Verwaltungsgericht Göttingen
Beschl. v. 27.09.2018, Az.: 1 B 289/17

unterlassene Anhörung; fortwährende Aufbewahrungsfrist; Aufbewahrungsfrist; Brief; Übermittlung mittels einfachen Briefs; Rosinentheorie; Sofortvollzug; typische Begründung; Erledigung durch Zeitablauf; Zugang; Vermutung des Zugang

Bibliographie

Gericht
VG Göttingen
Datum
27.09.2018
Aktenzeichen
1 B 289/17
Entscheidungsform
Beschluss
Referenz
WKRS 2018, 74227
Entscheidungsname
[keine Angabe]
ECLI
[keine Angabe]

Amtlicher Leitsatz

Leitsatz

1. Eine Fahrtenbuchauflage erledigt sich nicht allein dadurch, dass der Zeitraum abgelaufen ist, für den das Fahrtenbuch zu führen war. Dies gilt jedenfalls dann, wenn die aus § 31a Absatz 3 StVZO folgenden Aufbewahrungs- und Vorlagepflichten noch eingefordert und vollstreckt werden können. 2. Eine typisierende Begründung der Anordnung der sofortigen Vollziehung genügt bei einer Fahrtenbuchauflage den Anforderungen des § 80 Abs. 3 Satz 1 VwGO.
3. Der Rechtsgedanke der Zugangsvermutung gemäß § 41 Abs. 2 Satz 1 VwVfG kann im Rahmen der tatrichterlichen Würdigung eines pauschal bestrittenen Zugangs des mittels einfachen Briefs übersandten Anhörungsschreibens herangezogen werden.

Gründe

Der am 8. September 2017 beim erkennenden Gericht eingegangene Antrag des Antragstellers,

die aufschiebende Wirkung seiner zeitgleich erhobenen Klage – 1 A 288/17 – gegen den Bescheid der Antragsgegnerin vom 10. August 2017 anzuordnen,

ist gemäß § 80 Abs. 5 Satz 1 VwGO zweite Alternative als Antrag auf Wiederherstellung der aufschiebenden Wirkung zulässig, denn die in der Hauptsache weiterhin anhängige Klage – 1 A 288/17 – gegen die mit Bescheid vom 10.  August 2017 (Ziffer 1.) angeordnete Fahrtenbuchauflage für das Fahrzeug mit dem amtlichen Kennzeichen XX-X XX über einen Zeitraum von 9 Monaten ab Zustellung dieses Bescheids am 12. August 2017 entfaltet keine aufschiebende Wirkung, weil die Antragsgegnerin darin auch die sofortige Vollziehung der Fahrtenbuchauflage gemäß § 80 Abs. 2 Satz 1 Nr. 4 VwGO angeordnet hat (vgl. Ziffer 2. des Bescheids).

