Verwaltungsgericht Hannover
Beschl. v. 11.12.2018, Az.: 10 B 7226/18
einstweilige Anordnung; Hauptwohnung; Meldepflicht; Regelungsanordnung; Vorwegnahme der Hauptsache
Bibliographie
- Gericht
- VG Hannover
- Datum
- 11.12.2018
- Aktenzeichen
- 10 B 7226/18
- Entscheidungsform
- Beschluss
- Referenz
- WKRS 2018, 74304
- Entscheidungsname
- [keine Angabe]
- ECLI
- [keine Angabe]
Rechtsgrundlagen
- § 27 Abs 2 BMG
- § 123 Abs 1 S 1 VwGO
Amtlicher Leitsatz
Leitsatz
Ein tatsächlicher Aufenthalt, der nach § 27 Abs.2 BMG (noch) keine Meldepflicht auslöst, begründet keine Wohnungsnahme im Sinne von § 20 BMG und entsprechend keinen Anspruch auf Eintragung in das Melderegister.
Tenor:
Der Antrag wird abgelehnt.
Der Antragsteller trägt die Kosten des Verfahrens.
Der Wert des Streitgegenstandes wird auf 5.000 Euro festgesetzt.
Gründe
I.
Der Antragsteller begehrt im Wege der einstweiligen Anordnung eine vorläufige Eintragung der von ihm genutzten Wohnung als Hauptwohnung im Melderegister der Antragsgegnerin.
Er ist montenegrinischer Staatsangehöriger und mit einer kosovarischen Staatsangehörigen verheiratet, die seit 1. Februar 2016 im Besitz einer Niederlassungserlaubnis ist. Aus der Ehe ist ein am 26. Juni 2017 geborenes Kind hervorgegangen. Die Ehefrau des Antragstellers erwartet ein weiteres Kind, dessen Geburt am 5. März 2019 erwartet wird.
Am 15. November 2018 hat der Antragsteller um einstweiligen Rechtsschutz nachgesucht. Zur Begründung führt er aus, dass er mittlerweile in familiärer Lebensgemeinschaft mit seiner Tochter und seiner Ehegattin in deren Wohnung im Zuständigkeitsgebiet der Antragsgegnerin lebe. Er habe mehrfach erfolglos versucht, bei der Antragsgegnerin seinen Wohnsitz anzumelden. Zuletzt am 5. November 2018 sei er mit seinem Pass, einer Meldebescheinigung seiner Ehefrau, einer Wohnungsgeberbestätigung, einer Heirats- und Geburtsurkunde beim Bürgeramt vorstellig geworden. Die Antragsgegnerin habe ihm die Anmeldung mit der Begründung verweigert, dass er ohne Visum zur Familienzusammenführung eingereist sei.
Er sei zur Anmeldung verpflichtet und habe einen korrespondierenden Anspruch auf Eintragung der Wohnung seiner Ehegattin als seine Hauptwohnung, weil er sich dort gewöhnlich aufhalte. Aufenthaltsrechtliche Anforderungen stelle das Melderecht nicht. Die Meldebehörde sei auch nicht gehalten, ausländerrechtliche Vorfragen zu beantworten, sondern habe die tatsächlichen Wohnverhältnisse zugrunde zu legen.
Der Antragsteller beantragt sinngemäß,
die Antragsgegnerin im Wege der einstweiligen Anordnung zu verpflichten, die Anschrift A-Straße, A-Stadt als seinen Hauptwohnsitz im Melderegister einzutragen.
Die Antragsgegnerin beantragt,
den Antrag abzulehnen.
Sie hält den Antrag für unbegründet. Der Antragsteller habe keinen gesicherten Aufenthaltsstatus im Bundesgebiet und könne sich nur besuchsweise in der Wohnung seiner Ehegattin aufhalten. Der Meldepflicht unterliege er gem. § 27 Abs. 2 AufenthG erst nach einem Aufenthalt von drei Monaten. Der Antragsteller sei am 19. Dezember 2012 erstmals in das Bundesgebiet eingereist und nach erfolglosem Abschluss eines Asylverfahrens vollziehbar ausreisepflichtig. Am 13. Oktober 2016 sei er bei einem Abschiebungsversuch nicht angetroffen worden; nach dem Ergebnis der Ermittlungen vor Ort sei er einen Monat zuvor mit einem voll beladenen Kleinbus abgefahren und demnach wohl freiwillig ausgereist. Die Antragsgegnerin habe den Antragsteller daher zum 13. September 2016 von Amts wegen abgemeldet.
