Oberlandesgericht Celle
Beschl. v. 18.04.2023, Az.: 22 W 8/22

Polizei- und Ordnungsrecht; Gefahr; Polizeieinsatz; Rechtswidrigkeit der Dauer eines wegen Störung einer polizeilichen Maßnahme rechtmäßig angeordneten Polizeigewahrsams

Bibliographie

Gericht
OLG Celle
Datum
18.04.2023
Aktenzeichen
22 W 8/22
Entscheidungsform
Beschluss
Referenz
WKRS 2023, 18975
Entscheidungsname
[keine Angabe]
ECLI
ECLI:DE:OLGCE:2023:0418.22W8.22.00

Verfahrensgang

vorgehend
AG Hannover - 26.07.2022 - AZ: 37 XIV 38/22 L

Amtlicher Leitsatz

  1. 1.

    Die Störung oder Behinderung einer polizeilichen Maßnahme stellt eine Gefahr für die öffentliche Sicherheit dar und kann die Anordnung von Polizeigewahrsam zur Durchsetzung eines Platzverweises rechtfertigen.

  2. 2.

    Die Rechtmäßigkeit der Gewahrsamsanordnung hängt nicht davon ab, dass auch der Platzverweis seinerseits rechtmäßig war; maßgeblich ist allein, dass der Platzverweis wirksam geworden ist.

  3. 3.

    Die Polizei muss nach der Ingewahrsamnahme die Gefahrenlage fortlaufend weiter im Blick behalten und bei deren Wegfall die Freiheitsentziehung beenden. Dies gilt selbst dann, wenn eine richterliche Entscheidung ergangen und die darin festgesetzte Höchstdauer noch nicht erreicht ist.

In dem Freiheitsentziehungsverfahren
betreffend J. O. H. R.,
geboren ...,
wohnhaft ...,
- Betroffener und Beschwerdeführer -
beteiligt: Land Niedersachsen,
vertreten durch die Polizeidirektion Hannover,
- Antragsteller und Beschwerdegegner -
hat der 22. Zivilsenat des Oberlandesgerichts Celle durch den Vorsitzenden Richter am Oberlandesgericht XXX, den Richter am Oberlandesgericht XXX und den Richter am Oberlandesgericht XXX am 18. April 2023 beschlossen:

Tenor:

  1. 1.

    Auf die Beschwerde des Betroffenen wird der Beschluss des Amtsgerichts Hannover vom 26. Juli 2022 aufgehoben.

  2. 2.

    Es wird festgestellt, dass

    1. a)

      die polizeiliche Anordnung der Ingewahrsamnahme des Beschwerdeführers am 26. Juli 2022 um 18:05 Uhr und deren Vollzug bis 18:42 Uhr rechtmäßig war und

    2. b)

      die weitere Fortdauer des Gewahrsams bis zum 27. Juli 2022 um 3:00 Uhr rechtswidrig war.

  3. 3.

    Im Übrigen wird die Beschwerde als unbegründet verworfen.

  4. 4.

    Die gerichtlichen Kosten der ersten Instanz und des Beschwerdeverfahrens tragen der Beschwerdeführer zu 30% und das beteiligte Land zu 70 %.

  5. 5.

    Außergerichtliche Kosten werden nicht erstattet.

  6. 6.

    Der Geschäftswert wird auf 5.000,00 Euro festgesetzt.

Gründe

I.

Das Amtsgericht hat mit Beschluss vom 26. Juli 2022 nach mündlicher Anhörung des Beschwerdeführers dessen polizeiliche Ingewahrsamnahme, die am selben Tag um 18:05 Uhr erfolgt war, für zulässig erklärt und die Fortdauer des Gewahrsams bis längstens 27. Juli 2023 um 3:00 Uhr angeordnet. Der Beschwerdeführer wurde am 27. Juli 2023 um 3:00 Uhr aus dem Gewahrsam entlassen.