Der Zulässigkeit des Antrags steht zum Zeitpunkt der Entscheidung des Einzelrichters über das einstweilige Rechtsschutzbegehren des Antragstellers nicht entgegen, dass der Zeitraum, für den das Fahrtenbuch vom Antragsteller zu führen war, seit dem 13. Mai 2018 abgelaufen ist. Der angefochtene Bescheid des Antragsgegners hat sich insoweit (noch) nicht durch Zeitablauf erledigt (vgl. VG München. Urteil vom 7. April 2014 – M 23 K 13.4294 –, zit. nach juris Rn. 19; a.A. VG Oldenburg, Urteil vom 23. März 2012 – 7 A 1074/11 –, zit. nach juris Rn. 60), sondern bildet weiterhin die Grundlage für eine mögliche Verwaltungsvollstreckung hinsichtlich der im Bescheid erwähnten, aus § 31a Abs. 3 StVZO folgenden Vorlage- und Aufbewahrungspflichten für die Dauer von 6 Monaten nach Ablauf des Zeitraums, für den das Fahrtenbuch zu führen war. Diese vom Verordnungsgeber angeordneten Nebenpflichten des Antragstellers bestehen weiterhin und können von der Antragsgegnerin eingefordert sowie mit Verwaltungszwang vollstreckt werden (darauf nicht eingehend: VG Oldenburg, a. a. O., Rn. 62). Nach der Rechtsprechung des Bundesverwaltungsgerichts erledigt sich ein Verwaltungsakt erst dann "auf andere Weise" im Sinne des § 43 Abs. 2 VwVfG, wenn er nicht mehr geeignet ist, rechtliche Wirkungen zu erzeugen oder wenn die ihm ursprünglich innewohnende rechtliche Steuerungsfunktion nachträglich entfallen ist (vgl. BVerwG, Urteil vom 25. September 2008 – 7 C 5.08 –, zit. nach juris Rn. 13 m. w. N.). Danach ist von einer Fortwirkung der Titelfunktion des angefochtenen Bescheids der Antragsgegnerin vom 10. August 2017 im vorliegenden Fall auszugehen. Die aus ihm resultierende Vorlagepflicht wurde – wie der vom Antragsteller vorgelegte Bescheid der Antragsgegnerin vom 12. September 2018 verdeutlicht – unter Androhung der Festsetzung eines Zwangsgelds in Höhe von 500 Euro von der Antragsgegnerin bereits eingefordert und kann von ihr bis zum Ablauf der Aufbewahrungsfrist am 12. November 2018 jederzeit erneut eingefordert werden.

Der Antrag ist unbegründet, denn die von der Antragsgegnerin vorgenommene Anordnung der sofortigen Vollziehung der Fahrtenbuchauflage begegnet keinen rechtlichen Bedenken und die nach § 80 Abs. 5 Satz 1 VwGO gebotene Abwägung zwischen dem besonderen öffentlichen Interesse am sofortigen Vollzug der Fahrtenbuchauflage und dem privaten Interesse des Antragstellers, von diesem Vollzug bis zu einer rechtskräftigen Entscheidung über seine in der Hauptsache – 1 A 288/17 – anhängige Anfechtungsklage verschont zu bleiben, fällt zu Lasten des Antragstellers aus.

Die Antragsgegnerin hat das besondere Interesse an der sofortigen Vollziehung der von ihr angeordneten Fahrtenbuchauflage in einer den Anforderungen des § 80 Abs. 3 Satz 1 VwGO genügenden Weise auf Seite 3 des angefochtenen Bescheids begründet. Sie hat dazu unter Verweis auf obergerichtliche Rechtsprechung ausgeführt, es könne im Interesse der Sicherheit des Straßenverkehrs in aller Regel nicht auf das sofortige Führen eines Fahrtenbuchs verzichtet werden. Die abstrakte Wiederholungsgefahr, an die § 31a StVZO anknüpfe, bestehe auch im Zeitraum bis zum rechtskräftigen Abschluss eines Rechtsmittelverfahrens und erfordere deshalb regelmäßig, dass auch in diesem Zeitraum das Fahrtenbuch geführt werde. Gründe für ein Abweichen von dieser Regel seien nicht zu erkennen. Das Führen des Fahrtenbuches solle in einem zeitlichen Zusammenhang mit dem begangenen Verkehrsregelverstoß stehen, sodass nicht hingenommen werden könne, dass bei einem Einlegen von Rechtsmitteln unter Umständen Jahre vergingen, ehe eine rechtskräftige Entscheidung vorliege. Diese typisierende Begründung der Anordnung der sofortigen Vollziehung gem. § 80 Abs. 2 Satz 1 Nr. 4 VwGO unterliegt keinen rechtlichen Bedenken. Die Norm § 31a StVZO gehört zu den Vorschriften, bei denen zur Abwehr von Gefahren für typische Gemeinschaftsgüter, nämlich die Sicherheit des öffentlichen Straßenverkehrs, das besondere öffentliche Vollzugsinteresse nach § 80 Abs. 2 Satz 1 Nr. 4 VwGO im Regelfall mit dem Interesse am Erlass des Verwaltungsakts zusammenfällt und sich die Behörde bei der Abwägung zwischen den Beteiligteninteressen im Wesentlichen auf die Prüfung beschränken kann, ob nicht ausnahmsweise in Ansehung der besonderen Umstände des Einzelfalls die sofortige Vollziehung weniger dringlich als im Normalfall erscheint. Dementsprechend ist auch den formellen Erfordernissen des § 80 Abs. 3 Satz 1 VwGO bei der Anordnung des Sofortvollzugs einer Fahrtenbuchauflage bereits dann genügt, wenn die Begründung der Anordnung erkennen lässt, dass die Behörde diese Gesichtspunkte bei ihrer Interessenabwägung berücksichtigt hat (vgl. OVG des Saarlandes, Beschluss vom 18. Juli 2016 – 1 B 131/16 –, zit. nach juris Rn. 7).

