Verwaltungsgericht Göttingen
Urt. v. 04.09.2018, Az.: 2 A 101/16

Werbeanlage; bauliche Anlage; großflächige Werbeanlage; Belästigung; Rücksichtnahmegebot

Bibliographie

Gericht
VG Göttingen
Datum
04.09.2018
Aktenzeichen
2 A 101/16
Entscheidungsform
Urteil
Referenz
WKRS 2018, 73983
Entscheidungsname
[keine Angabe]
ECLI
[keine Angabe]

Tatbestand:

Die Klägerin betreibt ein Unternehmen der Außenwerbung. Sie errichtet Werbeanlagen, die sie an Werbungtreibende vermietet.

Sie beantragte am 25.06.2015 (Eingang bei der Beklagten) eine Genehmigung für die Errichtung einer Werbetafel als Plakatwechsler mit Hintergrundbeleuchtung in Wandmontage auf dem Grundstück M. Landstraße 104 (Flur 29, Flurstück 159/23, Gemarkung N.) im vereinfachten Verfahren. Die Werbetafel soll die Maße 3895 mm x 2784 mm haben und somit eine Fläche von 10,84 m2 umfassen. Ausweislich des als Baubeschreibung beigefügten Produktblatts beträgt die Standzeit der einzelnen Plakate 7 Sekunden, die Plakatwechselgeschwindigkeit 0,8 m/s, was einer Wechselzeit pro Plakat von ca. 3 Sekunden entspricht. Die Lichtstärke soll in Abhängigkeit von den jeweiligen Plakaten variieren. Die Beleuchtungszeiten sind mit 0:00 bis 24:00 Uhr angegeben. Die Anlage soll an der nördlichen Giebelseite des Hauptgebäudes der M. Landstraße 104 in einer Höhe von 4,5 m (Unterkante des Plakatträgers) angebracht werden. Das Grundstück liegt an der Ecke M. Landstraße / O. Straße im unbeplanten Innenbereich.

Nach Anhörung der Klägerin versagte die Beklagte die Genehmigung mit Bescheid vom 20.10.2015.

Sie begründete dies damit, dass der betroffene Bereich als allgemeines Wohngebiet zu klassifizieren sei. Eigenständig genutzte Fremdwerbeanlagen stellten eine gewerbliche Hauptnutzung dar, die in einem allgemeinen Wohngebiet nicht zulässig seien. Die Wohnnutzung sei in der Umgebung prägend und ein ohne Pause betriebener Plakatwechsler mit Hintergrundbeleuchtung wirke sich unzumutbar störend auf das Wohnen in diesem Bereich aus. Eine Zulassung würde zu einer schleichenden Umwandlung des Gebietscharakters führen. In einem allgemeinen Wohngebiet seien zudem nach der Nds. Bauordnung nur Werbeanlagen an der Stätte der Leistung zulässig. Dies sei bei Fremdwerbung gerade nicht gegeben.

Hiergegen legte die Klägerin am 18.11.2015 Widerspruch ein, den sie nicht begründete. Die Beklagte wies den Widerspruch mit Widerspruchsbescheid vom 5.2.2016, zugegangen am 9.2.2016, zurück. Neben der Bezugnahme auf den Ausgangsbescheid, verwies die Beklagte zur Begründung darauf, dass die geplante exponierte Lage, wechselnde Beleuchtungsintensität und 24-stündige Betriebsdauer zu einer erheblichen Störung führen würde. Die Werbeanlage könnte daher auch nicht ausnahmsweise als nicht störender Gewerbebetrieb gem. § 4 Abs. 3 Nr. 2 BauNVO zugelassen werden.

Hiergegen hat die Klägerin am 9.3.2015 Klage erhoben.

Sie ist der Ansicht, es handele sich um ein Mischgebiet im Sinne des § 34 Abs. 2 BauGB i.V.m. § 6 BauNVO bzw. um ein atypisches Gebiet nach § 34 Abs. 1 BauGB, in denen Fremdwerbeanlagen zulässig sind. Die in unmittelbarer Nähe liegende bereits vorhandene Wirtschaftswerbung schließe jedenfalls eine Klassifizierung als allgemeines Wohngebiet aus. Der Betrieb der Anlage sei auch nicht störend und könne, wenn gewünscht, ab 22.00 Uhr die Nacht über unterbleiben.