Der Entscheidung lag zugrunde, dass der Beschwerdeführer am 26. Juli 2022 einen ihm für den Bereich des S. (A. M., R.straße, S.straße) in H. durch Polizeivollzugsbeamte erteilten Platzverweis trotz wiederholter Aufforderung nicht befolgt habe. Der Platzverweis sei ihm für die Dauer von acht Stunden erteilt worden, weil der Beschwerdeführer eine polizeiliche Maßnahme, nämlich die Festnahme eines Beschuldigten in einem strafrechtlichen Ermittlungsverfahren, durch laute Zwischenrufe und Herantreten an die eingesetzten Polizeibeamten auf weniger als 1 Meter fortdauernd gestört habe. Die Anordnung der Fortdauer des Gewahrsams bis 3:00 Uhr hat das Amtsgericht damit begründet, dass im Falle einer vorzeitigen Entlassung ein wiederholtes Nichtbefolgen der polizeilichen Anweisung drohe. Der Beschwerdeführer habe durch sein bisheriges Verhalten zum Ausdruck gebracht, dass er sich auch künftig nicht an die polizeilichen Anweisungen halten werde, und dies sogar direkt geäußert.

Gegen diesen Beschluss hat der Beschwerdeführer mit Schreiben vom 1. August 2022, das am 3. August 2022 bei dem Landgericht Hannover eingegangen und von dort an das Amtsgericht Hannover weitergeleitet worden ist, wo es am 18. August 2022 eingegangen ist, Beschwerde eingelegt. Zur Begründung seiner Beschwerde hat der Beschwerdeführer eine Kopie seiner Strafanzeige vom 27. Juli 2022 gegen die Polizeibeamten beigefügt. Darin hat er vorgetragen, dass er zum Tatzeitpunkt zu Fuß unterwegs und auf dem Weg nach Hause gewesen sei, als er an einem Polizeieinsatz vorbeigekommen sei. Für einen Journalisten sei dies ein Grund, sich näher über diesen Sachverhalt zu informieren. In gebührendem Abstand ohne Störung der Amtshandlung habe er kurz- er denke Sekunden - verharrt, als ein Polizeibeamter "wie von der ,Tarantel' gestochen" auf ihn zu gekommen sei und gesagt habe, er habe hier Betretungsverbot. Er - der Beschwerdeführer - habe noch gefragt, ob das auch für die Presse gelte. Er habe seine Frage noch nicht ausgesprochen gehabt, als er von drei Polizeibeamten "hinterhältig durch Nutzung polizeilicher Kampftechniken angesprungen und gegen eine Hauswand geschleudert" worden sei. Dadurch habe er erhebliche Schmerzen und Verletzungen erlitten. Man habe sein Gesicht ohne Grund gegen die Hauswand gepresst, die aus Kratzputz bestanden habe. Er habe Verletzungen am rechten Auge erlitten, welche dann auch notärztlich versorgt worden seien. Er gehe davon aus, dass dem Polizeibeamten jetzt bewusst geworden sei, dass dieser Vorgang verbotswidrig gewesen sei. Denn nun habe jener geschrien, das sei Widerstand. Der Beschwerdeführer habe entgegnet, wie das denn gehen solle, er sei an der Hauswand fixiert und vorher von hinten angegriffen worden. Der Beschwerdeführer habe sich seine "Gedanken gemacht" und dem Polizeibeamten mitgeteilt, dass dieser in seinen Augen ein "Pfeifenwichs" sei. Der Polizeibeamte habe sofort angefangen zu schreien: "Habt ihr gehört? Jetzt beleidigt er mich auch noch!" Das sei indes keine Beleidigung gewesen, sondern seine Meinung, die er sich über jenen gebildet habe. Er habe den Polizeibeamten auch mitgeteilt, dass es seine Einschätzung sei und dies unter den Schutz der freien Meinungsbildung falle. Das Ganze sei dann darin gipfelt, dass man ihn seiner Freiheit beraubt und ins Polizeigewahrsam verbracht habe. Eine "junge Haftrichterin" habe ihm erklärt, dass man keine Haftgründe brauche. Er sei ja lediglich zum Schutz der eigenen Person dort und spätestens um 3:00 Uhr wieder entlassen.

Das Amtsgericht hat der Beschwerde nicht abgeholfen.