Das besondere öffentliche Interesse am sofortigen Vollzug der angefochtenen Fahrtenbuchauflage überwiegt hier das private Aussetzungsinteresse des Antragstellers, denn bei der im vorliegenden Verfahren des einstweiligen Rechtsschutzes gebotenen summarischen Prüfung der Sach- und Rechtslage geht der Einzelrichter davon aus, dass Überwiegendes für die Rechtmäßigkeit der angefochtenen Fahrtenbuchauflage und damit gegen einen Erfolg der in der Hauptsache – 1 A 288/17 – anhängigen Anfechtungsklage spricht.

Der Antragsteller wendet im Wesentlichen ein, er sei vor Erlass des angefochtenen Bescheids nicht angehört worden. Er habe keine Kenntnis von einem vorangegangenen Ordnungswidrigkeitenverfahren gehabt, insbesondere nicht von Ermittlungen gegen ihn als verantwortlicher Fahrzeugführer wegen eines mit seinem PKW begangenen Rotlichtverstoßes. Er habe lediglich den Einstellungsbescheid der Antragsgegnerin als zuständiger Ordnungswidrigkeitenbehörde vom 19. Juli 2017 erhalten. Dass sich ein ordnungsgemäßer Briefkasten an seinem Haus befinde, könne kein Beweis dafür sein, dass er das Anhörungsschreiben im Bußgeldverfahren vom 19. April 2017 erhalten habe. Die von der Antragsgegnerin vorgenommenen Ermittlungen im Betrieb seiner Brüder sowie durch Hinterlassen einer Karte an seinem Haus seien wahllose Ermittlungen ins Blaue hinein, für deren Erfolglosigkeit er nicht zur Verantwortung gezogen werden könne. Er erachte die Fahrtenbuchauflage zudem als unangemessen.

Mit diesen Einwendungen vermag der Antragsteller nicht durchzudringen. Der Einzelrichter geht für das vorliegende Verfahren des einstweiligen Rechtsschutzes von einer vorherigen Anhörung des Antragstellers gemäß § 1 Abs. 1 NdsVwVfG in Verbindung mit § 28 Abs. 1 VwVfG aufgrund des Zugangs des ordnungsgemäß adressierten Anhörungsschreibens der Antragsgegnerin vom 25. Juli 2017 und damit von der formellen Rechtmäßigkeit des angefochtenen Bescheids aus. Der Entwurf des Anhörungsschreibens befindet sich auf Blatt 22 des beigezogenen Verwaltungsvorgangs der Antragsgegnerin, den der Antragsteller auf der Geschäftsstelle des Gerichts eingesehen hat. An diesem Entwurf ist ein sog. „Ab-Vermerk“ angebracht, der die Aufgabe des Anhörungsschreibens zur Post mittels einfachen Briefs in entsprechender Anwendung des Rechtsgedankens aus § 41 Abs. 2 Satz 1 VwVfG (vgl. OVG NRW, Beschluss vom 4. April 2013 – 8 B 173/13 –, zit. nach juris Rn. 7) dokumentiert, sodass der Zugang dieses Schreibens beim Antragsteller vermutet werden kann, zumal die Antragsgegnerin einen Postrückläufer nicht zu verzeichnen hatte.

