Sozialgericht Osnabrück
Urt. v. 09.12.2002, Az.: S 3 KR 146/99
Bibliographie
- Gericht
- SG Osnabrück
- Datum
- 09.12.2002
- Aktenzeichen
- S 3 KR 146/99
- Entscheidungsform
- Urteil
- Referenz
- WKRS 2002, 35831
- Entscheidungsname
- [keine Angabe]
- ECLI
- ECLI:DE:SGOSNAB:2002:1209.S3KR146.99.0A
In dem Rechtsstreit
...
hat das Sozialgericht Osnabrück - 3. Kammer -
am 9. Dezember 2002
gemäß § 105 Sozialgerichtsgesetz (SGG)
durch ...
für Recht erkannt:
Tenor:
Die Klage wird abgewiesen.
Kosten sind nicht zu erstatten.
Tatbestand
Der Kläger ist bei der Beklagten freiwillig versichert mit Anspruch auf Kostenerstattung Zur Behandlung nahm er sowohl Vertragsarzte als auch nicht zur vertragsärztlichen Versorgung zugelassene Arzte m Anspruch.
Mit mehreren Bescheiden vom 15 02.1999 lehnte die Beklagte die Kostenerstattung für Behandlungen durch die Nichtvertragsarzte Dr. K., Dr. K. und Dr. R. ab. Die Kosten des Vertragsarztes Dr. J. wurden insoweit von der Beklagten mit Bescheiden vom gleichen Tag nicht erstattet, als dieser Akupunkturbehandlungen und einen Intrakutantest durchgeführt hatte Die Akupunkturbehandlungen wurden nicht zum Leistungsumfang der gesetzlichen Krankenversicherung gehören Für den Intrakutantest sei Dr. J. als praktischer Arzt nicht im Rahmen der kassenärztlichen Versorgung zugelassen.
Den Widerspruch des Klägers wies die Beklagte mit Widerspruchsbescheid vom 29.07.1999 zurück.
Mit der am 03.09.1999 erhobenen Klage macht der Kläger, wie schon im Vorverfahren, u. a. folgendes geltend:
" Der Kläger ist als freiwilliges Mitglied bei der Beklagten krankenversichert. Am 17 03 1997 hat er nach der Einnahme eines durch einen Kassenarzt verordneten Sulfonamid-Praparates eine schwere Allergie erlitten, m deren Verlauf sich ein komplexes Krankheitsbild mit anhaltenden Störungen des Immunsystems, verbunden mit wiederkehrenden Haut-, Schleimhaut- und Gefäßreaktionen, massiven Nahrungsmittelunverträglichkeiten, hochgradiger Chemikalienüberempfindlichkeit, Gewichtsverlust und Erschöpfungszuständen entwickelt hat. Der Kläger ist aus diesem Grunde bis heute nicht wieder arbeitsfähig.
Da das Krankheitsbild trotz der Konsultation zahlreicher niedergelassener Kassenärzte verschiedener Fachrichtungen, darunter auch mehrere Fachgebietsallergologen, nicht hinreichend abgeklärt werden konnte, sah sich der Kläger schließlich gezwungen, sich durch Nichtvertragsärzte - bzw. in einem Fall durch einen spezialisierten Vertragsarzt privatärztlich - behandeln zu lassen. Mit Schreiben vom 28.12.1998 und 04.05.1999 hat der Kläger bei der Beklagten beantragt, ihm insoweit entstandene Kosten in Höhe von 6.192,75 DM zu erstatten."
Der Kläger ist der Ansicht, die Beschränkung auf Vertragsärzte könne nicht gelten, wenn diese nicht in der Lage seien, die Krankheit zu erkennen und zu behandeln. Nur hoch spezialisierte Umweltmediziner hätten den Grund seiner Erkrankung erkennen und diese zumindest durch die von Ihnen angewandten Behandlungsmethoden lindern können. Hierzu trägt der Kläger wörtlich folgendes vor:
"Erst durch diese speziellen Untersuchungen - gentechnische Bestimmung der Entgiftungskapazität der Leber ( Dr. R./Fraunhofer-Institut) sowie Bestimmung der verschiedenen Glutathion-Transferasen und der Pyrrol-Ausscheidung ( Dr. K.) konnte die tatsächliche Ursache des vorliegenden Krankheitsbildes abgeklärt werden. Wie der Kläger bereits mit Schreiben vom 27.04.1999 insoweit gegenüber der Beklagten vorgetragen hat, handelt es sich hierbei um zwei genetisch bedingte (ererbte) Stoffwechselstörungen, die im Laufe des Lebens zu einer ausgeprägten Überempfindlichkeit gegenüber Chemikalien aller Art, insbesondere auch chemisch-synthetischen Arzneimitteln führen, da diese Substanzen im Körper nicht ausreichend abgebaut werden können.