Die Klägerin beantragt,

die Beklagte unter Aufhebung des Bescheides vom 20.10.2015 in Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 5.2.2016 zu verpflichten, ihr die begehrte Baugenehmigung zu erteilen.

Die Beklagte beantragt,

die Klage abzuweisen.

Sie ist der Ansicht, es handele sich um ein faktisches allgemeines Wohngebiet, in dem Fremdwerbung unzulässig sei. Für die Klassifizierung als Mischgebiet fehle es an einem gleich gewichtigen Anteil von gewerblicher Nutzung und Wohnnutzung. Die vorhandene gewerbliche Nutzung habe eine völlig untergeordnete Stellung.

Das Gericht hat Beweis erhoben über die Art der Bebauung in der näheren Umgebung zum geplanten Standort der von der Klägerin begehrten Werbeanlage an der M. Landstraße 104 durch Einnahme des Augenscheins. Wegen der Einzelheiten der Feststellungen wird auf die Sitzungsniederschrift Bezug genommen.

Wegen des weiteren Vortrags der Beteiligten wird auf deren Schriftsätze, wegen des Sachverhalts im Übrigen wird auf die Gerichtsakte sowie die beigezogenen Verwaltungsvorgänge Bezug genommen. Diese Unterlagen sind Gegenstand der mündlichen Verhandlung gewesen.

Entscheidungsgründe

Die zulässige Klage ist unbegründet.

Die Klägerin hat einen Anspruch auf Erteilung der beantragten Baugenehmigung nicht (§ 113 Abs. 5 Satz 1 VwGO).

Gemäß § 70 Abs. 1 S. 1 Nds. Bauordnung –NBauO- ist die Baugenehmigung zu erteilen, wenn die Baumaßnahme, soweit sie genehmigungsbedürftig ist und soweit eine Prüfung erforderlich ist, dem öffentlichen Baurecht entspricht.

Die von der Klägerin beabsichtigte Montage einer Werbeanlage ist eine genehmigungsbedürftige Baumaßnahme gem. § 59 Abs. 1 NBauO. Das von der Klägerin beabsichtigte Vorhaben ist eine bauliche Anlage im Sinne des § 2 Abs. 1 Nr. 1 NBauO, da es sich um eine Werbeanlage im Sinne des § 50 Abs. 1 NBauO handelt. Die Errichtung der Werbeanlage stellt eine Baumaßnahme im Sinne des § 2 Abs. 13 NBauO dar, da der Plakatwechsler dauerhaft an die Fassade des auf dem Grundstück stehenden Hauses angebracht werden soll. Eine Ausnahme nach §§ 60 - 62, 74, 75 NBauO liegt nicht vor. Die Genehmigung erfolgt im vereinfachten Genehmigungsverfahren nach § 63 Abs. 1 NBauO, da es sich bei Werbeanlagen nicht um Sonderbauten im Sinne des § 2 Abs. 5 NBauO handelt. Geprüft wird gemäß § 63 Abs. 1 Nr. 1 NBauO u.a. die Vereinbarkeit mit städtebaulichem Planungsrecht und gemäß Nr. 2 der Vorschrift diejenige u.a. mit § 50 NBauO.

Die Werbeanlage ist nicht genehmigungsfähig, da sie weder mit dem Bauplanungsrecht noch mit § 50 NBauO vereinbar ist.

Auch bauplanungsrechtlich handelt es sich bei der von der Klägerin geplanten großflächigen Werbeanlage im sog. Euroformat um eine bauliche Anlage im Sinne von § 29 Abs. 1 BauGB, da sie städtebauliche Spannungen hervorruft.

Der Vorhabenstandort liegt im unbeplanten Innenbereich. Die Zulässigkeit des klägerischen Vorhabens richtet sich nach § 34 BauGB. Danach ist ein Vorhaben innerhalb des im Zusammenhang bebauten Ortsteils zulässig, wenn es sich nach Art und Maß der baulichen Nutzung (…) in die nähere Umgebung einfügt (Abs. 1). Entspricht die Eigenart der näheren Umgebung einem der Baugebiete, die in der BauNVO bezeichnet sind, beurteilt sich gem. § 34 Abs. 2 BauGB die Zulässigkeit des Vorhabens nach seiner Art allein danach, ob es nach der Verordnung im Baugebiet zulässig wäre.

Hier ist nach dem Ergebnis der Augenscheinseinnahme davon auszugehen, dass die nähere Umgebung des Vorhabenortes einem Mischgebiet im Sinne von § 6 BauNVO und nicht, wie die Beklagte meint, einem allgemeinen Wohngebiet im Sinne des § 4 BauNVO entspricht.