Das Niedersächsische Oberverwaltungsgericht hat zur Bekanntgabe von Verwaltungsakten mittels einfachen Briefs unter Verweis auf die Rechtsprechung des Bundesverwaltungsgerichts (vgl. Beschluss vom 24. April 1987 – 5 B 132.86 –, zit. nach juris Rn. 2) wiederholt entschieden, dass das schlichte Bestreiten des Betroffenen, der Verwaltungsakt sei ihm nicht zugegangen, regelmäßig nicht ausreiche, um die Bekanntgabevermutung des § 41 Abs. 2 Satz 1 VwVfG zu entkräften. Vielmehr müsse der Adressat sein Vorbringen nach Lage des Einzelfalls derart substantiieren, dass berechtigte Zweifel am Zugang begründet würden (vgl. Nds. OVG, Beschluss vom 16. November 2015 – 4 ME 284/15 –, BA S. 4 m. w. N.). Berechtigte Zweifel am Zugang von Verwaltungsakten im Sinne dieser Rechtsprechung seien jedenfalls dann nicht veranlasst, sondern es würden vielmehr erhebliche Zweifel an der Glaubhaftigkeit der pauschalen Behauptung eines Antragstellers bestehen, er habe Bescheide und Schreiben der handelnden Behörde nicht bekommen, wenn innerhalb eines kurzen Zeitraums mehrere, korrekt adressierte und nachweislich zur Post aufgegebene Sendungen dieser Behörde den Betroffenen nach dessen Vorbringen nicht erreicht haben sollen, ohne dass für die in Rede stehenden Sendungen in den Verwaltungsvorgängen der handelnden Behörde Postrückläufe zu verzeichnen wären (vgl. Nds. OVG, a. a. O., BA S. 4 f.). Hierfür spricht, dass mit dem durch den zuständigen Behördenmitarbeiter zu dokumentierenden Zeitpunkt der Aufgabe zur Post regelmäßig ein typischer Geschehensablauf dahingehend in Gang gesetzt wird, dass im Inland eine Postbeförderung innerhalb von drei Tagen an den Bestimmungsort erwartet werden kann. Kommt das Schreiben nicht als unzustellbar zurück, sind Zweifel am Zugang und am Zugangszeitpunkt - soll die Zugangsfiktion nicht ihren Sinn verlieren - nur gerechtfertigt, wenn der Adressat einen atypischen Geschehensablauf schlüssig vorträgt (vgl. Sächs. OVG, Beschluss vom Beschluss vom 5. September 2014 – 3 A 722/12 –, zit. nach juris Rn. 9). Die Übertragung dieser Argumentation auf den vom Adressaten pauschal bestrittenen Zugang eines mittels einfachen Briefs übersandten Anhörungsschreibens einer Behörde ist nach Auffassung des erkennenden Einzelrichters im vorliegenden Fall angezeigt.

