Verwaltungsgericht Hannover
Urt. v. 16.10.2013, Az.: 13 A 5126/11

Beihilfefähigkeit; Galvanotherapie; Prostatakarzinom

Bibliographie

Gericht
VG Hannover
Datum
16.10.2013
Aktenzeichen
13 A 5126/11
Entscheidungsform
Urteil
Referenz
WKRS 2013, 64266
Entscheidungsname
[keine Angabe]
ECLI
[keine Angabe]

Tenor:

Die Beklagte wird verpflichtet, die Aufwendungen des Klägers für eine Galvanotherapie (Rechnungen der Heilpraktikerin D. vom 15.02.2011 und 22.02.2011) als beihilfefähig anzuerkennen und dem Kläger hierauf die beantragte Beihilfe zu gewähren. Die Bescheide der Beklagten vom 24.Februar 2011 und vom 8. März 2011 sowie der Widerspruchsbescheid vom 17. Oktober 2011 werden aufgehoben, soweit sie dieser Verpflichtung entgegenstehen.

Die Beklagte trägt die Kosten des Verfahrens.

Die Entscheidung ist wegen der Kosten vorläufig vollstreckbar. Die Vollstreckungsschuldnerin darf die Vollstreckung durch Sicherheitsleistung in Höhe von 110 % des vollstreckbaren Betrags abwenden, wenn nicht der Vollstreckungsgläubiger vor der Vollstreckung Sicherheit in Höhe von 110 % des zu vollstreckenden Betrags leistet.

Tatbestand:

Der Kläger begehrt eine Beihilfe für eine Galvanotherapie.

Der 1936 geborene Kläger ist als Ruhestandsbeamter des Landes Niedersachsen mit einem Bemessungssatz von 70 v.H. beihilfeberechtigt. Er leidet an einem Prostatakarzinom.

Der Kläger unterzog sich einer sogenannten Galvanotherapie, die von einer Heilpraktikerin durchgeführt wurde. Dafür berechnete die Heilpraktikerin unter dem 15.02.2011 dem Kläger 326,40 € und unter dem 22.02.2011 nochmals weitere 326,40 €.

Der Kläger beantragte hierfür eine Beihilfe. Mit Bescheid vom 24.02.2011 bewilligte die Beklagte zwar hinsichtlich anderer Aufwendungen Beihilfeleistungen, lehnte eine Beihilfe für die Rechnung vom 15.02.2011 jedoch ab. Entsprechend entschied die Beklagte hinsichtlich der zweiten Rechnung vom 22.02.2011 im Bescheid vom 08.03.2011. Im Bescheid vom 08.03.2011 wird dazu ausgeführt, vorerst sei keine Berücksichtigung möglich. Ein amtsärztliches Gutachten hinsichtlich der Galvanotherapie sei jedoch angefordert.

Zuvor hatte der Kläger in einem Schreiben vom 02.03.2011 mitgeteilt, wegen der befürchteten Nebenwirkungen habe er auf eine Prostataektomie verzichtet. Da er auch unter Diabetes leide und zudem ein Dickdarmkarzinom gehabt habe, sei auch eine Strahlentherapie nicht angeraten. Zunächst habe er sich deshalb für eine Überwachung mit medikamentöser Behandlung entschieden. Da diese Behandlung nicht angeschlagen habe, habe er auf Anraten seines Arztes eine Galvanotherapie durchgeführt.

Die Beklagte beauftragte Dr. med. E. vom Vinzenzkrankenhaus mit einem Gutachten zur Frage, ob beim Kläger die Galvano-Therapie medizinisch notwendig und angebracht ist. Der Arzt gab unter dem 02.08.2011 eine Stellungnahme ab, auf die wegen des näheren Inhalts verwiesen wird (Beiakte A Bl. 17, 18).

In den Verwaltungsvorgängen der Beklagten befinden sich daneben noch ein Arztbrief des Dr. med. F. vom 20.08.2009 (Beiakte A Bl. 25), des Dr. med. H. G. vom Oktober 2009 (Beiakte A Bl. 26 und 27), des Dr. med. S. C. vom 07.12.2009 (Beiakte A Bl. 28), ein nuklearmedizinsicher Befundbericht des Universitätsklinikums Ulm (Beiakte A l. 30f.), der radiologischen Gemeinschaftspraxis K. u.a. vom 10.08.2011 (Beiakte A Bl. 59), auf die ebenfalls Bezug genommen wird.

Die Beklagte wertete das Schreiben des Klägers vom 02.03.2011 als Widerspruch sowohl gegen ihren Bescheid vom 24.02.1011 als auch gegen den Bescheid vom 08.03.2011 und wies diesen Widerspruch mit Widerspruchsbescheid vom 17.10.2011 zurück. Der Widerspruchsbescheid wurde dem Kläger am 20.10.2011 zugestellt.

Der Kläger hat am 21.11.2011 Klage erhoben.

Er trägt vor: wissenschaftlich anerkannte Methoden seien kontraindiziert. Angesichts seines Alters komme eine radikale Prostataektomie nicht in Betracht, angesichts seines Zustandes nach einer operativen Dickdarmkarzinom-Operation sei auch keine darmschädigende Strahlenbehandlung möglich. Der Gutachter der Beklagten führe hinsichtlich der Hormontherapie selbst aus, dass damit kein kurativer Ansatz verfolgt werden könne. Auch bestehe nach dem Urteil des Verwaltungsgerichts Karlsruhe vom 24.09.2008 die begründete Erwartung einer allgemeinen wissenschaftlichen Anerkennung der Galvanotherapie.

