Sozialgericht Braunschweig
Urt. v. 10.01.2011, Az.: S 24 AS 1061/08

Bibliographie

Gericht
SG Braunschweig
Datum
10.01.2011
Aktenzeichen
S 24 AS 1061/08
Entscheidungsform
Urteil
Referenz
WKRS 2011, 45093
Entscheidungsname
[keine Angabe]
ECLI
[keine Angabe]

Tenor:

Der Bescheid des Beklagten vom 20. November 2007 in Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 07. April 2008 wird abgeändert.

Der Beklagte wird verurteilt, an die Klägerin für die Zeit vom 01. Dezember 2007 bis 29. Februar 2008 monatliche Leistungen nach dem SGB II in Höhe von jeweils 35,00 € nachzuzahlen; insgesamt also 105,00 €.

Der Beklagte hat der Klägerin ihre notwendigen außergerichtlichen Kosten zu erstatten.

Die Berufung wird zugelassen.

Tatbestand:

Die Beteiligten streiten über die Höhe der zuerkannten Leistungen nach dem Zweiten Buch Sozialgesetzbuch (SGB II) für den Zeitraum 01. Dezember 2007 bis 29. Februar 2008.

Die Klägerin steht bei dem Beklagten seit September 2005 im laufenden Leistungsbezug nach dem SGB II. Sie lebte zunächst seit Geburt ihrer Tochter G.(geb. am 28. April 2006) nur mit dieser in Bedarfsgemeinschaft. Mit Bescheid vom 08. August 2007 bewilligte der Beklagte für den Zeitraum September 2007 bis Februar 2008 Leistungen in Höhe von insgesamt monatlich 804,59 € (472,00 € zur Sicherung des Lebensunterhalts inkl. Mehrbedarfe - Klägerin - und Kosten der Unterkunft und Heizung in Höhe von 201,79 - Klägerin - und 130,80 € - G. -).

Am 20. November 2007 erließ der Beklagte einen Änderungsbescheid dahingehend, dass nur noch ein Regelsatz in Höhe von 312,00 € ab Dezember 2007 auf Seiten der Klägerin zu berücksichtigen sei. Der Mehrbedarf für Alleinerziehende werde ab dann storniert. Die Mietzahlungen würden nur noch zu zwei Dritteln an den Vermieter überwiesen. Die Gesamtleistung reduziere sich daher auf 508,35 € für die Bedarfsgemeinschaft (316,04 € zur Sicherung des Lebensunterhalts inkl. Mehrbedarfe - Klägerin - und Kosten der Unterkunft und Heizung in Höhe von 133,67 € - Klägerin - und 58,64 € - G. -). Grund hierfür sei die Mitteilung der Stadt, dass seit dem 12. November 2007 der Partner der Klägerin, Herr H., eingezogen sei.

Hiergegen legte die Klägerin am 21. Dezember 2007 Widerspruch ein, welcher nicht begründet wurde.

Am 07. April 2008 wies der Beklagte sodann den Widerspruch als unbegründet zurück. Der Widerspruchsbescheid ging dem Prozessbevollmächtigten der Klägerin am 11. April 2008 zu.

Hiergegen richtet sich die am 13. Mai 2008 fristgerecht (Pfingsten) erhobene Klage.

Zur Begründung heißt es, dass der Klägerin im Dezember für die Bedarfsgemeinschaft lediglich 215,00 € ausgezahlt worden seien statt 235,07 €. Weiterhin erhielten sie 154,00 € Kindergeld. Hierbei gehe der Prozessbevollmächtigte der Klägerin von einer Regelleistung in Höhe von 347,00 €, 208,00 € Sozialgeld sowie 267,35 € an Kosten für Unterkunft und Heizung sowie einem Gesamteinkommen in Höhe von 314,00 € aus. Im fraglichen Bescheid seien 273,28 € als zwei Drittel der Mietzahlung ausgewiesen, weshalb noch ein Betrag in Höhe von 235,07 € zur Sicherung der Existenzgrundlage der Bedarfsgemeinschaft verbleibe, dieser sei aber gerade nicht gezahlt worden, sondern nur 215,00 €. Im Ergebnis habe die Bedarfsgemeinschaft für Dezember 2007 lediglich Einkünfte in Höhe von 369,00 € erhalten. Der Kindesvater, der nur Einkünfte in Höhe von 40,90 € (Bescheid der Stadt Braunschweig vom 04. Dezember 2007 - Bl. 222 ff. d. VA) im Dezember 2007 hätte, sei mit zu versorgen gewesen. Sein Lebensunterhalt sei dadurch schon nicht zu decken, sodass entsprechendes für die Heranziehung zur Regelleistung der Klägerin zu gelten habe. Er hätte selbst schon Leistungen nach dem SGB II erhalten müssen, da die Voraussetzungen der Erteilung einer Aufenthaltserlaubnis bereits vorgelegen hätten. Er erhielt diese aber erst zum 28. April 2008, sodass die Klägerin auch seinen Lebensunterhalt habe mit decken müssen.