Der Antragsteller verkennt zudem den rechtlichen Maßstab für die richterliche Überzeugungsbildung im vorliegenden einstweiligen Rechtschutzverfahren sowie in dem bei der Kammer anhängigen Hauptsacheverfahren – 1 A 288/17 –, soweit er der Antragsgegnerin vorhält, es müsse bewiesen werden, dass er die Anhörungsschreiben der Antragsgegnerin vom 19. April und 25. Juli 2017 tatsächlich erhalten habe. Nach der Rechtsprechung des für das Verkehrsrecht zuständigen 12. Senats des Niedersächsischen Oberverwaltungsgerichts, der der Einzelrichter folgt, kennt die Verwaltungsgerichtsordnung keine starren Beweisregelung, sondern verlangt für die gerichtliche Überzeugungsbildung lediglich einen für das praktische Leben brauchbaren Grad an Gewissheit, der Zweifeln Schweigen gebietet, auch wenn sie nicht völlig auszuschließen sind (vgl. Nds OVG, Beschlüsse vom 30. August 2016 – 12 ME 84/16 – BA S. 6, unter Hinweis auf Höfling, in: Sodan/Ziekow, VwGO, 4. Aufl., § 108 Rn. 69 ff., 71 und Kopp/Schenke, VwGO, 22. Aufl., § 108 Rn. 5 jeweils m. w. N.; und vom 27. Oktober 2017 – 12 ME 187/17 –, BA S. 5). Es besteht derzeit kein greifbarer Anhaltspunkt dafür anzunehmen, dass eine entsprechende Überzeugungsbildung im anhängigen Hauptsacheverfahren – 1 A 288/17 – nicht möglich sein wird. Hierfür streitet wiederum der Umstand, dass die Antragsgegnerin sowohl in ihrer Funktion als Bußgeldbehörde und als Straßenverkehrsbehörde mehrere Schreiben mittels einfachen Briefs an den Antragsteller versandt hat, ohne hierfür Postrückläufe verzeichnet zu haben; namentlich das Anhörungsschreiben vom 19. April 2017, den Einstellungsbescheid vom 19. Juli 2017 und das Schreiben zur Anhörung in Bezug auf die Fahrtenbuchauflage vom 25. Juli 2017 (zur Indizwirkung fehlender Postrückläufer vgl. Nds OVG, Beschlüsse vom 16. November 2015 und vom 27. Oktober 2017, a. a. O.). Diese Schreiben der Antragsgegnerin kennt der Antragsteller spätestens seit seiner Einsichtnahme in die beigezogene Verwaltungsakte der Antragsgegnerin; Akteneinsicht wurde ihm am 22. November 2017 auf der Geschäftsstelle des erkennenden Gerichts gewährt. Dessen ungeachtet bleibt er weiterhin bei seiner pauschalen Darstellung, nur den für ihn günstigen Einstellungsbescheid vom 19. Juli 2017 erhalten zu haben, ohne nur ansatzweise Erklärungen dafür zu liefern, warum ihn die weiteren Schreiben der Antragsgegnerin nicht erreicht haben könnten.

In der Zusammenschau mit den von der Antragsgegnerin ermittelten Umständen, wonach das Wohnhaus des Antragstellers mit einem ordnungsgemäß beschrifteten und offensichtlich nicht überfüllten Briefkasten im Frühjahr 2017 versehen war, sowie in Ansehung mangelnder Reaktion des Antragstellers auf die am 22. Mai 2017 an seinem Wohnhaus angebrachte Karte des Ermittlungsdienstes der Antragsgegnerin und dessen Besuch in der Firma seines Bruders, muss der Einzelrichter gegenwärtig davon ausgehen, dass der Antragsteller – der sog. Rosinentheorie folgend – nur die für ihn günstigen Umstände des Ablaufs der abgeschlossenen Verwaltungs- und Ordnungswidrigkeitenverfahren gegenüber dem erkennenden Gericht einräumt und die Kenntnis der für ihn belastenden Verfahrensschritte wahrheitswidrig bestreitet (zu einem ähnlich gelagerten Fall pauschalen Bestreitens des Zugangs verfahrensrechtlich nachteiliger Schreiben vgl. Beschluss der Kammer vom 22. August 2017 – 1 B 87/17 –, BA S. 9 f.).