Er halte sich seitdem „immer wieder oder dauerhaft“ im Gebiet der Antragsgegnerin auf. Weil er als montenegrinischer Staatsangehöriger für Aufenthalte von bis zu 90 Tagen Dauer von der Visumspflicht befreit sei, habe die Ausländerbehörde keine Kenntnis vom Zeitpunkt seiner letzten Einreise.
Selbst wenn er seit mehr als drei Monaten in der Wohnung seiner Ehegattin wohne, werde die Antragsgegnerin eine Anmeldung nicht vornehmen, weil der Antragsteller spätestens im Januar 2019 zur Ausreise aufgefordert werde.
Die Ehegattin des Antragstellers ist seit dem 1. Oktober 2018 in der streitgegenständlichen Wohnung gemeldet, der Antragsteller ist nach der Wohnungsgeberbescheinigung des Vermieters am 30. Oktober 2018 dort eingezogen.
Wegen der weiteren Einzelheiten des Sachverhalts wird auf den Inhalt der Gerichtsakte und des beigezogenen Verwaltungsvorgangs Bezug genommen. Der Inhalt sämtlicher Akten war Gegenstand der Entscheidungsfindung.
II.
Der statthafte und auch im Übrigen zulässige Antrag ist unbegründet.
Gemäß § 123 Abs. 1 Satz 2 VwGO kann auf Antrag eine einstweilige Anordnung zur Regelung eines vorläufigen Zustandes in Bezug auf ein streitiges Rechtsverhältnis getroffen werden, wenn diese Regelung nötig erscheint, um wesentliche Nachteile abzuwenden. Dies setzt voraus, dass Tatsachen glaubhaft gemacht sind (§ 123 Abs. 3 VwGO i. V. m. § 920 Abs. 2, § 294 ZPO), aus denen sich ergibt, dass ohne die Regelung ein Rechtsnachteil droht, mithin ein rechtlicher Anspruch auf die der begehrten Regelung entsprechende Gestaltung besteht (Anordnungsanspruch), und dass die Regelung besonders dringlich ist (Anordnungsgrund). Diese Voraussetzungen sind besonders streng zu prüfen, wenn durch die einstweilige Anordnung die Entscheidung in der Hauptsache vorweggenommen wird und – wenn auch nur für beschränkte Zeit und unter dem Vorbehalt des Ausgangs des Klageverfahrens – ein irreversibler Zustand geschaffen wird. Das wäre hier der Fall, weil die begehrte Eintragung in das Melderegister nicht bzw. nur mit unechter Rückwirkung beseitigt werden könnte. Für eine wegen der Garantie des effektiven Rechtsschutzes im Sinne des Art. 19 Abs. 4 GG ausnahmsweise denkbare Durchbrechung des Verbots der Vorwegnahme der Hauptsache ist deshalb allenfalls dann Raum, wenn der Antragsteller nach Lage des Falles mit überwiegenden Erfolgsaussichten Rechtsschutz im Klageverfahren erlangen kann und ohne den Erlass der einstweiligen Anordnung in schwerer und unzumutbarer Weise beeinträchtigt würde.
