Landessozialgericht Niedersachsen
Beschl. v. 26.02.2002, Az.: L 8 AL 379/01

Bemessung des Arbeitslosengeldes; Ermittlung des Bemessungsentgelts; Nichterfüllung der Anwartschaftszeit nach § 123 SGB III; Versicherungs- und Beitragsfreiheit des Bezugs von Überbrückungsgeld; Übergangsregelung nach § 427 Abs 2 und 3 SGB III; Fiktive Bemessung nach tarifvertraglichem Arbeitsentgelt; Vermittlungsbemühungen des Arbeitsamtes; Erfolgreiche Weiterbildungs- bzw Umschulungsmaßnahme

Bibliographie

Gericht
LSG Niedersachsen
Datum
26.02.2002
Aktenzeichen
L 8 AL 379/01
Entscheidungsform
Beschluss
Referenz
WKRS 2002, 41580
Entscheidungsname
[keine Angabe]
ECLI
[keine Angabe]

Verfahrensgang

vorgehend
SG Lüneburg - 25.07.2001 - AZ: S 18 AL 215/00

Prozessführer

A.

Prozessgegner

Bundesanstalt für Arbeit in Nürnberg, vertreten durch den Präsidenten des Landesarbeitsamtes Niedersachsen-Bremen, Altenbekener Damm 82, 30173 Hannover

hat der 8. Senat des Landessozialgerichts Niedersachsen

am 26. Februar 2002

durch

den Richter B. - Vorsitzender -,

den Richter C. und

den Richter D.

gemäß § 153 Abs 4 Sozialgerichtsgesetz

beschlossen:

Tenor:

Die Berufung des Klägers gegen das Urteil des Sozialgerichts Lüneburg vom 25. Juli 2001 wird zurückgewiesen.

Kosten sind nicht zu erstatten.

Gründe

1

Der Kläger begehrt Arbeitslosengeld (Alg) ab 30. Juni 2000 nach einem höheren Bemessungsentgelt. Streitig ist seine tarifvertragliche Einstufung gemäß § 133 Abs 4 Drittes Buch Sozialgesetzbuch (SGB III).

2

Der 1951 geborene Kläger war bis 1994 selbständig tätig. Auf Grund eines Unfalles bezog er vom 14. November 1994 bis zum 1. Juni 1997 Verletztengeld von der Berufsgenossenschaft für Fahrzeughaltungen (BG). Vom 2. Juni 1997 bis zum 29. Juni 2000 wurde der Kläger auf Kosten der BG mit Bezug von Übergangsgeld (Übg) zum Verwaltungsfachangestellten umgeschult.

3

Am 13. Juni 2000 meldete er sich arbeitslos und beantragte die Gewährung von Alg. Durch Bescheid vom 25. Juli 2000 bewilligte die Beklagte ab 30. Juni 2000 Alg nach einem Bemessungsentgelt von 880,00 DM wöchentlich (Leistungsgruppe A, mit Kindermerkmal, Leistungssatz: 364,21 DM wöchentlich). Das Bemessungsentgelt wurde ab 1. Juli 2000 auf 960,00 DM wöchentlich erhöht (Änderungsbescheid vom 26. Juli 2000). Der Kläger stand bis zur Erschöpfung des Alg-Anspruchs am 24. Juni 2001 im Leistungsbezug der Beklagten.

4

Die Beklagte ermittelte das maßgebliche Bemessungsentgelt fiktivnach § 133 Abs 4 SGB III, weil im Falle des Klägers innerhalb der letzten drei Jahre vor Entstehung des Anspruchs ein Bemessungszeitraum von mindestens 39 Wochen mit Anspruch auf Entgelt nicht festgestellt werden konnte. Danach ist Bemessungsentgelt das tarifliche Arbeitsentgelt derjenigen Beschäftigung, auf die das Arbeitsamt die Vermittlungsbemühungen für den Arbeitslosen in erster Linie zu erstrecken hat. Die Beklagte ordnete den Kläger als Verwaltungsfachangestellten ohne Berufserfahrung der Vergütungsgruppe BAT VII mit einem Tarifgehalt von 3.800,26 DM zu. Damit war der Kläger nicht einverstanden, weil nach seiner Auffassung eine Eingruppierung nach BAT Vb möglich sei.

