Oberlandesgericht Celle
Beschl. v. 22.02.2019, Az.: 3 Ws 67/19 (UVollz)
Uneingeschränkte Geltung des § 119 StPO in Niedersachsen
Bibliographie
- Gericht
- OLG Celle
- Datum
- 22.02.2019
- Aktenzeichen
- 3 Ws 67/19 (UVollz)
- Entscheidungsform
- Beschluss
- Referenz
- WKRS 2019, 36150
- Entscheidungsname
- [keine Angabe]
- ECLI
- [keine Angabe]
Verfahrensgang
- vorgehend
- LG Lüneburg - 06.12.2018 - AZ: 31 KLs 6/17
Rechtsgrundlage
- § 112a StPO
Amtlicher Leitsatz
Nachdem das Bundesverfassungsgericht durch Beschluss vom 30. Oktober 2014 - 2 BvR 1513/14 - entschieden hat, dass auch nach der Übertragung der Gesetzgebungskompetenz für den Untersuchungshaftvollzug auf die Länder die bundesgesetzliche Regelung des § 119 StPO weiterhin die Rechtsgrundlage für Beschränkungen darstellt, die dem Zweck der Untersuchungshaft zu dienen bestimmt sind, kann der Rechtsauffassung, dass § 119 StPO in Niedersachsen für den Bereich der Untersuchungshaft keine Anwendung findet, nicht mehr gefolgt werden.
Tenor:
Die Beschwerde wird auf Kosten des Angeklagten als unbegründet verworfen.
Gründe
I.
Der Angeklagte befindet sich in dieser Sache seit dem 25. Juli 2017 in Untersuchungshaft. Grundlage der Untersuchungshaft war zunächst der Haftbefehl des Amtsgerichts Celle vom 25. Juli 2017. Darin wurde dem Angeklagten ein am 23. Juli 2017 begangener versuchter Mord in Tateinheit mit gefährlicher Körperverletzung zum Nachteil des Geschädigten A. zur Last gelegt. Der Haftbefehl war auf den Haftgrund der Fluchtgefahr gestützt.
Mit Urteil vom 28. Februar 2018 wurde der Angeklagte wegen versuchten Mordes in Tateinheit mit gefährlicher Körperverletzung und mit unerlaubter Ausübung der tatsächlichen Gewalt über Kriegswaffen unter Einbeziehung des Urteils des Landgerichts Lüneburg vom 23. Mai 2017 zu einer Einheitsjugendstrafe von 12 Jahren verurteilt. Gegen das Urteil hat der Angeklagte Revision eingelegt. Mit Beschluss vom selben Tag hat die Jugendkammer die Fortdauer der Untersuchungshaft angeordnet.
Mit Beschluss vom 6. Dezember 2018 hat die 2. große Jugendkammer des Landgerichts Lüneburg den Antrag des Angeklagten vom 20. November 2018, die Anordnung der akustischen Besuchsüberwachung aufzuheben, abgelehnt.
Gegen diesen Beschluss wendet sich der Angeklagte mit seiner Beschwerde, der das Landgericht nicht abgeholfen hat.
II.
Die Beschwerde ist zulässig (§§ 119 Abs.5 i.V.m. 304 Abs.1 StPO), aber unbegründet.
Die Anordnung und Aufrechterhaltung der akustischen Besuchsüberwachung sind rechtmäßig.
1. Da die akustische Besuchsüberwachung hier zur Abwendung von Verdunkelungsgefahr angeordnet worden ist, beurteilt sich ihre Rechtmäßigkeit nach § 119 Abs. 1 StPO, nicht nach § 144 Abs. 1 Satz 2 NJVollzG.
Nachdem das Bundesverfassungsgericht durch Beschluss vom 30. Oktober 2014 - 2 BvR 1513/14 - (NStZ-RR 2015, 79) entschieden hat, dass auch nach der Übertragung der Gesetzgebungskompetenz für den Untersuchungshaftvollzug auf die Länder die bundesgesetzliche Regelung des § 119 StPO weiterhin die Rechtsgrundlage für Beschränkungen darstellt, die dem Zweck der Untersuchungshaft zu dienen bestimmt sind, folgt der Senat nicht mehr der vom hiesigen 1. Strafsenat (vgl. Beschluss vom 9. Februar 2010 - 1 Ws 37/10 -, Nds. Rpfl. 2010, 127) begründeten Auffassung, dass § 119 StPO in Niedersachsen für den Bereich der Untersuchungshaft keine Anwendung findet. Beschränkungen nach den §§ 133 ff. NJVollzG kommen daneben in Betracht, soweit sie ausschließlich zur Aufrechterhaltung der Sicherheit oder Ordnung der Vollzugsanstalt erforderlich sind (vgl. BGH NJW 2012, 1158 [BGH 09.02.2012 - 3 BGs 82/12; 2 BJs 8/12-2] mwN).
