Oberverwaltungsgericht Niedersachsen
Beschl. v. 13.09.2007, Az.: 11 LA 288/07
Anspruch auf Erteilung einer Aufenthaltserlaubnis aus humanitären Gründen nach § 23 Aufenthaltsgesetz (AufenthG); Wirksamkeit eines Antrags auf Verlängerung eines Aufenthaltstitels durch einen vollmachtlosen Vertreter; Heilung des Mangels der fehlenden Vollmacht durch die rückwirkende Genehmigung des Antrags; Anwendbarkeit der Vertretungsregeln des BGB
Bibliographie
- Gericht
- OVG Niedersachsen
- Datum
- 13.09.2007
- Aktenzeichen
- 11 LA 288/07
- Entscheidungsform
- Beschluss
- Referenz
- WKRS 2007, 41083
- Entscheidungsname
- [keine Angabe]
- ECLI
- ECLI:DE:OVGNI:2007:0913.11LA288.07.0A
Verfahrensgang
- vorgehend
- VG Hannover - 05.06.2007 - AZ: 7 A 5362/06
Rechtsgrundlagen
- § 14 VwVfG
- § 23 AufenthG
Fundstellen
- AUAS 2007, 266-268
- ZAR 2007, 416 (amtl. Leitsatz)
Amtlicher Leitsatz
- 1.
Die Regelung zur Bevollmächtigung eines Vertreters in § 14 VwVfG schließt die Befugnis der Ausländerbehörde nicht aus, vorübergehend eine vollmachtlose Vertretung des Ausländers zuzulassen. Besonderheiten des Einzelfalles können die Ausländerbehörde verpflichten, eine zeitlich begrenzte vollmachtlose Vertretung zu gestatten.
- 2.
Verläßt der Ausländer für einen zeitlich begrenzten Zeitraum zu Urlaubszwecken die Bundesrepublik Deutschland, ist für seinen Antrag auf Verlängerung der Aufenthaltserlaubnis weiterhin die Ausländerbehörde des Ortes seines gewöhnlichen Aufenthalts im Bundesgebiet zuständig, nicht aber die für sein Urlaubsland zuständige Auslandsvertretung der Bundesrepublik Deutschland.
Gründe
Der Kläger begehrt die Verpflichtung der Beklagten zur Erteilung einer Aufenthaltserlaubnis aus humanitären Gründen nach § 23 AufenthG.
Der Kläger reiste im Oktober 1988 in die Bundesrepublik Deutschland ein und stellte einen Antrag auf Anerkennung als Asylberechtigter, der erfolglos blieb. Aufgrund seiner Angabe, Kurde aus dem Libanon zu sein, erhielt der Kläger im November 1990, offensichtlich gestützt auf den Runderlass des Niedersächsischen Innenministers (MI) vom 18. Oktober 1990 (Bleiberechtsregelung 1990), eine befristete Aufenthaltserlaubnis, die nach Inkrafttreten des Ausländergesetzes (AuslG) am 1. Januar 1991 als Aufenthaltsbefugnis fortgalt und mehrfach verlängert wurde, zuletzt bis zum 8. Dezember 2004. Seit März 2000 ist der Kläger im Besitz eines libanesischen Passes.
Der Kläger reiste am 15. November 2004 in den Libanon, wurde dort am selben Tag festgenommen und bis zum 5. Januar 2005 inhaftiert. Nach Entlassung aus der (Untersuchungs-)Haft beantragte der Kläger im Januar 2005 bei der Deutschen Botschaft in Beirut die Erteilung eines Visums für die Bundesrepublik Deutschland. Dieser Antrag wurde abgelehnt, weil die Beklagte ihre Zustimmung wegen des Bezugs von Leistungen zum Lebensunterhalt versagte. Der Kläger reiste daraufhin ohne Sichtvermerk nach Deutschland zurück und beantragte am 17. Mai 2005 die Verlängerung seines Aufenthaltstitels.
