Verwaltungsgericht Göttingen
Beschl. v. 16.09.2002, Az.: 3 A 3001/01

Beschluss des Prozessgerichts; Bevollmächtigter: Zuziehung; Erstattungsfähigkeit; Fachanwalt; förmliche Bevollmächtigung; hoher Schwierigkeitsgrad; interne Beratung; kleine Gemeinde; Kosten: Erstattungsfähigkeit; niedersächsisches Anschlussbeitragsrecht; ohne Rechtsamt; Rechtsanwaltsgebühr; Rechtsanwaltskosten: Erstattungsfähigkeit; Spezialisten; Vorverfahren: Kosten (Rechtsanwaltsgebühr); Widerspruchsbehörde: Beratung (Rechtsanwalt); Widerspruchsverfahren: Kosten (Rechtsanwaltsgebühr); wirtschaftliche Bedeutung

Bibliographie

Gericht
VG Göttingen
Datum
16.09.2002
Aktenzeichen
3 A 3001/01
Entscheidungsform
Beschluss
Referenz
WKRS 2002, 42110
Entscheidungsname
[keine Angabe]
ECLI
[keine Angabe]

Amtlicher Leitsatz

Leitsatz

Die interne Beratung einer Widerspruchsbehörde durch einen Rechtsanwalt ohne Tätigkeit nach außen aufgrund förmlicher Bevollmächtigung erfüllt nicht den Tatbestand der "Zuziehung eines Bevollmächtigten" im Sinne von § 162 Abs. 2 S. 2 VwGO.

Besteht die Zuständigkeit des Prozessgerichts nach § 162 Abs. 2 S. 2 VwGO mangels Bevollmächtigung nicht, wird dadurch den Aufwendungen für das Vorverfahren nicht von vornherein die Erstattungsfähigkeit abgesprochen. Vielmehr hat der Urkundsbeamte die Erstattungsfähigkeit der Rechtsanwaltskosten nach den allgemeinen Grundsätzen des § 162 Abs. 1 VwGO zu beurteilen.

Bei kommunalabgabenrechtlichen Widerspruchsverfahren von erheblicher Bedeutung und beträchtlicher Schwierigkeit kann es in Niedersachsen für eine Widerspruchsbehörde zur zweckentsprechenden Rechtsverteidigung im Sinne von § 162 Abs. 1 VwGO notwendig sein, sich durch einen auf das Kommunalabgabenrecht spezialisierten und in Fachkreisen allgemein anerkannten Fachanwalt vor Erlass der Widerspruchsentscheidung anwaltlich beraten zu lassen (hier bejaht für eine kleine niedersächsische Gemeinde ohne eigenes Rechtsamt).

Tenor:

Die Erinnerung der Klägerin gegen den Kostenfestsetzungsbeschluss des Urkundsbeamten der Geschäftsstelle vom 31.07.2002 wird zurückgewiesen.

Die Klägerin trägt die Kosten des Erinnerungsverfahrens.

Gründe

1

Der gemäß §§ 165, 151 VwGO zulässige Antrag auf Entscheidung des Gerichts, mit der sich die Klägerin gegen die Berücksichtigung von Auslagen des Beklagten im Widerspruchsverfahren (Kosten für die Einschaltung eines Fachanwaltes für Verwaltungsrecht) in Höhe von 1.253,69 Euro im Rahmen der Kostenausgleichung wendet, hat keinen Erfolg. Über den Antrag hat der Berichterstatter als Einzelrichter zu entscheiden (§ 87 a Abs. 1 Nr. 5 i.V.m. Abs. 3 VwGO), weil es sich um eine „Kostensache“ im Sinne dieser – weit auszulegenden – Vorschrift handelt (vgl. BVerwG, Beschluss vom 13.3.1995 – 4 A 1/92 –, NJW 1995, 2179; OVG Hamburg, Beschluss vom 2.5.1997 – Bs IV 223/96 –, NVwZ-RR 1998, 462).

2

Entgegen der Ansicht der Klägerin sind die strittigen Kosten, die dem Beklagten im Widerspruchsverfahren der Klägerin gegen seinen Wasserversorgungsbeitragsbescheid vom 9.8.1995 durch die Inanspruchnahme fachanwaltlicher Unterstützung ohne förmliche Bevollmächtigung des Fachanwaltes für Verwaltungsrecht Dr. K. entstanden sind, im Sinne von § 162 Abs. 1 VwGO zur zweckentsprechenden Rechtsverteidigung notwendige und daher erstattungsfähige Aufwendungen des Beklagten im Vorverfahren.

