI:DE:OVGNI:2007:0917.12ME225.07.0A

Verfahrensgang

vorgehend
VG Oldenburg - 21.05.2007 - AZ: 7 B 1133/07

Fundstellen

  • NJW 2007, X Heft 50 (red. Leitsatz)
  • NJW 2008, 167-168 (Volltext mit red. LS)
  • NZV 2008, 52-54 (Volltext mit red. LS)
  • SVR 2008, 156-157 (Volltext mit amtl. LS u. Anm.)

Amtlicher Leitsatz

Zur Bestimmung eines Ersatzfahrzeugs bei der Anordnung einer Fahrtenbuchauflage.

Gründe

1

Die Beschwerde des Antragsgegners gegen den Beschluss des Verwaltungsgerichts, mit dem dieses die aufschiebende Wirkung der gegen den Bescheid des Antragsgegners vom 29. März 2007 erhobenen Klage wiederhergestellt hat, hat keinen Erfolg. Mit der für sofort vollziehbar erklärten Anordnung vom 29. März 2007 hatte der Antragsgegner dem Antragsteller aufgegeben, für das von ihm gehaltene Fahrzeug mit dem amtlichen Kennzeichen D. als Ersatz- bzw. Nachfolgefahrzeug für das Fahrzeug E. ein Fahrtenbuch für die Dauer von sechs Monaten zu führen.

2

Das Verwaltungsgericht hat zur Begründung seiner Entscheidung ausgeführt, die im Verfahren gemäß § 80 Abs. 5 VwGO vorzunehmende Interessenabwägung gehe zugunsten des Antragstellers aus, weil bei der im Verfahren des vorläufigen Rechtsschutzes gebotenen summarischen Prüfung der Sach- und Rechtslage davon auszugehen sei, dass die vom Antragsteller gegen den Bescheid erhobene Klage Erfolg haben werde. Die Anordnung einer Fahrtenbuchauflage gemäß § 31a Abs. 1 Satz 1 StVZO wegen Unmöglichkeit der Feststellung des Fahrzeugführers nach einer Zuwiderhandlung gegen Verkehrsvorschriften setze voraus, dass die Behörde die nach den Umständen des Einzelfalls angemessenen Maßnahmen zur Ermittlung des Täters ergriffen habe und diese keinen Erfolg gehabt hätten. Dem Erfordernis des angemessenen Ermittlungsaufwands sei hier nicht genügt, weil die Ermittlungsbehörde im Ordnungswidrigkeitenverfahren den Nachweis über den Zugang des an den Antragsteller gerichteten Anhörungsbogens nicht erbracht habe. Zwar sei eine förmliche Zustellung des Anhörungsbogens an den Betroffenen nicht zwingend, jedoch sei hier zweifelhaft, ob der Anhörungsbogen überhaupt versendet worden sei. Ein entsprechender "Ab-Vermerk" finde sich in den Ermittlungsakten nicht. Bei dieser Sachlage könne offen bleiben, ob der Bescheid des Antragsgegners nicht auch aus anderen Gründen rechtlich bedenklich sei.

3

Die zur Begründung seiner dagegen erhobenen Beschwerde vorgebrachten Einwendungen des Antragsgegners, auf deren Überprüfung der Senat gemäß § 146 Abs. 4 Satz 6 VwGO beschränkt ist, rechtfertigen eine Änderung des verwaltungsgerichtlichen Beschlusses nicht.

4

Zwar hat der Antragsgegner die vom Verwaltungsgericht vertretene Auffassung, in Bezug auf den festgestellten Verkehrsverstoß vom 5. November 2006 - Überschreiten der zulässigen Höchstgeschwindigkeit von 100 km/h auf der Bundesstraße 72 in F. um 23 km/h - sei die Unmöglichkeit der Fahrerfeststellung voraussichtlich nicht gegeben, weil die Absendung des an den Antragsteller als Fahrzeughalter adressierten Anhörungsbogens nicht hinreichend dokumentiert worden sei, mit dem Hinweis auf die EDV-gestützte Bearbeitung von Verkehrsordnungswidrigkeiten zu Recht in Zweifel gezogen. Der vom Verwaltungsgericht vermisste "Ab-Vermerk" findet sich danach regelmäßig nicht in den Akten der Ordnungswidrigkeitenbehörde. Stattdessen kann regelmäßig anhand eines Datenauszugs - hier eines Statusberichts vom 30. Mai 2007 - hinreichend nachvollzogen werden, ob und wann ein Anhörungsbogen übersandt worden ist (vgl. Senat, Beschl. v. 10.3.2006 - 12 ME 48/06 -). Im Ergebnis ändert dies an dem Erfolg des vorläufigen Rechtsschutzbegehrens des Antragstellers aber nichts. Denn hier spricht Überwiegendes dafür, dass die Klage gegen die streitige Fahrtenbuchauflage Erfolg haben wird.