Für die Beurteilung der näheren Umgebung ist zunächst, aber nicht nur auf die unmittelbaren Nachbargrundstücke abzustellen. Es muss zum einen die Umgebung insoweit berücksichtig werden, als die Ausführung des beabsichtigten Vorhabens sich auf diese auswirken kann, zum anderen ist sie insoweit zu berücksichtigen, als sie ihrerseits den bodenrechtlichen Charakter des Baugrundstücks prägt oder beeinflusst (BVerwG, Urteil vom 26.05.1978 – 4 C 9.77 –, juris 5. Leitsatz, Rn. 33). Das Gericht definiert die nähere Umgebung hier mit dem bei der Augenscheinseinnahme abgeschrittenen Bereich. Das umfasst in jede Richtung ausgehend von der geplanten Werbeanlage etwa hundert Meter. Dieser weite Radius rechtfertigt sich zur Überzeugung des Gerichts daraus, dass sich der Standort der Anlage einerseits an einer sehr offenen und weitflächigen Kreuzung und andererseits in einer Höhe befindet, die es ermöglicht, dass die Anlage weithin ausstrahlen kann. Dieser Ausdehnung steht nicht entgegen, dass sich der zu beurteilende Bereich somit in südlicher Richtung auch in einen überplanten Bereich erstreckt, nämlich insoweit als Gebäude südlich des Tankstellengeländes mit in die Betrachtung einbezogen werden. Die tatsächliche Prägung eines – unbeplanten – Gebiets ist unabhängig von der Frage, ob das prägende Gebiet überplant ist oder nicht.

Ein allgemeines Wohngebiet dient vorwiegend dem Wohnen. Eine andere, das Wohnen ergänzende Nutzung ist zulässig, soweit dadurch die Hauptnutzung nicht in Frage gestellt wird (Hornmann, in BeckOK BauNVO, 14. Ed. 15.6.2018, § 4 Rn. 18). Davon abzugrenzen ist das Mischgebiet im Sinne des § 6 BauNVO. Dieses dient dem Wohnen und der Unterbringung von Gewerbebetrieben, die das Wohnen nicht wesentlich stören. Es ist von einem Nebeneinander und einer Gleichrangigkeit der Wohnnutzung und der gewerblichen Nutzung geprägt (Hornmann, a.a.O., § 6 Rn. 2, 18; Fickert/Fieseler, BauNVO, 12. Aufl., § 6 Rn. 1.3). Im Ergebnis darf nicht eine der Hauptnutzungsarten optisch eindeutig dominieren (Fickert/Fieseler, a.a.O. Rn. 1.4). Das Gericht hat nach dem Ergebnis der Beweisaufnahme den Eindruck gewonnen, dass in der näheren Umgebung gewerbliche Nutzung und Wohnnutzung nebeneinander existieren, ohne dass eine dieser Nutzungsarten eindeutig in den Vordergrund tritt. Es geht deshalb davon aus, dass es sich um ein Mischgebiet handelt.

Der Vorhabenstandort befindet sich an der Kreuzung M. Landstraße, die als Ausfallstraße von Göttingen nach Süden fungiert, und der O. Straße im Westen, die als P. Straße gen Osten weiter verläuft. Die Straßenzüge sind durchgängig mit Wohnhäusern bebaut. Dabei handelt es sich in der O. Straße teilweise um alleinstehende Mehrfamilienhäuser. In beiden Straßen sind Mehrfamilien-Reihenhäuser bzw. größere Häuserblöcke mit mehreren Wohneinheiten zu finden. In dem dem Vorhabenstandort nördlich gegenüberliegenden Eckgrundstück befindet sich im Erdgeschoss des Wohnblocks ein griechisches Imbiss-Restaurant, westlich daneben ein Radio- und Fernsehgeschäft. Beides sind gewerblichen Nutzungen, die der Versorgung des Gebietes dienen und damit als Schank- und Speisegaststätte und als nicht störender Handwerksbetrieb gemäß § 4 Abs. 2 Nr. 2 BauNVO in einem allgemeinen Wohngebiet zulässig sind. Soweit das griechische Restaurant die im Sitzungsprotokoll beschriebene Leuchtwerbung hat, wird an der Stätte der Leistung geworben, was in einem allgemeinen Wohngebiet zulässig ist.