Hier hat der Antragsteller schon solche schweren und unzumutbaren Nachteile und damit den erforderlichen Anordnungsgrund für die begehrte einstweilige Anordnung nicht glaubhaft gemacht. Er begründet die Notwendigkeit einer einstweiligen Anordnung mit der Klärung der örtlichen Zuständigkeit der Ausländerbehörde. Diese knüpft aber nicht an die Eintragung in das Melderegister an, sondern – in Ermangelung spezialgesetzlicher Regelungen gem. § 1 Abs. 1 NVwVfG i. V. m. § 3 Abs. 1 Nr. 3 VwVfG – an den tatsächlichen Aufenthalt des Antragstellers. Rechtliche Nachteile dadurch, dass er gegen seine (vermeintliche, dazu sogleich) Meldepflicht verstoßen könnte, hat der Antragsteller nicht zu befürchten, nachdem er bei dem Bürgeramt der Antragsgegnerin vorgesprochen und sich gemeldet hat. Dass die Antragstellerin die Eintragung einer Haupt- oder Nebenwohnung verwehrt hat, beruht nicht auf einem vorwerfbaren Verhalten des Antragstellers. Darüber hinaus gehende erhebliche und unzumutbare Nachteile sind weder vorgetragen noch sonst ersichtlich.
Im Hinblick auf die Erfolgsaussichten in der Hauptsache ist die Vorwegnahme der Hauptsache im vorläufigen Rechtsschutz nur gerechtfertigt, wenn der geltend gemachte Anspruch mit größter Wahrscheinlichkeit begründet ist und aller Voraussicht nach auch im Hauptsacheverfahren bestätigt werden wird. Auch diese Voraussetzungen sind nicht erfüllt. Gegenwärtig ist ein Anordnungsanspruch ausgeschlossen; ob er zukünftig besteht, ist nicht mit der erforderlichen höchsten Wahrscheinlichkeit absehbar.
Der Antragsteller macht insofern zwar zutreffend geltend, dass sich die Meldepflicht und ein etwaiger damit einhergehender Anspruch auf Eintragung ins Melderegister und Erteilung einer Meldebescheinigung ausschließlich nach den Vorschriften des Melderechts richten und etwaige aufenthaltsrechtliche Fragen, sei es zur Rechtmäßigkeit der Einreise, des Aufenthalts oder der Wohnsitznahme für die Beurteilung der Richtigkeit des Melderegisters und eines etwaigen Anspruchs auf dessen Berichtigung nicht maßgeblich sind.
Nach den insoweit einschlägigen Vorschriften des seit 1. November 2015 geltenden Bundesmeldegesetzes – BMG – vom 3.5.2013 in der Fassung des Gesetzes vom 18.7.2017 (BGBl. I, S. 2745) wäre er auch grundsätzlich verpflichtet, sich binnen zweier Wochen nach seinem Einzug bei der Meldebehörde der Antragsgegnerin anzumelden (§ 17 Abs. 1 BMG), indem er der Meldebehörde einen Meldeschein, ein Ausweisdokument und eine Wohnungsgeberbescheinigung vorlegt (§ 23 Abs. 1 BMG). Im Fall des Antragstellers greift jedoch die Ausnahme von der Meldepflicht in § 27 Abs. 2 BMG, wonach keine Meldepflicht für einen tatsächlichen Aufenthalt von bis zu sechs Monaten besteht, wenn der Betroffene bereits mit einer anderen Wohnung gemeldet ist. Für Personen wie den Antragsteller, die sonst im Ausland wohnen und im Inland nicht nach § 17 Abs. 1 BMG gemeldet sind, besteht die Meldepflicht erst nach Ablauf von drei Monaten.
Nachdem der Antragsteller angibt, dass er sich am 5. November 2018 diesen Maßgaben entsprechend bei dem Bürgeramt der Antragsgegnerin gemeldet hat und die Antragsgegnerin sich geweigert hat, die Meldung einzutragen, richtet sich sein Anspruch sodann dem Grunde nach auf eine Berichtigung des Melderegisters. Gem. § 12 BMG hat die Meldebehörde gespeicherte Daten auf Antrag der betroffenen Person zu berichtigen oder zu ergänzen, wenn sie unrichtig oder unvollständig sind. Dieser Anspruch ergänzt die Verpflichtung der Meldebehörde aus § 6 Abs. 1 Satz 1 BMG, das Melderegister von Amts wegen zu berichtigen oder zu ergänzen, wenn es unrichtig oder unvollständig ist, und erstreckt sich in entsprechender Anwendung über die Berichtigung gespeicherter Daten auch auf die Ergänzung fehlender oder zu Unrecht nicht eingetragener Daten.
