Sozialgericht Osnabrück
Urt. v. 11.10.2002, Az.: S 3 KR 125/99

Bibliographie

Gericht
SG Osnabrück
Datum
11.10.2002
Aktenzeichen
S 3 KR 125/99
Entscheidungsform
Urteil
Referenz
WKRS 2002, 35832
Entscheidungsname
[keine Angabe]
ECLI
ECLI:DE:SGOSNAB:2002:1011.S3KR125.99.0A

Tenor:

  1. Die Klage wird abgewiesen.

    Die Beklagte trägt 5/7 der außergerichtlichen Kosten der Klägerin.

    Die Berufung wird zugelassen.

Tatbestand

1

Der Rechtsstreit betrifft die Höhe des Eigenanteils der Klägerin für ein Behindertenrad.

2

Die im Jahre 1993 geborene Klägerin leidet an einem Downsyndrom. Am 26.05.1998 verordnete der Kinderarzt G. T. der Klägerin ein Therapie-Tandem zur Förderung der Mobilität und zur Unterstützung der krankengymnastischen Übungsbehandlungen. Die Eltern der Klägerin reichten einen Kostenvoranschlag i. H. v. 5. 695 DM bei der Beklagten ein. Mit Bescheid vom 20.07.1998 lehnte die Beklagte die Kostenübernahme ab. Es handele sich um einen Gebrauchsgegenstand des täglichen Lebens.

3

Gegen diesen Bescheid erhob die Mutter der Klägerin Widerspruch und verwies darauf, das Therapie-Tandem fördere die Koordination zwischen Armen und Beinen sowie zwischen linker und rechter Körperhälfte, die Balancesicherheit, das physische und psychische Durchhalten, die Sicherheit und Selbständigkeit sowie das Training der Muskeln. Weiterhin werde die Stimulation aller Sinne sowie eine verbesserte Mobilität und ein größerer Aktionsradius (Erweiterung des Freiraums auf gesellschaftlichem Gebiet) unterstützt. Das Therapie-Tandem verhindere die Eigengefährdung im Straßenverkehr, da die Klägerin unberechenbar reagiere und ständiger Aufsicht und Kontrolle bedürfe. Die Mutter der Klägerin reichte einen Bericht der Krankengymnastik ein, in dem als Ziel der Behandlung die Integration ins gesellschaftliche Leben sowie Schulung der Ausdauer bescheinigt wird. Um die Klägerin leichter in das Familienleben mit zu integrieren sei aus therapeutischer Sicht ein Hilfsmittel (nach Absprache mit dem Orthopädie-Mechaniker) empfehlenswert.

4

Ohne den Medizinischen Dienst der Krankenversicherung Niedersachsen (MDKN) überhaupt eingeschaltet zu haben, bewilligte die Beklagte mit Bescheid vom 02.11.1998 das Therapie-Tandem zum Preis von 5. 695 DM und forderte von der Klägerin einen Eigenanteil i. H. v.  700 DM. Die Entscheidung ergehe im Einzelfall ohne Anerkennung einer Rechtspflicht. Das Heil/Hilfsmittel gehe in das Eigentum der Beklagten über, wenn medizinische Gründe für die weitere Nutzung nicht mehr vorlägen. In diesem Fall werde um Rückgabe an die Beklagte gebeten.

5

Mit Schreiben vom 08.11.1998 wandte sich die Mutter der Klägerin gegen die Zuzahlungspflicht. Das Rad sei ein therapeutisches Mittel und nicht ein alltägliches Gebrauchsgut. Deshalb bestehe keine Notwendigkeit für einen Eigenanteil.

6

Die Beklagte wies den Widerspruch der Klägerin mit Widerspruchsbescheid vom 11.06.1999 zurück. Nach der Rechtsprechung des Bundessozialgerichtes habe der Versicherte einen Eigenanteil zu tragen, wenn durch das bewilligte Hilfsmittel ein vergleichbarer Gegenstand des täglichen Lebens (Fahrrad) ersetzt werde.

7

Mit der am 13.07.1999 erhobenen Klage wendet sich die Mutter der Klägerin gegen den Eigenanteil. Sie verweist zunächst darauf, dass das Therapie-Tandem nicht ins Eigentum der Klägerin übergegangen ist, sondern vom Orthopädiehaus nur leihweise zur Verfügung gestellt wurde. Somit könne nach der Rechtsprechung des Bundessozialgerichtes ohnehin nur als Eigenanteil der Gebrauchsvorteil angerechnet werden. In der Familie seien aber genügend Fahrräder vorhanden, so dass durch dieses Tandem keinerlei Kosten erspart würden.