Diesen Antrag lehnte die Beklagte mit Bescheid vom 16. August 2005 ab, forderte den Kläger zur Ausreise auf und drohte ihm die Abschiebung in den Libanon an. Zur Begründung führte die Ausländerbehörde aus, dass eine Rechtsgrundlage für die Verlängerung des Aufenthaltstitels nicht gegeben sei.
Das Verwaltungsgericht hat die Beklagte mit Urteil vom 5. Juni 2007 verpflichtet, dem Kläger eine Aufenthaltserlaubnis zu erteilen. Zur Begründung hat es ausgeführt: Der Kläger habe Anspruch auf Erteilung einer Aufenthaltserlaubnis nach § 23 Abs. 1 AufenthG in Verbindung mit dem Runderlass des MI vom 18. Oktober 1990. Nach dem Ergebnis der Beweisaufnahme stehe fest, dass die Ehefrau des Klägers am 2. Dezember 2004 und damit rechtzeitig vor Ablauf der bis zum 8. Dezember 2004 befristeten Aufenthaltsbefugnis für den Kläger einen Antrag auf Verlängerung des Aufenthaltstitels bei der Ausländerbehörde der Beklagten gestellt habe. Dieser Antrag sei wirksam. Zwar habe die Ehefrau des Klägers am 2. Dezember 2004 ohne Vollmacht des Klägers gehandelt. Das Fehlen der Vollmacht begründe aber nicht die Unbeachtlichkeit des Antrags. Der Mangel der fehlenden Vertretungsvollmacht sei durch die rückwirkende Genehmigung des Antrags durch den Kläger geheilt worden. Die Beklagte berufe sich zu Unrecht darauf, dass sich der Kläger vor Ablauf seiner Aufenthaltsbefugnis am 8. Dezember 2004 an die Deutsche Botschaft in Beirut hätte wenden müssen, um dort die Verlängerung des Aufenthaltstitels zu beantragen. Unabhängig davon, dass die Verwaltungsvorschriften zu § 69 AuslG die Beantragung der Verlängerung bei der örtlich zuständigen Ausländerbehörde vorsähen und die Möglichkeit der Antragstellung bei einer deutschen Botschaft nicht erwähnten, sei zu berücksichtigen, dass es dem Kläger wegen seiner Inhaftierung nicht möglich gewesen sei, den Verlängerungsantrag bei der Deutschen Botschaft in Beirut rechtzeitig zu stellen. Dass die schriftliche Bevollmächtigung einer dritten Person, beispielsweise des im Libanon mit der Verteidigung des Klägers beauftragten Rechtsanwalts, aus der Haft heraus in dem Zeitraum vom 15. November bis zum 8. Dezember 2004 nicht möglich gewesen sei, habe der Kläger in der mündlichen Verhandlung glaubhaft vorgetragen.
Der Zulassungsantrag der Beklagten, der auf § 124 Abs. 2 Nr. 1 und Nr. 3 VwGO gestützt wird, ist unbegründet.
Ernstliche Zweifel an der Richtigkeit des verwaltungsgerichtlichen Urteils gemäß § 124 Abs. 2 Nr. 1 VwGO liegen nicht vor. Der Kläger hat am 2. Dezember 2004 durch seine Ehefrau rechtzeitig einen Antrag auf Verlängerung seiner Aufenthaltsbefugnis gestellt. Da die Beklagte in ihrer Zulassungsbegründung das Vorliegen der Voraussetzungen für die Erteilung einer Aufenthaltserlaubnis nach § 23 Abs. 1 AufenthG in Verbindung mit dem Runderlass des MI vom 18. Oktober 1990 für den Fall einer wirksamen Antragstellung am 2. Dezember 2004 nicht bestreitet, hat das Verwaltungsgericht zu Recht die Verpflichtung zur Erteilung einer Aufenthaltserlaubnis ausgesprochen. Gegen die Wirksamkeit der Antragstellung führt die Beklagte an, für eine analoge Anwendung der Vertretungsregeln des BGB sei kein Raum, weil die Vertretung im Verwaltungsverfahren in § 14 VwVfG abschließend geregelt sei. Entgegen der Ansicht der Beklagten schließt die in § 14 VwVfG geregelte Vertretung des Beteiligten durch Bevollmächtigte nicht eine Vertretung ohne Vertretungsmacht nach §§ 177 ff. BGB aus. Vielmehr gelten diese Regelungen im Verwaltungsverfahren entsprechend (Kopp/Ramsauer, VwVfG, 9. Aufl. 2005, § 14 Rn. 20; Stelkens/Bonk/Sachs, VwVfG, 6. Aufl. 2001, § 14 Rn. 15). Die Behörde kann deshalb nach allgemeinen Rechtsgrundsätzen des Verfahrensrechts einen "Vertreter ohne Vertretungsmacht" bzw. ohne Vollmacht auch vorübergehend zulassen; in einem solchen Fall ist die von diesem abgegebene Erklärung erst dann als unzulässig zu behandeln, wenn die Vollmacht nicht innerhalb einer gesetzten Frist vorgelegt wird (Kopp/Ramsauer, a.a.O., §14 Rn. 20).
