Sozialgericht Braunschweig
Urt. v. 11.04.2011, Az.: S 40 KR 11/07

Bibliographie

Gericht
SG Braunschweig
Datum
11.04.2011
Aktenzeichen
S 40 KR 11/07
Entscheidungsform
Urteil
Referenz
WKRS 2011, 45112
Entscheidungsname
[keine Angabe]
ECLI
[keine Angabe]

Amtlicher Leitsatz

Leitsatz

Dem Gemeinsamen Bundesausschuss ist es untersagt, ohne ausdrückliche bundesgesetzliche Ermächtigungsgrundlage in Richtlinien zur Qualitätssicherung die Erlaubnis zur Leistungserbringung für einzelne zugelassene Leistungserbringer komplett auszuschließen.

Tenor:

1. Es wird festgestellt, dass die „Vereinbarung über Maßnahmen zur Durchführung der Versorgung von Früh- und Neugeborenen“ des Beklagten vom 20. September 2005, zuletzt geändert am 07. Juni 2010, für die Klägerin keine Bindungswirkung entfaltetet und diese mit ihrer derzeitigen klinischen Ausstattung zur Durchführung von Entbindungen berechtigt ist, die sie mit den Kostenträgern im Rahmen der Budgetvereinbarungen vereinbart hat und künftig vereinbart.

2. Der Beklagte trägt die Kosten des Rechtsstreits.

3. Der Streitwert wird auf 5.000,-- € festgesetzt.

Tatbestand:

Die Beteiligten streiten um die Rechtswirksamkeit einer Richtlinie des Beklagten.

Die Klägerin betreibt als Krankenhausträgerin das Dr.-Herbert-Nieper- Krankenhaus in Goslar, ein Krankenhaus der Grund- und Regelversorgung mit 333 Betten entsprechend dem Landeskrankenhausplan Niedersachsen für das Jahr 2007. Nach dem Krankenhausplan 2007 führte das Dr.-Herbert-Nieper-Krankenhaus eine gynäkologische Fachabteilung mit einer Plangröße von 36 Betten. Davon sind 10 Betten für die Geburtshilfe ausgewiesen. Im Landkreis Goslar ist die Klägerin die einzige Krankenhausträgerin, die eine gynäkologische Abteilung betreibt. Die nächsten Krankenhäuser mit einer gynäkologischen Klinik befinden sich in Wernigerode, Braunschweig, Salzgitter, Bad Gandersheim und Wolfenbüttel. Lediglich in Wernigerode, Braunschweig und Salzgitter werden Kinderabteilungen mit neonatologischen Abteilungen vorgehalten. Die Klägerin selbst betreibt keine eigene neonatologische Abteilung.

Am 20. September 2005 verabschiedete der Beklagte die "Vereinbarung über Maßnahmen zur Qualitätssicherung zur Versorgung von Früh- und Neugeborenen nach § 137 Abs. 1 Satz 3 Nr. 2 SGB V". Diese Vereinbarung wurde im Bundesanzeiger vom 28. Oktober 2005 veröffentlicht und trat am 01. Januar 2006 in Kraft. Am 17. Oktober 2006 verabschiedete der Beklagte eine Änderung der Vereinbarung (Veröffentlichung im Bundesanzeiger vom 24. November 2006, gültig ab 25. November 2006). Nach Änderung des § 92 SGB V (Nr. 13 ab 1.4.2007) und des § 137 SGB V zum 1.7.2008 wurde die Vereinbarung sodann mit Änderung vom 18. Dezember 2008 zur Richtlinie unbenannt. und eine so genannte Regelmäßigkeitszahl ab 01. April 2009 eingeführt. Nach weiterer Änderung vom 19. Februar 2009 für die Zeit ab 27. Mai 2009 wurde sodann mit Änderung vom 20. August 2009 die Regelmäßigkeitszahl gestrichen und eine Mindestmengenvereinbarung eingeführt (Veröffentlichung im Bundesanzeiger vom 24.12.2009, gültig ab 01.01.2010). Die weitere Änderung vom 17. Juni 2010, gültig ab 01. Januar 2011, mit der die Mindestmenge heraufgesetzt wurde, hat der Beklagte wieder außer Kraft gesetzt, nachdem in einem dagegen gerichteten einstweiligen Rechtsschutzverfahren ein Krankenhausträger obsiegt hatte (Beschluss des LSG Berlin-Brandenburg vom 26.01.2011 - L 7 KA 79/10 KL ER).

