Sozialgericht Braunschweig
Urt. v. 14.07.2011, Az.: S 24 AS 5256/10

Anspruch auf Leistungen zum Lebensunterhalt besteht ab dem Tag der Exmatrikulation und damit dem Entfallen der Voraussetzungen für eine Förderung nach dem BAföG; Anspruch auf Leistungen zum Lebensunterhalt ab dem Tag der Exmatrikulation und dem Entfallen der Voraussetzungen für eine Förderung nach dem BAföG; Gewährung eines Darlehens oder Zuschusses i.S.d. SGB II nach der Beendigung des Studiums bzw. der Ausbildung; Begriff der Förderungsfähigkeit

Bibliographie

Gericht
SG Braunschweig
Datum
14.07.2011
Aktenzeichen
S 24 AS 5256/10
Entscheidungsform
Urteil
Referenz
WKRS 2011, 25219
Entscheidungsname
[keine Angabe]
ECLI
ECLI:DE:SGBRAUN:2011:0714.S24AS5256.10.0A

Verfahrensgang

nachfolgend
LSG Niedersachsen-Bremen - 28.02.2012 - AZ: L 7 AS 783/11

Tenor:

  1. 1.

    Der Darlehensbescheid des Beklagten vom 10. September 2010 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 12. Oktober 2010 wird abgeändert.

  2. 2.

    Der Beklagte wird verurteilt, dem Kläger Leistungen nach dem SGB II in gesetzlicher Höhe vom 09. September 2010 bis zum 30. September 2010 als Zuschuss zu gewähren.

  3. 3.

    Im Übrigen wird die Klage abgewiesen.

  4. 4.

    Der Beklagte trägt die notwendigen außergerichtlichen Kosten des Klägers zu drei Vierteln.

  5. 5.

    Die Berufung wird zugelassen.

Tatbestand

1

Zwischen den Beteiligten ist streitig, ob dem Kläger für den Zeitraum 01. September 2010 bis 30. September 2010 Leistungen als Darlehen oder als Zuschuss (inklusive Kranken- und Pflegeversicherungsbeiträge) zu gewähren sind.

2

Der am 26. Mai 1977 geborene Kläger studierte seit dem Wintersemester 2001/2002 an der Technischen Universität/Hochschule für Bildende Künste Braunschweig Kunstwissenschaften auf Magister. Seit April 2009 (Bl. 115 d. VA) bestand dem Grunde nach kein Anspruch mehr auf Ausbildungsförderung nach dem Bundesausbildungsförderungsgesetz (BAföG). Während des Studiums arbeitete der Kläger zuletzt als Aushilfe (400,00 bis 800,00 EUR pro Monat) bei der Hallenbad GmbH in Wolfsburg. Dieses Arbeitsverhältnis wurde befristet geschlossen (s. Arbeitsvertrag vom 13. Juni 2010, Bl. 18 f. d. VA) und endete mit Ablauf des 31. August 2010. Zwischenzeitlich erfolgte eine Fortsetzung dieses Arbeitsverhältnisses. Seit dem 01. August 2010 bewohnt der Kläger eine 2-Zimmer-Wohnung mit einer Wohnfläche von 45 qm zu einem Mietzins von 225,00 EUR nebst Betriebskosten iHv 40,00 EUR. Geheizt wird über einen Kohleofen. In Ansehung der Abschlussprüfungen Anfang September 2010 (letzte Prüfung 07. September 2010) beantragte der Kläger am 10. August 2010 Leistungen nach dem Zweiten Buch Sozialgesetzbuch (SGB II) bei dem Beklagten ab dem 01. September 2010. Am 08. September 2010 wurde der Kläger aufgrund Beendigung des Studiums nach bestandener Prüfung exmatrikuliert.