8

Mit Schriftsatz vom 08.12.1999 gab die Beklagte ein Teilanerkenntnis dahingehend ab, dass lediglich ein Eigenanteil von  200 DM gefordert werde. Der Differenzbetrag von  500 DM werde an die Klägerin ausbezahlt. Die Beklagte gehe von einem Anschaffungspreis für ein Kinderfahrrad i. H. v.  500 DM aus, so dass bei einem 5-jährigen Gebrauch ein Nutzungsentgelt von  200 DM angemessen sei.

9

Die Mutter der Klägerin ist demgegenüber weiterhin der Ansicht, dass Fahrräder genügend im Haushalt vorhanden seien und deshalb durch das Tandem nichts erspart werde. Im übrigen gebe es Kinderfahrräder bereits zum Preis von  200 DM zu kaufen.

10

Die Klägerin beantragt,

den Bescheid der Beklagten vom 02.11.1998 und den Widerspruchsbescheid vom 11.12.1998 abzuändern und festzustellen, dass keine Zuzahlungspflicht i. H. v.  200 DM bestehe.

11

Die Beklagte beantragt,

die Klage abzuweisen.

12

Sie verweist auf den hohen Qualitätsstandard des Therapie-Tandems, der nicht mit einem billigen Kinderfahrrad verglichen werden könne. Dies müsse bei dem Eigenanteil berücksichtigt werden.

13

Wegen weiterer Einzelheiten des Sachverhaltes wird auf die Gerichtsakte und die beigezogene Kassenakte der Beklagten Bezug genommen.

Entscheidungsgründe

14

Die Klage ist form- und fristgerecht erhoben und daher zulässig. In der Sache konnte sie jedoch keinen Erfolg haben, da auch das Gericht einen Eigenanteil i. H. v.  200 DM für angemessen erachtet.

15

Nach Ansicht der erkennenden Kammer handelt es sich bei der Frage, ob ein Eigenanteil wegen ersparter Aufwendungen zu berücksichtigen ist, um eine Frage, die abstrakt anhand des gelieferten Hilfsmittels zu entscheiden ist und nicht unter Berücksichtigung der konkreten Verhältnisse im Einzelfall. Anderenfalls könnte sich jeder, der ein Behinderten-Dreirad oder ein Behindertentandem benötigt, vom Flohmarkt vorher schnell ein Altfahrrad für wenige Euro kaufen und dann gegenüber der Krankenkasse darauf hinweisen, er besitze ein Fahrrad und Aufwendungen würden somit nicht erspart. Auch beim Eigenanteil für orthopädische Schuhe kann niemand geltend machen, er besitze z. B. - infolge einer plötzlichen Erbschaft - schon eine größere Anzahl von Schuhen in passender Größe.

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Ein Eigenanteil i. H. v.  200 DM für das über mehrere Jahre zu benutzende Therapie-Tandem erscheint dem Gericht angemessen. Als Vergleichsmaßstab ist nicht ein Billig-Fahrrad zu berücksichtigen, sondern ein gutes durchschnittliches Kinderfahrrad. Denn auch bei dem Therapie-Tandem handelt es sich um ein hochwertiges Hilfsmittel mit Gangschaltung. Laut Test-Zeitung von April 2000 liegt der Preis für befriedigende Kinderfahrräder mit Gangschaltung zwischen  360 DM und 1 000 DM. Bei dieser Sachlage und der guten Ausstattung des Therapie-Tandems erscheint hier der Hinweis auf ein vergleichsweises Kinderfahrrad zum Preis von  500 DM durchaus angemessen. Wenn dann die Beklagte den Gebrauchsvorteil für eine ca. 5-jährige Benutzung auf  200 DM einschätzt, so sind hiergegen auch keine Einwände zu erheben.

17

Im übrigen sei nochmals darauf hingewiesen, dass die Bewilligung eines Therapie-Tandems durch die Beklagte ohnehin sehr großzügig war. Trotz des Hinweises der Beklagten, es handele sich um eine Entscheidung im Einzelfall ohne Anerkennung einer Rechtspflicht, würde die Beklagte bei gleicher Handhabung die meisten Kinder mit Downsyndrom auf Antrag mit einem Therapie-Tandem ausstatten müssen. Nach dem Urteil des Landessozialgerichtes Nordrhein-Westfalen vom 24.01.2002 Az.: L 5 KR 134/00 besteht aber schon vom Grundsatz her kein Anspruch auf ein Therapie-Tandem.

18

Die Kostenentscheidung beruht auf § 193 Sozialgerichtsgesetz (SGG). Die Klägerin hatte mit ihrer Klage im Umfang vom 5/7 Erfolg.

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Rechtsmittelbelehrung

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