Wird die bereits reduzierte Entgiftungskapazität - beispielsweise durch intensiven Kontakt mit Umweltgiften oder durch Verabreichung stark wirkender (chemischer) Arzneimittel vollends überfordert, kommt es zum Ausbruch des hier beschriebenen seltenen Krankheitsbildes, das mit Maßnahmen der herkömmlichen Medizin praktisch nicht behandelbar ist.
Entsprechendes ist auch von dem Internisten und Umweltmediziner, Herrn Doz. Dr. Sc. med. ... in einer umfassenden Stellungnahme vom 20.04.1999 bestätigt worden. Herr Dr. K. hat darüber hinaus ausgeführt, dass bei dem Kläger nicht nur "mit herkömmlichen medizinischen Methoden keine Therapie möglich erscheint", sondern dass durch herkömmliche Therapien sogar eine "akute Gesundheitsgefährdung" auftreten kann.
In diesem Zusammenhang ist auch darauf hinzuweisen, dass die festgestellte Erkrankung des Klägers in weiten Teilen des deutschen Medizinwesens noch unbekannt ist, so dass für eine adäquate Behandlung überhaupt nur eine geringe Anzahl hochspezialisierter Ärzte in Frage kommt. Nach alledem steht eindeutig fest, dass die Beklagte nicht nur nicht in der Lage war, ein unaufschiebbare Leistung rechtzeitig zu erbringen, sondern dass es ihr generell nicht möglich ist, diese Leistungen überhaupt zu erbringen, da ihr entsprechend qualifizierte Vertragsärzte nicht zur Verfügung stehen. Eines vorherigen Antrages des Klägers auf Kostenübernahme privatärztlicher Leistungen - der ohnehin abgelehnt worden wäre - bedurfte es unter diesen Umständen deshalb ebenfalls nicht.
Unzutreffend ist auch die Auffassung der Beklagten, die Kosten für die vom Kläger privatärztlich in Anspruch genommenen Leistungen für Akupunkturbehandlungen und Intrakutantests seien nicht erstattungsfähig. Abgesehen davon, dass die Akupunkturbehandlung zwischenzeitlich durchaus Eingang in die vertragsärztliche Versorgung gefunden hat, hat das Bundessozialgericht bereits mehrfach ausgeführt, dass eine Kostenübernahme für Außenseitermethoden immer dann in Frage kommt, wenn die schulmedizinischen Behandlungsmöglichkeiten ausgeschöpft sind und die neue Behandlungsmethode zumindest Aussicht auf Erfolg bietet. Auch diese Voraussetzungen sind vorliegen erfüllt. Wie bereits ausgeführt wurde, kann der Kläger mit herkömmlichen medizinischen Methoden nicht therapiert werden. Die Durchführung der Akupunkturbehandlung war deshalb notwendig und zweckmäßig. Tatsächlich hat diese Behandlung auch zumindest zu einer Besserung des Gesundheitszustandes des Klägers geführt."
Der Kläger beantragt,
die Bescheide der Beklagten vom 15.02.1999 und den Widerspruchsbescheid vom 29.07.1999 aufzuheben und die Beklagte zu verurteilen, an den Kläger 6.192,75 DM nebst 4 % Zinsen zu zahlen.
Die Beklagte beantragt,
die Klage abzuweisen.
Sie hält die angefochtenen Bescheide für zutreffend.
Wegen weiterer Einzelheiten des Sachverhaltes wird auf die Gerichtsakte und die beigezogene Kassenakte der Beklagten Bezug genommen.
Entscheidungsgründe
Die Klage ist form- und fristgerecht erhoben und daher zulässig. In der Sache konnte sie jedoch keinen Erfolg haben, da dem Kläger kein Erstattungsanspruch zusteht.
Zunächst ist darauf hinzuweisen, dass das Vorbringen des Klägers, das Bundessozialgericht habe entschieden, eine Kostenübernahme für Außenseitermethoden komme immer in Frage, wenn die schulmedizinischen Behandlungsmöglichkeiten ausgeschöpft seien und die neue Behandlungsmethode zumindest Aussicht auf Erfolg biete unzutreffend ist. Früher hat das Bundessozialgericht zwar tatsächlich solche Ansichten vertreten. Seit 1997 vertritt es jedoch die entgegengesetzte Ansicht. Insbesondere in den Grundsatzurteilen vom 16.09.1997 z. B. Az.: 1 RK 28/95 hat das Bundessozialgericht ausgeführt, dass die Vorschrift in § 2 Abs. 1 des Fünften Buches des Sozialgesetzbuches (SGB V), wonach Qualität und Wirksamkeit der Leistungen dem allgemein anerkannten Stand der medizinischen Erkenntnisse zu entsprechen und den medizinischen Fortschritt zu berücksichtigen haben, ernst zu nehmen sei. Ebenfalls ist dort im Einzelnen begründet, warum die Vorschrift des § 135 SGB V auch im Verhältnis zwischen Versicherten und Krankenkassen gilt.