3

Mit Bescheid vom 10. September 2010 erließ der Beklagte für den Zeitraum 01. September 2010 bis 30. September 2010 einen Darlehensbescheid über die Bewilligung von Leistungen nach dem SGB II iHv 624,00 EUR bestehend aus 359,00 EUR Regelleistung und 265,00 EUR Kosten der Unterkunft. Zur Begründung wurde angeführt, der Kläger sei Auszubildender und dem Grunde nach förderungsfähig nach dem BAföG oder nach den §§ 60 bis 62 Drittes Buch Sozialgesetzbuch (SGB III). Es läge jedoch ein besonderer Härtefall gem. § 7 Abs. 5 SGB II a.F. vor, weshalb Leistungen zur Sicherung des Lebensunterhaltes als Darlehen gewährt werden könnten. Mit Bescheid vom selben Datum wurden Leistungen ab Oktober 2010 bis Februar 2011 als Zuschuss gewährt.

4

Gegen den Darlehensbescheid legte der Kläger am 17. September 2010 Widerspruch ein mit der Begründung, dass er seit dem 08. September exmatrikuliert und damit kein Student mehr sei. Die Gewährung als Darlehen hätte damit nur bis zum 07. September 2010, nicht aber darüber hinaus erfolgen dürfen. Auch würde zu Unrecht kein Krankenversicherungsbeitrag gezahlt.

5

Den Widerspruch wies der Beklagte mit Bescheid vom 12. Oktober 2010 zurück. Zur Begründung führte er an, dass das vom Kläger absolvierte Hochschulstudium dem Grunde nach förderungsfähig nach dem BAföG sei. Dass der Kläger die Höchstförderdauer überschritten habe, könne nicht durchSGB II-Leistungen ausgeglichen werden. Dagegen spreche auch nicht, dass der Kläger seit dem 08. September 2010 exmatrikuliert sei, da gem.§ 15 Abs. 2 BAföG i.V.m. Nr. 15.2.2. BAföG VwV die Ausbildungsförderung in voller Höhe für den Monat geleistet werde, in dem der jeweilige Ausbildungsabschnitt ende, in diesem Fall also bis zum 30. September 2010, auch wenn der Kläger kein BAföG ausgezahlt erhalten habe. Die Förderungsfähigkeit dem Grunde nach habe bis zum 30. September 2010 bestanden. Die Leistungsbewilligung komme nur unter Härtefallgesichtspunkten als Darlehen ohne Kranken- und Pflegeversicherungsbeiträge in Betracht. Ab 01. Oktober 2010 würden die Leistungen als Zuschuss bewilligt. Der Verlust des Versicherungsschutzes drohe mithin nicht.

6

Am 11. November 2010 erhob der Kläger hiergegen Klage beim Sozialgericht Braunschweig. Er wendet sich weiterhin gegen die Gewährung der Leistungen als Darlehen und den damit einhergehenden nicht bestehenden Versicherungsschutz. Seit dem 09. September 2010 sei der Kläger weder abstrakt nochkonkret förderungsfähig gewesen.

7

Der Kläger beantragt,

den Bescheid vom 10. September 2010 in Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 12. Oktober 2010 abzuändern und den Beklagten zu verurteilen, dem Kläger die darlehensweise gewährten Leistungen zur Sicherung des Lebensunterhaltes als Zuschuss zu bewilligen sowie die Kosten der Krankenversicherung zu tragen.

8

Der Beklagte beantragt,

die Klage abzuweisen sowie die Berufung zuzulassen.

9

Der Beklagte hält an seiner Auffassung fest. Das Bundessozialgericht (BSG) habe in mehreren Entscheidungen klargestellt, dass es nicht auf die tatsächliche Förderung nach dem BAföG ankomme, sondern auf die Förderungsfähigkeit dem Grunde nach. Dies sei bis zum 30. September 2010 der Fall gewesen. Auf die persönlichen Ausschlussgründe komme es nicht an. Hätten diese nicht vorgelegen, hätte der Kläger auch BAföG bis zum 30. September 2010 bezogen.

10

Die Beteiligten haben ihr Einverständnis mit einer Entscheidung ohne mündliche Verhandlung nach § 124 Abs. 2 SGG erteilt.