In der ersten Fassung hatte die Richtlinie (damals noch: Vereinbarung) den folgenden Wortlaut:

"§ 1 Zweck der Vereinbarung

(1) Der Gemeinsame Bundesausschuss nach § 91 Abs. 7 SGB V beschließt diese Vereinbarung als eine Maßnahme zur Qualitätssicherung auf der Grundlage von § 137 Abs. 1 Satz 3 Nr. 2 SGB V, mit welcher die Struktur-, Prozess- und Ergebnisqualität der Versorgung von Früh- und Neugeborenen in der Bundesrepublik Deutschland gesichert werden soll.

(2) Zu diesem Zweck definiert diese Vereinbarung ein Stufenkonzept der neonatologischen Versorgung und regelt die Anforderungen an die Struktur-, Prozess- und Ergebnisqualität der versorgenden Einrichtungen.

§ 2 Ziele des neonatologischen Versorgungskonzepts

Die Ziele des neonatologischen Versorgungskonzepts dieser Vereinbarung umfassen:

1. die Sicherung der Struktur-, Prozess- und Ergebnisqualität der Versorgung aller Früh- und Neugeborenen,

2. die Gewährleistung einer flächendeckenden Versorgung von Früh- und Neugeborenen,

3. eine nach dem Risikoprofil des Früh- oder Neugeborenen differenzierte Zuweisung und daher optimierte neonatologische Versorgung sowie

4. die Verringerung von Säuglingssterblichkeit und frühkindlichen Behinderungen.

§ 3 Stufen der neonatologischen Versorgung

(1) Das neonatologische Versorgungskonzept dieser Vereinbarung umfasst die folgenden vier Stufen:

1. Perinatalzentrum LEVEL 1 für die Versorgung von Patienten mit höchstem Risiko (entsprechend den Aufnahmekriterien in Anlage 1),

2. Perinatalzentrum LEVEL 2 für die möglichst flächendeckende

intermediäre Versorgung von Patienten mit hohem Risiko (entsprechend

den Aufnahmekriterien in Anlage 1),

3. Perinataler Schwerpunkt (entsprechend den Aufnahmekriterien in Anlage 1) für die flächendeckende Versorgung von Neugeborenen, bei denen eine postnatale Therapie absehbar ist, durch eine leistungsfähige Neugeborenenmedizin in Krankenhäusern mit Geburtsklinik und Kinderklinik und

4. Geburtsklinik ohne eine mindestens der Nummer 3 entsprechende Kinderklinik, in denen nur noch reife Neugeborene ohne bestehendes Risiko zur Welt kommen sollen.

(2) Die Aufnahme von Schwangeren, die nicht den Aufnahmekriterien nach Absatz 1 entsprechen, ist nur im begründeten Einzelfall zulässig. Neugeborenentransporte sollen generell nur noch in nicht vorhersehbaren Notfällen erfolgen. Grundsätzlich ist immer der antepartale Transport für Kinder mit Risiken, bei denen eine postnatale Therapie zu erwarten ist, anzustreben.

(3) Krankenhäuser dürfen Neugeborene bis zu der Stufe gemäß Absatz 1 versorgen, für die in der Checkliste gemäß der Protokollnotiz zu § 5 ein Nachweis erbracht wurde.

§ 4 Anforderungen an die neonatologischen Versorgungsstufen

(1) Die Anforderungen an die Struktur-, Prozess- und Ergebnisqualität sowie die Zuweisungs-, bzw. Aufnahmekriterien der vier Versorgungsstufen werden in der Anlage 1 zu dieser Vereinbarung vorgegeben. Die Anlage 1 ist Bestandteil dieser Vereinbarung.