5

In formeller Hinsicht ist zu bemängeln, dass der Bescheid vom 29. März 2007 Unklarheiten enthält und deshalb Zweifel an seiner hinreichenden Bestimmtheit im Sinne der §§ 1 Abs. 1 Nds. VwVfG, 37 Abs. 1 VwVfG aufwirft. Das Bestimmtheitsgebot verlangt, dass die durch den Verwaltungsakt getroffene Regelung hinreichend klar, aus sich heraus verständlich und in sich widerspruchsfrei ist, wobei diesem Erfordernis auf Grund des gesamten Inhalts des Verwaltungsakts, insbesondere seiner Begründung, und im Hinblick auf die den Beteiligten bekannten Umstände seines Erlasses Genüge getan sein kann (Kopp/Raumsauer, VwVfG, 9. Aufl., § 37 RdNr. 12 m.w.N.; vgl. allg. BVerwG, Beschl. v. 13.12.1973 - II C 18.73 -, BayVBl. 1974, 347). Hier ist dem Antragsteller im Tenor der Verfügung für das Fahrzeug D. das Führen eines Fahrtenbuchs für die Dauer von sechs Monaten auferlegt worden, wobei die Anordnung im Hinblick auf die zugleich angeordnete sofortige Vollziehung vom Tage nach Zustellung dieser Verfügung an gelten sollte. Zugestellt wurde die Verfügung dem Antragsteller am 30. März 2007. In der weiteren Begründung des Bescheids (S. 4) heißt es demgegenüber, dass, weil für das o.g. Fahrzeug bereits durch Verfügung vom 9. November 2006 eine Fahrtenbuchauflage für die Zeit vom 14. November 2006 bis zum 13. November 2007 angeordnet worden sei, sich diese Frist nunmehr bis zum 13. Mai 2008 verlängere. Die dadurch gewollte Verlängerung bzw. zeitliche Verschiebung der Anordnungsdauer hätte, um Unklarheiten zu vermeiden, bereits im Entscheidungssatz der Verfügung zum Ausdruck gebracht werden sollen, der insoweit mit der nachfolgenden Begründung nicht übereinstimmt. Ob bereits dieser Mangel auf die Rechtmäßigkeit des angefochtenen Bescheids durchschlägt, kann aber auf sich beruhen. Denn der Bescheid begegnet jedenfalls in materieller Hinsicht durchgreifenden Bedenken, soweit die Fahrtenbuchauflage auf das Fahrzeug D. als Ersatz- bzw. Nachfolgefahrzeug für das Fahrzeug E. bezogen worden ist.