Die Allgemeine Verwaltungsvorschrift zum Ausländergesetz (AuslG-VwV) steht einer solchen Verfahrensweise nicht entgegen. Nach Nr 69.01 Satz 2 dieser Verwaltungsvorschrift prüft die Ausländerbehörde die Handlungsfähigkeit des Ausländers, "ggf. die ausreichende Vollmacht eines Dritten". Die vorgenannte Verwaltungsvorschrift ist Ausfluss der Regelung zu § 14 Abs. 1 Satz 2 VwVfG, wonach der Bevollmächtigte auf Verlangen seine Vollmacht schriftlich nachzuweisen hat. Mit ihr wird eine vorübergehende Vertretung ohne Vertretungsmacht nicht ausgeschlossen. Für eine solche strenge Handhabung besteht auch kein Bedürfnis, weil die Behörde nach dem Vorgesagten eine Frist zur Beibringung der Vollmacht setzen kann.
Gegen die Zulassung einer Vertretung ohne Vertretungsmacht im vorliegenden Einzelfall führt die Beklagte keine durchgreifenden Gesichtspunkte an. Nach dem Ergebnis der Beweisaufnahme hat es der handelnde Sachbearbeiter der Ausländerbehörde der Beklagten bei Vorsprache der Ehefrau des Klägers in Begleitung eines Zeugen am 2. Dezember 2004 zwar abgelehnt, den nur von der Ehefrau des Klägers unterschriebenen Antrag auf Verlängerung der Aufenthaltsbefugnis entgegenzunehmen. Daraus lässt sich aber nicht schließen, dass die Beklagte eine vorübergehende vollmachtlose Vertretung der Ehefrau des Klägers von vornherein ausgeschlossen hat. Wie bereits ausgeführt, ließe sich eine solche Verwaltungspraxis nicht allein auf Nr. 69.01 Satz 2 AuslG-VwV stützen.
Abgesehen davon bestand wegen der Besonderheiten des vorliegenden Einzelfalls für die Beklagte Veranlassung, die Vertretung des Klägers durch seine vollmachtlose Ehefrau vorläufig zu gestatten. Der Kläger befand sich unstreitig in dem Zeitraum vom 15. November 2004 bis zum 5. Januar 2005 im Libanon in Untersuchungshaft. Nach dem glaubhaften Vorbringen des vom Verwaltungsgericht vernommenen Zeugen {B.}, bei dem es sich um einen Freund der Familie des Klägers handelt, war für die Familie des Klägers zum Zeitpunkt der Vorsprache der Ehefrau bei der Ausländerbehörde am 2. Dezember 2004 unklar, "was mit dem Kläger im Libanon genau geschehen war". Angesichts dieser außergewöhnlichen Situation bestand kein sachlicher Grund, die Ehefrau des Klägers wegen der fehlenden Vollmacht zurückzuweisen.