11

Wegen der weiteren Einzelheiten des Sachverhalts und des Vorbringens der Beteiligten wird auf die Gerichtsakte sowie auf die beigezogene Verwaltungsakte des Beklagten verwiesen.

Entscheidungsgründe

12

Das Gericht konnte im Einverständnis mit den Beteiligten nach § 124 Abs. 2 Sozialgerichtsgesetz (SGG) ohne mündliche Verhandlung entscheiden.

13

Die zulässige Klage ist im tenorierten Umfang begründet. Der Kläger ist in seinen Rechten gem. § 54 Abs. 2 Satz 1 SGG verletzt. Der Bescheid vom 10. September 2010 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 12. Oktober 2010 ist abzuändern. Der Kläger hat einen Anspruch auf die Gewährung von Leistungen zur Sicherung des Lebensunterhaltes einschließlich der angemessenen Kosten für Unterkunft und Heizung gemäß §§ 19, 20 Abs. 1 und 2 sowie § 22 Abs. 1 Satz 1 SGB II a.F. als Zuschuss auch für den Zeitraum 09. September 2010 bis 30. September 2010.

14

Der Kläger erfüllt die Voraussetzungen des § 19 i.V.m. § 7 Abs. 1 SGB II a.F., denn er hat das 15. Lebensjahr vollendet und das 65. Lebensjahr noch nicht vollendet (§ 7 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 SGB II a.F.), ist erwerbsfähig (§ 7 Abs. 1 Satz 1 Nr. 2, § 8 Abs. 1 SGB II a.F.), hilfebedürftig (§ 7 Abs. 1 Satz 1 Nr. 3, § 9 SGB II a.F.) und hat seinen gewöhnlichen Aufenthalt in der Bundesrepublik Deutschland (§ 7 Abs. 1 Satz 1 Nr. 4 SGB II a.F.). Der Kläger ist von den Leistungen auch nicht nach § 7 Abs. 5 Satz 1 SGB II a.F. ausgeschlossen. Danach sind vom Bezug der Leistungen nach dem SGB II ausgeschlossen Auszubildende, deren Ausbildung im Rahmen des BAföG oder der §§ 60, 62 SGB III dem Grunde nach förderungsfähig ist. Dem liegt die Erwägung zu Grunde, dass bereits die Ausbildungsförderung nach dem BAföG oder eine Förderung gemäß §§ 60 bis 62 SGB III die Kosten des Lebensunterhalts umfasst und die Grundsicherung nach dem SGB II nicht dazu dienen soll, durch Sicherstellung des allgemeinen Lebensunterhalts das Betreiben einer dem Grunde nach anderweitig förderungsfähigen Ausbildung zu ermöglichen. Die Ausschlussregelung soll verhindern, dass durch die gem. § 3 Abs. 3 SGB II a.F. nachrangige Grundsicherung eine - versteckte - Ausbildungsförderung auf zweiter Ebene ermöglicht wird. Dabei ist allein die Förderungsfähigkeit der Ausbildung dem Grunde nach maßgebend. Individuelle Versagensgründe, die im Verhältnis zum Träger der Förderungsleistung eingetreten sind, bleiben demgegenüber außer Betracht (vgl. BSG, Urteil vom 19. August 2010, Az.: B 14 AS 24/09 R; Urteil vom 01. Juli 2009, Az.: B 4 AS 67/08 R; Urteil vom 06. September 2007, Az.: B 14/7b AS 36/06 R m.w.N.).

15

Die Prüfung, ob eine Ausbildung dem Grunde nach förderungsfähig nach dem BAföG ist, richtet sich nach § 2 BAföG, der den Bereich der (abstrakt) förderungsfähigen Ausbildungen abschließend regelt.

16

Der Kläger hat seit dem Wintersemester 2001/2002 an der Technischen Universität/Hochschule für Bildende Künste Braunschweig studiert. Diese Ausbildung gehört zu den förderungsfähigen im Sinne des BAföG (§ 2 bs. 1 Nr. 6 BAföG). Der Kläger beendete dieses Studium nach erfolgreich bestandener Prüfung am 07./08. September 2010 und wurde sodann exmatrikuliert.