An der M. Landstraße befinden sich auf der westlichen Seite in den Nummern 88 und 82 mit einem Wäschedienstleister und einem Blumenladen zwei weitere Gewerbebetriebe. Bei dem Blumenladen handelt es sich um einen nicht störenden Handwerksbetrieb im Sinne von § 4 Abs. 2 Nr. 2 BauNVO, bei dem Wäschedienstleister um einen sonstigen nichtstörenden Gewerbetrieb, der in einem allgemeinen Wohngebiet ausnahmsweise gemäß § 4 Abs. 3 Nr. 2 BauNVO zugelassen werden kann. Die im Gebäude M. Landstraße 80 betriebene Anwaltskanzlei ist in einem allgemeinen Wohngebiet gemäß § 13 BauNVO zulässig.

Die östliche Seite der M. Landstraße ist vom Kreuzungsbereich in nördliche Richtung ausschließlich mit Häusern bebaut, die Wohnzwecken dienen. In südliche Richtung sind die Gebäude an der M. Landstraße überwiegend zu Wohnzwecken genutzt. Soweit andere Nutzungen protokolliert sind (Kindertagesmutter, Physiotherapie und Coaching), handelt es sich um Nutzungsarten, die nach § 4 Abs. 2 Nr. 3 BauNVO (soziale Zwecke) oder § 13 BauNVO (selbständige Tätigkeiten) in einem allgemeinen Wohngebiet zulässig sind. Auch die auf der westlichen Seite der M. Landstraße in südlicher Richtung vom Vorhabenstandort aus befindliche Tankstelle ist gemäß § 4 Abs. 3 Nr. 5 BauNVO in einem allgemeinen Wohngebiet ausnahmsweise zulässig. Die Tätigkeit des im Gebäude mit der Nummer 114 ansässigen Maklers ist zwar eine gewerbliche und nach der nach außen hin erkennbaren Tätigkeitsbeschreibung „Stadt- Land- Forstimmobilien“ auf Kunden über den Siedlungsbereich hinaus gerichtet. Das Bürogebäude steht einer Wohnnutzung nicht entgegen, da es sich um einen ausnahmsweise zulässigen nicht störenden Gewerbebetrieb im Sinne von § 4 Abs. 3 BauNVO handelt.

Beschränkte sich die Betrachtung auf diese Nutzungen, wäre der Beklagten Recht zu geben, dass es sich bei dem fraglichen Bereich um ein allgemeines Wohngebiet handelt. Es gibt zwar zahlreiche gewerbliche Nutzungen, die allesamt insoweit aber Nebenfunktionen des Wohnens erfüllen. Dass das Gericht dennoch zu einer anderen Einschätzung der Nutzungsart für das betroffene Gebiet gelangt, liegt an den zahlreichen selbständigen gewerblichen Hauptnutzungen, die aus den vorhandenen und protokollierten Werbeanlagen herrühren.

Ob eine Werbeanlage eine bauliche Anlage im Sinne von § 29 Abs. 1 BauGB ist, ist unabhängig von ihrer Art der Verbindung mit dem Erdboden, konstruktiven Beschaffenheit oder Größe danach zu beurteilen, ob sie städtebauliche Relevanz hat. Eine solche ist anzunehmen, wenn die Anlage gerade in ihrer gedachten Häufung das Bedürfnis nach einer ihre Zulässigkeit regelnden verbindlichen Planung hervorruft. Dies ist dann der Fall, wenn Belange erfasst und berührt werden, welche im Hinblick auf das grundsätzliche Gebot des § 1 Abs. 3 BauGB in Verbindung mit § 1 Abs. 5 BauGB auch städtebauliche Betrachtung und Ordnung verlangen. Hierzu zählt auch das Ortsbild der Gemeinde. Handelt es sich bei solchen Anlagen nicht um Werbung an der Stätte der Leistung, liegt eine eigenständige gewerbliche Hauptnutzung vor (BVerwG, Urteil vom 03.12.1992, - 4 C 27/91 -, juris Rn. 15 ff., 24 ff.). Ist danach die Größe einer Werbetafel nicht allein maßgeblich – im vom Bundesverwaltungsgericht entschiedenen Fall betrug sie 2,73 m2 – so sind Werbetafeln, die DIN A 2 Format nicht überschreiten ohne bodenrechtliche Relevanz. Die in der Sitzungsniederschrift erwähnten dem entsprechenden Werbetafeln, mögen sie an Laternenpfählen hängen oder an Stromkästen oder Zäunen hängen, scheiden für die Betrachtung daher aus. In die Betrachtung mit einzubeziehen sind demgegenüber die am Zaun des Vorhabengrundstück angebrachten Schilder, die gegenüber vor dem Grundstück O. Straße 63 am Fußweg im Kreuzungsbereich stehende Litfaßsäule, die am Zaun des Grundstücks M. Landstraße 91 angebrachten Schilder sowie der Werbepylon im Euroformat vor der Tankstelle an der M. Landstraße (vgl. zur Beurteilung verschiedener Größen Stock in: König/Roeser/Stock, BauNVO 3. Aufl. § 14 Rn. 12 a.E.; die Grenze bei 1m2 ziehend, Wiechert in: Große-Suchsdorf, 9. Aufl., § 50 Rn. 14).