Der Beschwerdeführer hat nach Akteneinsicht mit Schreiben vom 21. März 2023 seine Beschwerdebegründung dahin ergänzt, dass der Bürgersteig an dem Einsatzort, wo eine Person "von Polizeibeamten mit massiver Gewalt gegen eine Hauswand fixiert" worden sei, breit genug gewesen sei, um daran vorbei zu gehen. Als der Beschwerdeführer sich diesem Geschehen genähert habe, habe sich "sofort ein Polizeibeamter aus dieser ,Traube' heraus" gelöst, den "Ursprungseinsatz komplett außen vor" gelassen und den Beschwerdeführer "überfallartig lautstark" angeschrien. Aus diesem Schreien habe der Beschwerdeführer "heraushören" können, dass der Polizeibeamte ihm "ohne ersichtlichen Grund ein Vertretungsverbot" (gemeint wohl: Betretungsverbot) aussprechen wollte. Dies gehe "zweifelsfrei auch anders und vernünftig". Der Beschwerdeführer habe gefragt, ob dieses denn auch für die Presse gelte. Da sei diese "vorsichtig ausgedrückt eigenartige Gruppe in Uniform sehr aggressiv" geworden. Eine weitere Aufforderung zur Durchsetzung des in seinen Augen rechtswidrigen Betretungsverbotes sei nicht erfolgt. Trotzdem habe er, um zu deeskalieren und auf Bedacht seiner körperlichen Unversehrtheit sich von diesem Geschehen abgewendet und seinen Heimweg zu Fuß fortgesetzt. Er habe sich bereits in einer Nebenstraße außer Sichtweite des eigentlichen polizeilichen Einsatzes befunden, als er von hinten "überfallartig angesprungen oder derart geschubst" worden sei, dass er mit seinem ganzen Körper gegen eine Hauswand geschleudert sei und sich dabei eine stark blutende Wunde an der rechten Augenbraue zugezogen habe. Von hinten sei er festgehalten worden und der Polizeibeamte, der ihn am vorhergehenden Einsatzort angeschrien habe, habe neben ihm gestanden und weiter "wirres Zeug" geschrien. Dies habe der Beschwerdeführer nur erwidern können mit dem Ausspruch: "Sie sind in meinen Augen ein dummer Junge". Sofort habe der Polizeibeamte seine lautstarke Schreierei noch einmal erhöht und etwas von Beleidigung geschrien. Der Beschwerdeführer habe ihm dann erklärt, dass es einzig und allein seine ganz persönliche Meinung sei und ihm fernläge, ihn zu beleidigen. Das habe den Polizeibeamten noch wütender gemacht. Die Polizeibeamten müssten dann wohl einen Krankenwagen gerufen haben. Seine Wunde sei versorgt worden. Ihm seien Handschellen angelegt worden und er sei in das Polizeigewahrsam verbracht worden. Warum und wieso dies geschehen sei, sei ihm bis heute unerklärlich. Dort sei eine weibliche Person in seinem Haftraum erschienen und habe sich als Haftrichterin vorgestellt. Sie habe ihm erklärt, dass er nur in Haft genommen worden sei, weil er eine andere polizeiliche Maßnahme gestört habe. Gegen die verbotswidrige Festnahme habe er dann bei ihr Einspruch eingelegt. Daraufhin habe sie diese Maßnahme als Richterin angeordnet.

II.

Das Rechtsmittel hat zum Teil Erfolg.

1. Die Beschwerde des Betroffenen ist nach §§ 19 Abs. 4 Satz 1 NPOG, 58 Abs. 1 FamFG statthaft und zulässig erhoben. Das Oberlandesgericht ist als nach § 19 Abs. 4 Satz 3 NPOG zuständiges Beschwerdegericht zur Entscheidung über das Rechtsmittel berufen.

2. Der Senat hat von einer mündlichen Anhörung des Beschwerdeführers abgesehen, weil diese bereits im ersten Rechtszug vorgenommen wurde und von einer erneuten Vornahme keine zusätzlichen Erkenntnisse zu erwarten waren, §§ 19 Abs. 4 Satz 1 NPOG, § 68 Abs. 3 Satz 2 FamFG.

3. Die Beschwerde ist unbegründet, soweit sie sich gegen die Anordnung der Ingewahrsamnahme und deren Vollzug von 18:05 Uhr bis 18:42 Uhr richtet. Insoweit sind die polizeilichen Maßnahmen und der angefochtene Beschluss rechtmäßig.

Soweit der Gewahrsam darüber hinaus angeordnet und vollzogen worden ist, sind die Maßnahmen und der angefochtene Beschluss des Amtsgerichts hingegen rechtswidrig.