Der angefochtene Bescheid begegnet auch in materieller Hinsicht keinen Bedenken. Die Feststellung derjenigen Person, die das Kraftfahrzeug des Antragstellers zum Zeitpunkt des festgestellten Rotlichtverstoßes geführt hat, war bis zum Ablauf der dreimonatigen Frist der Verfolgungsverjährung gemäß § 26 Abs. 3 StVG im Sinne des § 31a Abs. 1 Satz 1 StVZO unmöglich. Eine Unmöglichkeit im Sinne dieser Vorschrift liegt vor, wenn die Behörde nach den Umständen des Einzelfalls nicht in der Lage war, den Täter zu ermitteln, obwohl sie alle angemessenen und zumutbaren Maßnahmen hierfür getroffen hat. Art und Umfang der Ermittlungstätigkeit der Behörde können sich an dem Verhalten und der Erklärung des Fahrzeughalters ausrichten. Lehnt dieser erkennbar die Mitwirkung an der Aufklärung des Verstoßes ab, so ist es der Behörde regelmäßig nicht zuzumuten, wahllos zeitraubende und kaum Aussicht auf Erfolg bietende Ermittlungen zu betreiben. An der zu fordernden Mitwirkung des Halters fehlt es bereits dann, wenn er den Anhörungs- oder Zeugenfragebogen nicht zurücksendet bzw. weitere Angaben zum Personenkreis der Fahrzeugbenutzer nicht macht. Damit hat es regelmäßig sein Bewenden. Weitere Bemühungen der Bußgeldstelle zur Feststellung des Fahrzeugführers ändern an dieser Rechtslage nichts. Sie deuten nicht darauf hin, weitere Maßnahmen zur Feststellung des Fahrzeugführers seien geboten gewesen, um zu dem Ergebnis zu gelangen, diese Feststellung sei im Sinn des § 31a Abs. 1 Satz 1 StVZO unmöglich (ständige Rechtsprechung der erkennenden Kammer, vgl. Beschluss vom 22. August 2017 – 1 B 87/17 –, BA S. 7 unter Verweis auf die Rechtsprechung des Nds. OVG, Beschluss vom 1. Februar 2013 – 12 LA 122/12 –, zit. nach juris Rn. 8 m. w. N.).

Gemessen an diesen Grundsätzen war der im Ordnungswidrigkeitenverfahren von der Antragsgegnerin betriebene Ermittlungsaufwand angemessen und ausreichend. Der Antragsteller hat durch sein Verhalten im Bußgeldverfahren deutlich gemacht, an der Aufklärung des Vorfalls nicht mitwirken zu wollen. Er hat den ihm übersandten Anhörungsbogen vom 19. April 2017 nicht zurückgesandt und sich auch nicht in anderer Weise im Bußgeldverfahren geäußert, was angesichts der vom städtischen Ordnungs- und Ermittlungsdienst am 22. Mai 2017 hinterlassenen Karte sowie den Ermittlungen im Betrieb seines Bruders, von denen der Antragsteller offensichtlich Kenntnis erlangt hatte, nahegelegen hätte. Von „Ermittlungen ins Blaue hinein“, wie der Antragsteller meint, kann in diesem Zusammenhang keine Rede sein.

Der Antragsteller kann auch nicht darauf verweisen, die Bußgeldbehörde habe einen Anruf auf seinem Handy als erfolgversprechende Ermittlungsmaßnahme in Betracht ziehen müssen, denn seine Handynummer ist nicht allgemein zugänglich. Eine vom Einzelrichter aus Anlass des vorliegenden Verfahrens vorgenommene Abfrage unter www.dastelefonbuch.de ergab insoweit keinen Treffer. Der Antragsteller hat auch nicht dargetan, dass und in welchen Quellen seine Mobilfunknummer für jedermann allgemein zugänglich ist. Die Antragsgegnerin war schon deshalb nicht verpflichtet, sich um eine weitere Aufklärung des Sachverhalts im Bußgeldverfahren telefonisch zu bemühen. Deshalb braucht hier nicht entschieden werden, ob eine Bußgeldbehörde überhaupt verpflichtet ist, weitere Ermittlungen beim Fahrzeughalter durch einen aus ex-ante-Sicht erfolgversprechenden Versuch der Kontaktaufnahme über ein Mobiltelefon zu unternehmen (zu diesem Aspekt in den sog. Abschleppfällen vgl. BVerwG, Urteil vom 9. April 2014 – 3 C 5/13 –, BVerwGE 149, 254, zit. nach juris Rn. 16 f.).

