Sozialgericht Braunschweig
Urt. v. 04.03.2011, Az.: S 32 SO 208/08
Elter sind zu einem monatlichen Kostenbeitrag für die stationäre Heimunterbringung des Kindes bei zumutbarer Mittelaufbringung und Übersteigung der Einkommensgrenzen heranzuziehen
Bibliographie
- Gericht
- SG Braunschweig
- Datum
- 04.03.2011
- Aktenzeichen
- S 32 SO 208/08
- Entscheidungsform
- Urteil
- Referenz
- WKRS 2011, 16095
- Entscheidungsname
- [keine Angabe]
- ECLI
- ECLI:DE:SGBRAUN:2011:0304.S32SO208.08.0A
Rechtsgrundlagen
- § 19 Abs. 3 SGB XII
- § 35 SGB XII
- § 42 S. 1 Nr. 1 - 3 SGB XII
- § 76 Abs. 2 S. 1 SGB XII
- § 92 Abs. 1 S. 1 SGB XII
Tenor:
- 1.
Die Klage wird abgewiesen.
- 2.
Kosten sind nicht zu erstatten.
Tatbestand
Die Beteiligten streiten um die Heranziehung zu einem Kostenbeitrag für die stationäre Unterbringung der Tochter der Kläger.
Die Kläger sind miteinander verheiratet und haben drei Kinder, geboren 1991, 1993 und 1998. Die 1998 geborene Tochter G. ist seit ihrer Geburt behindert. Sie lebt seit 01. Mai 2006 in der Heimstatt H., einer Einrichtung für geistig behinderte Kinder und Jugendliche. G. besucht auch die dort angegliederte Schule. Von dem Beklagten bezieht G. Eingliederungshilfe gemäß §§ 53 ff Sozialgesetzbuch, Zwölftes Buch (SGB XII).
Im Juni 2007 kündigte der Beklagte den Klägern an, er werde prüfen, wie hoch ab 01. Juli 2007 der von ihnen zu leistende Kostenbeitrag sei. Die Kläger reichten daraufhin alle angeforderten Unterlagen zur Einkommens- und Vermögenssituation ein. Nach Auswertung dieser Unterlagen gelangte der Beklagte in einer internen Berechnung zu dem Ergebnis, dass die Kläger über ein einzusetzendes monatliches Einkommen von 1.525,48 EUR verfügen.
Mit Heranziehungsbescheid vom 10. April 2008 teilte der Beklagte den Klägern mit, aufgrund der Bestimmungen des SGB XII werde ihnen unter Berücksichtigung ihrer wirtschaftlichen und persönlichen Verhältnisse zugemutet, einen regelmäßig wiederkehrenden Betrag von 208,- EUR monatlich für die Zeit vom 01. Juli 2007 bis auf Weiteres als Kostenbeitrag zu zahlen. Dieser Betrag entspreche der häuslichen Ersparnis. Bei der Unterbringung in einer Einrichtung bemesse sich die häusliche Ersparnis nach dem für die Tochter G. maßgeblichen Regelsatz. Dieser betrage 208,- EUR und sei in vollem Umfang zu fordern, da im Rahmen der Eingliederungshilfe auch die Bekleidung sichergestellt werde. Für die Zeit vom 01. Juli 2007 bis 30. April 2008 ergebe sich ein fälliger Betrag von 10,- EUR.
Dagegen legten die Kläger Widerspruch ein. Weder sei eine Rechtsgrundlage genannt worden noch habe der Beklagte Ermessen ausgeübt. Der geforderte Kostenbeitrag beruhe auf einer unzulässigen Pauschalierung der häuslichen Ersparnis. Richtigerweise müsste die tatsächliche Haushaltsersparnis konkret (und nicht nur fiktiv) berechnet werden. Dabei müsse dann berücksichtigt werden, dass G. an den Wochenenden und in den Ferien sehr viel Zeit im Haushalt ihrer Eltern verbringe.
