Oberlandesgericht Celle
Beschl. v. 09.02.2010, Az.: 1 Ws 37/10
Neufassung des Rechts der Untersuchungshaft; Konkurrierende Gesetzgebung; Nichtanwendbarkeit des § 119 Strafprozessordnung (StPO) auf Niedersachsen
Bibliographie
- Gericht
- OLG Celle
- Datum
- 09.02.2010
- Aktenzeichen
- 1 Ws 37/10
- Entscheidungsform
- Beschluss
- Referenz
- WKRS 2010, 10501
- Entscheidungsname
- [keine Angabe]
- ECLI
- ECLI:DE:OLGCE:2010:0209.1WS37.10.0A
Verfahrensgang
- vorgehend
- LG Hildesheim - AZ: 26 KLs 19 Js 30791/09
Rechtsgrundlagen
Fundstellen
- StV 2010, 194-197
- StV 2010, 258
- ZfStrVo 2010, 300-304
Amtlicher Leitsatz
Anordnungen zur Ausgestaltung der Untersuchungshaft richten sich in Niedersachsen nach den Vorschriften der §§ 135 ff NJVollzG. Die Vorschrift des § 119 StPO i.d.F. vom 29. Juli 2009 findet in Niedersachsen für den Bereich der Untersuchungshaft keine Anwendung.
Tenor:
Der angefochtene Beschluss wird auf Kosten der Landeskasse, die auch die notwendigen Auslagen des Angeschuldigten trägt, aufgehoben.
Gründe
I.
1. Dem Senat liegen eine Reihe gleichartiger Beschwerden der Staatsanwaltschaft Hildesheim gegen Beschlüsse der Strafkammern 1 und 16 des Landgerichts Hildesheim zur Entscheidung vor, in denen die Kammern Einzelanordnungen zur Regelung der Untersuchungshaft auf der Grundlage des§ 119 Abs. 1 StPO n.F. getroffen haben.
2. Im vorliegenden Verfahren befindet sich der Angeschuldigte aufgrund des Haftbefehls des Amtsgerichts Hildesheim vom 14. Oktober 2009 (Az.: 31 Gs 843/09) in der Fassung des Haftbefehls des Landgerichts Hildesheim vom 24. November 2009 in Untersuchungshaft in der Justizvollzugsanstalt S.
Dem Angeschuldigten wird in dem Haftbefehl und der nachfolgenden Anklageschrift der Staatsanwaltschaft Hildesheim vom 31. Oktober 2009 zur Last gelegt, er habe vom 13. Juli 2009 bis zum 9. September 2009 gemeinschaftlich handelnd mit V. E. und J. E. in D. eine sog. Indoor-Anlage zur Aufzucht von Cannabispflanzen zum Herstellen und Vertreiben von Marihuana betrieben. Der Haftbefehl ist auf den Haftgrund der Fluchtgefahr gemäß § 112 Abs. 2 Ziff. 2 StPO gestützt.
3. Anlässlich des Inkrafttretens des vom Bundesgesetzgeber erlassenen Gesetzes zur Änderung des Untersuchungshaftrechts vom 29. Juli 2009 zum 1. Januar 2010 hat das Landgericht Hildesheim dem Angeschuldigten mit Beschluss vom 4. Januar 2010 auf der Grundlage des § 119 Abs. 1 und 2 StPO n.F. verschiedene Beschränkungen auferlegt. Im Einzelnen wurde beschlossen:
- Der Empfang von Besuch bedarf der Erlaubnis und ist optisch und akustisch zu überwachen;
- Telekommunikation bedarf ebenfalls der Erlaubnis und ist zu überwachen.
- der Schrift- und Paketverkehr sind zu überwachen;
- die Übergabe von Gegenständen - außer Zigaretten und Süßwaren in zum alsbaldigen Genuss üblichen Mengen - bedarf der Erlaubnis;
- der Angeschuldigte ist von dem Mitangeschuldigten E. zu trennen;
- er ist bei Ausgang/Überstellung zu fesseln und eine Ausantwortung bedarf der Zustimmung des Gerichts.
Mit Ausnahme der Überwachung des Schrift- und Paketverkehrs sowie der Erlaubniserteilung für den Empfang von Besuch und die Telekommunikation und der Zustimmung zur Ausantwortung wurde die Ausführung der Anordnungen widerruflich auf die Staatsanwaltschaft Hildesheim übertragen. Die Ausführung der übrigen Anordnungen obliegt dem Gericht.
Weiter wurde auch bestimmt, dass die angeordneten Beschränkungen auch für den Fall gelten, wenn gemäß § 116b StPO andere freiheitsentziehende Maßnahmen der Vollstreckung der Untersuchungshaft vorgehen.
4. Die Staatsanwaltschaft Hildesheim hat gegen den Beschluss des Landgerichts Hildesheim vom 4. Januar 2010 am 8. Januar 2010 (Eingang: 12. Januar 2010) Beschwerde eingelegt. Sie ist der Ansicht, dass den Anordnungen in dem angefochtenen Beschluss die Regelungen des Niedersächsischen Justizvollzugsgesetzes (NJVollzG) entgegenstehen, und beantragt, den Beschluss aufzuheben.
5. Die Kammer hat der Beschwerde nicht abgeholfen und die Sache dem Oberlandesgericht Celle zur Entscheidung vorgelegt. Im Nichtabhilfebeschluss vom 13. Januar 2010 führt das Landgericht aus, dass seit dem 1. Januar 2010 allein § 119 StPO n.F. anwendbar sei; das NJVollzG finde dagegen keine Anwendung mehr.
Das Landgericht hält eine Bundesgesetzgebungskompetenz für § 119 StPO n.F. für gegeben, denn der Befugnis aus Art. 74 Abs. 1 Nr. 1 GG würden im Bereich der Untersuchungshaft alle Aspekte unterfallen, die in direktem Zusammenhang mit dem Grund für die Anordnung der Untersuchungshaft stehen, d.h. unmittelbar die Haftgründe betreffen. Dieses treffe hinsichtlich der vorgenommenen Anordnungen zu, denn diese sollten die ordnungsgemäße Durchführung eines etwaigen staatlichen Strafanspruchs sicherstellen und dienten nicht einem geordneten Vollzug der Untersuchungshaft im Sinne eines geordneten und störungsfrei funktionierenden Lebensalltages der Betroffenen in der Anstalt.
Die Regelungen der §§ 137 f., 143 ff. NJVollzG seien mit dem 1. Januar 2010 unanwendbar geworden, da der Bundesgesetzgeber nun von der ihm zustehenden konkurrierenden Gesetzgebungsbefugnis Gebrauch gemacht habe, so dass die Länder insoweit nicht mehr regelungsberechtigt seien.