Nicht nachvollziehbar seien die Kosten der Unterkunft und Heizung. Sie beliefen sich im Ergebnis aktuell auf 409,92 €, wovon 10,02 € Warmwasserkosten (6,62 € + 3,76 €) abzuziehen seien, sodass 399,90 € verblieben. Im Bewilligungsbescheid vom 01. Juni 2007 seien irritierenderweise 395,87 € anerkannt worden. Hiervon seien die dem Lebensgefährten der Klägerin tatsächlich gewährten Unterkunftskosten in Höhe von 135,66 € abzusetzen, sodass 265,24 € auf Seiten der Klägerin und ihrer Tochter verblieben. Für die Bedarfsgemeinschaft sei daher ein Gesamtbedarf in Höhe von 820,24 € zu berücksichtigen. Als Einkommen sei nur das Kindergeld in Ansatz zu bringen, sodass sich monatliche Gesamtleistungen in Höhe von 666,24 € ergeben würden. Eine Einkommensberücksichtigung in Höhe von 35,00 € auf Seiten der Klägerin erkläre sich nicht; dann jedenfalls sei eine Versicherungspauschale in Höhe von 30,00 € abzuziehen. Leistungen nach dem Unterhaltsvorschussgesetz (UVG) bestünden seit Einzug des leiblichen Vaters nicht mehr. Der zu geringe Überweisungsbetrag spreche für zu Unrecht einbehaltene Beträge durch den Beklagten. Eine Aufrechnung sei hingegen unzulässig gerade betreffend eine Mietkaution. Insoweit habe die Klägerin Vollstreckungsankündigungen betreffend Kosten zur Wohnungsbeschaffung erhalten.

Im Termin zur mündlichen Verhandlung konkretisiert der Prozessbevollmächtigte das Klagebegehren auf die Zuerkennung der vollen Regelleistung für Alleinstehende, da der Lebensgefährte der Klägerin lediglich Leistungen nach dem Asylbewerberleistungsgesetz (AsylbLG) erhalte.

Die Klägerin beantragt,

den Bescheid des Beklagten vom 20. November 2007 in Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 07. April 2008 aufzuheben und den Beklagten zu verurteilen, der Klägerin eine Regelleistung in Höhe von 347,00 € statt 312,00 € zu zahlen.

Der Beklagte beantragt,

die Klage abzuweisen.

Der Beklagte erwidert, dass zunächst der Lebensgefährte der Klägerin deshalb von den Leistungen nach dem SGB II ausgeschlossen sei, da er Leistungen nach dem AsylblG beziehe gem. § 7 Abs. 1 S. 2 Nr. 3 SGB II. Dennoch bestehe eine Bedarfsgemeinschaft gemäß § 7 Abs. 3 Nr. 3 c i.V.m. Abs. 3 a Nr. 2 SGB II. Daher sei die Regelleistung gem. § 20 Abs. 3 SGB II auf 312,00 € zu kürzen gewesen, weshalb ein Abzug in Höhe von 35,00 € als sonstiges Einkommen erfolgte. Dies sei nur aus edv-technischen Gründen geschehen. Kosten der Unterkunft und Heizung seien im fraglichen Zeitraum tatsächlich in Höhe von 409,92 € angefallen. Nach Abzug der Warmwasserpauschalen für Mutter und Tochter in Höhe von 5,63 € und 3,76 € und eines Drittels der Kosten, bestehe ein Anspruch in Höhe von 263,89 €, gewährt worden seien aber 267,35 €, da zugunsten der Klägerin und ihrer Tochter eine zu geringe Warmwasserpauschale abgesetzt worden sei.

Für die Zeit vom 12. November 2007 bis zum 31. Januar 2008 sei die UVG-Anrechnung rückgängig gemacht worden. Insoweit werde auf den Änderungsbescheid vom 29. Januar 2008 (Bl. 254 d. VA, Bl. 39 ff. d. GA) hingewiesen. Dies habe eine Nachzahlung in Höhe von 329,17 € ergeben, wovon 329,00 € an die Stadt Braunschweig erstattet worden seien und 0,17 € an die Klägerin.