Der Senat hat daher den Beschluss des Amtsgerichts aus Klarstellungsgründen aufgehoben und die Feststellung der teilweisen Rechtmäßigkeit und Rechtswidrigkeit insgesamt neu getroffen.

a) Rechtsgrundlage für die Anordnung der Ingewahrsamnahme ist § 18 Abs. 1 Nr. 3 NPOG. Danach kann die Polizei eine Person in Gewahrsam nehmen, wenn dies unerlässlich ist, um eine Platzverweisung nach § 17 durchzusetzen. Diese Voraussetzungen lagen hier im maßgeblichen Zeitpunkt der Anordnung des Gewahrsams vor.

aa) Dem Beschwerdeführer war mündlich ein Platzverweis für die Bereiche A. M., R.straße und S.straße erteilt worden. Dies ist unstreitig. Der Beschwerdeführer hat sowohl in seinen Beschwerdebegründungen als auch ausweislich der Protokolls seiner Vernehmung als Beschuldigter in dem Ermittlungsverfahren der Staatsanwaltschaft Hannover (Az.: 1181 Js 117044/22) vom 18. Januar 2023 erklärt, dass ihm am Einsatzort ein "Betretungsverbot" erteilt worden sei. Gleiches ergibt sich aus den Berichten der Polizeikommissarin S. vom 3. August 2022, des Polizeikommissars S. vom 2. August 2022 und des Polizeikommissars K. vom 3. August 2022. Dieser Platzverweis war mit seiner mündlichen Bekanntgabe gegenüber dem Beschwerdeführer wirksam geworden (§ 1 Abs. 1 NVwVfG, § 43 Abs. 1 VwVfG). Er war auch sofort vollziehbar und mittels Zwang durchsetzbar gemäß § 64 Abs. 1 NPOG, weil es sich um eine unaufschiebbare Anordnung eines Polizeivollzugsbeamten handelte und daher ein Rechtsmittel gemäß § 80 Abs. 2 Satz 1 Nr. 2 VwGO keine aufschiebende Wirkung gehabt hätte (vgl. BVerfG, Beschluss vom 7. Dezember 1998 - 1 BvR 831/89, NVwZ 1999, 290).

Die Rechtmäßigkeit der Gewahrsamsanordnung hing nicht davon ab, dass auch der Platzverweis seinerseits rechtmäßig war. Denn Voraussetzung einer rechtmäßigen Verwaltungsvollstreckungsmaßnahme ist allein die Wirksamkeit, nicht aber die Rechtmäßigkeit der Grundverfügung (vgl. Senatsbeschluss vom 25. März 2019 - 22 W 2/19; ebenso BVerfG aaO; BVerwG, Urteil vom 25. September 2008 - 7 C 5/08, NVwZ 2009, 55 [BVerwG 09.10.2008 - BVerwG 9 PKH 2.08; BVerwG 9 A 7.08]).

bb) Die Ingewahrsamnahme des Beschwerdeführers war im Zeitpunkt der Anordnung zur Durchsetzung des zuvor erteilten Platzverweises unerlässlich. Dabei beurteilt sich die Frage, ob eine präventiv-polizeiliche Maßnahme erforderlich ist, nach den Verhältnissen und dem Erkenntnisstand zum Zeitpunkt ihres Erlasses (sog. Ex-ante-Betrachtung, vgl. Senatsbeschluss vom 14. September 2011 - 22 W 2/11, Nds. Rpfl. 2012, 10; ebenso BVerwG, Urteil vom 1. Juli 1975 - 1 C 35.70, BVerwGE 49, 36; Niedersächs. OVG, Urteil vom 10. Oktober 2019 - 11 LB 108/18, juris).