Ferner hat das Bundessozialgericht entschieden, dass ein Kostenerstattungsanspruch nach § 13 Abs. 3 SGB V voraussetzt, dass zunächst bei der Krankenkasse ein Leistungsantrag gestellt worden ist. Eine unaufschiebbare Leistung liegt nur vor, wenn diese so dringend erforderlich ist, dass der Versicherte zuvor keinen Leistungsantrag bei der Krankenkasse stellen kann. (BSG 25.09.2000 Az.: B 1 KR 5/99).
Unter Berücksichtigung dieser gefestigten neueren Rechtsprechung des Bundessozialgerichtes steht dem Kläger kein Anspruch auf Kostenerstattung zu. Soweit er Leistungen von "Nichtvertragsärzten" in Anspruch genommen hat, ohne zuvor einen entsprechenden Antrag bei der Beklagten zu stellen, kommt ein Kostenerstattungsanspruch nach § 13 SGB V nicht in Betracht. Eine unaufschiebbare Leistung im Sinne dieser Vorschrift lag nicht vor. Soweit der Kläger Leistungen für den Zeitraum nach Antragstellung begehrt, scheitert der Anspruch auf jeden Fall an § 135 SGB V. Nach dieser Vorschrift dürfen neue Untersuchungs- und Behandlungsmethoden in der vertragsärztlichen und vertragszahnärztlichen Versorgung zu Lasten der Krankenkassen nur erbracht werden, wenn die Bundesausschüsse der Ärzte und Krankenkassen Empfehlungen über die Anerkennung des diagnostischen und therapeutischen Nutzens der neuen Methode sowie deren medizinische Notwendigkeit und Wirtschaftlichkeit nach dem jeweiligen Stand der wissenschaftlichen Erkenntnisse in der jeweiligen Therapierichtung und über die notwendige Qualifikation der Ärzte, die apparativen Anforderungen sowie Anforderungen an Maßnahmen der Qualitätssicherung abgegeben haben.
Weder die von den Nichtvertagsärzten angewandten diagnostischen Methoden noch die von ihnen angewandten Therapien können sich auf Richtlinien des Bundesausschusses der Ärzte und Krankenkassen stützen. Demgemäß sind die Krankenkassen nicht verpflichtet, die Kosten für solche Untersuchungs- und Behandlungsmethoden zu tragen. Es liegt insoweit auch kein Systemmangel vor. Gerade bei Untersuchungs- und Behandlungsmethoden in der sogenannten Umweltmedizin herrscht große Meinungsverschiedenheit zwischen den einzelnen Therapierichtungen. Es gibt oft keine wissenschaftlich allgemein anerkannten Methoden. Viele "Umweltmediziner" betreiben bewußt Privatpraxen, um sich nicht von kassenärztlichen Vereinigungen überprüfen lassen zu müssen oder auf Richtlinien Rücksicht nehmen zu brauchen. Dass gewisse Umweltmediziner behaupten, nur sie könnten als hochspezialisierte Ärzte überhaupt Maßgebendes zur Umweltmedizin vortragen, ist gerichtsbekannt. Hierdurch kann § 135 SGB V nicht ausgehebelt werden.
Soweit der Kläger die Kosten für die Akupunkturbehandlung durch einen Vertragsarzt erstattet haben will, steht dem entgegen, dass in den Richtlinien des Bundesausschusses der Ärzte und Krankenkassen lediglich Modellversuche zur Akupunktur bei bestimmten Schmerzen vorgesehen sind. Im übrigen ist die Akupunktur als nicht anerkannte Behandlungsmethode bezeichnet worden, vgl. Anlage B Nr. 31 der Richtlinien des Bundesausschusses (BUB Richtlinien).
Soweit es um die Kosten des Intrakutantestes geht, besteht ebenfalls kein Erstattungsanspruch. Wenn ein Vertragsarzt eine Behandlung vornimmt, die ihm nach den kassenärztlichen Bestimmungen nicht erlaubt ist, so besteht für den Versicherten insoweit auch kein Erstattungsanspruch. Anderenfalls würde auch jeder zur vertragsärztlichen Versorgung zugelassene Augenarzt oder Psychiater einen Intrakutantest bei freiwillig versicherten Kassenmitgliedern veranlassen können. Die Einhaltung der Fachgebietsgrenzen gilt nicht nur im Verhältnis zwischen Vertragsarzt und kassenärztlicher Vereinigung, sondern auch im Verhältnis zum Versicherten. Überschreitet ein Vertragsarzt seine Befugnis bei einer Sachleistung, so ist er der kassenärztlichen Vereinigung gegenüber regresspflichtig. Überschreitet er seine Befugnis bei einer privatärztlichen Behandlung, so steht dem Versicherten kein .Erstattungsanspruch zu.
Nach allem konnte die Klage keinen Erfolg haben.
Die Kostenentscheidung folgt aus § 193 Sozialgerichtsgesetz (SGG).