5

Das Widerspruchsverfahren endete durch Widerspruchsbescheid vom 21. August 2000 und blieb ebenso wie das Klageverfahren vor dem Sozialgericht (SG) Lüneburg (Klageerhebung: 28. August 2000; Urteil vom 25. Juli 2001) erfolglos.

6

Hiergegen richtet sich die am 7. August 2001 eingegangene Berufung des Klägers.

7

Der Kläger trägt vor, er sei zum 8. Oktober 2001 als Verwaltungsfachangestellter im Sozialamt des Ortsamtes F. als Sachbearbeiter nach BAT Vb eingestellt worden. Daraus sei ersichtlich, dass diese Vergütungsgruppe von Anfang an gerechtfertigt gewesen wäre.

8

Der Kläger beantragt,

  1. 1.

    das Urteil des Sozialgerichts Lüneburg vom 25. Juli 2001 aufzuheben sowie die Bescheide der Beklagten vom 25. Juli und 26. Juli 2000 in Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 21. August 2000 zu ändern,

  2. 2.

    die Beklagte zu verurteilen, ihm vom 30. Juni 2000 bis zum 24. Juni 2001 Arbeitslosengeld unter Zugrundelegung des Arbeitsentgelts in der Vergütungsgruppe BAT Vb zu zahlen.

9

Die Beklagte beantragt,

die Berufung zurückzuweisen.

10

Die Beklagte erwidert, an sich sei der Kläger nach der Einstellungspraxis in der Kommunalverwaltung und anderen Verwaltungen in die Vergütungsgruppe BAT VIII einzugruppieren gewesen. Sie habe jedoch zugunsten des Klägers sein Lebensalter und den bisherigen beruflichen Werdegang berücksichtigt und die Vergütungsgruppe BAT VII als Bemessungsgrundlage zugrunde gelegt, obwohl keine einschlägige Berufserfahrung im Verwaltungsbereich vorgelegen habe.

11

Wegen des umfassenden Vorbringens der Beteiligten wird auf die Gerichtsakte sowie auf die Leistungsakte des Arbeitsamtes G. (Stamm-Nr: H.) Bezug genommen

12

Der Senat entscheidet gemäß § 153 Abs 4 Sozialgerichtsgesetz (SGG) durch Beschluss, weil er die Berufung einstimmig für unbegründet und eine mündliche Verhandlung nicht für erforderlich hält. Die Beteiligten sind hierzu angehört worden.

13

Die zulässige Berufung des Klägers ist unbegründet. Zu Recht hat das SG die Klage abgewiesen. Der Kläger kann kein Alg nach einem höheren Bemessungsentgelt verlangen.

14

Der Kläger hat die Anwartschaftszeit nach § 123 SGB III nicht erfüllt, weil er innerhalb der dreijährigen Rahmenfrist vor Entstehung des Anspruchs keine 12 Monate in einem Versicherungspflichtverhältnis gestanden hat, nachdem der Bezug von Übg ab 1. Januar 1998 nicht mehr der Versicherungs- und Beitragspflicht unterliegt. Er kommt jedoch in den Genuss der Übergangsregelung nach § 427 Abs 2 und 3 SGB III. Danach werden die Zeiten, in denen ab 1. Januar 1998 von einem Rehabilitationsträger Übg wegen einer berufsfördernden Maßnahme bezogen wurde, nicht in die Rahmenfrist eingerechnet (§ 124 Abs 3 Nr 5 SGB III) und die davor liegenden Bezugszeiten von Verletztengeld und Übg (§ 107 Satz 1 Nr 5 Buchst a Arbeitsförderungsgesetz -AFG -) anwartschaftsbegründend berücksichtigt. Allerdings kann innerhalb der letzten drei Jahre vor der Entstehung des Anspruchs am 30. Juni 2000 kein Bemessungszeitraum von mindestens 39 Wochen mit Anspruch auf Arbeitsentgelt festgestellt werden, sodass gemäß § 133 Abs 4 SGB III als Bemessungsgrundlage nur eine fiktiveBemessung nach dem tarifvertraglichen Arbeitsentgelt in Betracht kommt.