3

Bei den Aufwendungen für die Inanspruchnahme eines Fachanwaltes im Widerspruchsverfahren, der – wie hier – nicht förmlich mit der Wahrnehmung der Rechte des Beklagten bevollmächtigt wurde, handelt es sich nicht um Kosten, die durch die „Zuziehung eines Bevollmächtigten für das Vorverfahren“ im Sinne von § 162 Abs. 2 Satz 2 VwGO entstanden sind. Demzufolge ist die vorherige Bestimmung der Notwendigkeit der Zuziehung eines Bevollmächtigten durch Beschluss des Prozessgerichts gemäß § 162 Abs. 2 Satz 2 VwGO weder erforderlich noch kommt sie aus Rechtsgründen in Betracht. Wenn in einem Fall wie dem vorliegenden eine Zuständigkeit des Prozessgerichts nach § 162 Abs. 2 Satz 2 VwGO nicht begründet ist, so bedeutet dies entgegen der Ansicht der Klägerin nicht, dass den vom Beklagten im Kostenfestsetzungsverfahren angemeldeten Aufwendungen für das Widerspruchsverfahren gleichsam zwangsläufig die Erstattungsfähigkeit abzusprechen wäre. Vielmehr hat der Urkundsbeamte der Geschäftsstelle die Erstattungsfähigkeit der Aufwendungen für die unterstützende Tätigkeit des Rechtsanwalts im Widerspruchsverfahren nach den allgemeinen Grundsätzen des § 162 Abs. 1 VwGO („zur zweckentsprechenden Rechtsverteidigung notwendige Aufwendungen“ des Beklagten „im Vorverfahren“) zu beurteilen (vgl. Schmidt in: Eyermann, VwGO, 11. Aufl. 2000, § 162 Rdn. 12 a.E.; Olbertz in: Schoch/Schmidt-Aßmann/Pietzner, VwGO, Stand: Januar 2002, § 162 Rdn. 63; BVerwG, Urteil vom 18.4.1988 – 6 C 41.85 –, NVwZ 1988, 721/723; OVG Münster, Beschluss vom 14.4.1988 – 3 B 708/86 –, NVwZ-RR 1989, 53/54). Die Aufwendungen für einen im Widerspruchsverfahren nicht förmlich bevollmächtigten Rechtsanwalt dürfen im Verfahren der Kostenfestsetzung prinzipiell nur dann – aber dann auch immer – jedenfalls dem Grunde nach als zur zweckentsprechenden Rechtsverteidigung notwendig anerkannt werden, wenn im Falle einer förmlichen Bevollmächtigung eines Rechtsanwaltes gemäß § 162 Abs. 2 Satz 2 VwGO die Zuziehung eines Rechtsanwaltes für notwendig hätte erklärt werden müssen. Die Geltendmachung derartiger, im Sinne von § 162 Abs. 1 wie auch § 162 Abs. 2 Satz 2 VwGO notwendiger Aufwendungen ist niemals rechtsmissbräuchlich, unabhängig davon, ob der von dem Beteiligten in Anspruch genommene Rechtsanwalt förmlich als Bevollmächtigter bestellt worden war oder diesen lediglich beraten bzw. unterstützt hat (vgl. BVerwG, Urteil vom 18.4.1988, aaO S. 723). Die Notwendigkeit zur Zuziehung eines Rechtsanwalts bestimmt sich danach, welche Anforderungen in dem konkreten Fall eine – zweckentsprechende – Rechtsverteidigung gestellt hat. Ausgangspunkt der rechtlichen Beurteilung ist damit die Schwierigkeit der Sache, die unter Berücksichtigung der Sachkunde und der Verhältnisse des Beklagten als der damaligen Widerspruchsbehörde festzustellen ist (vgl. BVerwG, Urteil vom 24.5.2000 – 7 C 8.99 –, JurBüro 2000, 650/651). Dabei sind an die Notwendigkeit der Einschaltung eines Rechtsanwaltes durch die Ausgangsbehörde selbst in kommunalabgabenrechtlichen Widerspruchsverfahren, in denen „typischerweise schwierige Sach- und Rechtsfragen auftreten, die nur eine mit dieser Materie vertraute rechtskundige Person übersehen und (zuverlässig) beantworten kann“ (BVerwG, Urteil vom 15.2.1991 – 8 C 83.88 –, NVwZ 1992, 669/670), hohe Anforderungen zu stellen, da die Ausgangsbehörde in aller Regel über ausreichenden juristischen Sachverstand verfügen dürfte (vgl. VGH Mannheim, Beschluss vom 7.11.1995 – 2 S 2591/95 –; Beschluss vom 17.8.1992 – 5 S 1665/92 –, NVwZ-RR 1993, 111; Pietzner/Ronellenfitsch, Das Assessorexamen im Öffentlichen Recht, 10. Aufl. 2000, § 46 Rdn. 19, S. 525).