Eine Vorlagepflicht an das Bundesverfassungsgericht verneint das Landgericht Hildesheim, da es von der Rechtmäßigkeit des § 119 StPO n.F. überzeugt ist und es sich bei den nun keine Anwendung mehr findenden Normen des NJVollzG um ursprünglich verfassungskonform erlassene Gesetze handele, die allein deswegen obsolet geworden seien, weil der Bundesgesetzgeber von einer ihm zustehenden konkurrierenden Gesetzgebungszuständigkeit Gebrauch gemacht habe.
6. Die Generalstaatsanwaltschaft Celle hat zu der Beschwerde Stellung genommen. Sie hält die Beschwerde für zulässig und begründet. Durch die Föderalismusreform habe der Bundesgesetzgeber die Zuständigkeit für den Untersuchungshaftvollzug an die Länder verloren. Das Land Niedersachsen habe von seiner Gesetzgebungsbefugnis durch das NJVollzG Gebrauch gemacht. Der Begriff des Untersuchungshaftvollzuges umfasse das "Wie" der Haft; es gelte ein weiter Begriff des "Rechts des Untersuchungshaftvollzuges", der auch Maßnahmen aufgrund des Zwecks der Untersuchungshaft umfasse, und nicht nur Maßnahmen zur Aufrechterhaltung der Sicherheit und Ordnung in der Justizvollzugsanstalt. Dem Landesgesetzgeber obliege damit die Regelung aller Rechtseingriffe, die einen Beschuldigten wegen und während seiner strafprozessualen Freiheitsentziehung treffen oder treffen können.
Der angefochtene Beschluss verkenne, dass in Niedersachsen ausschließlich die Vorschriften des NJVollzG und nicht §§ 119, 119a StPO n.F. gelten würden. Er sei daher aufzuheben.
II.
Hintergrund der Verfahren ist die durch Gesetz zur Änderung des Grundgesetzes vom 28. August 2006 (BGBl. I 2863) im Zuge der sog. Föderalismusreform erfolgte Änderung des Art. 74 Abs. 1 Nr. 1 GG, durch die "das Recht des Untersuchungshaftvollzugs" ausdrücklich aus der dem Bund verbleibenden konkurrierenden Gesetzgebungskompetenz für das "gerichtliche Verfahren" ausgenommen worden ist.
Das Land Niedersachsen hat daraufhin das Niedersächsische Justizvollzugsgesetz - NJVollzG - vom 14. Dezember 2007 erlassen (Nds. GVBl. Nr. 41/2007 S. 720), das u.a. Regelungen der Ausgestaltung der Untersuchungshaft enthält.
Die hier maßgeblichen Vorschriften des 5. Teils lauten:
§ 134
Zuständigkeiten
(1) 1 Die Vollzugsbehörde ist für alle im Vollzug der Untersuchungshaft zu treffenden Entscheidungen und sonstigen Maßnahmen zuständig, soweit nicht die Zuständigkeit des Gerichts vorgesehen ist. 2 Das Gericht kann sich in jeder Lage des Strafverfahrens durch schriftliche Erklärung gegenüber der Vollzugsbehörde die Zuständigkeit für in deren Zuständigkeit fallende Entscheidungen und sonstige Maßnahmen allgemein oder im Einzelfall widerruflich vorbehalten.
(2) Soweit in den Vorschriften dieses Teils nichts anderes bestimmt ist, ist das Gericht zuständig für Entscheidungen und sonstige Maßnahmen, die der Abwehr einer Verdunkelungsgefahr dienen.
(3) 1 Das Gericht kann, soweit es für Entscheidungen und sonstige Maßnahmen nach den Vorschriften dieses Teils zuständig ist, seine Zuständigkeit bis zur Erhebung der öffentlichen Klage ganz oder teilweise schriftlich und widerruflich auf die Staatsanwaltschaft übertragen. 2 In den Fällen des Absatzes 1 Satz 2 ist eineÜbertragung ausgeschlossen.
(4) 1 Die Staatsanwaltschaft kann sich, soweit ihr die Zuständigkeit nach Absatz 3 übertragen wurde, zur Durchführung von Maßnahmen der Hilfe der Ermittlungspersonen der Staatsanwaltschaft bedienen. 2 Die Ermittlungspersonen unterliegen insoweit den Weisungen der Staatsanwaltschaft. 3 Die von ihnen getroffenen Maßnahmen gelten als solche der Staatsanwaltschaft.
(5) 1 Das Gericht kann, soweit es für Entscheidungen und sonstige Maßnahmen nach den Vorschriften dieses Teils zuständig ist, seine Zuständigkeit in jeder Lage des Strafverfahrens ganz oder teilweise schriftlich und widerruflich auf die Vollzugsbehörde übertragen, soweit dies der Zweck der Untersuchungshaft zulässt. 2 EineÜbertragung der Zuständigkeit nach Satz 1 bedarf der widerruflichen Zustimmung der Vollzugsbehörde.
(6) 1 In dringenden Fällen kann die Staatsanwaltschaft oder die Vollzugsbehörde vorläufige Entscheidungen und sonstige Maßnahmen treffen. 2 Diese bedürfen der unverzüglichen Genehmigung der zuständigen Stelle.
§§ 134a - 134b ....
§ 135
Rechtsstellung der Gefangenen
(1) Gefangene gelten als unschuldig.
(2) Soweit dieses Gesetz eine besondere Regelung nicht enthält, können der oder dem Gefangenen über § 3 Satz 2 hinaus Beschränkungen auferlegt werden, die der Zweck der Untersuchungshaft erfordert.
(3) 1 Wird Untersuchungshaft zum Zwecke der Vollstreckung einer anderen freiheitsentziehenden Maßnahme unterbrochen oder wird gegen eine Gefangene oder einen Gefangenen oder eine Sicherungsverwahrte oder einen Sicherungsverwahrten in anderer Sache Untersuchungshaft angeordnet, so unterliegt die oder der Gefangene oder die oder der Sicherungsverwahrte auch den in diesem Teil vorgesehenen Beschränkungen, die der Zweck der Untersuchungshaft erfordert; die erforderlichen Entscheidungen und sonstigen Maßnahmen trifft die nach den Vorschriften dieses Teils zuständige Stelle. 2 § 148 Abs. 2 und § 148 a StPO sind anzuwenden.
§§ 136 - 139 ...