(2) Neonatologische Einrichtungen mit unterschiedlichem Spezialisierungsgrad und Leistungsangebot werden auf Grund ihrer Merkmale der Struktur-, Prozess- und Ergebnisqualität gemäß der Anlage 1 einer Versorgungsstufe zugeordnet.

§ 5 Nachweisverfahren

(1) Die Voraussetzungen gelten als erbracht, wenn die Einrichtung alle Anforderungen der jeweiligen Stufe an die Struktur-, Prozess- und Ergebnisqualität gemäß der Anlage zu dieser Vereinbarung erfüllt.

(2) Der Nachweis über die Erfüllung der Voraussetzungen zur neonatologischen Versorgung als Perinatalzentrum LEVEL 1, Perinatalzentrum LEVEL 2 oder Perinatalem Schwerpunkt ist gegenüber den Krankenkassen vor Ort im Rahmen der jährlichen Pflegesatzverhandlungen zu führen.

(3) Der Medizinische Dienst der Krankenkassen ist berechtigt, stichprobenartig die Richtigkeit der Angaben vor Ort zu überprüfen.

(4) Erfüllt eine Einrichtung die Anforderungen der ausgewiesenen Versorgungsstufe gemäß der Anlage 1 dieser Vereinbarung nicht, so ist sie innerhalb von 12 Monaten verpflichtet, diese zu erfüllen und glaubhaft nachzuweisen. Ist die Einrichtung dazu nicht in der Lage, darf sie eine neonatologische Versorgung nur noch gemäß der Versorgungsstufe, deren Anforderungen erfüllt werden, anbieten.

(5) Fachliche Voraussetzungen gemäß der Anlage dieser Vereinbarung sind durch Vorlage der Urkunde bzw. sonstiger Nachweise über die Berechtigung zum Führen der genannten Bezeichnungen nachzuweisen.

§ 6 Inkrafttreten

Diese Vereinbarung tritt zum 1. Januar 2006 in Kraft."

Mit der Änderung am 18. Dezember 2008 wurde § 3 Abs. 3 gestrichen und in § 1 ein Absatz 3 wie folgt eingeführt: "Eine Versorgung von Früh- und Neugeborenen darf nur in einer Einrichtung erfolgen, welche die Voraussetzungen der jeweils einschlägigen Versorgungsstufe nach Anlage 1 erfüllt."

Das Dr.-Herbert-Nieper-Krankenhaus hat keine mindestens dem Level 3 in der Anlage 1 entsprechende eigene Kinderklinik und ist nach der Richtlinie wegen der fehlenden Anbindung an eine neonatologische Klinik als ein Geburtskrankenhaus der Stufe Level 4 einzustufen. Entbindungen vor der 36. Schwangerschaftswoche oder solche mit zu erwartenden Komplikationen beim Neugeborenen dürfen im Krankenhaus der Klägerin deshalb nicht mehr durchgeführt werden.

Am 23. Januar 2007 hat die Klägerin beim Sozialgericht Braunschweig Klage erhoben. Durch die Richtlinie werde sie faktisch an der Einhaltung des mit dem Verband der Krankenkassen verbindlich vereinbarten Budgets und des Leistungsgerüsts gehindert und erleide dadurch erhebliche Umsatzeinbußen. Durch die Richtlinie werde sie gegenwärtig und unmittelbar an der Durchführung von bis zu diesem Zeitpunkt von ihr erfolgreich durchgeführten Entbindungen gehindert.

Zur unmittelbaren Rechtsbeeinträchtigung der Klägerin bedürfe es keines weiteren Durchsetzungsaktes. Der Klägerin könne auch nicht zugemutet werden, zunächst "Level 3-Entbindungen" durchzuführen, um dann einen aufgrund dieses normwidrigen Verhaltens ergangenen Verwaltungsakt anzugreifen.