Zur Überzeugung des Senats hat der Beschwerdeführer nach Anordnung des Platzverweises nicht den Ort des Polizeieinsatzes verlassen, sondern verblieb weiter am Einsatzort und gab durch sein Verhalten und verbale Äußerungen zu erkennen, dass er den Platzverweis nicht befolgen werde. Die Darstellung des Beschwerdeführers, dass er sich bereits von dem Geschehen abgewendet und seinen Heimweg zu Fuß fortgesetzt habe, als er in einer Nebenstraße außer Sichtweite des eigentlichen polizeilichen Einsatzes von hinten "überfallartig angesprungen" oder "derartig geschubst" worden sei, dass er mit seinem "ganzen Körper gegen eine Hauswand" geschleudert sei und sich dabei eine stark blutende Wunde an der rechten Augenbraue zugezogen habe, ist widerlegt. Der vom Senat festgestellte Geschehensablauf ergibt sich nämlich nicht nur aus den Berichten der eingesetzten Polizeibeamten, sondern wird zudem gestützt durch das Protokoll der Vernehmung des Zeugen P. vom 5. Dezember 2022. Danach bemerkte der Zeuge P. am 26. Juli 2022 nach Verlassen des "Cafe E." einen Streifenwagen, der an der R.straße abgestellt war, und sah, dass eine Person am Boden kauerte und von Polizeibeamten befragt wurde. Weiter hat der Zeuge ausgesagt, dass er einen augenscheinlich betrunkenen Mann gesehen habe, der dort gestanden habe und "die ganze Zeit am Schimpfen" gewesen sei und "die ganze Zeit über die Polizisten provoziert" habe. Eine Polizistin habe dreimal zu dem Mann gesagt: "Bitte gehen Sie weiter". Das habe dieser aber nicht getan, sondern ständig weiter provoziert. In diesem Augenblick habe die Polizistin alleine bei diesem Mann gestanden. Der Mann habe sich zu keinem Zeitpunkt von dem Einsatzort entfernt. Er sei vielmehr noch hinter den Polizeibeamten hergelaufen, als diese die erste Person, die zuvor am Boden gesessen habe, zum dem Streifenwagen geführt hätten. Der Mann habe immer weiter provoziert und sei lautstark gewesen. Die beiden Polizisten hätten ihn dann jeweils am Arm gepackt und zu einer Hauswand geführt. Der Zeuge habe dann gesehen, dass der Mann an der Stirn geblutet habe. Er gehe davon aus, dass der Mann absichtlich mit dem Kopf gegen die Hauswand gestoßen sei. Das habe er zwar nicht direkt gesehen. Aber er könne sagen, dass das nicht die beiden Polizisten gewesen seien. Denn diese hätten nach wie vor so gestanden, dass jeder einen Arm festgehalten habe. Für den Zeugen habe es so ausgesehen, als ob der Mann sich absichtlich verletzen wollte. Die Polizisten hätten ihm dann Handschellen angelegt und ihn abgeführt. In der Zwischenzeit sei noch Verstärkung der Polizei eingetroffen. Er - P. - habe sich dann bei den Polizeibeamten als Zeuge zu erkennen gegeben.

Die Aussage des Zeugen ist glaubhaft, der Zeuge glaubwürdig. Er ist an dem Geschehen unbeteiligt und hat am Ausgang des Verfahrens ersichtlich kein Eigeninteresse. Die Aussage bestätigt die Berichte der eingesetzten Polizeibeamten.

Vor diesem Hintergrund steht fest, dass der Beschwerdeführer den laufenden Polizeieinsatz gestört und dadurch eine Gefahr für die öffentliche Sicherheit im Sinne von § 2 Abs. 1 Buchst. a NPOG verursacht hat. Schutzgut der öffentlichen Sicherheit ist auch der Bestand und die Funktionsfähigkeit der staatlichen Einrichtungen. Wenn Dritte eine polizeiliche Maßnahme stören oder behindern, stellt dies eine konkrete Gefahr für das Funktionieren einer staatlichen Einrichtung und damit für die öffentliche Sicherheit dar. Dafür reicht es bereits aus, dass ein Außenstehender sich bei der polizeilichen Kontrolle einer Person demonstrativ unmittelbar daneben stellt oder - verbal oder nonverbal - seine Missbilligung kundtut (vgl. OVG Rheinland-Pfalz, Urteil vom 27. März 2014 - 7 A 10993/13, juris; BeckOK PolR Nds/Ullrich, NPOG § 2 Rn. 22; Lisken/Denninger, Handbuch des Polizeirechts, 5. Aufl., D Rn. 22 und 25).