Eine Aufrechnung sei lediglich im Februar in Höhe von 15,00 € erfolgt, wozu sich die Klägerin einverstanden erklärte (Bl. 240 d. VA - Bescheid vom 21. Januar 2008, Bl. 244 d. VA, Bl. 34 ff. d. GA -).

Für die weiteren Einzelheiten des Sach- und Streitstandes wird auf die Sitzungsniederschrift vom 10. Januar 2011 sowie auf den Inhalt der Gerichtsakte und der beigezogenen Verwaltungsvorgänge des Beklagten Bezug genommen. Die Akten lagen vor und waren Gegenstand der gerichtlichen Entscheidungsfindung.

Entscheidungsgründe

Die zulässige kombinierte Anfechtungs- und Leistungsklage (§ 54 Abs. 1 S. 1, Abs. 4,

§ 56 SGG) ist begründet. Die Klägerin ist durch den angefochtenen Bescheid gem. § 54 Abs. 2 S. 1 SGG beschwert. Die Klägerin hat Anspruch auf die ihr zustehende volle Regelleistung aus § 20 Abs. 2 S. 1 SGB II. Die Beteiligten haben den Streitgegenstand zulässigerweise auf die Frage der Höhe der Regelleistung begrenzt. Es handelt sich dabei um eine abtrennbare Verfügung, die einer gesonderten Entscheidung zugänglich ist. Im Klageantrag der Klägerin liegt auch eine zweifelsfreie und ausdrückliche Erklärung, den umfassenden Prüfungsumfang auf die Regelleistung inhaltlich beschränken zu wollen.

Der Klägerin steht die Regelleistung in nicht beschränktem Umfang zu. Die Regelleistung gemäß § 20 Abs. 1 SGB II umfasst insbesondere Ernährung, Kleidung, Körperpflege, Hausrat, Haushaltsenergie ohne die auf die Heizung entfallenden Anteile, Bedarfe des täglichen Lebens sowie in vertretbarem Umfang auch Beziehungen zur Umwelt und eine Teilnahme am kulturellen Leben. Nach § 20 Abs. 2 S. 1 i.V.m. Abs. 4 SGB II beträgt die Regelleistung für den hier streitigen Zeitraum 347,00 € für Personen, die allein stehend oder allein erziehend sind oder deren Partner minderjährig ist. Von dieser Regelleistung ausgehend werden abgeleitete Leistungssätze gebildet, die für Personen gelten, die die persönlichen Voraussetzungen nach § 20 Abs. 2 S. 1 SGB II (Alleinstehend, Alleinerziehend oder mit minderjährigem Partner) nicht erfüllen, und zwar in der Weise, dass geringere Leistungen als Anteile (v.H.-Sätze) der Eckregelleistung bestimmt werden.

§ 20 Abs. 3 SGB II sieht die hier in Frage stehende Begrenzung vor. Hiernach beträgt die Regelleistung 90 v.H. der Regelleistung nach § 20 Abs. 2 SGB II, wenn zwei Partner der Bedarfsgemeinschaft das 18. Lebensjahr vollendet haben.

Die Anwendung dieser Regelung steht in Frage, da die Klägerin seit dem 12. November 2007 in einer Bedarfsgemeinschaft mit ihrem Lebensgefährten lebt. Nach § 7 Abs. 3 SGB II gehören zur Bedarfsgemeinschaft die erwerbsfähigen Hilfebedürftigen (§ 7 Abs. 3 Nr. 1) sowie - dies ist die allein in Betracht kommende Fallgruppe - die Person, die mit dem erwerbsfähigen Hilfebedürftigen in einem gemeinsamen Haushalt so zusammenlebt, dass nach verständiger Würdigung der wechselseitige Wille anzunehmen ist, Verantwortung füreinander zu tragen und füreinander einzustehen (§ 7 Abs. 3 Nr. 3 c SGB II). Gem. § 7 Abs. 3 a Nr. 2 SGB II wird ein wechselseitiger Wille, Verantwortung füreinander zu tragen und füreinander einzustehen, vermutet, wenn Partner mit einem gemeinsamen Kind zusammenleben. Dieser Sachverhalt hat ab dem 12. November 2007 vorgelegen. Der äußere Tatbestand - Existenz eines gemeinsamen Haushalts - wurde mit dem Einzug des Lebensgefährten in die damalige Wohnung der Klägerin und der gemeinsamen Tochter G. erfüllt und die weitgehenden gegenseitigen Einstandspflichten waren nach Angabe der Klägerin bzw. ihres Prozessbevollmächtigten zu diesem Zeitpunkt begründet. Hilfebedürftigkeit und Erwerbsfähigkeit des Lebensgefährten der Klägerin müssen in diesem Zusammenhang nicht festgestellt werden, da von ihnen die Zugehörigkeit zur Bedarfsgemeinschaft nicht abhängt.