Die Richtlinie sei sowohl formell als auch materiell nichtig. Die Richtlinie greife grundgesetzwidrig in die Krankenhausplanungshoheit der Länder ein. Der Beklagte sei zur Setzung verbindlicher Normen nicht hinreichend demokratisch legitimiert. § 137 Abs. 1 Satz 3 Nr. 2 SGB V verstoße gegen das aus dem Rechtsstaats- und Demokratiegebot folgenden Bestimmungsgebot. Die Richtlinie selbst sei verfassungswidrig, weil sie in die grundgesetzlich gesicherten Rechte der Klägerin aus Artikel 12 (Berufsfreiheit) und Artikel 14 Grundgesetz (Eigentumsschutz) eingreife.

Die Klägerin beantragt,

festzustellen, dass die „Vereinbarung über Maßnahmen zur Qualitätssicherung der Versorgung von Früh- und Neugeborenen“ des Beklagten vom 20.09.2005, zuletzt geändert am 17.06.2010, für die Klägerin keine Bindungswirkung entfaltet und diese mit ihrer derzeitigen klinischen Ausstattung zur Durchführung von Entbindungen berechtigt ist, die sie mit den Kostenträgern den Rahmen der Budgetvereinbarung vereinbart hat und künftig vereinbart

Der Beklagte beantragt,

die Klage abzuweisen.

Er ist der Auffassung, die Klage sei bereits unzulässig, jedenfalls aber unbegründet.

Das direkte Vorgehen gegen eine untergesetzliche Norm bleibe die Ausnahme und sei nur in Fällen zulässig, in denen eine inzidente Prüfung nicht möglich ist oder nicht zur Beseitigung der Grundrechtsfälle zurückführe.

Die Klägerin habe kein Feststellungsinteresse, da ihr anderweitiger vorrangiger Rechtschutz zur Verfügung stehe. Aus § 5 Abs. 2 der Vereinbarung ergebe sich, dass eine inzidente Prüfung der Vorgaben im Rahmen der Pflegesatzverhandlungen stattfinde. Der Kläger stehe es offen, sich gegen die jeweilige Pflegesatzvereinbarung gerichtlich zur Wehr zu setzen.

Die Richtlinie sei auch formell rechtmäßig, insbesondere sei das Normsetzungsverfahren ordnungsgemäß durchlaufen worden.

Sie verstoße materiell-rechtlich auch nicht gegen Verfassungsnormen. Soweit Eingriffe in die Berufsfreiheit der Klägerin durch die Richtlinie erfolgten, seien diese gerechtfertigt. Artikel 14 Grundgesetz sei schon deshalb nicht verletzt, weil der Schutzbereich des Grundrechts auf Eigentum nicht eröffnet sei. Das Grundrecht umfasse nur den konkreten Bestand des einzelnen Unternehmens, nicht den Schutz von Gewinnaussichten. Es sei nicht ersichtlich, dass die Richtlinie Umsatzeinbußen zur Folge habe, die zur Schließung der gynäkologischen Abteilung der Klägerin führen würden.

Auch sei die Richtlinie bestimmt genug. Hingegen sei der Klageantrag der Klägerin zu unbestimmt und deshalb unzulässig. Er sei zu weit gefasst und berücksichtige insbesondere nicht die Betroffenheit der Klägerin. welche nach Ansicht der Beklagten schon dem Grunde nach nicht bestehe.

Wegen der näheren Einzelheiten des Sachverhalts und des weiteren Vorbringens der Beteiligten, insbesondere auch zur Berechnung der - strittigen - Einbußen und den Ausführungen zum Streitwert wird auf die Gerichtsakten nebst Anlagen, die Gegenstand zweier mündlicher Verhandlungen waren, verwiesen.

Entscheidungsgründe

Die Klage ist zulässig und auch begründet.