17

Wegen Überschreitung der Förderungshöchstdauer nach § 15 Abs. 2 BAföG seit April 2009 und Nichtvorliegen der Voraussetzungen des § 15 Abs. 3 BAföG und des § 15 Abs. 3a BAföG erhielt der Kläger ab diesem Zeitpunkt (April 2009) tatsächlich keine BAföG-Leistungen mehr. Dies allein führt aber nicht dazu, dass die Förderungsfähigkeit dem Grunde nach entfällt (vgl. BSG a.a.O.). Jedenfalls bis zum 08. September 2010 - dem Tag der Exmatrikulation - war die Ausbildung des Klägers weiterhin (abstrakt) förderungsfähig, da er bis zu diesem Tage immatrikulierter Student war und dem Anwendungsbereich des § 2 BAföG unterfiel. Bis dahin sind Leistungen nach dem SGB II demzufolge i.S.d. § 7 Abs. 5 SGB II a.F. zu Recht nicht als Zuschuss, sondern im Wege einer Härtefallentscheidung nach § 7 Abs. 5 Satz 2 SGB II a.F. als Darlehen geleistet worden. Nach einstimmiger Auffassung der Kammer entfiel durch die Exmatrikulation nach erfolgreich bestandener Prüfung aber die abstrakte Förderungsfähigkeit, sodass Leistungen nach dem SGB II ab dem 09. September 2010 - dem Tag nach dem Ereignis der Exma-trikulation - als Zuschuss zu gewähren sind. Die "Ausbildung" endet nach § 15b Abs. 3 Satz 1 BAföG mit dem Bestehen der Abschlussprüfung des Ausbildungsabschnitts. Den Ausbildungsabschnitt "Studium" hat der Kläger mit dem Bestehen der Prüfung am 07. September 2010 und Exmatrikulation am 08. September 2010 beendet. Dadurch hat er eine Qualifikation erlangt, die ihm die Aufnahme eines diese Ausbildung voraussetzenden Berufs ermöglicht und steht dem Arbeitsmarkt zur Verfügung. Es verbleibt keine Ausbildung mehr, die nach dem BAföG noch gefördert werden könnte. Dem steht auch die Verwaltungsvorschrift zu § 15 BAföG unter 15.2.2 nicht entgegen. Darin heißt es, dass Ausbildungsförderung in voller Höhe für den Monat geleistet wird, in dem der jeweilige Ausbildungsabschnitt endet. Einen Zusammenhang zur abstrakten Förderungsfähigkeit kann hierin aber entgegen der Auffassung des Beklagten nicht gesehen werden. Es handelt sich bei der Verwaltungsvorschrift zu § 15 BAföG vielmehr um eine Regelung der Zahlungsart und -weise als um eine Bestimmung des Begriffes der Förderungsfähigkeit. Die Verwaltungsvorschrift kann Geltung zudem nur entfalten, wenn auch tatsächlich BAföG-Leistungen gezahlt werden. Die BAföG-Leistungen wurden unstreitig zum fraglichen Zeitpunkt nicht mehr gezahlt. Ein weiteres Einkommen steht einem Leistungsanspruch nach demSGB II demzufolge ebenfalls nicht entgegen.

18

Da der Kläger unstreitig zu den Leistungsberechtigten nach dem SGB II gehört, waren ihm ab dem 09. September 2010 bis zum 30. September 2010 Leistungen als Zuschuss inklusive der Kranken- und Pflegeversicherungsbeiträge zu bewilligen, ggf. unter Anrechnung erzielten Einkommens aus einer Nebentätigkeit, sofern diese die Freibetragsgrenzen überschreiten.

19

Der Klage war demzufolge im tenorierten Umfang stattzugeben.

20

Die Kostenentscheidung beruht auf § 193 SGG.

21

Die Berufung bedarf nach § 144 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 SGG der Zulassung und ist wegen grundsätzlicher Bedeutung zuzulassen (§ 144 Abs.2 Nr. 1 SGG).