Drittes Kapitel
Verhinderung von Kontakten, Unterbringung, Kleidung und Einkauf
§ 140
Verhinderung von Kontakten
Die Vollzugsbehörde hat zu verhindern, dass die oder der Gefangene mit anderen Gefangenen und Sicherungsverwahrten in Verbindung treten kann, die der Täterschaft, Teilnahme, Begünstigung, Strafvereitelung oder Hehlerei bezüglich derselben Tat verdächtigt werden oder bereits abgeurteilt worden sind oder als Zeugen in Betracht kommen; Ausnahmen bedürfen der Zustimmung des Gerichts.
§ 141
Unterbringung
(1) 1 Die oder der Gefangene wird während der Ruhezeit allein in ihrem oder seinem Haftraum untergebracht. 2 Mit ihrer oder seiner Zustimmung kann die oder der Gefangene auch gemeinsam mit anderen Gefangenen untergebracht werden, wenn eine schädliche Beeinflussung nicht zu befürchten ist. 3 Ohne Zustimmung der betroffenen Gefangenen ist eine gemeinsame Unterbringung zulässig, sofern eine oder einer von ihnen hilfsbedürftig ist oder für eine oder einen von ihnen eine Gefahr für Leben oder Gesundheit besteht. 4 Darüber hinaus ist eine gemeinsame Unterbringung nur vorübergehend aus zwingenden Gründen zulässig.
(2) Der oder dem Gefangenen wird Gelegenheit gegeben, sich außerhalb der Ruhezeit in Gemeinschaft mit anderen Gefangenen aufzuhalten.
(3) Soweit es der Zweck der Untersuchungshaft oder die Sicherheit oder Ordnung der Anstalt erfordert, kann der gemeinschaftliche Aufenthalt außerhalb der Ruhezeit ausgeschlossen oder eingeschränkt werden.
§ 142
Ausstattung des Haftraums und persönlicher Besitz, Kleidung und Einkauf
(1) Die oder der Gefangene darf ihren oder seinen Haftraum in angemessenem Umfang mit eigenen Sachen ausstatten, die ihr oder ihm mit Zustimmung oder auf Vermittlung der Vollzugsbehörde überlassen worden sind.
(2) Die oder der Gefangene darf eigene Kleidung, eigene Wäsche und eigenes Bettzeug benutzen, wenn sie oder er für Reinigung und Instandsetzung auf eigene Kosten sorgt; anderenfalls erhält sie oder er Kleidung, Wäsche oder Bettzeug von der Vollzugsbehörde.
(3) 1 Die oder der Gefangene kann sich aus einem von der Vollzugsbehörde vermittelten Angebot regelmäßig in angemessenem Umfang Nahrungs- und Genussmittel sowie Gegenstände des persönlichen Bedarfs kaufen. 2 Die Ausgaben für Einkäufe sollen monatlich den 30-fachen Tagessatz der Eckvergütung (§ 152 Abs. 3 Satz 2) nichtübersteigen. 3 Es soll für ein Angebot gesorgt werden, das auf Wünsche und Bedürfnisse der Gefangenen Rücksicht nimmt.
(4) 1 Soweit es der Zweck der Untersuchungshaft oder die Sicherheit oder Ordnung der Anstalt erfordert, können
1. die Rechte aus Absatz 1 eingeschränkt,
2. die Rechte aus Absatz 2 ausgeschlossen oder eingeschränkt und
3. Gegenstände vom Einkauf ausgeschlossen werden. 2 § 24 Abs. 2 Satz 2 gilt entsprechend.
Viertes Kapitel
Besuche, Schriftwechsel, Telefongespräche und Pakete
§ 143
Recht auf Besuch, Zulassung
(1) Zum Besuch bei der oder dem Gefangenen wird nur zugelassen, wer über eine Besuchserlaubnis verfügt; im Übrigen gilt für das Recht der oder des Gefangenen auf Besuch § 25 Abs. 1 und 2 entsprechend.
(2) 1 Über die Besuchserlaubnis entscheidet das Gericht. 2 Es kann die Besuchserlaubnis versagen oder von der Befolgung von Weisungen abhängig machen, wenn es der Zweck der Untersuchungshaft oder die Sicherheit oder Ordnung der Anstalt erfordert. 3 Bei nachträglichem Eintreten oder Bekanntwerden solcher Umstände kann das Gericht die Besuchserlaubnis ganz oder teilweise widerrufen oder zurücknehmen. 4 Auch bei Vorliegen einer Besuchserlaubnis kann die Vollzugsbehörde den Besuch einer Person zur Aufrechterhaltung der Sicherheit oder Ordnung der Anstalt von ihrer Durchsuchung abhängig machen und die Zahl der gleichzeitig zu einem Besuch zugelassenen Personen beschränken; insoweit findet § 134 Abs. 1 Satz 2 keine Anwendung.
§ 144
Überwachung von Besuchen
(1) 1 Besuche dürfen offen überwacht werden. 2 Die akustische Überwachung ist nur zulässig, wenn dies im Einzelfall wegen des Zwecks der Untersuchungshaft oder zur Aufrechterhaltung der Sicherheit oder Ordnung der Anstalt erforderlich ist. 3 § 28 Abs. 2 gilt entsprechend.
(2) 1 Abweichend von § 134 Abs. 5 Satz 1 ist dieÜbertragung der Zuständigkeit für die Entscheidung über die akustische Überwachung zur Abwehr einer Verdunkelungsgefahr auf die Vollzugsbehörde ausgeschlossen. 2 Wird die Durchführung der akustischen Überwachung zur Abwehr einer Verdunkelungsgefahr auf die Vollzugsbehörde übertragen, so hat das Gericht dieser zuvor schriftlich mitzuteilen, auf welche Umstände bei der Überwachung besonders zu achten ist.
(3) Die Kosten für Übersetzungsdienste und Sachverständige, die zur Überwachung hinzugezogen werden,übernimmt die Staatskasse nur in angemessenem Umfang.
(4) 1 Gegenstände dürfen beim Besuch nur mit Erlaubnis der Vollzugsbehörde, die der Zustimmung des Gerichts bedarf,übergeben werden. 2 Die Erlaubnis zur Übergabe von Nahrungs- und Genussmitteln in geringer Menge bedarf nicht der Zustimmung des Gerichts; die Vollzugsbehörde kann anordnen, dass die Nahrungs- und Genussmittel durch ihre Vermittlung beschafft werden.