Die Klage ist als Klage auf Feststellung des Bestehens oder Nichtbestehens eines Rechtsverhältnisses nach § 55 Abs. 1 Nr. 1 Sozialgerichtsgesetz (SGG) zulässig, obwohl sie wie eine - gesetzlich nicht geregelte - sozialrechtliche Normfeststellungsklage wirkt.

Bei der hier streitgegenständlichen Vereinbarung des Beklagten (die nach ihrer Ermächtigungsgrundlage, dem § 137 SGB V in der Fassung vom 01.01.2004 bis 30.06.2008 ein Beschluss und in der seit 01.07.2008 gültigen Fassung eine Richtlinie ist), ist kein Verwaltungsakt, der die Möglichkeit der Anfechtungsklage eröffnet, sondern eine verbindliche untergesetzliche Norm gemäß § 91 SGB V. Sie ist für das Krankenhaus der Klägerin unmittelbar verbindlich (§ 137 Abs. 2 Satz 1 SGB V und § 91 Abs. 6 - bis 30.06.2008 Abs. 9 -).

Das erkennende Gericht ist in Übereinstimmung mit dem nunmehr für solche Klagen erstinstanzlich allein zuständigen LSG Berlin-Brandenburg in Anlehnung an die Rechtsprechung des Bundessozialgerichts der Ansicht, dass als sachgerechte Klageart zur Vermeidung von verfassungsrechtlich im Hinblick auf Artikel 19 Abs. 4 Grundgesetz nicht hinnehmbaren Rechtsschutzlücken nur eine Feststellungsklage nach § 55 Abs. 1 Nr. 1 SGB in Betracht kommt (siehe exemplarisch LSG Berlin-Brandenburg, Beschluss vom 26.01.2011 - L 7 KA 79/10 KL ER und ausdrücklich BSG, Urteil vom 03.02.2010 B 6 KA 31/09 R Orientierungssatz 2).

Das SGG ist offensichtlich lückenhaft und sieht Rechtsschutz in Form der Normenkontrolle nicht ausdrücklich vor, eine § 47 Verwaltungsgerichtsordnung (VwGO) entsprechende Norm fehlt im SGG. Andererseits setzt das SGG nunmehr in § 29 Abs. 4 Nr. 3 (in der Fassung ab 01.04.2008) Rechtsschutz gegen Entscheidungen und Richtlinien des Beklagten ausdrücklich voraus. Dies muss auch bereits vor dem 01. April 2008 gegolten haben, damals allerdings noch mit einer Zuständigkeit der einzelnen Sozialgerichte.

Die Klägerin ist durch die Norm unmittelbar betroffen. Es kann der Klägerin (auch im Interesse der gesamten sozialen Rechtsordnung) nicht zugemutet werden, sich zunächst normwidrig zu verhalten und die Gültigkeit der Norm dann erst inzident prüfen zu lassen. Auch der Verweis der Beklagten auf die gerichtliche Überprüfungsmöglichkeit von Pflegesatzvereinbarungen oder Krankenhausrahmenplanungen geht fehl. Der sozialgerichtliche Prüfungsmaßstab bei echten -vertraglichen- Vereinbarungen ist ein grundsätzlich anderer als der bei untergesetzlichen Normen (auch wenn diese wie hier fälschlicherweise Vereinbarung heißen). Der Beklagte kann, da er im SGG ausdrücklich als Beklagter gegen eine seiner Normen benannt ist, die Klägerin nicht auf andere Beklagte verweisen.

Die Klägerin ist auch rechtsschutzbedürftig. Es liegt auf der Hand, dass sie durch die Einhaltung der Vorgaben des Beklagten Mindererlöse erzielt. Es ist ihr verboten, Entbindungen nach Level 1 bis 3 durchzuführen. Insbesondere mit Level 3-Geburten, die sie bisher durchführen konnte, fällt sie deshalb aus. Dabei ist es unerheblich, welche genauen finanziellen Auswirkungen eintreten. Dafür, dass überhaupt keine finanziellen Verluste eintreten, spricht nichts. Entsprechend hat das Gericht auch den Auffangstreitwert von 5.000,-- € festgesetzt.