Im Widerspruchsverfahren übersandten die Kläger die aktuellen Unterlagen zu ihren finanziellen Verhältnisse. Der Beklagte nahm eine Rechnung der Heimstatt H. für Februar 2008 zu den Akten. Daraus ergibt sich ein Rechnungsbetrag von insgesamt 3.852,39 EUR. In diesem enthalten ist die Kinder- und Jugendgrundpauschale in Höhe von 381,47 EUR und die Grundpauschale für den Besuch der Sonderschule in Höhe von 106,77 EUR.
Mit Widerspruchsbescheid vom 30. September 2008 wies der Beklagte den Widerspruch zurück. Das bereinigte Gesamteinkommen der Kläger (§ 82 SGB XII) übersteige die Einkommensgrenze des § 85 SGB XII. Gemäß § 87 SGB XII seien monatlich zwischen 1.500,- EUR und 1.960,- EUR einzusetzen. Grundsätzlich könnte nach § 92 SGB XII ein Kostenbeitrag in Höhe der Grundpauschalen (§ 76 Abs. 2 SGB XII, hier: 488,24 EUR) gefordert werden. Unter Würdigung der Gesamtumstände im Rahmen der Ermessensabwägungen erfolge die Forderung des Kostenbeitrages jedoch lediglich in Höhe des Regelsatzes. Der Bescheid vom 10. April 2008 sei im Ergebnis rechtmäßig ergangen und werde aufrecht erhalten.
Dagegen haben die Kläger am 16. Oktober 2008 Klage beim Sozialgericht Braunschweig erhoben. Sie beziehen sich zur Begründung auf den Vortrag im Widerspruchsbescheid.
Die Kläger beantragen,
den Bescheid des Beklagten vom 10. April 2008 in der Gestalt des Widerspruchsbescheids vom 30. September 2008 aufzuheben.
Der Beklagte beantragt,
die Klage abzuweisen.
Er bezieht sich zur Begründung auf die Ausführungen im Widerspruchsbescheid.
Wegen der näheren Einzelheiten des Sachverhaltes und des weiteren Vorbringens der Beteiligten wird auf die Verwaltungsakten des Beklagten sowie auf die Gerichtsakten, die Gegenstand der mündlichen Verhandlung waren, verwiesen.
Entscheidungsgründe
Die form- und fristgerecht erhobene Klage ist zulässig aber unbegründet.
Der angefochtene Bescheid des Beklagten ist nicht rechtswidrig. Der Beklagte durfte von den Klägern einen monatlichen Kostenbeitrag in Höhe von 208,- EUR zur stationären Heimunterbringung der Tochter G. in der Heimstatt H. fordern. Soweit der Bescheid vom 10. April 2008, bestätigt durch Widerspruchsbescheid vom 30. September 2008, für die Zeit vom 01. Juli 2007 bis 30. April 2008 insgesamt nur einen fälligen Beitrag von 10,- EUR ausweist, ist dies zwar nicht nachvollziehbar, jedoch für den Beklagten bindend.
Ermächtigungsgrundlage für die Forderung des Beklagten ist § 92 Abs. 1 Satz 2 in Verbindung mit Absatz 2 Satz 1 Nr. 2 SGB XII.
Gemäß § 92 Abs. 1 Satz 1 SGB XII hat der Beklagte für die Tochter der Kläger als Leistungen für eine stationäre Einrichtung Eingliederungshilfe in vollem Umfang bewilligt, obwohl den Klägern (als in § 19 Abs. 3 SGB XII genannten Personen) die Aufbringung der Mittel zu einem Teil zuzumuten ist. Es steht außer Frage, dass den Klägern die Aufbringung der Mittel zu einem Teil zuzumuten ist, denn ihr Einkommen übersteigt die Einkommensgrenzen und ist entsprechend einzusetzen. Ob sich möglicherweise gegenüber der Berechnung des Beklagten geringfügige Abweichungen ergeben, ist für die Entscheidung unerheblich.