 Für die Litfaßsäule und den Werbepylon liegt das aufgrund ihrer Größe, Beschaffenheit und Ausstrahlungswirkung in den Straßenraum hinein, und damit aufgrund ihrer Relevanz für das Ortsbild auf der Hand und bedarf keiner weiteren Erörterung. Aber auch die am Vorhabengrundstück vorhandenen Werbeplakate und ihre Entsprechungen auf der schräg gegenüberliegenden Straßenseite stellen selbständige gewerbliche Nutzungen im oben beschriebenen Sinne dar. Sie sind zwischen 1,5 und 3 m2 groß und damit je einzeln selbständige gewerbliche Anlagen. Dem steht ihre Anbringung an Zäunen nicht entgegen. Sie werben durchgängig für Unternehmen, die zum Teil einige hundert Meter, zum Teil etliche Kilometer entfernt vom Ort der Werbung ansässig sind. Entscheidend für diese Einschätzung, die in § 50 Abs. 2 Nr. 3 und 4 NBauO ihre bauordnungsrechtliche Entsprechung findet, ist die Auswirkung dieser Plakate auf das Ortsbild in ihrer gedachten Häufung. Würden sich weitere Plakate in derselben oder ähnlichen Größe im Vorhabengebiet häufen, riefe dies ein Planungsbedürfnis hervor, da sich das Ortsbild sodann massiv verändern würde. Entgegen der von der Beklagten in der mündlichen Verhandlung geäußerten Rechtsauffassung handelt es sich bei diesen zahlreichen Anlagen nicht – mehr – um für die Beurteilung zu vernachlässigende Fremdkörper. Sie stellen regelhafte und die Umgebung prägende Nutzungen dar. Insbesondere wegen ihrer Nähe und damit Ausstrahlungskraft auf das klägerische Vorhaben, das sich umgekehrt auch auf diese Nutzungen auswirkt, gelangt das Gericht zu dem Ergebnis, dass in der näheren Umgebung des Vorhabenstandortes gewerbliche und Wohnnutzung ein gleich starkes Gewicht besitzen.

Gemäß § 6 Abs. 2 Nr. 4 BauNVO ist die streitbefangene Werbetafel somit zulässig. Dass sie gleichwohl planungsrechtlich unzulässig ist, ergibt sich aus § 15 Abs. 1 Satz 2 BauNVO. Das Vorhaben verstößt gegen das Gebot der Rücksichtnahme. Dieses gilt auch für ein nicht in einem Bebauungsplan festgesetztes Baugebiet, dessen Eigenart gemäß § 34 Abs. 2 BauGB einem Plangebiet der BauNVO entspricht (BVerwG, Beschluss vom 16.12.2008 – 4 B 68/08 -, juris Rn. 4).

Gemäß § 15 Abs. 1 Satz 2 BauNVO sind die in §§ 2-14 BauNVO aufgeführten Anlagen unzulässig, wenn von ihnen Belästigungen oder Störungen ausgehen können, die nach der Eigenart des Baugebiets im Baugebiet selbst oder in dessen Umgebung unzumutbar sind. Die Eigenart des einzelnen Baugebietes ergibt sich nicht alleine aus der typisierenden Regelung der BauNVO, sondern lässt sich abschließend erst bestimmen, wenn zusätzlich die jeweilige örtliche Situation berücksichtigt wird. Bei unbeplanten Gebieten im Sinne von § 34 Abs. 2 BauGB ist dementsprechend auf den sich aus den örtlichen Verhältnissen ergebenden besonderen Gebietscharakter des konkreten Baugebiets abzustellen (BVerwG, a.a.O.).