Entgegen dem Beschwerdevorbringen war der gestörte Polizeieinsatz zum Zeitpunkt der Ingewahrsamnahme auch noch nicht beendet. Ausweislich des Einsatzberichts der Einsatzleitstelle wurde bereits um 18:05 Uhr über Funk gemeldet, dass eine männliche Person die Maßnahme gestört habe und einem Platzverweis nicht nachgekommen sei. Diese müsse nun auch transportiert werden. Um 18:06 Uhr wurde durchgegeben, dass die Person Widerstand geleistet habe. Um 18:09 Uhr erfolgte die Meldung, dass die Person sich bei der Fesselung an der Stirn leicht verletzt habe. Erst um 18:18 Uhr wurde über Funk gemeldet, dass der Beschuldigte, dem der Einsatz gegolten hatte, nun abtransportiert werde. Hieraus ergibt sich, dass die Ingewahrsamnahme schon um 18:05 Uhr angeordnet wurde, der Einsatz vor Ort aber mindestens bis 18:18 Uhr andauerte.

b) Die angeordnete Ingewahrsamnahme war ebenso wie der Platzverweis gemäß § 80 Abs. 2 Satz 1 Nr. 2 VwGO sofort vollziehbar und konnte nach §§ 64 Abs. 1, 65 Abs. 1 Nr. 3 NPOG mit unmittelbarem Zwang durchgesetzt werden.

Die Anwendung unmittelbaren Zwangs in Form von körperlicher Gewalt (vgl. § 69 Abs. 1 NPOG) durch Festhalten und Fixieren an einer Hauswand sowie durch Verwendung von Handfesseln als Hilfsmittel (§ 69 Abs. 3 NPOG) war rechtmäßig, insbesondere auch verhältnismäßig. Die Verhältnismäßigkeit der Anwendung unmittelbaren Zwanges ist ebenfalls aus der ex-ante-Sicht der handelnden Polizeibeamten zu beurteilen. Ein anderes geeignetes, den Beschwerdeführer weniger belastendes Zwangsmittel stand nicht zur Verfügung, nachdem dieser sich trotz Androhung von Gewahrsam und Zwangsanwendung nicht vom Einsatzort wegbewegt hatte. Der Umstand, dass der Beschwerdeführer an einer Hauswand fixiert wurde und dabei an der Stirn eine Verletzung erlitt, war ersichtlich darauf zurück zu führen, dass er sich seinerseits mit körperlicher Gewalt durch Anspannen der Arme der Festnahme entziehen sowie durch plötzliches Wegdrehen des Körpers verhindern wollte, dass einer der Polizeibeamten seinen Bundespersonalausweis aus seiner Hosentasche ziehen konnte, um seine Identität festzustellen. Dies ergibt sich aus den bereits genannten Berichten der Polizeibeamten, welche auch insoweit eine Stütze in der Aussage des Zeugen P. finden, als dieser eine überschießende Gewaltanwendung durch die eingesetzten Beamten nicht bekundet hat. Die Behauptung des Beschwerdeführers, er sei mit seinem "ganzen Körper gegen eine Hauswand" geschleudert worden, ist mithin widerlegt. Ausweislich des Einsatzprotokolls des Notfallsanitäters handelte es sich um eine oberflächliche Rissquetschwunde von 1 cm Länge.

c) Die Anordnung der Dauer des Gewahrsams und dessen Vollzug bis 3:00 Uhr am nächsten Tag halten der Überprüfung indes nicht Stand.

Gemäß § 21 Abs. 1 Nr. 1 NPOG ist die festgehaltene Person zu entlassen, sobald der Grund für die Maßnahme der Polizei weggefallen ist. Die Polizei muss nach der Ingewahrsamnahme die Gefahrenlage fortlaufend weiter im Blick behalten und bei deren Wegfall die Freiheitsentziehung beenden. Dies gilt selbst dann, wenn eine richterliche Entscheidung ergangen und die darin festgesetzte Höchstdauer noch nicht erreicht ist (vgl. BeckOK PolR Nds/Waechter, NPOG § 21 Rn. 12). Das ist hier unterblieben. Die Fortdauer des Gewahrsams über 18:42 Uhr hinaus war nicht gerechtfertigt.