15

Diese Einstufung richtet sich gemäß § 133 Abs 4 SGB III nach derjenigen Beschäftigung, auf die das Arbeitsamt die Vermittlungsbemühungen für den Arbeitslosen in erster Linie zu erstrecken hat. In der Regel werden sich die Vermittlungsbemühungen auf die erlernte bzw zuletzt ausgeübte Tätigkeit konzentrieren, wobei nach einer erfolgreichen Weiterbildungs- bzw Umschulungsmaßnahme von diesem neuen Tätigkeitsfeld auszugehen ist. Beim Fehlen eines aktuellen und repräsentativen Bemessungszeitraums ist der Bewilligung von Alg das tarifliche Entgelt zugrunde zu legen, das der Arbeitslose bei erfolgreicher Vermittlung voraussichtlich erzielen könnte.

16

Die Beklagte hat den Kläger ab 30. Juni 2000 als Verwaltungsfachangestellten in die Vergütungsgruppe BAT VII eingruppiert. Das ist rechtlich nicht zu beanstanden. Nach der Anlage 1a zum BAT (Eingruppierung der Angestellten im allgemeinen Verwaltungs- und Kassendienst bei Bund/Länder/Gemeinden) ist die Vergütungsgruppe VII für Angestellte im Büro-, Buchhalterei-, sonstigen Innendienst und im Außendienst vorgesehen, deren Tätigkeit gründliche und vielseitige Fachkenntnisse erfordert. Die gründlichen und vielseitigen Fachkenntnisse brauchen sich nicht auf das gesamte Gebiet der Verwaltung bzw des Betriebes zu beziehen. Der Aufgabenkreis des Angestellten muss aber so gestaltet sein, dass er nur beim Vorhandensein gründlicher und vielseitiger Fachkenntnisse ordnungsgemäß bearbeitet werden kann. Im Fall des Klägers, der die Umschulung zum Verwaltungsfachangestellten erfolgreich abgeschlossen hat, können solche gründlichen und vielseitigen Fachkenntnisse angenommen werden, die sich gegenüber dem Anforderungsprofil der Vergütungsgruppe BAT VIII (schwierige Tätigkeiten) hervorheben. Daraus ergibt sich das Bemessungsentgelt von 880,00 DM wöchentlich, das die Beklagte der Leistungsbewilligung ab 30. Juni 2000 zugrunde gelegt hat.

17

Der Kläger kann keine Eingruppierung in eine höhere Vergütungsgruppe erhalten. Für die nächsthöhere Vergütungsgruppe BAT VIb ist nach der Anlage 1a zum BAT neben gründlichen und vielseitigen Fachkenntnissen mindestens zu einem Fünftel die Durchführung selbständiger Leistungen erforderlich. Das kann von dem Kläger, der am Tage davor die Umschulung zum Verwaltungsfachangestellten abgeschlossen hat und keine einschlägigen Verwaltungserfahrungen vorweisen kann, nicht erwartet werden. Erst nach sorgfältiger Einarbeitung und Einübung in die Entwicklung eigener selbständiger Initiativen ist tarifrechtlich eine Eingruppierung bis zur Vergütungsgruppe BAT Vb möglich.

18

Nichts anderes ergibt sich daraus, dass der Kläger ab 8. Oktober 2001 vom Bezirksamt I. als Verwaltungsangestellter mit der Vergütungsgruppe Vb eingestellt wurde. Ausschlaggebend für die bemessungsrechtliche Zuordnung in eine tarifvertragliche Vergütungsgruppe gemäß § 133 Abs 4 SGB III sind nicht die Besonderheiten eines einzelnen Arbeitsverhältnisses bzw die Anforderungen eines einzelnen Arbeitgebers. Denn für die Einstellung eines Arbeitslosen für einen bestimmten Arbeitsplatz können unterschiedliche Gesichtspunkte eine wichtige Rolle gespielt haben. Eine übertarifliche Eingruppierung im Einzelfall kann im Rahmen des § 133 Abs 4 SGB III ebenso wenig berücksichtigt werden, wie der Fall eines nicht gewerkschaftlich organisierten Arbeitslosen, der untertariflich beschäftigt werden kann. Eine fiktiveBemessung kann nur nach den abstrakten tarifvertraglichen Voraussetzungen erfolgen, wie dies hier zu Recht geschehen ist.

19

Die Kostenentscheidung folgt aus § 193 SGG.