Gemäß § 92 Abs. 1 Satz 2 SGB XII hätten die Kläger in Höhe des einzusetzenden Einkommens zu den Kosten der vom Beklagten für G. erbrachten Leistungen beizutragen. Die Höhe des Eigenbeitrags wird jedoch durch § 92 Abs. 2 der Höhe nach beschränkt. Da G. in der Heimstatt H. auch die Schule besucht, gilt § 92 Abs. 2 Satz 1 Nr. 2 SGB XII. Dort heißt es: "Den in § 19 Abs. 3 genannten Personen ist die Aufbringung der Mittel nur für die Kosten des Lebensunterhaltes zuzumuten bei der Hilfe zu einer angemessenen Schulbildung einschließlich der Vorbereitung hierzu ". Die weitere Einschränkung des § 92 Abs. 2 Satz 3 SGB XII gilt hier nicht. Dort heißt es: "Die Kosten des in einer Einrichtung erbrachten Lebensunterhalts sind in den Fällen der Nummern 1 bis 6 nur in Höhe der für den häuslichen Lebensunterhalt ersparten Aufwendungen anzusetzen; dies gilt nicht für den Zeitraum, in dem gleichzeitig mit den Leistungen nach Satz 1 in der Einrichtung durchgeführte andere Leistungen überwiegen". Da Hauptleistung in der Heimstatt H. für G. nicht die Kosten des Schulbesuchs sondern die stationäre Wohnheimunterbringung ist, ist Halbsatz 2 einschlägig. Somit haben die Kläger einen Kostenbeitrag in Höhe des in der Einrichtung erbrachten Lebensunterhalts zu leisten.
Es kann dahingestellt bleiben, ob die Kosten des Lebensunterhalts in diesem Sinne identisch sind mit dem in § 35 SGB XII beschriebenen notwendigen Lebensunterhalt in Einrichtungen oder (wie der Beklagte meint) der Grundpauschale gemäß § 76 Abs. 2 Satz 1 SGB XII entsprechen. In beiden Fällen liegt der Betrag wesentlich höher als der vom Beklagten geforderte monatliche Beitrag von 208,- EUR. Die Grundpauschale (§ 76 Abs. 2 Satz 1 SGB XII) beträgt im Falle von G. 488,42 EUR. Der sich aus § 35 Abs. 1 Satz 2 SGB XII in Verbindung mit § 42 Satz 1 Nr. 1 bis 3 SGB XII ergebende Betrag liegt noch darüber. Beide Beträge liegen im Übrigen weit unterhalb des von den Klägern einzusetzenden Einkommens.
Der angefochtene Bescheid des Beklagten leidet nicht an fehlender Ermessensausübung. Die genannte Ermächtigungsgrundlage ist keine Ermessensnorm ("haben beizutragen"). Soweit der Beklagte die Kosten des Lebensunterhalts nur in Höhe des Regelsatzes festgesetzt hat, ist dies nicht zu beanstanden.
Die Kostenentscheidung beruht auf § 193 Sozialgerichtsgesetz (SGG). § 197 a SGG ist nicht einschlägig. Zwar gehören die Kläger nach dem Wortlaut des § 183 SGG nicht zu den kostenprivilegierten Personen. Insbesondere sind sie nicht selbst Leistungsempfänger. Leistungsempfänger ist vielmehr ihre Tochter G ... Die Kostenbeitragspflicht der Kläger ergibt sich aber unmittelbar aus der Leistungsberechtigung ihrer Tochter. Sie sind deshalb im Verhältnis zum Beklagten und damit auch in ihrer Stellung im sozialgerichtlichen Prozess im Hinblick auf die Gerichtskostenlast genau so schutzbedürftig wie ihre Tochter. § 183 ist deshalb entsprechend anzuwenden. (siehe auch Leitherer, in Meyer-Ladewig, SGG Kommentar, 9. Auflage, § 183 Rd-Nr. 7 und 7 a, der die entsprechende Anwendung zumindest für erwägenswert hält). Bei der Einführung des § 197 a SGG und der Langfassung des § 183 SGG zum 02. Januar 2002 war dem Gesetzgeber eine Fallkonstellation wie hier nicht gegenwärtig, denn solche gehören erst seit 2005 in den Zuständigkeitsbereich der Sozialgerichtsbarkeit.