Mit dem Einwand, er habe den Anhörungsbogen vom 19. April 2017 nicht erhalten, vermag der Antragsteller aus den vorstehend dargelegten Gründen, die für den Zugang des Anhörungsschreibens vom 25. Juli 2017 streiten, jedenfalls nicht durchzudringen. An einem qualifizierten und glaubhaften Vortrag des Antragstellers fehlt es auch insoweit, denn die Aufgabe dieses ordnungsgemäß adressierten Anhörungsschreibens zur Post ist durch den Datensatzauszug vom 17. Mai 2017 (Bl. 10 des beigezogenen Verwaltungsvorgangs) hinreichend belegt (ständige Rechtsprechung der erkennenden Kammer, vgl. Beschluss vom 22. August 2017, a. a. O., BA S. 8 unter Verweis auf die Rechtsprechung des Nds. OVG, Beschluss vom 6. April 2010 – 12 ME 47/10 –, zit. nach juris Rn. 6) und ein Postrücklauf ist in der beigezogenen Verwaltungsakte der Antragsgegnerin nicht ersichtlich.

Die Antragsgegnerin hat bei Erlass der Fahrtenbuchauflage das ihr durch § 31a Abs. 1 Satz 1 StVZO eingeräumte Ermessen ordnungsgemäß ausgeübt. Sie hat dem öffentlichen Interesse daran, dass bei künftigen Verstößen der verantwortliche Fahrzeugführer ermittelt werden kann, beanstandungsfrei den Vorrang vor dem Interesse des Antragstellers eingeräumt, von den mit der Führung des Fahrtenbuchs verbundenen Unannehmlichkeiten verschont zu bleiben. Insbesondere vermag der Einzelrichter im Hinblick auf die Dauer der Fahrtenbuchauflage einen Verstoß gegen den Grundsatz der Verhältnismäßigkeit nicht zu erkennen. Durch die Fahrtenbuchauflage soll der Fahrzeughalter zu einer nachprüfbaren Überwachung der Fahrzeugbenutzung und zur Mitwirkung bei der Feststellung des Fahrzeugführers im Fall eines erneuten Verkehrsverstoßes angehalten werden.Dazu ist bereits eine gewisse Dauer der Fahrtenbuchauflage erforderlich. Bei der Bemessung der Dauer der Fahrtenbuchauflage ist insbesondere das Gewicht des festgestellten Verkehrsverstoßes zu berücksichtigen. Je schwerer der Verstoß wiegt, umso größer wird das Interesse der Allgemeinheit, der Gefahr entgegenzuwirken, bei weiteren Zuwiderhandlungen vergleichbarer Schwere den Fahrer nicht ermitteln zu können. Deshalb wird es bei einem schweren Verstoß gerechtfertigt sein, dem Halter eine längere Überwachung der Nutzung seines Fahrzeugs zuzumuten. Dabei darf sich die Behörde bei der Bemessung des Gewichts einer Zuwiderhandlung gegen Verkehrsvorschriften an dem Bewertungssystem nach der Anlage 13 zu § 40 FeV orientieren (vgl. BVerwG, Urteil vom 28. Mai 2015 – 3 C 13/14 –, BVerwGE 152, 180, zit. nach juris Rn. 21; Nds. OVG, Urteil vom 8. Juli 2014 – 12 LB 76/14 –, zit. nach juris Rn. 28 m. w. N.).