Die Unzumutbarkeit im Einzelfall ergibt sich hier aus dem Anbringungsort der Anlage in Verbindung mit ihrer spezifischen, in der Baubeschreibung näher dargelegten Funktionsweise. Das von der Klägerin zur Genehmigung gestellte Plakat soll alle 7 Sekunden mit ca. 0,8 m/s gewechselt werden. Diese Bewegung führt auch dazu, die Aufmerksamkeit auf die Werbung zu lenken. Zusätzlich wird diese bewegte Werbung auch beleuchtet. Damit wird der Werbeeffekt auch bei Dunkelheit gesichert. Die Werbeanlage soll zudem auf einer Höhe zwischen 4,5 m rund 7 m Höhe angebracht werden. Sie ist damit von den Wohneinheiten an der O. Straße und von den Wohnhäusern auf der östlichen Seite der M. Landstraße deutlich wahrnehmbar. Die sonstige, bisher vorhandene gewerbliche Nutzung beschränkt sich auf die Erdgeschosse der Häuser sowie auf die unmittelbare Nähe des Straßenraumes. Die geplante Werbeanlage würde jedoch in Wohneinheiten in der ersten und zweiten Etage hineinwirken, die bisher nur am Rande oder gar nicht von der gewerblichen Nutzung beeinträchtigt sind. Damit sind die Bewohner der umliegenden, insbesondere der (schräg) gegenüberliegenden, Wohnungen einer permanenten Beeinträchtigung durch die Werbung ausgesetzt. Durch die Höhe der Anbringung wirkt die Werbeanlage direkt in den Wohnbereich der dortigen Wohnungen ein. Dies geschieht auch zu Zeiten, wenn das im Gebiet angesiedelte Gewerbe zur Ruhe kommt und das Ruhebedürfnis der Wohnnutzung in den Vordergrund rückt. Dadurch würde der Bereich, aus dem Beeinträchtigungen für die Wohnnutzung bisher zu erwarten sind, unzumutbar erweitert. Denn dieser Bereich beschränkt sich zurzeit auf das Erdgeschoss der Wohnblöcke und den Verkehrsraum. Dem hält die Klägerin zu Unrecht entgegen, durch die Lichtzeichenanlage an der Kreuzung werde die Wohnnutzung bereits derzeit massiv optisch beeinträchtigt. Eine Beeinträchtigung durch eine derartige Lichtzeichenanlage mit nur einer geringen Abstrahlung, deren Hauptrichtung auf die Verkehrsfläche gerichtet ist und mit nur wenigen Farbnuancen ist mit der Beeinträchtigung durch die fortlaufend das Motiv wechselnde, vielfarbige und über den Verkehrsraum hinauswirkende Werbeanlage der Klägerin nicht zu vergleichen. Sie stellt damit auch keine Vorbelastung dar, auf die sich die Klägerin für ihr Vorhaben berufen könnte.

Ebenso wenig vermag die Klägerin mit ihrem Argument durchzudringen, die Beleuchtung der Anlage könne um 22.00 Uhr abgeschaltet werden, so dass die Anwohner durch die Beleuchtung ab dann nicht mehr beeinträchtigt werden könnten. Abgesehen davon, dass die Klägerin nicht klarmacht, wann die Anlage dann morgens wieder in Betrieb genommen werden soll, greift dieses Argument aus Rechtsgründen nicht. Denn mit ihrem Bauantrag vom 25.6.2015 hat sie ausweislich der beigefügten Betriebsbeschreibung einen beleuchteten Betrieb in der Zeit von 0:00 bis 24:00 Uhr zur Genehmigung gestellt. Über diesen Antrag und nicht eine wie auch immer geartete Abweichung ist mit diesem Urteil zu entscheiden.

Die Klägerin vermag sich für ihr Vorhaben auch nicht auf den Gleichbehandlungsgrundsatz des Art. 3 Abs. 1 GG zu berufen. Die vorhandenen Werbeanlagen sind mit dem von ihr beabsichtigten Vorhaben nicht vergleichbar.