Die Voraussetzungen für eine Vorlage an das Bundesverfassungsgericht nach Art. 100 Abs. 1 GG sind nicht erfüllt. Die Frage, ob der Landesgesetzgeber die Gesetzgebungskompetenz auch insoweit besaß, als § 144 Abs. 1 Satz 2 NJVollzG eine Anordnung akustischer Besuchsüberwachung auch "wegen des Zwecks der Untersuchungshaft" ermöglicht, ist hier nicht entscheidungserheblich. Bei Anwendung dieser Regelung käme der Senat im vorliegenden Fall zu dem gleichen Ergebnis.
2. Gemäß § 119 Abs.1 Satz 1 StPO dürfen einem Gefangenen Beschränkungen auferlegt werden, soweit dies zur Abwehr einer Flucht-, Verdunkelungs- oder Wiederholungsgefahr (§§ 112, 112a StPO) erforderlich ist. Zu den zulässigen Beschränkungen gehört gemäß § 119 Abs.1 Satz 2 Nr. 2 StPO auch die akustische Überwachung der Besuche. Diese ist vorliegend auch im Sinne der genannten Norm zur Sicherung des Haftzwecks erforderlich und mangels weniger einschneidender Maßnahmen unvermeidlich. Ein unkontrollierter Kontakt des Angeklagten mit der Außenwelt würde den Haftzweck, nämlich hier die Abwehr sowohl einer Flucht- als auch einer Verdunkelungsgefahr, gefährden. Dabei kann die Abwehr einer Verdunkelungsgefahr, weil vom Haftzweck generell mitumfasst, die akustische Besuchsüberwachung auch dann rechtfertigen, wenn der Haftbefehl nicht ausdrücklich auf diesen Haftgrund gestützt worden ist (vgl. OLG Frankfurt, Beschluss vom 27. März 2017 - 3 Ws 288/12 -, juris; Meyer-Goßner/Schmitt StPO 61. § 119 Rn. 5 mwN).
Der Senat hat auch dem Umstand Rechnung getragen, dass ein Untersuchungsgefangener noch nicht rechtskräftig verurteilt ist und deshalb allein den unvermeidlichen Beschränkungen unterworfen werden darf (vgl. BVerfG aaO mwN). Voraussetzung für die Zulässigkeit von Grundrechtseingriffen auf der Grundlage von § 119 StPO ist eine reale Gefährdung der in der Bestimmung bezeichneten öffentlichen Interessen, der durch die Inhaftierung allein nicht ausreichend entgegengewirkt werden kann. Für das Vorliegen einer solchen Gefahr müssen konkrete Anhaltspunkte bestehen (ebenda).
Die angefochtene Entscheidung in Verbindung mit der Nichtabhilfeentscheidung lassen die hiernach gebotene einzelfallbezogene Verhältnismäßigkeitsprüfung nicht vermissen und stützten sich zudem auf konkrete Anhaltspunkte für Verdunkelungshandlungen in der Vergangenheit. Anzuführen ist hier insbesondere die unerlaubte Kontaktaufnahme zu Personen außerhalb der Anstalt aus dem Haftraumfenster heraus und telefonisch über das Nutzerkonto eines Mitgefangenen. Dementsprechend hat der Senat in vorliegender Sache bereits in seinem Beschluss vom 4. Mai 2018 - 3 Ws 72/18 (UVollz) - entschieden, dass dem nach Urteilsverkündung eingeschränkten Sicherungsbedürfnis hinreichend durch die akustische Überwachung der Besuche begegnet werden kann, so dass eine Ablehnung von Besuchserlaubnissen nicht (mehr) erforderlich ist. Diese Erwägungen gelten fort, zumal es nach dem Bericht der Jugendanstalt durch die akustische Überwachung, welche inzwischen durch Vollzugsbeamte durchgeführt wird, zu keinen nennenswerten zusätzlichen Erschwernissen bei der Besuchsorganisation kommt.
III.
Die Kostenentscheidung folgt aus § 473 Abs. 1 StPO.