(5) 1 Ein Besuch darf nach vorheriger Androhung abgebrochen werden, wenn
1. aufgrund des Verhaltens der Besucherinnen oder Besucher oder der oder des Gefangenen eine Gefährdung des Zwecks der Untersuchungshaft droht oder
2. Besucherinnen oder Besucher oder die oder der Gefangene gegen die Vorschriften dieses Gesetzes oder die aufgrund dieses Gesetzes getroffenen Anordnungen verstoßen.2 Der Besuch kann sofort abgebrochen werden, wenn dies unerlässlich ist, um den Zweck der Untersuchungshaft zu gewährleisten oder eine Gefahr für die Sicherheit der Anstalt oder einen schwer wiegenden Verstoß gegen die Ordnung der Anstalt abzuwehren. 3 Über den Abbruch des Besuchs entscheidet die Stelle, die dieÜberwachung durchführt; insoweit findet § 134 Abs. 1 bis 5 keine Anwendung.
§ 145
Recht auf Schriftwechsel
(1) 1 Die oder der Gefangene hat das Recht, Schreiben abzusenden und zu empfangen. 2 In dringenden Fällen kann der oder dem Gefangenen gestattet werden, Schreiben als Telefaxe aufzugeben.
(2) 1 Die Kosten des Schriftverkehrs trägt die oder der Gefangene. 2 Bei einer oder einem bedürftigen Gefangenen kann die Vollzugsbehörde auf Antrag Kosten ganz oder teilweiseübernehmen.
§ 146
Überwachung des Schriftwechsels
(1) 1 Der Schriftwechsel wird überwacht. 2 § 30 Abs. 3 gilt entsprechend.
(2) 1 Die oder der Gefangene hat Absendung und Empfang ihrer oder seiner Schreiben durch die Vollzugsbehörde vermitteln zu lassen. 2 Diese leitet die Schreiben unverzüglich an die für die Überwachung ihres gedanklichen Inhalts (Textkontrolle) zuständige Stelle weiter; die Vollzugsbehörde darf von dem gedanklichen Inhalt der Schreiben keine Kenntnis nehmen.
(3) Die Textkontrolle wird vom Gericht durchgeführt; § 134 Abs. 4 und 5 findet keine Anwendung.
(4) Die Kosten für Übersetzungsdienste und Sachverständige, die zur Überwachung hinzugezogen werden,übernimmt die Staatskasse nur in angemessenem Umfang.
§ 147
Anhalten von Schreiben
(1) 1 Schreiben können vom Gericht angehalten werden, soweit es der Zweck der Untersuchungshaft oder die Sicherheit oder Ordnung einer Anstalt erfordert; § 134 Abs. 5 findet keine Anwendung. 2 Im Übrigen gilt § 32 Abs. 1 Nrn. 2 bis 6 entsprechend. 3 Wird ein Schreiben nicht angehalten, so ist es unverzüglich weiterzuleiten.
(2) 1 Ist ein Schreiben angehalten worden, so wird das der oder dem Gefangenen mitgeteilt. 2 Hiervon kann solange abgesehen werden, wie es der Zweck des Untersuchungshaft oder die Sicherheit oder Ordnung der Anstalt erfordert.
(3) Angehaltene Schreiben werden an die Absender zurückgegeben oder von der anhaltenden Stelle verwahrt, sofern eine Rückgabe unmöglich oder nicht geboten ist.
§ 148
Telefongespräche
(1) 1 Die oder der Gefangene kann mit Erlaubnis der Vollzugsbehörde, die der Zustimmung des Gerichts bedarf, Telefongespräche durch Vermittlung der Vollzugsbehörde führen. 2 Die Erlaubnis kann versagt werden, wenn der Zweck der Untersuchungshaft, die Sicherheit, die Ordnung oder die räumlichen, personellen oder organisatorischen Verhältnisse der Anstalt es erfordern.
(2) 1 Die Erlaubnis kann unter den in Absatz 1 Satz 2 genannten Voraussetzungen von der Befolgung von Weisungen abhängig gemacht werden. 2§ 143 Abs. 2 Satz 3, § 144 Abs. 1 Satz 2, Abs. 2, 3 und 5, § 145 Abs. 2 sowie § 33 Abs. 1 Sätze 3 und 4 und Abs. 4 gelten entsprechend.
Mit dem Gesetz zur Änderung des Untersuchungshaftrechts vom 29. Juli 2009 (BGBl. I 2274) hat der Bund § 119 StPO mit Wirkung vom 1. Januar 2010 neu gefasst.
Die Regelung hat nunmehr folgenden Wortlaut:
§ 119
(1) Soweit dies zur Abwehr einer Flucht-, Verdunkelungs- oder Wiederholungsgefahr (§§ 112, 112a) erforderlich ist, können einem inhaftierten Beschuldigten Beschränkungen auferlegt werden. Insbesondere kann angeordnet werden, dass
1. der Empfang von Besuchen und die Telekommunikation der Erlaubnis bedürfen,
2. Besuche, Telekommunikation sowie der Schrift- und Paketverkehr zu überwachen sind,
3. die Übergabe von Gegenständen bei Besuchen der Erlaubnis bedarf,
4. der Beschuldigte von einzelnen oder allen anderen Inhaftierten getrennt wird,
5. die gemeinsame Unterbringung und der gemeinsame Aufenthalt mit anderen Inhaftierten eingeschränkt oder ausgeschlossen werden.
Die Anordnungen trifft das Gericht. Kann dessen Anordnung nicht rechtzeitig herbeigeführt werden, kann die Staatsanwaltschaft oder die Vollzugsanstalt eine vorläufige Anordnung treffen. Die Anordnung ist dem Gericht binnen drei Werktagen zur Genehmigung vorzulegen, es sei denn, sie hat sich zwischenzeitlich erledigt. Der Beschuldigte ist über Anordnungen in Kenntnis zu setzen. Die Anordnung nach Satz 2 Nr. 2 schließt die Ermächtigung ein, Besuche und Telekommunikation abzubrechen sowie Schreiben und Pakete anzuhalten.
(2) Die Ausführung der Anordnungen obliegt der anordnenden Stelle. Das Gericht kann die Ausführung von Anordnungen widerruflich auf die Staatsanwaltschaft übertragen, die sich bei der Ausführung der Hilfe durch ihre Ermittlungspersonen und die Vollzugsanstalt bedienen kann. Die Übertragung ist unanfechtbar.
(3) Ist die Überwachung der Telekommunikation nach Absatz 1 Satz 2 Nr. 2 angeordnet, ist die beabsichtigte Überwachung den Gesprächspartnern des Beschuldigten unmittelbar nach Herstellung der Verbindung mitzuteilen. Die Mitteilung kann durch den Beschuldigten selbst erfolgen. Der Beschuldigte ist rechtzeitig vor Beginn der Telekommunikationüber die Mitteilungspflicht zu unterrichten.