Die Werbetafeln, die an Zäunen angebracht sind, hängen auf einer Höhe von ca. 1,5 m. Allein schon aufgrund ihrer geringen Größe wirken sie nur in den unmittelbar benachbarten Straßenraum ein. Sie sind zudem starr und nicht beleuchtet. Die Litfaßsäule mit Wechselwerbung und der Werbepylon im Euroformat sind von ihren Ausmaßen her zwar mit dem klägerischen Vorhaben vergleichbar, sie befinden sich jedoch auf dem Erdboden und erreichen maximal eine Höhe von 4,0 m. Das streitbefangene Vorhaben soll mit seiner Unterkante in einer größeren Höhe aufgehängt werden. Es entfaltet daher eine völlig andere Wirkung auf die Wohnnutzung als jene Anlagen. Zudem ist darauf hinzuweisen, dass sowohl die Litfaßsäule (Imbiss) als auch der Werbepylon (Tankstelle) in unmittelbarer Nachbarschaft zu zulässigen Gewerbebetrieben aufgestellt sind; an Orten also, die bereits durch eine gewerbliche Nutzung vorbelastet sind, über die hinaus die Werbenutzung der Höhe nach nicht hinausgreift. auf dem gegenüberliegenden Grundstück zulässig ist, kann offenbleiben, da sie mit dem beabsichtigten Vorhaben nicht vergleichbar ist. Sie ist an weit weniger exponierter Stelle aufgestellt und ist wesentlich kleiner als die beabsichtigte Werbeanlage, und hat daher keine störende Auswirkung auf die Wohnnutzung.

Das Vorhaben ist auch bauordnungsrechtlich unzulässig. Es verstößt gegen das Belästigungsverbot des § 50 Abs. 2 NBauO. Danach dürfen Werbeanlagen nicht erheblich belästigen, insbesondere nicht durch ihre Größe, Häufung, Lichtstärke oder Betriebsweise. Die Aufzählung ist nicht abschließend (Wiechert a.a.O., § 50 Rn. 30).

Es spricht schon viel für eine Belästigung durch eine Häufung von Werbeanlagen. Eine derartige Häufung liegt vor, wenn mehrere, mindestens drei, Werbeanlagen so auf verhältnismäßig engem Raum konzentriert sind, dass sich ihre Wirkungsbereiche überschneiden, der Betrachter sie also zugleich im Blickfeld hat (OVG Lüneburg, Urteil vom 29.09.2015 – 1 LB 51/15 –, juris Rn. 15). Dies wäre für den aus der Innenstadt Richtung Süden fahrenden Verkehrsteilnehmer, der die Litfaßsäule, die Plakate am Zaun des Vorhabengrundstücks und die klägerische Anlage gleichzeitig im Blick hätte, der Fall. Erheblich belästigend i. S. von § 50 Abs. 2 NBauO ist die Häufung, wenn das Blickfeld derartig mit Werbung überladen ist, dass das Auge keinen Ruhepunkt mehr findet und das Bedürfnis nach werbungsfreien Flächen stark hervortritt (ebd.). An einer derartigen Überladung hat das Gericht in Anbetracht der relativ unscheinbaren Plakate am Zaun Zweifel. Diese Zweifel können ebenso unbeantwortet bleiben, wie die Frage, ob die Lichtstärke der geplanten Werbeanlage zu einer Belästigung führt. Anerkannt ist insoweit, dass Leuchtwerbung durch ihre Lichtstärke erheblich belästigen kann, insbesondere, wenn sie in Schlafräume hineinstrahlt (Wiechert a.a.O., § 50 Rn. 32).

Eine Belästigung in diesem Sinne folgt indes aus der oben beschriebenen Betriebsweise der Werbeanlage, die das Gericht veranlasst hat, davon auszugehen, dass nachbarliche Wohnbelange durch sie unzumutbar im Sinne von § 15 Abs. 1 Satz 2 BauNVO beeinträchtigt werden. Eine weitere Begründung erübrigt sich, weil die “erhebliche Belästigung“ im Sinne von § 50 Abs. 2 NBauO ein Weniger gegenüber der “unzumutbaren Belästigung“ nach § 15 Abs. 1 Satz 2 BauNVO ist (vgl. Wiechert, a.a.O. Rn. 29).

Auf die Frage, ob das klägerische Vorhaben auch nach § 33 Abs. 2 Satz 2 StVO unzulässig ist, kommt es damit entscheidungserheblich nicht mehr an.

Die Kostenentscheidung beruht auf § 154 Abs. 1 VwGO.

Die Entscheidung über die vorläufige Vollstreckbarkeit ergibt sich aus § 167 VwGO i.V.m. §§ 708 Nr. 11, 711 ZPO.