aa) Zwar galt der Platzverweis für die Dauer von insgesamt acht Stunden und ist die Rechtmäßigkeit des Platzverweises auch insoweit nicht Voraussetzung für die Rechtmäßigkeit des Gewahrsams. Es bestand jedoch kein tragfähiger Grund für die Annahme, dass der Beschwerdeführer auch nach der Verbringung zu der Gewahrsamsstelle in der W.straße 7, wo er ausweislich des Übernahmevermerks am 26. Juli 2023 um 18:30 Uhr eintraf, und nach der Versorgung seiner Wunde durch den Notfallsanitäter, die um 18:42 Uhr beendet war, im Falle einer Entlassung wieder zu der vom Platzverweis erfassten Örtlichkeit zurückgekehrt wäre. Tatsächliche Anhaltspunkte, die aus der damaligen ex-ante-Sicht eine solche Prognose trugen, lagen nicht vor. Der Polizeieinsatz, den der Beschwerdeführer gestört hatte, war beendet. Es ist nicht erkennbar, dass der Beschwerdeführer noch ein Interesse daran gehabt hätte, wieder zum Steintor zurückzukehren. Seine vorherigen verbalen Äußerungen, dass ihm der Platzverweis "egal" sei, waren im Kontext der Situation vor dem Abtransport zu würdigen. Um 18:42 Uhr hatten sich die tatsächlichen Umstände durch den Abschluss des Einsatzes, die räumliche Veränderung und die Versorgung der Wunde jedenfalls so maßgeblich geändert, dass der Gewahrsam nicht mehr als unerlässlich angesehen werden konnte, um den Platzverweises weiter durchzusetzen.

bb) Dafür, dass dies auch aus Sicht der entscheidenden Polizeibeamten so war, spricht die Begründung des Antrags auf richterliche Anordnung der Fortdauer des Gewahrsams. Diese stellt nämlich nicht mehr auf die Durchsetzung des Platzverweises ab, sondern darauf, dass "der Besch. aufgrund seines emotional aufgebrachten Zustandes sowie seiner verbalen und körperlichen Aggressivität Streitigkeiten/Konflikte mit Personen im Bereich der Innenstadt provorzieren wird". Eine derartige Gefahrenlage, die gleichsam einen neuen Gewahrsamsgrund dargestellt hätte, bestand indes nicht.

Die Voraussetzungen für eine Ingewahrsamnahme nach § 18 Abs. 1 Nr. 2 NPOG lagen nicht vor. Nach dieser Vorschrift kann die Polizei eine Person in Gewahrsam nehmen, wenn dies unerlässlich ist, um die unmittelbar bevorstehende Begehung oder Fortsetzung einer Straftat (Buchst. a) oder einer Ordnungswidrigkeit von erheblicher Gefahr für die Allgemeinheit (Buchst. b) zu verhindern.

Die Frage, ob aus der maßgeblichen ex-ante-Sicht in der konkreten Situation eine Gefahr im Sinne des § 18 Abs. 1 Nr. 2 NPOG vorgelegen hat, unterliegt dabei der vollen gerichtlichen Nachprüfung. Ein Beurteilungsspielraum kommt der Polizei insoweit nicht zu. Eine Maßnahme ist nur dann rechtmäßig, wenn sich die ex-ante-Prognose auf der Basis sämtlicher zum Zeitpunkt der Anordnung erkennbarer Umstände als fehlerfrei darstellt (vgl. Senat aaO; Niedersächs. OVG aaO; BeckOK PolR Nds/Waechter, NPOG § 18 Rn. 37).

Da es sich bei der Ingewahrsamnahme um eine die Freiheit der Person nicht nur beschränkende, sondern aufhebende Freiheitsentziehung im Sinne des Art. 104 Abs. 2 GG handelt, die zugleich einen Eingriff in die Freiheit der Person im Sinne des Art. 2 Abs. 2 Satz 2 GG und damit in ein Grundrecht von hohem Rang darstellt, ist bei der Anwendung des § 18 Abs. 1 Nr. 2 NPOG ein strenger Maßstab anzulegen (vgl. Senat aaO; Niedersächs. OVG aaO). Der Begriff der "unmittelbar bevorstehenden Begehung" in § 18 Abs. 1 Nr. 2 NPOG entspricht hinsichtlich der zeitlichen Nähe des drohenden Schadenseintritts dem der gegenwärtigen Gefahr im Sinne von § 2 Nr. 1 Buchst. b NPOG (vgl. Senat aaO; Niedersächs. OVG aaO; BeckOK PolR Nds/Waechter, NPOG § 18 Rn. 37). Danach besteht eine gegenwärtige Gefahr, wenn die Einwirkung des schädigenden Ereignisses - hier die Begehung einer Straftat oder Ordnungswidrigkeit von erheblicher Bedeutung für die Allgemeinheit - bereits begonnen hat oder in allernächster Zeit mit einer an Sicherheit grenzenden Wahrscheinlichkeit bevorsteht. Der qualifizierte Gefahrenbegriff der gegenwärtigen Gefahr stellt besondere Anforderungen an die zeitliche Nähe des Schadenseintritts und dessen Wahrscheinlichkeit; der Eintritt des Schadens muss "sofort und fast mit Gewissheit" zu erwarten sein (vgl. Senat aaO; BVerwGE 45, 51; Niedersächs. OVG aaO; BeckOK PolR Nds/Waechter, NPOG § 18 Rn. 39). Zwar sind an die Wahrscheinlichkeit des Schadenseintritts umso geringere Anforderungen zu stellen, je größer und folgenschwerer der möglicherweise eintretende Schaden ist. Dieser Gesichtspunkt kann indes nicht dazu führen, dass die Anforderungen, die an die Wahrscheinlichkeit des Schadenseintritts zu stellen sind, entgegen der verfassungsrechtlichen Bedeutung der Freiheit der Person auf die Voraussetzungen der "einfachen" Gefahr reduziert werden; eine "hinreichende Wahrscheinlichkeit" des Schadenseintritts genügt daher nicht (Niedersächs. OVG aaO).