Der mit dem Fahrzeug des Antragstellers begangene Verkehrsverstoß wäre gemäß § 24 StVG i. V. m. § 1 Abs. 1 BKatV und der dazugehörigen Anlage (BKat) Ziffer 132 als einfacher Rotlichtverstoß mit einer Geldbuße von 90 Euro und gemäß Ziffer 3.2.19 der Anlage 13 zu § 40 FeV mit der Eintragung eines Punkts in das Verkehrszentralregister zu ahnden gewesen. Diesbezüglich begegnet die Anordnung einer Fahrtenbuchauflage für eine Dauer von neun Monaten im Hinblick auf das von der Antragsgegnerin auszuübende Ermessen keinen durchgreifenden Bedenken. Sie bewegt sich tendenziell im unteren Bereich des rechtlich Zulässigen und entspricht – soweit für den Einzelrichter aufgrund früherer Verwaltungsstreitverfahren ersichtlich – der stetigen Verwaltungspraxis der Antragsgegnerin. Hierbei nimmt der Einzelrichter in den Blick, dass nach der Rechtsprechung des Bundesverwaltungsgerichts (vgl. Urteil vom 28. Mai 2015, a. a. O., Rn. 26 m. w. N.), der die Kammer in ständiger Rechtsprechung folgt, eine Dauer der Fahrtenbuchauflage von sechs Monaten als im unteren Bereich einer effektiven Kontrolle liegend angesehen wird.

Die Fahrtenbuchauflage und deren Vollzug durch die Antragsgegnerin ist auch nicht deshalb unverhältnismäßig (geworden), weil der Rotlichtverstoß bereits am 1. April 2017 begangen und die Fahrtenbuchauflage mit Bescheid vom 10. August 2017 verfügt wurde, gegen den der Antragsteller bereits am 8. September 2017 um Gewährung einstweiligen Rechtsschutzes bei der erkennenden Kammer nachgesucht hat. Nach der Rechtsprechung des Bundesverwaltungsgerichts wird die Anordnung zum Führen eines Fahrtenbuchs nach § 31a StVZO nach allgemeinen verwaltungsverfahrensrechtlichen Grundsätzen durch bloßen Zeitablauf nicht unverhältnismäßig; andernfalls hätte es der Adressat der Fahrtenbuchauflage selbst in der Hand, die Rechtmäßigkeit der behördlichen Anordnung allein durch Rechtsbehelfs- und Rechtsmittelgebrauch und den damit verbundenen Zeitablauf zu beseitigen. Dies kommt aus rechtsstaatlichen Gründen nicht in Betracht. Selbst ein Verzicht auf die im Ermessen der zuständigen Behörde stehende, von einer Interessenabwägung abhängige Anordnung der sofortigen Vollziehung nach § 80 Abs. 2 Satz 1 Nr. 4 VwGO – die hier allerdings verfügt wurde – macht die Fahrtenbuchauflage nicht rechtswidrig (vgl. Beschluss vom 12. Juli 1995 – 11 B 18/95 –, Buchholz 442.16 § 31a StVZO Nr. 23, zit. nach juris Rn. 3).

Die Kostenentscheidung folgt aus § 154 Abs. 1 VwGO.

Die Streitwertfestsetzung beruht auf den §§ 53 Abs. 2 Nr. 2, 52 Abs. 1 GKG i. V. m. Nr. 46.11 und Nr. 1.5 Satz 1 des Streitwertkatalogs für die Verwaltungsgerichtsbarkeit in der Fassung der am 31. Mai / 1. Juni 2012 und 18. Juli 2013 beschlossenen Änderungen (abgedruckt bei Kopp/Schenke, Kommentar zur VwGO, 21. Auflage, Anh § 164, Rn. 14). Danach ist in Streitigkeiten um die Anordnung einer Fahrtenbuchauflage in einem Hauptsacheverfahren 400 Euro je Monat der Dauer der Auflage anzunehmen. Der sich danach in der Hauptsache – 1 A 288/17 – errechnende Betrag von 3.600 Euro ist hier zu halbieren, weil das vorliegende Verfahren des einstweiligen Rechtsschutzes die Hauptsache nicht vorwegnimmt.