Verwaltungsgericht Göttingen
Beschl. v. 23.09.2002, Az.: 3 B 3331/02
Aufenthaltsbereich; Härtefall; räumliche Begrenzung; räumlicher Geltungsbereich; zusätzliche Duldung
Bibliographie
- Gericht
- VG Göttingen
- Datum
- 23.09.2002
- Aktenzeichen
- 3 B 3331/02
- Entscheidungsform
- Beschluss
- Referenz
- WKRS 2002, 43682
- Entscheidungsname
- [keine Angabe]
- ECLI
- [keine Angabe]
Verfahrensgang
Rechtsgrundlagen
- § 58 Abs 1 S 1 AsylVfG
- § 56 Abs 3 S 1 AuslG
- § 56 Abs 3 S 2 AuslG
Amtlicher Leitsatz
Leitsatz
Eine niedersächsische Ausländerbehörde darf einem Ausländer, dem sie eine Duldung erteilt hat, im Hinblick auf § 56 Abs. 3 Satz 1 AuslG auch bei Vorliegen von Härtegründen keine Zuzugsgenehmigung für ein anderes Bundesland erteilen.
In einem Härtefall kann einem in Niedersachsen geduldeten Ausländer zum bundesländerübergreifenden Wohnortwechsel eine zusätzliche Duldung durch die zuständige Ausländerbehörde des anderen Bundeslandes erteilt werden.
Tenor:
Der Antrag auf Gewährung vorläufigen Rechtsschutzes wird abgelehnt.
Die Antragstellerinnen tragen die Kosten des Verfahrens.
Der Wert des Streitgegenstandes wird auf 2.600,-- Euro festgesetzt.
Gründe
Der Antrag der Antragstellerinnen,
die Antragsgegnerin im Wege der einstweiligen Anordnung zu verpflichten, den Antragstellerinnen den Zuzug von G. nach C. in Nordrhein-Westfalen zu dem dort wohnenden Lebenspartner der Antragstellerin zu 1) und Vater der Antragstellerin zu 2), Herrn S., zu gestatten,
hat keinen Erfolg.
Die Antragstellerinnen haben einen Anordnungsanspruch für den Erlass der von ihnen begehrten Regelungsanordnung im Sinne von § 123 Abs. 1 Satz 2 VwGO nicht glaubhaft gemacht (§ 123 Abs. 3 VwGO i.V.m. § 920 Abs. 2 ZPO). Da ihre Duldungen sich nach § 56 Abs. 3 Satz 1 AuslG auf das Land Niedersachsen beschränken, können sie gegenüber der Antragsgegnerin aus Rechtsgründen nicht im Wege der einstweiligen Anordnung eine vorläufige Erlaubnis zum vorübergehenden Verlassen des Geltungsbereichs der Duldungen erstreiten. Im Hinblick auf die den Antragstellerinnen erteilten, kraft Gesetzes (§ 56 Abs. 3 Satz 1 AuslG) auf das Gebiet des Landes Niedersachsen beschränkten Duldungen ist es der Antragsgegnerin rechtlich verwehrt, die Wohnsitzbeschränkung von „G.“ in „C.“ in Nordrhein-Westfalen zu ändern und damit die Wohnsitznahme der Antragstellerinnen in C. zu gestatten. Für die insoweit erforderliche länderübergreifende Änderung des räumlichen Geltungsbereichs der erteilten Duldungen bieten weder § 56 Abs. 3 Satz 2 AuslG noch eine sonstige Rechtsvorschrift des Bundesrechts eine Rechtsgrundlage.