Die von der Beklagten angeführten Rechtsvorschriften stehen der Wirksamkeit der Antragstellung am 2. Dezember 2004 nicht entgegen. Die Beklagte macht geltend, aus §§ 69 Abs. 3, 63 Abs. 3 AuslG (bzw. §§ 81 Abs. 4, 71 Abs. 2 AufenthG) ergebe sich, dass der Kläger wegen seines Auslandsaufenthalts bei Ablauf der Frist zur Verlängerung seiner Aufenthaltsbefugnis am 8. Dezember 2004 den Antrag nur bei der zuständigen Auslandsvertretung wirksam hätte stellen können. § 69 Abs. 3 Satz 1 Nr. 1 AuslG regelt die fiktive Weitergeltung des Aufenthaltstitels im Falle eines von einem Ausländer, der sich seit mehr als sechs Monaten rechtmäßig im Bundesgebiet aufhält, gestellten Antrags auf Verlängerung einer Aufenthaltsgenehmigung. Der Vorschrift ist nicht zu entnehmen, dass sich der Ausländer zum Zeitpunkt der Stellung des Verlängerungsantrags zwingend im Bundesgebiet aufhalten muss. § 69 Abs. 3 Satz 1 Nr. 1 AuslG besagt lediglich, dass der Aufenthalt des antragstellenden Ausländers im Bundesgebiet rechtmäßig sein muss, verhält sich jedoch nicht dazu, ob ein Auslandsaufenthalt den Aufenthalt im Bundesgebiet beendet. Diese Frage lässt sich vielmehr - für die hier gegebene Fallkonstellation - zu Ungunsten der Beklagten aus dem Begriff des gewöhnlichen Aufenthalts ableiten, mit dessen Hilfe die örtlichen Zuständigkeiten der Ausländerbehörden abgegrenzt werden. Hierzu ist anerkannt (Renner, AuslR, 8. Aufl. 2005, § 71 Rn. 4), dass der gewöhnliche Aufenthalt eines Ausländers durch einen Urlaub im Ausland nicht unterbrochen wird (vgl. auch § 51 Abs. 1 Nr. 6 u. Nr. 7 AufenthG). Der Kläger befand sich in dem hier maßgeblichen Zeitraum unstreitig in Urlaub im Libanon. Die Beklagte blieb demnach für den Antrag auf Verlängerung der Aufenthaltsbefugnis sachlich und örtlich zuständig.
Etwas anderes lässt sich auch nicht der Vorschrift des § 63 Abs. 1 und Abs. 3 AuslG zur Zuständigkeit der Behörden im Ausländerrecht entnehmen. Neben der sachlichen Zuständigkeit der Ausländerbehörden für aufenthaltsrechtliche Maßnahmen in Abs. 1 regelt Abs. 3, dass im Ausland für Pass- und Visaangelegenheiten die vom Auswärtigen Amt ermächtigten Auslandsvertretungen zuständig sind. Aus der zuletzt genannten Bestimmung lässt sich nicht ableiten, dass ein Ausländer, der sich im Bundesgebiet rechtmäßig aufhält und dieses Gebiet vorübergehend zu Urlaubszwecken verlässt, einen Antrag auf Verlängerung seines Aufenthaltstitels bei der für sein Urlaubsland zuständigen Auslandsvertretung der Bundesrepublik Deutschland stellen muss. § 63 Abs. 3 AuslG beschränkt die Zuständigkeit der Auslandsvertretungen ausdrücklich auf Pass- und Visaangelegenheiten. Um eine solche Angelegenheit ging es jedoch im vorliegenden Fall nicht. Auf die Notwendigkeit der Erteilung eines Visums musste sich der Kläger nicht verweisen lassen, weil er durch seine Ehefrau rechtzeitig einen Antrag auf Verlängerung der Aufenthaltsbefugnis gestellt und die vollmachtlose Erklärung rückwirkend genehmigt hat.
Die Grundsatzrüge gemäß § 124 Abs. 2 Nr. 3 VwGO greift ebenfalls nicht durch. Dem Darlegungsgebot genügt es nicht, lediglich darauf hinzuweisen, die Sache betreffe die gegenwärtige Verwaltungspraxis in einer Vielzahl von Fällen und habe deshalb grundsätzliche Bedeutung. Erforderlich ist vielmehr die Formulierung einer Frage, die der Zulassungsantragsteller für grundsätzlich bedeutsam hält. Daran fehlt es hier.