Hieran gemessen erweist sich die dem Antrag auf Fortdauer des Gewahrsams zugrunde gelegte Prognose als fehlerhaft. Es lagen keine ausreichenden Tatsachen vor, aus denen hätte abgeleitet werden können, dass der Beschwerdeführer bei Entlassung aus dem Gewahrsam in allernächster Zeit mit einer an Sicherheit grenzenden Wahrscheinlichkeit eine Straftat oder Ordnungswidrigkeit von erheblicher Bedeutung für die Allgemeinheit begehen würde. Es ist schon nicht konkret dargelegt, zu welchen Straftaten oder Ordnungswidrigkeiten die befürchteten "Streitigkeiten/Konflikte mit Personen im Bereich der Innenstadt" führen würden. Die vorherige Aggressivität des Beschwerdeführers hatte sich ausschließlich gegen die am Einsatz beteiligten Polizeibeamten gerichtet. Das Verhalten und der Zustand des Beschwerdeführers rechtfertigten nicht die Annahme, dass dieser nach Abschluss des Polizeieinsatzes nunmehr Passanten verbal oder körperlich attackieren würde. Ein Anknüpfungspunkt für eine solche Annahme ergibt sich auch nicht aus der Alkoholisierung des Beschwerdeführers. Diese war ersichtlich nicht schwerwiegend. Nach dem Bericht der Polizeikommissarin S. konnte Atemalkoholgeruch beim Beschwerdeführer nicht wahrgenommen werden. Im Einsatzprotokoll des Notfallsanitäters ist notiert: "Alkoholgeruch wahrnehmbar". Im Antrag auf gerichtliche Anordnung der Fortdauer heißt es zum Zustand des Beschwerdeführers: "Zeitl. + örtlich orientiert, augenscheinlich nicht betrunken (verweigert freiwillige Atemalkoholkontrolle), emotional aufgebracht". Alkoholbedingte Ausfallserscheinungen sind an keiner Stelle beschrieben.

cc) Die Fortdauer des Gewahrsams war auch nicht dadurch gerechtfertigt, dass noch eine richterliche Entscheidung eingeholt worden ist. Denn der Herbeiführung einer solchen bedarf es nicht, wenn anzunehmen ist, dass die Entscheidung erst nach Wegfall des Grundes der Maßnahme ergehen wird (§ 19 Abs. 1 Satz 2 NPOG). So lag es hier. Der Gewahrsamsgrund fiel ab 18:42 Uhr weg, die richterliche Anhörung erfolgte um 19:30 Uhr. Die Herbeiführung einer richterlichen Entscheidung darf nicht dazu führen, dass sich allein dadurch die Dauer des Gewahrsams verlängert (vgl. BeckOK PolR Nds/Waechter, NPOG § 19 Rn. 16a).

III.

Die Kostenentscheidung beruht auf § 19 Abs. 4 Satz 1 NPOG i.V.m. § 81 Abs. 1 Satz 1 FamFG. Für die Ermittlung der Kostenquoten nach billigem Ermessen war auf das Verhältnis von Obsiegen und Unterliegen abzustellen.

Die Festsetzung des Geschäftswerts beruht auf § 19 Abs. 4 Satz 5 NPOG i.V.m. § 36 Abs. 3 GNotKG.

IV.

Diese Entscheidung ist nach § 19 Abs. 4 Satz 4 NPOG unanfechtbar.