Oberlandesgericht Celle
Beschl. v. 22.02.2010, Az.: 2 Ws 41/10

Aussetzung der Maßregel zur Bewährung bei Missbrauch von Vollzugslockerungen

Bibliographie

Gericht
OLG Celle
Datum
22.02.2010
Aktenzeichen
2 Ws 41/10
Entscheidungsform
Beschluss
Referenz
WKRS 2010, 11675
Entscheidungsname
[keine Angabe]
ECLI
ECLI:DE:OLGCE:2010:0222.2WS41.10.0A

Verfahrensgang

vorgehend
LG Stade - 15.12.2009 - AZ: 10 StVK 265/09

Fundstellen

  • BewHi 2010, 435
  • RPsych (R&P) 2011, 117

Amtlicher Leitsatz

1. Dem Ziel der Unterbringung, die süchtige Person zu heilen oder über eine erhebliche Zeitspanne vor einem Rückfall in den suchtbedingten Rauschmittelkonsum zu bewahren, kommt bei der Prognoseentscheidung, ob die Unterbringung fortzusetzen oder abzubrechen ist, erhebliche Bedeutung zu.

2. Allein der Missbrauch von Vollzugslockerungen beseitigt die Aussicht auf einen Therapieerfolg nicht. Dies kann nur der Fall sein, wenn der Missbrauch von Lockerungen konkreten Anlass dafür gibt anzunehmen, dass auch das Maßregelziel, mindestens für eine erhebliche Zeit suchtfrei zu sein, nicht zu erreichen sein wird.

Tenor:

1. Der angefochtene Beschluss wird aufgehoben.

2. Die Unterbringung des Verurteilten in einer Entziehungsanstalt dauert fort.

3. Die Kosten des Beschwerdeverfahrens sowie die dem Verurteilten insoweit entstandenen notwendigen Auslagen trägt die Landeskasse.

Gründe

1

I. Die erste große Strafkammer des Landgerichts Oldenburg verurteilte den Beschwerdeführer am 11. April 2007 wegen Wohnungseinbruchsdiebstahls in drei vollendeten Fällen und einem versuchten Fall, wegen Diebstahls in zwei vollendeten Fällen und einem versuchten Fall sowie wegen Computerbetrugs in drei vollendeten Fällen und einem versuchten Fall unter Einbeziehung der Strafe aus dem Urteil des Amtsgerichts Bremerhaven vom 30. November 2006 zu einer Gesamtfreiheitsstrafe von vier Jahren und drei Monaten. Die Unterbringung des Verurteilten in einer Entziehungsanstalt wurde angeordnet.

2

Zunächst befand sich der Verurteilte seit dem 20. Oktober 2006 in anderer Sache in Strafhaft, seit dem 25. April 2008 befindet er sich zur Vollstreckung der Unterbringung im Niedersächsischen Landeskrankenhaus B. im Maßregelvollzug. Mit Beschlüssen vom 21. November 2008 und vom 29. Mai 2009 hatte die Strafvollstreckungskammer des Landgerichts Stade beschlossen, die Maßregel der Unterbringung in einer Entziehungsanstalt nicht zur Bewährung auszusetzen, sondern fortdauern zu lassen.

3

Mit dem angefochtenen Beschluss vom 15. Dezember 2009 wurde sodann angeordnet, dass die Unterbringung in einer Entziehungsanstalt nicht weiter zu vollziehen sei. Gleichzeitig wurde der Vollzug der Strafe angeordnet und die noch zu vollstreckende Restfreiheitsstrafe nicht zur Bewährung ausgesetzt.

4

Gegen diesen Beschluss richtet sich die sofortige Beschwerde des Verurteilten vom 23. Dezember 2009, mit der er die Fortsetzung der Unterbringung im Maßregelvollzug anstrebt.

5

II. Die gem. §§ 463 Abs. 6, 462 Abs. 3 S. 1 StPO i. V. m. § 67 d Abs. 5 StGB statthafte und fristgerecht eingelegte sofortige Beschwerde des Verurteilten ist zulässig und hat in der Sache Erfolg.