(4) ....
(5) Gegen nach dieser Vorschrift ergangene Entscheidungen oder sonstige Maßnahmen kann gerichtliche Entscheidung beantragt werden, soweit nicht das Rechtsmittel der Beschwerde statthaft ist. Der Antrag hat keine aufschiebende Wirkung. Das Gericht kann jedoch vorläufige Anordnungen treffen.
(6) Die Absätze 1 bis 5 gelten auch, wenn gegen einen Beschuldigten, gegen den Untersuchungshaft angeordnet ist, eine andere freiheitsentziehende Maßnahme vollstreckt wird (§ 116b). Die Zuständigkeit des Gerichts bestimmt sich auch in diesem Fall nach § 126.
III.
Die Beschwerde der Staatsanwaltschaft Hildesheim ist zulässig und auch begründet.
1. Die Entscheidung des Senates hinsichtlich der Beschwerde der Staatsanwaltschaft Hildesheim hängt davon ab, ob die durch das Landgericht Hildesheim angeordneten Beschränkungen auf § 119 StPO n.F. gestützt werden können. Dies ist indessen nicht der Fall.
2. Seit der Föderalismusreform (2006) erstreckt sich die konkurrierende Gesetzgebungsbefugnis des Bundes nach Art. 74 Abs. 1 Nr. 1 GG auf das gerichtliche Verfahren (ohne das Recht des Untersuchungshaftvollzuges). Die Regelungsbefugnis für das Recht des Untersuchungshaftvollzuges fällt nach Art. 70 Abs. 1 GG daher in die ausschließliche Gesetzgebungskompetenz der Länder. Das Land Niedersachsen hat durch dasNJVollzG von dieser Gesetzgebungskompetenz Gebrauch gemacht. Das NJVollzG ist daher nach Art. 125 a Abs. 1 GG für Niedersachsen an die Stelle des zuvor geltenden Bundesrechts (u.a. § 119 StPO a.F.) getreten. Weiterreichende Neuerungen können ab dem Zeitpunkt ihres Kompetenzerwerbs nur noch die Länder einführen (Seiler in Epping/Hillgruber, GG Art. 125a Rn. 4). Ersetzen nur einzelne, nicht alle Bundesländer ein Bundesgesetz, gilt dieses für die übrigen Länder als partikulares Bundesrecht fort (Schnappauf in Seifert/Hömig GG 8. Aufl. Art. 125a Rn. 3; Degenhart in Sachs, GG 4. Aufl. Art. 125a Rn. 5).
Die nun mit § 119 StPO n.F. vom Bundesgesetzgeber erlassene Regelung für Beschränkungen des Untersuchungsgefangenen zur Abwehr der Haftgründe der §§ 112, 112a StPO gilt mithin in Niedersachsen nicht mehr für den Bereich der Untersuchungshaft, weil das Land insoweit von der ihm zustehenden Gesetzgebungskompetenz Gebrauch gemacht hat; allerdings ist § 119 StPO n.F. auch in Niedersachsen anzuwenden auf die Formen der Freiheitsentziehung, für die der Bund weiter die Gesetzgebungskompetenz hat und die mithin nicht im NJVollzG geregelt sind, nämlich nach § 126a Abs. 2 StPO auf die einstweilige Unterbringung in einem psychiatrischen Krankenhaus oder einer Entziehungsanstalt, nach § 275a Abs. 5 Satz 4 StPO auf die einstweilige Unterbringung in der Sicherungsverwahrung und nach § 77 Abs. 1 IRG auf die Auslieferungshaft.
3. Dieses Ergebnis folgt aus der Abgrenzung zwischen dem zur Bundesgesetzgebung zählenden Untersuchungshaftrecht und dem dem Landesgesetzgeber zustehenden Untersuchungshaftvollzugsrecht. In der Rechtsprechung und in der Rechtswissenschaft hat dieses Problem bislang nur wenig Beachtung gefunden.
Welche Regelungsbereiche im Einzelnen nach der Föderalismusreform 2006 noch dem Bund zustehen, und welche in die ausschließliche Gesetzgebungskompetenz der Länder übergegangen sind, wird - soweit ersichtlich - in der Kommentarliteratur zum Grundgesetz nicht vertieft problematisiert.
Allerdings findet sich zur Kennzeichnung derjenigen bundesgesetzlichen Vorschriften, die nach der Förderalismusreform nur noch gemäß Art. 125a Abs. 1 Satz 1 GG so lange als Bundesrecht fortgelten, bis sie durch jeweiliges Landesrecht ersetzt sind, die Erläuterung, dass hierunter "die Bestimmungen der StPO betreffend den Vollzug der Untersuchungshaft (vgl. insb. § 119 StPO)" fallen (so Niedobitek in Bonner Kommentar GG [Stand: Februar 2007] Art. 74 Abs. 1 Nr. 1 Rn. 19). Zum Teil wird die Reichweite der Kompetenzübertragung so umschrieben, dass damit "das gesamte Haftrecht den Ländern übertragen worden" sei (so Sannwald in Schmidt-Bleibtreu/Hofmann/Hopfauf, GG 11. Aufl. Art. 74 Rn. 44). Bei manchen findet keine Abgrenzung zwischen dem Untersuchungshaftrecht und dem Untersuchungshaftvollzugsrecht statt, sondern es wird nur festgestellt, dass insoweit die Länder zuständig sind (Schnappauf in Seifert/Hömig GG 8. Aufl. Art. 74 Rn. 2; Stettner in Dreier GG 2. Aufl. Art. 74 Rn. 25). Andere umschreiben das Untersuchungshaftvollzugsrecht als diejenigen Bestimmungen des Strafverfahrensrechts, die sich mit der Durchführung der Untersuchungshaft in ähnlicher Weise wie mit der Strafhaft befassen (Jarass/Pieroth GG 9. Aufl. Art. 70 Rn. 20; Degenhart in Sachs GG 4. Aufl. Art. 74 Rn. 20; Uhle in Maunz/Dürig GG [Stand Oktober 2008] Art. 70 Rn. 121). Schließlich findet sich die schlichte Feststellung, dass eine genaue Abgrenzung zwischen der Untersuchungshaft als Verfahrensbestandteil und ihrem Vollzug noch ausstehe (Seiler in Epping/Hillgruber GG Art. 74 Rn. 12; BeckOK GG [Stand: 1. November 2009] Art. 74 Rn. 11). Einigkeit besteht mithin in der Kommentarliteratur zum Grundgesetz insoweit, als dass das Recht des Untersuchungshaftvollzuges jedenfalls als Verfahrensrecht zu qualifizieren ist.