Der Feststellungsantrag der Klägerin ist auch hinreichend bestimmt. Die Klägerin begehrt ausdrücklich nur Feststellung der Unverbindlichkeit der Richtlinie des Beklagten für sich selbst. Der Halbsatz 2 des Antrags zu 1. (ab "entfaltet") ist rein deklaratorischer Natur und macht den Antrag nicht unzulässig.

Eine Klagefrist sieht weder § 55 noch § 29 Abs. 4 Nr. 3 SGG vor.

Die Klage ist auch begründet. die angegriffene Norm ist wegen Ermächtigungsüberschreitung rechtswidrig.

Ermächtigungsgrundlage ist § 137 SGB V (ab 01.07.2008 in Verbindung mit § 92 Abs. 1 Satz 2 Nr. 13 SGB V). Dessen Absatz 1 lautet in der vom 01. Januar 2004 bis 30. Juni 2008 gültigen Fassung: "Der Gemeinsame Bundesausschuss beschließt unter Beteiligung des Verbandes der privaten Krankenversicherung, der Bundesärztekammer sowie der Berufsorganisationen der Krankenpflegeberufe Maßnahmen der Qualitätssicherung für nach § 108 zugelassene Krankenhäuser einheitlich für alle Patienten. Dabei sind die Erfordernisse einer Sektor- und Berufsgruppen übergreifenden Versorgung angemessen zu berücksichtigen. Die Beschlüsse nach Satz 1 regeln insbesondere 1…., 2. Kriterien für die indikationsbezogende Notwendigkeit und Qualität der im Rahmen der Krankenhausbehandlung durchgeführten diagnostischen und therapeutischen Leistungen, insbesondere aufwändiger medizintechnischer Leistungen; dabei sind auch Mindestanforderungen an die Strukturqualität einschließlich im Abstand von fünf Jahren zu erfüllender Fortbildungspflichten der Fachärzte und an die Ergebnisqualität festzulegen, 3. einen Katalog planbarer Leistungen nach den §§ 17 und 17 b des Krankenhausfinanzierungsgesetzes, bei denen die Qualität des Behandlungsergebnisses in besonderem Maße von der Menge der erbrachten Leistungen abhängig ist, Mindestmengen für die jeweiligen Leistungen je Arzt oder Krankenhaus und Ausnahmetatbestände, 4…., 5…., 6…… Wenn die nach Satz 3 Nr. 3 erforderliche Mindestmenge bei planbaren Leistungen voraussichtlich nicht erreicht wird, dürfen ab dem Jahr 2004 entsprechende Leistungen nicht erbracht werden".

Ab 01. Juli 2008 hat § 137 Abs. 1 SGB V folgenden Wortlaut: "Der Gemeinsame Bundesausschuss bestimmt für die vertragsärztliche Versorgung und für zugelassene Krankenhäuser durch Richtlinien nach § 92 Abs. 1 Satz 2 Nr. 13 insbesondere 1…., 2. Kriterien für die indikationsbezogene Notwendigkeit und Qualität der durchgeführten diagnostischen und therapeutischen Leistungen, insbesondere aufwändiger medizintechnischer Leistungen; dabei sind auch Mindestanforderungen an die Struktur-, Prozess- und Ergebnisqualität festzulegen. Soweit erforderlich, lässt er die notwendigen Durchführungsbestimmungen und Grundsätze für Konsequenzen insbesondere für Vergütungsabschläge für Leistungserbringer, die ihre Verpflichtungen zur Qualitätssicherung nicht einhalten. § 92 Abs. 1 SGB V lautet in der Fassung ab 01. April 2007: "Der Gemeinsame Bundesausschuss beschließt die zur Sicherung der ärztlichen Versorgung erforderlichen Richtlinien über die Gewährung für eine ausreichende, zweckmäßige und wirtschaftliche Versorgung der Versicherten; dabei ist den besonderen Erfordernissen der Versorgung behinderter oder von Behinderung bedrohter Menschen und psychisch Kranker Rechnung zu tragen, vor allem bei den Leistungen zur Belastungserprobung und Arbeitstherapie; er kann dabei die Erbringung und Verordnung von Leistungen einschließlich Arzneimitteln oder Maßnahmen einschränken oder ausschließen, wenn nach allgemein anerkanntem Stand der medizinischen Erkenntnisse der diagnostische oder therapeutische Nutzen, die medizinische Notwendigkeit oder die Wirtschaftlichkeit nicht nachgewiesen sind sowie wenn insbesondere ein Arzneimittel unzweckmäßig oder eine andere, wirtschaftlicher Behandlungsmöglichkeit mit vergleichbarem diagnostischen oder therapeutischen Nutzen verfügbar ist. Er soll insbesondere Richtlinien beschließen, über die …13. Qualitätssicherung…". Nr. 13 war in den Vorfassungen nicht vorhanden.