6

Die Bestimmung in § 31a Abs. 1 Satz 2 StVZO verschafft der Verwaltungsbehörde ausdrücklich die Möglichkeit, ein oder mehrere Ersatzfahrzeuge für ein vom Halter veräußertes oder anderweitig abgeschafftes Fahrzeug, mit dem eine (erhebliche) Verkehrszuwiderhandlung begangen worden ist, zu bestimmen. Der Begriff Ersatzfahrzeug ist dabei weit auszulegen. Im Hinblick auf das Ziel der Bestimmung, nämlich zu verhindern, dass sich der Halter durch Veräußerung des mit der Auflage versehenen "Tatfahrzeugs" der bestehenden Verpflichtung zu entziehen versucht, ist Ersatzfahrzeug im Sinne des § 31a Abs. 1 Satz 2 StVZO deshalb nicht nur das (vor oder während der Fahrtenbuchauflage anstelle des veräußerten) neu angeschaffte Fahrzeug, vielmehr zählen dazu auch alle anderen Fahrzeuge des Halters, die im Zeitpunkt der Veräußerung des "Tatfahrzeugs" von ihm betrieben werden und demselben Nutzungszweck zu dienen bestimmt sind (OVG Berlin, Beschl. v. 13.3.2003 - 8 S 330.02 -, NJW 2003, 2402; vgl. auch BayVGH, Beschl. v. 27.1.2004 - 11 CS 03.2940 -, BayVBl 2004, 633). Nach diesen Maßstäben lässt sich derzeit nicht feststellen, dass das - inzwischen vom Antragsteller ebenfalls nicht mehr gehaltene - Fahrzeug D. als Ersatzfahrzeug für das bei Erlass der Fahrtenbuchauflage nicht mehr auf ihn zugelassene Fahrzeug E. angesehen werden konnte. Der Bescheid vom 29. März 2007 verhält sich zu dieser Frage nicht. Aus dem beigezogenen Verwaltungsvorgang des Antragsgegners ergibt sich insoweit lediglich, dass der Antragsteller in einem nicht näher bestimmten Zeitraum insgesamt 18 Fahrzeuge angemeldet und zum Teil auch wieder abgemeldet hat. Ob die beiden o.g. Kraftfahrzeuge in vergleichbarer Weise zu geschäftlichen und/oder privaten Zwecken eingesetzt worden sind, erschließt sich aus dem vorhandenen Datensatz des Antragsgegners nicht. Auch wenn an den Ermittlungs - und Begründungsaufwand der Behörde in diesem Zusammenhang keine hohen Anforderungen zu stellen sind, bestand jedenfalls im vorliegenden Fall Anlass, zumindest knapp zu begründen, weshalb das Fahrzeug G. als Ersatzfahrzeug im Sinne des § 31 a Abs. 1 Satz 1 StVZO angesehen werden konnte. Da dieses Fahrzeug bereits am 7. Dezember 2005 und damit geraume Zeit vor der am 10. November 2006 erfolgten Abmeldung des "Tatfahrzeugs" auf den Antragsteller zugelassen war, ist jedenfalls nicht auszuschließen, dass beide Fahrzeuge unterschiedlichen Einsatzzwecken gedient haben.

7

Davon abgesehen bestehen erhebliche Zweifel, ob der Antragsgegner, selbst wenn das Fahrzeug D. als Ersatzfahrzeug für das Fahrzeug E. angesehen werden konnte, das ihm zustehende Ermessen bei der Bestimmung des Ersatzfahrzeugs ordnungsgemäß ausgeübt hat. Wie sich der insoweit nicht zu beanstandenden Begründung des Bescheids vom 29. März 2007 entnehmen lässt, hat der Antragsgegner die Voraussetzungen des § 31a Abs. 1 StVZO - Unmöglichkeit der Fahrerfeststellung nach einem mit einem Fahrzeug begangenen Verkehrsverstoß - angenommen und im Hinblick auf die mit dem Fahrzeug E. am 5. November 2006 begangene Überschreitung der zulässigen Höchstgeschwindigkeit um 23 km/h die Anordnung einer Fahrtenbuchauflage für die Dauer von sechs Monaten für geboten und verhältnismäßig erachtet. Dabei hat er auch zu Recht darauf hingewiesen, dass mit dem Fahrzeug E. bereits zuvor ein Verkehrsverstoß begangen worden sei, bei dem der Fahrzeugführer ebenfalls nicht habe festgestellt werden können. Ausgehend von diesen Erwägungen hat der Antragsgegner dann aber in rechtlich angreifbarer Weise die für die Dauer von sechs Monaten angeordnete Fahrtenbuchauflage für das Fahrzeug D. verfügt, obwohl er, worauf er selbst hingewiesen hat, für dieses Fahrzeug schon zuvor mit Verfügung vom 9. November 2006 eine Fahrtenbuchauflage für die Dauer eines Jahres angeordnet hatte. Für das Fahrzeug D. sollte sich damit die Fahrtenbuchauflage auf einen Zeitraum von 18 Monaten bis zum 13. Mai 2008 erstrecken. Darauf, d.h. auf diese Anordnungsdauer bezogene Ermessenserwägungen finden sich in dem Bescheid vom 29. März 2007 nicht. Die Notwendigkeit der Verlängerung der Anordnungsdauer erschließt sich aus dem Bescheid nicht. Vielmehr beschränkt dieser sich darauf, die verfügte Anordnungsdauer von (nur) sechs Monaten zu begründen. Insoweit leidet er aller Voraussicht nach an einem Ermessensfehler, der zur Folge hat, dass das Interesse des Antragstellers an der Aussetzung der Vollziehung des Bescheids (weiterhin) höher zu bewerten ist als das öffentliche Interesse an dessen sofortiger Vollziehung.