a) Zur Frage der Abgrenzung zwischen dem dem Bund obliegenden Untersuchungshaftrecht und dem den Ländern obliegenden Untersuchungshaftvollzugsrecht werden in der Rechtswissenschaft und der Rechtsprechung derzeit zwei Auffassungen vertreten.
aa) Zum Teil wird in der Literatur von einer weiten Auslegung des Begriffs "Untersuchungshaftvollzugsrecht" ausgegangen. Danach sind die Länder für sämtliche Entscheidungen und sonstige Maßnahmen im Untersuchungshaftvollzug zuständig, die nicht die Entscheidungüber die Zulässigkeit und Fortdauer der Untersuchungshaft an sich, sondern das "Wie" der Untersuchungshaft betreffen (Seebode HRRS 2008, 236, 241; ders.: ZfStrVo 2009, 7 ff.; Oppenborn/Schäfersküpper ZfStrVo 2009, 21 ff.; Winzer/Hupka DRiZ 2008, 146 ff. (148); Ahnert, Untersuchungshaftvollzug, S. 19). Diese Auffassung hat auch der niedersächsische Gesetzgeber seinemNJVollzG zugrunde gelegt (LT-Drs. 15/3565 S. 174; LT-Drs. 15/4325 S. 44). Auch der Regierungsentwurf des Landes Baden-Württemberg (abrufbar auf der Website www.justizministerium-baden-wuerttemberg.de) geht offenbar davon aus, dass die Gesetzgebungskompetenz für den Untersuchungshaftvollzug vollständig auf die Länder übergegangen ist, wenn auch das JVollzG BW vom 10. November 2009 (GVBl. 2009, 545) sich zur Vermeidung von Widersprüchen zu § 119 StPO n.F. darauf beschränkt, Regelungen zur Vollzugsgestaltung sowie zur Gewährleistung von Sicherheit und Ordnung in den Justizvollzugsanstalten zu treffen.
bb) Eine andere Auffassung geht dagegen von einer engen Auslegung des Begriffs "Untersuchungshaftvollzugsrecht" aus. Danach ist der Bundesgesetzgeber nach Art. 74 Abs. 1 Nr. 1 GG noch befugt, Regelungen zu treffen, die der Zweck der Untersuchungshaft erfordert, die mithin der Abwehr von Flucht-, Verdunkelungs- und Wiederholungsgefahren dienen (BeckOK StPO-Krauß [Stand: 1. Oktober 2009]§ 119 Rn. 1; Harms ZfStrVo 2009, 13 ff.,15; Kirschke/Brune ZfStrVo 2009, 18 ff.,18; Michalke NJW 2010, 17 ff.,17; Bittmann NStZ 2010, 13 ff.,14; Paeffgen StV 2009, 46 ff., 47/48, jedenfalls gegen Regelungsbefugnis der Länder für von § 119 StPO a.F. abweichende Zuständigkeitsverteilung); OLG Oldenburg, Nds. Rpfl. 2008, 81). Dieses Verständnis, nach dem dem Bund nicht nur die Regelung der Haftgründe, sondern auch die zu ihrer Sicherung erforderlichen Maßnahmen obliegen, liegt auch den gesetzlichen Vorschriften anderer Bundesländer zugrunde (vgl. etwa Bbg UVollzG vom 16. Juli 2009, GVBl I 2009, 271 mit LT-Drs. 4/7334, S. 72; Berliner UVollzG vom 3. Dezember 2009, GVBl 2009, 686; ThürUVollzG vom 8. Juli 2009, GVBl 2009, 553; MP UVollzG vom 17. Dezember 2009, GVBl. 2009, 763 mit LT-Drs. 5/2764; UVollzG NRW vom 7. Oktober 2009, GV NRW 2009, 540 mit LT-Drs. 14/8631, S. 37 ff; vgl. auch Regierungsentwurf des Landes Schleswig-Holstein vom 9. Juni 2009, Drs. 16/2726).
b) Die Auslegung des Art. 74 Abs. 1 Nr. 1 GG nach den allgemeinen Kriterien der Verfassungsinterpretation (vgl. Degenhart in Sachs GG Art. 70 Rn. 53) ergibt indessen, dass allein die erstgenannte Auffassung mit einem weiten Verständnis des Begriffs des Untersuchungshaftvollzuges überzeugen kann. Das Verständnis des Bundesgesetzgebers bezüglich der durch die Föderalismusreform auf die Länder übergegangenen Kompetenz vermag sich dagegen allein auf Zweckmäßigkeitsaspekte zu stützen; im Übrigen ist ein solches Verständnis mit Art. 74 Abs. 1 Nr. 1 GG aber nicht vereinbar.
aa) Ausgangspunkt jeder Auslegung ist die grammatikalische Auslegung, mithin die Wortlautanalyse. Der Begriff "Untersuchungshaftvollzug" existierte vor der Föderalismusreform im Grundgesetz nicht. Es ist deshalb davon auszugehen, dass der verfassungsändernde Gesetzgeber den Begriff so verstanden hat und verstanden wissen will, wie er ihn außerhalb der Verfassung im allgemeinen und juristischen Sprachgebrauch vorgefunden hat.
Der allgemeine Sprachgebrauch der Bevölkerung versteht unter Vollzug von Untersuchungshaft - in Anlehnung an den Begriff des Strafvollzugs - seit jeher alle hoheitlichen Maßnahmen, die einen Verdächtigen treffen, weil und solange er in einer Justizvollzugsanstalt eingesperrt ist, mithin insbesondere die Reglementierung und Überwachung von Besuchen, die Briefkontrolle und die erhebliche Erschwerung telefonischer Kontakte. Eine Unterscheidung zwischen Beschränkungen, die der Zweck der Untersuchungshaft erfordert, und sonstigen Maßnahmen im Zusammenhang mit der Einsperrung hat im allgemeinen Sprachgebrauch nie stattgefunden. Dieses Verständnis deckt sich mit dem historisch gewachsenen, aktuellen juristischen Sprachgebrauch (vgl. zum Ganzen ausführlich Seebode HRRS 2008, 236, 240, mit zahlreichen Nachweisen). Auch im juristischen Sprachgebrauch wurde zu keinem Zeitpunkt eine weitergehende Differenzierung der den Untersuchungshäftling zusätzlich zur Einsperrung an sich treffenden Eingriffe in der jetzt von den Vertretern der engen Begriffsauslegung befürworteten Art vorgenommen. Dies zeigt sich schon daran, dass es hierfür an einem - allgemein gebräuchlichen oder juristisch-fachspezifischen - Begriff fehlt. Dementsprechend sind bisher alle den Untersuchungshäftling zusätzlich treffenden und auf § 119 StPO a.F. gestützten Eingriffe - wenn auch nicht amtlich - mit "Vollzug der Untersuchungshaft" überschrieben und auch so verstanden worden. Hieran anknüpfend wird gerade der Regelungsbereich des § 119 StPO a.F. als Umschreibung des mit der Förderalismusreform auf die Länderübertragenen Kompetenzbereichs des Untersuchungshaftvollzugsrechts herangezogen (vgl. Niedobitek in Bonner Kommentar GG [Stand: Februar 2007] Art. 74 Abs. 1 Nr. 1 Rn. 19). Gleiches gilt für die in derUntersuchungshaftvollzugsordnung (UVollzO) benannten Maßnahmen. Auch sie wurden einheitlich dem Untersuchungshaftvollzugsrecht zugeordnet. Ebenso hat das BVerfG in früheren Entscheidungen - übereinstimmend mit dem allgemeinen und juristischen Sprachgebrauch - die Kontrolle von Postsendungen oder Besuchen von Untersuchungshäftlingen ausdrücklich dem Vollzug der Untersuchungshaft zugeordnet (BVerfGE 34, 369 ff., 370; 109, 190 ff., 213).
