Oberlandesgericht Celle
Beschl. v. 20.04.2023, Az.: 13 U 67/22

Wettbewerbswidrigkeit des Inverkehrbringens und Anbietens eines aus einem Cannabidiol enthaltenden Hanfextrakt bestehenden Nahrungsergänzungsmittels

Bibliographie

Gericht
OLG Celle
Datum
20.04.2023
Aktenzeichen
13 U 67/22
Entscheidungsform
Beschluss
Referenz
WKRS 2023, 33344
Entscheidungsname
[keine Angabe]
ECLI
[keine Angabe]

Verfahrensgang

vorgehend
LG Lüneburg - 01.12.2022 - AZ: 7 O 4/20

Fundstelle

  • GRUR-Prax 2023, 694 "Cannabis-Öl"

Redaktioneller Leitsatz

  1. 1.

    Ein aus einem Cannabidiol enthaltenden Hanfextrakt bestehendes Nahrungsergänzungsmittel ist ein neuartiges Lebensmittel im Sinne von Art. 3 Abs. 2 lit. a Novel-Food-VO, wenn es in dieser Form vor dem 15.5.1997 nicht in nennenswertem Umfang in der Union für den menschlichen Verzehr verwendet wurde (hier: bejaht).

  2. 2.

    Ein solches neuartiges Nahrungsergänzungsmittel darf gemäß Art. 6 Abs. 2 Novel-Food-VO nur in Verkehr gebracht werden, wenn es zugelassen worden ist.

  3. 3.

    Da Art. 6 Abs. 2 Novel-Food-VO eine Marktverhaltensregel im Sinne von § 3a UWG ist, ist das Bewerben und Anbieten eines solchen Nahrungsergänzungsmittels wettbewerbswidrig.

In dem Rechtsstreit
... - pp. - ...
hat der 13. Zivilsenat des Oberlandesgerichts Celle durch den Richter am Oberlandesgericht ..., die Richterin am Oberlandesgericht ... und den Richter am Oberlandesgericht ... am 20. April 2023 einstimmig beschlossen:

Tenor:

Die Berufung der Beklagten gegen das Urteil der 1. Kammer für Handelssachen des Landgerichts Lüneburg vom 1. Dezember 2022 wird auf Kosten der Beklagten zurückgewiesen.

Das angefochtene Urteil ist ohne Sicherheitsleistung vorläufig vollstreckbar. Die Beklagte kann die Vollstreckung des Klägers in der Hauptsache durch Sicherheitsleistung in Höhe von 100.000 € abwenden, wenn nicht die Beklagte vor der Vollstreckung Sicherheit in gleicher Höhe leistet. Hinsichtlich der Kosten kann die Beklagte die Vollstreckung gegen Sicherheitsleistung in Höhe von 110 % des vollstreckbaren Betrages abwenden, wenn nicht der Kläger vor der Vollstreckung Sicherheit in Höhe von 110 % des jeweils zu vollstreckenden Betrages leistet.

Der Streitwert für die Berufungsinstanz wird auf 100.000 € festgesetzt.

Gründe

A.

Die Zurückweisung der Berufung durch Beschluss beruht auf § 522 Abs. 2 Satz 1 ZPO.

Wegen der tatsächlichen Feststellungen wird auf das angefochtene Urteil sowie den Hinweisbeschluss des Senats vom 28. März 2023 Bezug genommen.

I.

Die Berufung hat aus den Gründen des Hinweisbeschlusses, auf die gemäß § 522 Abs. 2 Satz 3 ZPO Bezug genommen wird, offensichtlich keine Aussicht auf Erfolg.

Die Stellungnahme der Beklagten führt zu keiner anderen Beurteilung.

1. Der Kläger hat den Klagantrag - wie in seinem Schriftsatz vom 6. Oktober 2020 (Bl. 522 f. d. A.) angekündigt - in der im Tatbestand des angefochtenen Urteils wiedergegebenen Fassung gestellt. Auch die von der Beklagten beantragte Protokollberichtigung (Schriftsatz vom 22. Juli 2022, Bl. 847 d. A.) würde hieran nichts ändern. Auch hiernach bestünde kein Zweifel daran, dass der Kläger den Klagantrag in der ausdrücklich in Bezug genommenen Fassung aus dem Schriftsatz vom 6. Oktober 2020 (Bl. 522 f. d. A.) stellen wollte.