6

Der Beschluss der Kammer vom 15. Dezember 2009 war aufzuheben, da die Voraussetzungen, unter denen gem. § 67 d Abs. 5 StGB die Unterbringung in einer Entziehungsanstalt für erledigt zu erklären ist, nicht vorlagen.

7

Nach § 67 d Abs. 5 StGB in der durch das Gesetz zur Sicherung der Unterbringung in einem psychiatrischen Krankenhaus und in eine Entziehungsanstalt vom 16. Juli 2007 (BGBl. I S. 1327) geänderten Fassung ist die Unterbringung in einer Entziehungsanstalt für erledigt zu erklären, wenn die Voraussetzungen des § 64 S. 2 StGB nicht mehr vorliegen, d. h., wenn keine hinreichend konkrete Aussicht mehr besteht, den Verurteilten durch die Behandlung in einer Entziehungsanstalt zu heilen oder über eine erhebliche Zeit vor dem Rückfall in den Hang zu bewahren und von der Begehung erheblicher rechtswidriger Taten abzuhalten, die auf ihren Hang zurückgehen. Um das festzustellen, ist eine Prognose auf zuverlässiger Erkenntnisgrundlage erforderlich, wonach der Zweck der Maßregel aller Voraussicht nach nicht mehr erreicht werden kann. Bei der Prognoseentscheidung muss der Gesamtverlauf der bisherigen Maßregelvollstreckung berücksichtigt werden, wobei dem Ziel der Unterbringung, die süchtige Person zu heilen oder über eine erhebliche Zeitspanne vor einem Rückfall in den suchtbedingten Rauschmittelkonsum zu bewahren, erhebliche Bedeutung zukommt. Als Behandlungserfolg ist hierbei bereits anzusehen, dass der Süchtige für eine gewisse Zeit vor dem Rückfall in die Sucht bewahrt werden kann (vgl. Schönke/Schröder-Stree, StGB, 27. Aufl., § 64, Rn. 11 m.w.N.).

8

Diesen Anforderungen an die Prognoseentscheidung wird der angefochtene Beschluss nicht gerecht. Die Kammer stützt die nicht vorhandenen Erfolgsaussichten einer Entwöhnungsbehandlung zum einen auf den Missbrauch von Vollzugslockerungen und sonstige Regelverstöße und zum anderen darauf, dass der Verurteilte in dissozialen Denk- und Verhaltensweisen nachhaltig verhaftet sei. Hierbei berücksichtigt die Kammer nicht hinreichend das vom Gesetz vorgesehene Ziel der Unterbringung in einer Entziehungsanstalt, zu einem suchtmittelfreien Leben zu führen. Insbesondere war hier maßgeblich zu berücksichtigen, dass der Angeklagte über einen Zeitraum von mehr als zwanzig Monaten suchtmittelfrei gelebt hat, obwohl er aufgrund des Besuches der externen Schule sich häufig außerhalb des Landeskrankenhauses aufhielt und dabei durchaus die Möglichkeit bestand, sich mit Betäubungsmitteln zu versorgen. Trotzdem ist er nicht rückfällig geworden. Dies und die von dem Verurteilten versicherte weitere Therapiewilligkeit lassen weiterhin eine hinreichend konkrete Aussicht erkennen, den Verurteilten durch die Behandlung in der Entziehungsanstalt zu heilen oder ihn doch eine erhebliche Zeit vor dem Rückfall in den Hang zu bewahren und ihn vor der Begehung erheblicher rechtswidriger Taten abzuhalten.

9

Allein der Missbrauch von Vollzugslockerungen beseitigt die Aussicht auf einen solchen Therapieerfolg nicht. Dies kann nur der Fall sein, wenn der Missbrauch solcher Lockerungen konkreten Anlass dafür gibt anzunehmen, dass auch das Maßregelziel, mindestens für eine erhebliche Zeit suchtfrei zu sein, nicht zu erreichen sein wird. Für eine solche Annahme aber geben die Missbrauchshandlungen des Verurteilten bisher nicht ausreichend Anlass.

10

III. Die Kostenentscheidung folgt aus der entsprechenden Anwendung des § 467 StPO.