Dem Beklagte war und ist es nicht erlaubt, in Beschlüssen oder Richtlinien zur Qualitätssicherung (wie hier) die Erbringung von Leistungen auszuschließen. Beschlüsse und Richtlinien zur Qualitätssicherung sollen den sie betreffenden Beteiligten Qualitätsstandards vorgeben, an denen sich alle orientieren müssen. Die beteiligten Krankenhausträger, Landesplanungsbehörden und Sozialversicherungsträger müssen und dürfen in eigener Verantwortung die leistungsrechtlichen Konsequenzen selbst ziehen. Eine gesetzliche Ermächtigung zum kompletten Ausschluss von Leistungen, wie sie der Beklagte in § 3 Abs. 3 der Vereinbarung bzw. § 1 Abs. 3 der Richtlinie vorgesehen hat, gibt es nicht. Zwar hat der Bundesgesetzgeber dem Beklagten an anderer Stelle eine Ausschlusskompetenz eingeräumt (z.B. für die NUB-Richtlinien). Voraussetzung ist dabei allerdings gemäß § 92 SGB V die Nichtnachweisbarkeit des diagnostischen oder therapeutischen Nutzens, der medizinischen Notwendigkeit oder der Wirtschaftlichkeit einer Leistung dem Grunde nach. Für den Ausschluss eines einzelnen Leistungserbringers von einer Leistung, die dem Grunde nach unzweifelhaft zum Leistungsspektrum der gesetzlichen Krankenversicherung gehört (wie z.B. eine Entbindung, egal ob Level 1, 2, 3 oder 4) bedürfte es einer speziellen Ermächtigung. Eine solche sieht z.B. § 1 Satz 4 (= § 3 Satz 2 ab 01.07.2008) SGB V im Hinblick auf die Mindestmengen vor. In Bezug auf die Beschlüsse und Richtlinien zur Qualitätssicherung erlaubt § 137 Abs. 1 Satz 2 SGB V in der Fassung ab 01. Juli 2008 lediglich den Erlass der notwendigen Durchführungsbestimmungen und Grundsätze für Konsequenzen insbesondere für Vergütungsabschläge für Leistungserbringer, die ihre Verpflichtungen zur Qualitätssicherung nicht einhalten. Somit dürfen zwar Vergütungsabschläge vorgesehen werden, keinesfalls jedoch ein kompletter Leistungsausschluss. Einen solchen kompletten Ausschluss sieht die angegriffene Vereinbarung/Richtlinie jedoch vor (siehe oben). Wegen dieser evidenten Ermächtigungsüberschreitung kann die Richtlinie somit für die Klägerin insgesamt keine Wirkung entfalten.

Ob es der Klägerin gelingt, nachträglich oder zukünftig Verhandlungspartner zu finden, die mit ihr Verträge unterhalb der gesetzten Qualitätsstandards abschließen, muss hier nicht entschieden werden.

Die Kostenentscheidung beruht auf § 197 a SGG iVm § 154 Abs. 1 VwGO. Streitwert ist der Regelstreitwert (siehe oben).