Nach § 56 Abs. 3 Satz 2 AuslG kann zwar eine Duldung mit weiteren Bedingungen und Auflagen versehen werden. Diese Befugnis der Ausländerbehörden findet jedoch ihre Grenze im Gesetz selbst, namentlich in § 56 Abs. 3 Satz 1 AuslG, wonach die Duldung räumlich auf das Gebiet des Landes, im Falle des Ausspruchs durch eine niedersächsische Ausländerbehörde auf das Gebiet des Landes Niedersachsen, beschränkt ist. Aus dem Kontext, in dem § 56 Abs. 3 Satz 1 und 2 AuslG zueinander stehen, folgt, dass die in Satz 2 angesprochenen Bedingungen und Auflagen nach dem Willen des Gesetzgebers nur innerhalb der in Satz 1 umschriebenen Beschränkungen möglich sein sollen. Nicht umfasst von § 56 Abs. 3 Satz 2 wird daher eine Anordnung oder Gestattung, die der vorangegangenen Aussage des Satzes 1 widerspricht. Die in § 56 Abs. 3 Satz 2 angesprochenen weiteren Bedingungen und Auflagen können sich daher nur im Rahmen der räumlichen Beschränkung von Satz 1 der Vorschrift bewegen und diese ggf. modifizieren oder einschränken, dürfen dieser aber nicht widersprechen oder diese gar in ihr Gegenteil verkehren (vgl. OVG Lüneburg, Beschluss vom 23.3.2000 – 10 M 4629/99 –, Nds. Rpfl. 2000, 241/242; Heidelmann in DVBl. 2001, 685/700 zu III. 2.). Das aus § 56 Abs. 3 Satz 1 AuslG folgende rechtliche Hindernis, den räumlichen Geltungsbereich erteilter Duldungen länderübergreifend zu verändern, würde auch eine etwaige – im vorliegenden Fall bereits mehrfach verweigerte – „Zustimmung“ des Bürgermeisters der Stadt C. nicht beseitigen. Eine etwaige „Zustimmung“ dieser nordrhein-westfälischen Ausländerbehörde, in die der Zuzug der Antragstellerinnen erfolgen soll, könnte das Verbot des § 56 Abs. 3 Satz 1 AuslG, von der Antragsgegnerin als der zuständigen niedersächsischen Ausländerbehörde ausgesprochene Duldungen über den Bereich des Landes Niedersachsen hinaus zu erweitern oder auf ein anderes Bundesland zu erstrecken, nicht außer Kraft setzen (vgl. VG Düsseldorf, Urteil vom 3.11.1999 – 7 K 1413/99 –, AuAS 2000, 77/78).
Der von einer Mindermeinung in der Literatur (vgl. Funke-Kaiser in: GK-AuslR, Stand: April 2001, Rdn. 11 zu § 56 AuslG) vertretenen Ansicht , in einem Fall wie dem vorliegenden könnten die Antragstellerinnen in entsprechender Anwendung des § 58 Abs. 1 Satz 1 AsylVfG gegenüber der Antragsgegnerin – mit Zustimmung des Bürgermeisters der Stadt C. (§ 58 Abs. 1 Satz 2 AsylVfG) – im Wege der einstweiligen Anordnung eine vorläufige Erlaubnis zum vorübergehenden Verlassen des Geltungsbereichs der Duldungen erstreiten, vermag sich die Kammer in Übereinstimmung mit der herrschenden Meinung (vgl. OVG Lüneburg, Beschluss vom 12.5.2000 – 11 M 1263/00 –; VG Düsseldorf, a.a.O. S. 78; VG Berlin, Beschluss vom 4.8.1999 – 20 F 87/98 –, NVwZ-Beilage I 1/2000 S. 11/12; Hailbronner, AuslR, Stand: Dezember 1997, Rdn. 8 zu § 56; Renner, AuslR, 7. Aufl. 1999, Rdn. 7 zu § 56) nicht anzuschließen. Eine derartige Analogie wäre ausschließlich dann in Betracht zu ziehen, wenn eine Gesetzeslücke bestünde; eine solche liegt aber nicht vor. Denn es steht