2. Der Darstellung des Landgerichts, die Beklagte habe nicht vorgetragen, dass es in der EU vor dem 15. Mai 1997 eine Verwendungsgeschichte für Produkte gegeben habe, die sich - wie das der Beklagten - aus Sesamöl und Hanfextrakt zusammensetzten, auch für generell aus Hanfextrakt hergestellte Produkte habe sie eine Verwendungsgeschichte nicht dargelegt, kommt Tatbestandswirkung gemäß § 314 ZPO zu. Hierbei handelt sich um eine Wiedergabe des Tatsachenvortrages der Beklagten. Entgegen dem Einwand der Beklagten geht es insoweit nicht um eine bloße rechtliche Bewertung des Landgerichts.

Eine rechtliche Bewertung würde beispielsweise vorliegen, wenn das Landgericht ausgeführt hätte, ein bestimmter Tatsachenvortrag zu einem Tatbestandsmerkmal sei nicht ausreichend konkret oder nicht hinreichend nachvollziehbar. Um eine derartige Würdigung geht es hier aber nicht. Vielmehr hat das Landgericht ausgeführt, dass die Beklagte zu einer Verwendungsgeschichte nicht vorgetragen habe.

Eine Tatbestandsberichtigung hat die Beklagte insoweit nicht beantragt.

3. Darüber hinaus würde es - wie ausgeführt - auch nichts an der Beurteilung ändern, wenn das Vorbringen aus den vorbereitenden Schriftsätzen berücksichtigt würde. Soweit die Beklagte hierzu darauf verweist, sie habe erstinstanzlich vorgetragen, dass bei der verwendeten Extraktionsmethode keine Anreicherung von CBD im Verhältnis zu den anderen extrahierten Stoffen stattfinde und ihr Cannabis-Öl somit das "Vollspektrum" der Cannabinoide (110 Inhaltsstoffe) aufweise, die in den zur Herstellung verwendeten Hanfpflanzenbestandteilen vorkommen (Bl. 602 ff. d. A.), führt dies nicht zu einer anderen Beurteilung.

Denn dies ändert nichts daran, dass bei der Prüfung, ob ein neuartiges Lebensmittel im Sinne der Novel-Food-VO vorliegt, auf das konkret verwendete Herstellungsverfahren abzustellen ist, weil der Herstellungsvorgang in der Struktur eines Lebensmittels zu physikalischen, chemischen oder biologischen Änderungen der verwendeten Zutaten mit möglicherweise schwerwiegenden Folgen für die öffentliche Gesundheit führen kann (vgl. BGH, Urteil vom 16. April 2015 - I ZR 27/14 - Bohnengewächsextrakt, Rn. 26, juris). Im Streitfall ist das von der Beklagte angewendete spezielle Extraktionsverfahren (Bl. 603 f. d. A.) nicht vergleichbar mit der von der Beklagten - ansatzweise - vorgetragenen bisherigen Verwendung von Hanfblüten und -blättern zur Zubereitung von Tee und bierähnlichen Getränken durch "Extraktion" mit heißem Wasser (Bl. 609 d. A.). Es liegt auf der Hand, dass die Einnahme von Cannabinoiden in hochkonzentrierter Form in dem Nahrungsergänzungsmittel der Beklagten ganz andere ernährungsphysiologische und pharmakologische Wirkungen haben kann als der Verzehr eines mit heißem Wasser hergestellten Aufgusses. Dies gebietet es, das Cannabis-Öl der Beklagten als neues Lebensmittel dem zur Vermeidung von Gesundheitsrisiken vorgesehenen Genehmigungsverfahren nach der Novel-Food-VO zu unterziehen.

II.

Der Rechtsstreit hat keine grundsätzliche Bedeutung. Auch die Fortbildung des Rechts oder die Sicherung einer einheitlichen Rechtsprechung erfordern keine Entscheidung des Senats. Es ist durch die Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs geklärt, dass auf bei der Beurteilung auf das konkrete Lebensmittel - hier den im Wege der Ethanol-Extraktion hergestellten Hanfextrakt - abzustellen ist und nicht auf die bei dessen Herstellung verwendeten Pflanzenteile. Es besteht auch keine Divergenz zu der von der Beklagten zitierten Entscheidung des OLG Frankfurt, in der die Eigenschaft des dort zu beurteilenden Ginkgoblätterextrakts als neuartiges Lebensmittel bejaht wurde. Die Durchführung einer mündlichen Verhandlung ist ebenfalls nicht geboten.

B.

Die Entscheidung über die Kosten beruht auf § 97 Abs. 1 ZPO. Die Entscheidung zur vorläufigen Vollstreckbarkeit ergeht nach § 708 Nr. 10, § 711 ZPO.