Die grammatikalische Auslegung spricht hiernach für ein weites Verständnis des Untersuchungshaftvollzugsrechts im Einklang mit dem allgemeinen und juristischen Sprachgebrauch.
bb) Auch die historische Auslegung des Art. 74 Abs. 1 Nr. 1 GG bestätigt die hier zugrunde gelegte Rechtsauffassung.
Von den Anhängern der engen Auslegung des Begriffs "Untersuchungshaftvollzugsrecht" (mit dem Ergebnis der Bejahung einer Bundeskompetenz zum Erlass des § 119 StPO n.F. im Bereich des Untersuchungshaftvollzugs) wird als Quelle für ihre Auffassung häufig allein auf die Gesetzesbegründung des Bundes zum Gesetz zur Änderung des Untersuchungshaftrechts (BT-Drs. 16/11644) verwiesen (BeckOK StPO-Krauß [Stand: 1. Oktober 2009]§ 119 Rn. 1; Bittmann NStZ 2010, 13 ff.,14, welcher allein auf die zitierte Stelle im BeckOK verweist).
Die Gesetzesbegründung zum Entwurf eines Gesetzes zurÄnderung des Untersuchungshaftrechts stellt fest, dass die Regelungskompetenz des Bundes auch Bestimmungen umfasse, die das Ziel haben, die ordnungsgemäße Durchführung des Strafverfahrens zu sichern, also Maßnahmen, die der Zweck der U-Haft erfordert. Nur die Frage, auf welche Art und Weise die U-Haft durchzuführen ist, sei in die Länderkompetenz übergegangen (BT-Drs. 16/13097 S. 1; BT-Drs. 16/11644 S. 1 und S. 12). Indessen lässt sich für die Auslegung des Art. 74 Abs. 1 Nr. 1 GG hieraus kein Anhaltspunkt gewinnen. Für diese ist nämlich allein der Wille des verfassungsändernden Gesetzgebers bezüglich einer Kompetenzabgrenzung relevant. Insoweit enthält die Gesetzesbegründung zur Änderung des Art. 74 Abs. 1 Nr. 1 GG aber keine Angaben; die Begründung des Gesetzentwurfs der Koalitionsfraktionen beschränkt sich auf die Feststellung, dass "die Kompetenzen für das Strafvollzugsrecht und den Untersuchungshaftvollzug ... den Ländernübertragen" werden (vgl. BT-Drs. 16/813 S. 12); der Bericht des Rechtsausschusses fügt dieser Begründung nichts hinzu (vgl. BT-Drs. 16/2069).
Es ist daher mangels entgegenstehender Angaben vielmehr davon auszugehen, dass der verfassungsändernde Gesetzgeber den Begriff "Untersuchungshaftvollzugsrecht" im Einklang mit dem allgemeinen Sprachgebrauch verwenden wollte.
Soweit in der Literatur vertreten wird (Paeffgen StV 2009, 46 ff., 48), es sei bei der Änderung des Art. 74 GG niemals gewollt gewesen, dem Haftrichter Zuständigkeiten zu entziehen, kann dem nicht gefolgt werden. Gerade auch die Berücksichtigung der Entstehungsgeschichte der Kompetenzübertragung im Rahmen der Föderalismusreform spricht für ein weites Verständnis des Begriffes des Untersuchungshaftvollzugsrechts. Obgleich schon lange Zeit vor der Verfassungsänderung Einigkeit herrschte, dass § 119 StPO a.F. und die bloße Verwaltungsvorschrift UVollzO den verfassungsrechtlichen Anforderungen an eine Ermächtigung für Grundrechtseingriffe nicht genügten, wurden diese Regelungen in Anbetracht mangelnder Alternativen akzeptiert. Denn eine Neuregelung der von § 119 StPO a.F. nur pauschal umschriebenen Aspekte ist nie zustande gekommen; alle dahingehenden Versuche sind daran gescheitert, dass insoweit keine Einigkeit (insbesondere mit dem Bundesrat) erzielt werden konnte (vgl. Seebode HRRS 2008, 236, 240 m. w. Nachw.).
Diese der Kompetenzübertragung vorausgegangene Geschichte spricht dafür, dass der Bund sich gerade dieser streitbeladenen Regelungsmaterie "entledigen" wollte; dementsprechend wurde die Übertragung dieser Gesetzgebungskompetenz auch als "vergiftetes Geschenk" des Bundes an die Länder bezeichnet (vgl. Niedobitek in Bonner KommentarGG [Stand: Februar 2007] Art. 74 Abs. 1 Nr. 1 Rn. 22 Fn. 44).