Nach diesem Maßstab hat der Antragsteller keinen Anspruch auf die Eintragung seiner Wohnung, weil das Melderegister nicht unrichtig ist. Der Antragsteller hat gegenwärtig weder eine Haupt- noch eine Nebenwohnung im Zuständigkeitsbereich der Antragsgegnerin. Eine Wohnung im Sinne des § 20 BMG ist jeder umschlossene Raum, der zum Wohnen oder zum Schlafen genutzt wird. Während der tatsächliche Aufenthalt des Antragstellers in der Wohnung seiner Ehefrau unstreitig ist, fehlt es hier an einer Nutzung zu Wohnzwecken. Der Begriff des Wohnens wird durch das Melderecht nicht näher definiert. Nach der Rechtsprechung der Verwaltungsgerichte bezieht eine Person eine Wohnung, wenn sie einen Raum oder mehrere Räume in der Weise für sich in Anspruch nimmt, dass sie dort für immer oder vorübergehend im allgemeinen die Angelegenheiten ihres täglichen Lebens wie Sich-Aufhalten, Essen und Schlafen verrichtet (vgl. OVG Münster, Beschluss vom 24.4.1981 – 18 B 549/81 –, juris Rn. 9). In quantitativer Hinsicht bleibt allerdings eine vorübergehende Benutzung einer Wohnung außer Acht, wenn sie nur geringen Umfangs ist. Ein Maßstab für die Abgrenzung zwischen solchen unbeachtlichen Kurzaufenthalten und einem meldepflichtigen Wohnen ergibt sich aus § 27 Abs. 2 BMG und den dort geregelten Ausnahmen für Aufenthalte von bis zu sechs Monaten bzw. drei Monaten für Personen, die sonst im Ausland wohnen und im Inland nicht nach § 17 Abs. 1 BMG gemeldet sind.
Der vorübergehende, bis zu drei Monaten dauernde Aufenthalt eines aus dem Ausland zugezogenen Menschen begründet dementsprechend keine Nutzung als Haupt- oder Nebenwohnung.
Nachdem der Antragsteller ausweislich der im gerichtlichen Verfahren vorgelegten Wohnungsgeberbestätigung erst am 30. Oktober 2018 in die streitgegenständliche Wohnung eingezogen ist, begründet sein bisheriger Aufenthalt von knapp fünf Wochen dort noch keine Anmeldepflicht und infolgedessen auch keine Haupt- oder Nebenwohnung im melderechtlichen Sinne. Entsprechend erweist sich die Ablehnung der Eintragung jedenfalls im für die Beurteilung der Sach- und Rechtslage maßgeblichen Zeitpunkt der Entscheidung des Gerichts als rechtmäßig und das Melderegister nicht als unrichtig.
Davon unberührt ist die Frage, ob der Antragsteller nach Ablauf von drei Monaten die Eintragung als Haupt- oder Nebenwohnung wird begehren können und ob dies auch dann gilt, wenn durch seinen weiteren Verbleib im Bundesgebiet zugleich die maximal zulässige Aufenthaltsdauer überschritten würde und er zur Ausreise verpflichtet wäre. Für einen dann entstehenden Anordnungsanspruch spricht die von dem Antragsteller zitierte Rechtsprechung, dass für die melderechtliche Beurteilung des Sachverhalts aufenthaltsrechtliche Vorfragen wie die Rechtmäßigkeit des (andauernden) Aufenthalts unbeachtlich sind. Auch für einen solchen künftig denkbaren Anordnungsanspruch fehlt es jedoch gegenwärtig an einem Anordnungsgrund.
Die Kostenentscheidung folgt aus § 154 Abs. 1 VwGO. Die Streitwertfestsetzung beruht auf den § 63 Abs. 2 Satz 1, § 53 Abs. 2 Nr. 1 und § 52 Abs. 2 GKG, wobei das Gericht nach Nr. 1.5 der Streitwertempfehlungen für die Verwaltungsgerichtsbarkeit (NorÖR 2014,11) wegen der Vorwegnahme der Hauptsache keine Veranlassung sieht, den Streitwert auf die Hälfte zu reduzieren.