4

Nach diesen Grundsätzen war im vorliegenden Einzelfall die Einschaltung des Fachanwalts für Verwaltungsrecht und ausgewiesenen Spezialisten des niedersächsischen Anschlussbeitragsrechts Dr. K. (vgl. dessen Kommentierung „Besonderheiten des Anschlussbeitragsrechts in Niedersachsen und Sachsen-Anhalt“ , § 8 Rdn. 950 ff., in: Driehaus, Kommunalabgabenrecht, Stand: März 2002) durch den Beklagten für den Erlass des Widerspruchsbescheides nach Überzeugung des Gerichts ausnahmsweise notwendig. Dies beruht zum einen auf der als hoch einzuschätzenden Schwierigkeit der im Widerspruchsverfahren aufgeworfenen Fragen. Dafür spricht augenfällig schon der Umstand, dass das Gericht in seinem von den Beteiligten angenommenen Vergleichsvorschlag (Beschluss vom 21.1.2002, Ziffer 3 Satz 3) dem bevollmächtigten Rechtsanwalt der Klägerin für das Widerspruchsverfahren nicht nur eine hälftige Geschäftsgebühr, sondern – völlig atypischerweise – zusätzlich auch noch eine hälftige Besprechungsgebühr zugebilligt hat. Zum anderen hatte der Rechtsstreit mit einem Streitwert im Widerspruchsverfahren von fast 220.000,-- DM (entspricht über 112.000,-- Euro) ganz erhebliche wirtschaftliche Bedeutung, die bei einer kleinen Kommune wie dem Beklagten den Rahmen des anschlussbeitragsrechtlich „Üblichen“ völlig sprengte. Unter solchen außergewöhnlichen Umständen konnte einer kleinen niedersächsischen Kommune ohne eigenes Rechtsamt, die – anders als eine vergleichbare Kommune in Baden-Württemberg und Bayern (vgl. § 73 Abs. 1 Satz 2 Nr. 3 letzter Halbs. VwGO i.V.m. §§ 8, 9 BWAGVwGO bzw. Art. 119 Nr. 1 BayGO) – nicht nur als Ausgangs-, sondern gleichzeitig auch als Widerspruchsbehörde gemäß § 73 Abs. 1 Satz 2 Nr. 3 Halbs. 1 VwGO tätig zu werden hatte, entgegen der Ansicht der Klägerin nicht verwehrt werden, zur Vorbereitung des Erlasses des Widerspruchsbescheides externen Sachverstand in Anspruch zu nehmen, wenn sie sich bei einer Streitsache mit noch nicht abzusehenden rechtlichen und wirtschaftlichen Konsequenzen von einer Vertretung durch einen unabhängigen Fachanwalt für Verwaltungsrecht und anerkannten Beitragsrechtsspezialisten und der damit verbundenen aus einer objektiv größeren Distanz heraus erfolgenden Beratung höhere Erfolgsaussichten versprach (vgl. auch BVerwG, Urteil vom 24.5.2000, aaO. S. 651, wo selbst bei einer Wohnung- und Baugesellschaft mit eigener, aus sechs Juristen bestehender Rechtsabteilung die Notwendigkeit der Zuziehung eines Rechtsanwaltes als notwendig angesehen wurde). Ziffer 3 Satz 3 des gerichtlichen Vergleichs steht dem nicht entgegen, da hier Vorverfahrenskosten des Beklagten von der Kostenausgleichung nicht ausgeschlossen sind.

5

Entgegen der Ansicht der Klägerin ist auch die Höhe der dem Beklagten im Widerspruchsverfahren entstandenen, im Sinne von § 162 Abs. 1 VwGO dem Grunde nach notwendigen Auslagen nicht unangemessen. Soweit Rechtsanwalt Dr. K. in seiner Kostenrechnung vom 21.11.2000 für die Fertigung eines überarbeiteten Entwurfs für den zu erteilenden Widerspruchsbescheid eine 7,5/10-Gebühr aus 219.140,28 DM in Höhe von 2.073,89 DM zuzüglich Auslagen gemäß § 26 BRAGO in Höhe von 40,-- DM und 16 % Umsatzsteuer gemäß § 25 Abs. 2 BRAGO in Höhe von 338,21 DM, insgesamt also 2.452,01 DM (entspricht 1.253,69 Euro), angesetzt hat, ist dagegen aus Rechtsgründen nichts zu erinnern. Selbst wenn für das Tätigwerden von Rechtsanwalt Dr. K. eine Geschäftsgebühr nach § 118 Abs. 1 Nr. 1 BRAGO in Höhe von 7,5/10 nicht entstanden sein sollte, konnte – wie der Urkundsbeamte der Geschäftsstellen in rechtlich nicht zu beanstandender Weise annimmt – angesichts des überdurchschnittlich schwierigen und wirtschaftlich besonders bedeutsamen Widerspruchsverfahrens sowie des Umfangs der Tätigkeit des Anwalts des Beklagten – die mindestens derjenigen des Prozessbevollmächtigten der Klägerin gleichkommt – jedenfalls eine Beratungsgebühr nach § 20 Abs. 1 Satz 1 BRAG in Höhe von 7,5/10 in Rechnung gestellt und im Kostenfestsetzungsverfahren im Rahmen der Kostenausgleichung als notwendig im Sinne von § 162 Abs. 1 VwGO berücksichtigt werden.

Sonstiger Langtext

6

Anmerkung:

7

Die Beschwerde der Klägerin gegen den vorstehenden Beschluss blieb erfolglos (Nds. OVG, Beschluss vom 7.1.2003 – 9 OA 444/02 –).