Die historische Auslegung steht deshalb ebenfalls mit einem weiten Verständnis des Begriffs "Untersuchungshaftvollzugsrecht" in Einklang.
cc) Die systematische Auslegung des Art. 74 Abs. 1 Nr. 1 GG unterstützt ebenfalls das dem NJVollzG zugrundegelegte Verständnis des Begriffes "Untersuchungshaftvollzug". Mit der vom verfassungsändernden Gesetzgeber gewählten Formulierung "das gerichtliche Verfahren (ohne das Recht des Untersuchungshaftvollzugs)" steht nämlich fest, dass "Untersuchungshaftvollzug" ein Teil des gerichtlichen Verfahrens ist (Degenhart NVwZ 2006, 1209 ff., 1213; ders. in Sachs GG 4. Aufl. Art. 74 Rn. 20; Jarass/Pieroth Art. 70 Rn. 20; Seiler in Epping/Hillgruber GG Art. 74 Rn. 12; Stettner in Dreier GG 2. Aufl. Art. 74 Rn. 29). Differenziert man aber mit den Befürwortern einer engen Auslegung des Begriffs "Untersuchungshaftvollzugsrecht" danach, dass dieses nur die Ausgestaltung der Untersuchungshaft in allgemeiner Weise bestimmt und die Gewährleistung von Sicherheit und Ordnung in der Anstalt umfasst, während Maßnahmen zur Sicherung des Ablaufs eines bestimmten Verfahrens an sich außen vorbleiben (so OLG Oldenburg aaO.), würde das Untersuchungshaftvollzugsrecht seinen konkreten Bezug zum gerichtlichen Verfahren verlieren. Es widerspricht indessen der Systematik der Norm, wenn man einem ausdrücklich als Teilgebiet des Verfahrensrechts bezeichneten Bereich das diesen Charakter erst begründende Merkmal, nämlich den Bezug zum einzelnen Verfahren, abspricht. Tatsächlich sind sowohl Untersuchungshaftrecht als auch Untersuchungshaftvollzugsrecht Unterfälle des Verfahrensrechts. Damit kommt aber auch beiden Begriffen ein Bezug zum konkreten Strafverfahren und der Zweck der Sicherung des Verfahrens zu (Seebode HRRS 2009, 236 ff., 238; Winzer/Hupka DRiZ 2008, 146 ff.,148).
Allein ein weites Verständnis des Begriffs des "Untersuchungshaftvollzugsrechts" beachtet mithin die Gesetzessystematik.
dd) Teleologische Gesichtspunkte stehen der Rechtsauffassung des Senates nicht entgegen. Zwar mag es zweckmäßig sein, wenn der Bundesgesetzgeber neben der Kompetenz für die Regelung der Anordnung und die Beendigung der Untersuchungshaft auch die während dieser möglichen Beschränkungen festlegen könnte, mithin das "Ob" der Untersuchungshaft und das "Wie" in einer Hand wären (Paeffgen StV 2009, 46 ff., 46). Der verfassungsändernde Gesetzgeber hat sich mit der ausdrücklichen Ausklammerung des Rechts des Untersuchungshaftvollzuges inArt. 74 Abs. 1 Nr. 1 GG jedoch eindeutig für eine Aufteilung dieser Kompetenzen entschieden, wobei er - wie bereits ausgeführt - für diesen Schritt eine sachliche Begründung, die nun bei der Ermittlung des Zwecks der Grundgesetzänderung zu Rate gezogen werden könnte, nicht geliefert hat; es scheint letztlich "die Dynamik des politischen Verhandlungsprozesses" entscheidend gewesen zu sein (so Niedobitek in Bonner Kommentar GG [Stand: Februar 2007] Art. 74 Abs. 1 Nr. 1 Rn. 22 mit Nachweisen aus den Plenarprotokollen). Der erkennbare Zweck der Grundgesetzänderung besteht also darin, "zur Stärkung der Landesgesetzgeber" (vgl. BT-Drs. 16/813 S. 9) den Ländern die Gesetzgebungskompetenz auf dem Rechtsgebiet des Vollzugs der Untersuchungshaft vollständig zu übertragen, nachdem eine bundeseinheitliche Regelung bis dato immer wieder gescheitert war (vgl. Seebode HRRS 2008, 236, 240). Diesem Zweck entspricht ein weites Verständnis des Begriffes "Untersuchungshaftvollzug".
c) Das Recht des Untersuchungshaftvollzuges ist mithin so zu definieren, wie es dem allgemeinen und dem historisch gewachsenen juristischen Sprachgebrauch entspricht. Dies dient auch der Rechtssicherheit und Klarheit und entspricht dem Willen des historischen Gesetzgebers.
Der Begriff "Untersuchungshaftvollzug" umfasst daher alle Eingriffsmaßnahmen, die einen Verdächtigen nur wegen seiner Inhaftierung und zusätzlich zu dieser treffen können, und damit Beschränkungen, die dem Zweck der Untersuchungshaft dienen, wie Besuchseinschränkungen und -überwachungen, Briefkontrolle oder Beschränkungen im Zusammenhang mit Telekommunika-tion.
IV.
Einer Vorlage an das Bundesverfassungsgericht gemäß Art. 100 Abs. 1 GG zur Frage der Verfassungsmäßigkeit des § 119 Abs. 1 StPO n.F. bedarf es nicht. Denn mit seiner Entscheidung verwirft der Senat diese Vorschrift nicht als verfassungswidrig; ihre Nichtanwendung im vorliegenden Fall beruht vielmehr auf Art. 125a Abs. 1 Satz 2 GG. Nachdem das Land Niedersachsen durch Erlass des NJVollzG mit den Regelungen zum Vollzug der Untersuchungshaft von der ihm nach Art. 74 Abs. 1 Nr. 1 GG zustehenden Gesetzgebungskompetenz in zulässiger Weise Gebrauch gemacht hat, kann dieses Landesrecht nicht durch die Neufassung des § 119 StPO verdrängt werden, weil die gerade für derartige Konfliktfälle geschaffene Regelung des Art. 125a Abs. 1 GG eingreift (vgl. auch BVerfGE 111, 10 Rn. 103 [BVerfG 04.11.2003 - 1 BvR 636/02]; wie hier Niedobitek in Bonner Kommentar GG [Stand: Februar 2007] Art. 74 Abs. 1 Nr. 1 Rn. 19). Daraus folgt indes nicht, dass die Neufassung des§ 119 StPO als verfassungswidrig anzusehen ist. Denn abgesehen davon, dass der Bundesgesetzgeber, solange sein Bundesrecht nach Art. 125a Abs. 1 GG bis zur vollständigen Ersetzung durch Landesrecht fortgilt, dieses auchändern darf (vgl. BVerfG aaO.), findet § 119 StPO n.F. - wie bereits ausgeführt - auch in Niedersachsen Anwendung auf die nicht im NJVollzG geregelten Arten der Freiheitsentziehung.
V.
Da sich nach den vorstehenden Ausführungen die Ausgestaltung der Untersuchungshaft allein nach dem NJVollzG richtet, war die Kammer zu der angefochtenen Entscheidung nicht befugt, so dass der Beschluss mit der Kostenfolge aus § 473 Abs. 2 Satz 2 StPO aufzuheben war.