nichts im Wege, das Rechtsschutzziel der Antragstellerinnen durch einen Antrag auf Erteilung zusätzlicher Duldungen gegenüber dem Bürgermeister der Stadt C. – mit Zustimmung der Antragsgegnerin, § 64 Abs. 2 Satz 1 AuslG in direkter oder entsprechender Anwendung) – aus Härtegründen zu verfolgen (so die vorstehend dargestellte h.M.). Aus dem richtigen Argument von Funke-Kaiser (a.a.O.), das Ausländergesetz sehe die Erteilung mehrerer Duldungen nicht ausdrücklich vor, kann nach Ansicht der Kammer nicht gefolgert werden, eine Mehrfacherteilung in besonders gelagerten Härtefällen sei verboten (so zu Recht OVG Lüneburg, Beschluss vom 12.5.2000, a.a.O.). Der Verweis auf die Erteilung zusätzlicher Duldungen durch die Ausländerbehörde des Bundeslandes Nordrhein-Westfalen stellt die Antragstellerinnen nicht deswegen rechtsschutzlos, weil der Bürgermeister der Stadt C. entsprechenden Anträgen erkennbar nicht entsprechen will. Denn die anwaltlich vertretenen Antragstellerinnen haben zwischenzeitlich – einer bereits am 12.7.2002 telefonisch erfolgten Empfehlung des Kammervorsitzenden folgend – beim VG Gelsenkirchen gegen den Bürgermeister der Stadt C. ein Eilverfahren nach § 123 VwGO auf Verpflichtung zur Erteilung zusätzlicher vorläufiger Duldungen für den Wohnort des Lebensgefährten der Antragstellerin zu 1) und Vaters der Antragstellerin zu 2) anhängig gemacht, das bei der 8. Kammer dieses Gerichts unter dem Aktenzeichen 8 L 1816/02 läuft (vgl. Schriftsatz der Prozessbevollmächtigten der Antragstellerinnen vom 2.9.2002 nebst Anlage vom 27.8.2002). Warum der Bürgermeister der Stadt C. der sowohl von der Antragsgegnerin als auch der Bezirksregierung Braunschweig (vgl. Schreiben an die Stadtverwaltung C. vom 19.6.2002, Bl. 26 der Gerichtsakte) befürworteten Wohnsitzverlagerung der Antragstellerinnen von G. nach C. grundsätzlich ablehnend gegenüber steht, erscheint nicht ohne weiteres nachvollziehbar, zumal die Antragstellerinnen geltend machen, der am 23.10.1982 geborene, in C. lebende und an einer schweren behandlungsbedürftigen Nierenerkrankung leidende S. sei aus gesundheitlichen Gründen auf die Anwesenheit der Antragstellerin zu 1) – seiner Lebensgefährtin und Mutter inzwischen zweier gemeinsamer Kleinkinder (der Antragstellerin zu 2) und des am 10.6.2002 in C. geborenen Kindes Mohamed S.) – angewiesen. Dass in Härtefällen, beispielsweise aus dringenden familiären Gründen, ein durch den Erlass einer einstweiligen Anordnung nach § 123 VwGO sicherbarer Anspruch auf eine zweite ausländerrechtliche Duldung bestehen kann, ist in der Rechtsprechung anerkannt (vgl. etwa VG Berlin, Beschluss vom 4.8.1999, a.a.O.; s.a. Nr. 56.3.1 – Satz 5 – AuslG-VwV)
Die Kostenentscheidung folgt aus § 154 Abs. 1 VwGO.
Die Streitwertfestsetzung beruht auf § 20 Abs. 3 i.V.m. § 13 Abs. 1 Satz 1 GKG, wobei dem Begehren der Antragstellerin zu 1) ein Wert von 2.000,-- Euro (halber Auffangstreitwert) und demjenigen der Antragstellerin zu 2) ein Wert von 600,-- DM (3/10 von 2.000,-- Euro, analog § 83 b Abs. 2 Satz 3 AsylVfG) zugrunde zu legen ist.