Allein aus der Feststellung, dass die Klägerin und ihr Lebensgefährte eine Bedarfsgemeinschaft bilden und beide älter als 18 Jahre sind, folgt eine Begrenzung der Regelleistung für die Klägerin auf 90 v.H. der Eckregelleistung hingegen im vorliegenden Fall nicht. Der Klägerin steht die ungekürzte Regelleistung nach § 20 Abs. 2 S. 1 SGB II zu. Die Vorschrift des § 20 Abs. 3 SGB II passt nicht auf solche Bedarfsgemeinschaften, deren einer volljähriger Partner Leistungen nach dem SGB II, deren anderer volljähriger Partner aber lediglich Grundleistungen nach § 3 AsylblG erhält (so auch LSG Berlin-Brandenburg, Urteil vom 14. April 2010, Az.: L 10 AS 1228/09; LSG Hamburg, Urteil vom 02.09.2010, Az.: L 5 AS 19/08). So liegt es aber hier.

§ 20 Abs. 3 SGB II ist anwendbar auf Bedarfsgemeinschaften aus zwei nach dem SGB II leistungsberechtigten Partnern; dementsprechend ist formuliert, dass die Regelleistung „jeweils“ 90 v.H. der Regelleistung nach § 20 Abs. 2 SGB II beträgt. Nach dem unmittelbaren Wortverständnis soll damit "jeder" der Partner diesen Anteil erhalten. Im hier zu bewertenden Zusammenhang einer Partnerbedarfsgemeinschaft, die aus einer Berechtigten nach dem SGB II und einem nach dem AsylblG Leistungsberechtigten besteht, ist die entsprechende Anwendung des § 20 Abs. 3 SGB II nicht geboten. Der Bedarfsgemeinschaft aus der Klägerin und ihrem Lebensgefährten steht deutlich weniger als 180 v.H. der Eckregelleistung zur Verfügung. Danach ist festzustellen, dass hinsichtlich gemischter Bedarfsgemeinschaften eine Regelungslücke vorliegt. Eine Analogie zu § 20 Abs. 3 SGB II ist nicht gerechtfertigt, wenn der nach dem AsylblG berechtigte Partner lediglich Grundleistungen nach § 3 AsylblG erhält. Denn insoweit fehlt es an einer vergleichbaren Interessenlage mit Bedarfsgemeinschaften aus zwei volljährigen Leistungsempfängern nach dem SGB II, da zwar ebenfalls Ersparnisse aufgrund gemeinsamen Wirtschaftens eintreten, wegen der deutlich geringeren Leistungen nach dem AsylbLG (hier konkret nur 40,90 EUR nebst anteiliger Unterkunftskosten) die Bedarfsgemeinschaft aber nicht auf 180 v.H. der Eckregelleistung nach dem SGB II kommt und daher aus Sicht der Wertungen des SGB II eine Unterdeckung des Bedarfs droht (vgl. LSG Berlin-Brandenburg, a.a.O.; LSG Hamburg, a.a.O.).

Im Ergebnis würde die Anwendung des § 20 Abs. 3 SGB II im vorliegenden Fall zu einer nicht akzeptablen „Schlechterstellung“ (bzw einem Betroffensein durch die niedrigen Leistungen) der Klägerin durch ihre Zugehörigkeit zu einer Bedarfsgemeinschaft mit einer nach dem AsylblG berechtigen Person in dem Sinne führen, dass ihr anzuerkennender individueller Bedarf nicht gedeckt wäre.

Danach besteht ein Anspruch der Klägerin auf die ungekürzte Regelleistung in Höhe von 347,00 €, sodass pro Monat 35,00 € im streitgegenständlichen Zeitraum, insgesamt also 105,00 € nachzuzahlen sind.

Die Kostenentscheidung beruht auf § 193 SGG.

Die Berufung ist wegen grundsätzlicher Bedeutung der Sache nach § 144 Abs. 2 Nr. 1 SGG zuzulassen.