Im Laufe des Verfahrens legte der Kläger eine Stellungnahme des Arztes H. vom 07.06.2012 Bl. 64f. Gerichtsakte) und eine Stellungnahme der Heilpraktikerin D. (Bl. 80ff. Gerichtsakte) vor, auf die wegen des näheren Inhalts Bezug genommen wird (

Der Kläger beantragt,

die Beklagte unter Aufhebung des Widerspruchsbescheides vom 17.10.2011 und der zugrundeliegenden Bescheid vom 24.02.2011 und 08.03.2011, soweit diese der Verpflichtung entgegenstehen, zu verurteilen, ihm die beantragte Beihilfe für die Galvanotherapie zu gewähren.

Die Beklagte beantragt,

die Klage abzuweisen.

Sie verweist auf die Gründe ihrer Bescheide.

Im Laufe des Verfahrens holte die Beklagte eine weitere Stellungnahme ihres Gutachters Dr. med. E. ein, auf dessen Schreiben vom 01.11.2012 ebenfalls Bezug genommen wird (Bl. 71ff. Gerichtsakte).

Die Kammer hat die Sache mit Beschluss vom 16.01.2012 dem Berichterstatter als Einzelrichter zur Entscheidung übertragen.

Mit Beschluss vom 21.01.2013 holte das Gericht ein Sachverständigengutachten zu der Frage ein, ob im Fall des Klägers die angewandte Galvanotherapie medizinisch indiziert war oder ob stattdessen eine Standard-Therapie medizinisch zu verantworten und ausreichen gewesen wäre und ob eine wissenschaftliche Anerkennung der Galvanotherapie zu erwarten ist. Auf das entsprechende Gutachten der Prof. Dr. med. I. von der Universität Rostock (Bl. 98 ff. Gerichtsakte) wird verwiesen.

Wegen des weiteren Sachverhalts wird auf den Inhalt der Gerichtsakten und der beigezogenen Verwaltungsvorgänge Bezug genommen.

Entscheidungsgründe

Die Entscheidung ergeht gemäß § 6 Abs. 1 VwGO durch den Einzelrichter.

Die Klage ist zulässig. Zwar kann das Schreiben des Klägers vom 02.03.2011 schon zeitlich gesehen keinen Widerspruch gegen den erst unter dem 08.03.2011 ergangenen weiteren Beihilfebescheid sein. Die Beklagte hat jedoch durch ihre Widerspruchsentscheidung auch insoweit für den Kläger den Rechtsweg eröffnet.

Die Klage ist auch begründet. Die Versagung der Beihilfe für die durchgeführte Galvanotherapie war rechtswidrig. Der Kläger hat für diese Behandlung einen Rechtsanspruch auf Gewährung einer Beihilfe.

Rechtsgrundlage des Anspruchs des Klägers ist nach § 53 Abs. 1 NBhVO noch die Bestimmung des § 87c NBG in der am 31. März 2009 geltenden Fassung in Verbindung mit den früheren Beihilfevorschriften des Bundes (BhV).

Nach § 6 Abs. 1 BhV sind Aufwendungen für Leistungen von Heilpraktikern grundsätzlich beihilfefähig. Voraussetzung ist jedoch, dass diese Leistungen dem Grunde nach notwendig und der Höhe nach angemessen sind und die Beihilfefähigkeit nicht ausdrücklich ausgeschlossen ist, § 5 Abs. 1 BhV.

Die hier streitige Therapie ist nicht von vornherein von der Beihilfefähigkeit ausgeschlossen (vgl. auch VG Karlsruhe, Urt. vom - 24.09.2008 - 9 K 2151/06 -,  Bl. 8 des Urteilsabdrucks).

Die vom Kläger zur Behandlung seines Prostatakarzinoms gewählte Galvanotherapie war weiterhin notwendig im Sinne des § 5 Abs. 1 BhV.

Der von der Beklagten gewählte Gutachter Dr. med. E. hat zwar in seiner Stellungnahme vom 02.08.2011 vier wissenschaftlich anerkannte therapeutische Möglichkeiten aufgezeigt, sich jedoch nicht damit auseinandergesetzt, ob dieser Möglichkeiten auch gerade für den Kläger in Betracht kommen. Auch seine ergänzende Stellungnahme vom 01.11.2012 lässt eine Auseinandersetzung gerade mit den individuellen Befunden des Klägers vermissen.

Dem gegenüber hat der Arzt H. in seiner Stellungnahme vom 07.06.2012 bereits nachvollziehbar dargelegt, dass beim Kläger die von Dr. med. E. genannten Therapieansätze gerade nicht in Betracht kommen.

Ausschlaggebend für die Entscheidung des Gerichts ist jedoch neben der Stellungnahme des H. in erster Linie das eingeholte. Sachverständigengutachten der Prof. Dr. I.. Daraus ergibt sich für das Gericht überzeugend, dass die in der sogenannten S3-Leitlinie empfohlenen Verfahren beim Kläger zu erheblichen Komplikationen führen können und es im Einzelfall des Klägers an einem wissenschaftlich anerkanntem Verfahren fehlt, das nebenwirksam genug ist, um seinen Einsatz beim Kläger zu rechtfertigen. Mithin war die Galvanotherapie die Methode der Wahl. Anzeichen dafür, dass die Galvanotherapiemethode nach allgemeinen wissenschaftlichen Erkenntnissen untauglich ist, liegen nicht vor.

Anhaltspunkte dafür, dass die geltend gemachten Kosten in der Höhe nicht angemessen sind, liegen ebenfalls nicht vor. Die Beklagte selbst hat - trotz einer Anfrage des Gerichts vom 21.03.2012 - dies nicht behauptet.

Die Kostenentscheidung folgt aus § 154 Abs. 1 VwGO. Die Entscheidung über die vorläufige Vollstreckbarkeit beruht auf § 167 VwGO in Verbindung mit §§ 708 Nr. 11, 711 Satz 1 und 2 ZPO.