Oberlandesgericht Celle
Beschl. v. 19.06.2013, Az.: 17 UF 3/13

Voraussetzungen für Annahme Volljähriger nach den Vorschriften über die Annahme Minderjähriger

Bibliographie

Gericht
OLG Celle
Datum
19.06.2013
Aktenzeichen
17 UF 3/13
Entscheidungsform
Beschluss
Referenz
WKRS 2013, 42208
Entscheidungsname
[keine Angabe]
ECLI
ECLI:DE:OLGCE:2013:0619.17UF3.13.0A

Fundstellen

  • FamFR 2013, 431
  • FamRZ 2014, 579

Amtlicher Leitsatz

1. Das mögliche Interesse eines leiblichen Elternteils an der Aufrechterhaltung des Verwandtschaftsverhältnisses muss bei der Prüfung der sittlichen Rechtfertigung der Annahme Volljähriger nach den Vorschriften der Annahme Minderjähriger berücksichtigt und gegen die Gesichtspunkte und Belange abgewogen werden, die für die angestrebte Volladoption sprechen.

2. Dem Ausspruch einer Volladoption stehen die wechselseitigen Unterhaltsverpflichtungen zwischen dem Anzunehmenden und seiner leiblichen Mutter entgegen.

3. Für den Ausspruch der Volladoption streiten Gesichtspunkte einer weiteren ungestörten Entwicklung des Anzunehmenden.

Tenor:

Der Senat weist gemäß § 68 Abs. 3 Satz 2 FamFG darauf hin, dass er beabsichtigt, die Beschwerde im schriftlichen Verfahren zurückzuweisen.

Der Senat wird nicht vor dem 4. Juli 2013 in der Sache entscheiden.

Gründe

Das Beschwerdegericht kann nach § 68 Abs. 3 Satz 2 FamFG von der Durchführung eines Termins, einer mündlichen Verhandlung oder von sonstigen Verfahrensabschnitten absehen, wenn diese bereits im ersten Rechtszug vorgenommen wurden und von ihrer erneuten Durchführung keine zusätzlichen Erkenntnisse zu erwarten sind. Diese Voraussetzungen liegen hier vor. Insbesondere hat das Amtsgericht alle Beteiligten ausführlich angehört. Die dort festgestellten Tatsachen tragen im Ergebnis die angefochtene Entscheidung. Dies ergibt sich aus den nachfolgenden Erwägungen:

Die Beteiligten zu 1 und 2 haben im vorliegenden Verfahren den Ausspruch einer Annahme des Beteiligten zu 2 als Kind der Beteiligten zu 1 mit den Wirkungen der Annahme nach den Vorschriften über die Annahme eines minderjährigen Kindes beantragt. Das Amtsgericht hat im ersten Rechtszug die Annehmende, den Anzunehmenden sowie die leiblichen Eltern des Anzunehmenden angehört. Wegen des Ergebnisses der Anhörung verweist der Senat auf das Protokoll der nichtöffentlichen Sitzung des Amtsgerichts Wennigsen vom 21. September 2012 (Bl. 96 - 99 GA).

Das Amtsgericht hat sodann in der angefochtenen Entscheidung den auf Ausspruch der Annahme des Beteiligten zu 2 als Kind der Beteiligten zu 1 gerichteten Antrag zurückgewiesen. In seiner Entscheidung geht es davon aus, dass die Voraussetzungen des § 1772 Abs. 1 b und c BGB vorliegen, da der Beteiligte zu 2 das Stiefkind der Beteiligten zu 1 ist und bereits als Minderjähriger in der Familie der Beteiligten zu 1 aufgenommen worden ist. Eine Adoption mit den Wirkungen der Minderjährigenannahme könne jedoch gemäß § 1772 Abs. 2 BGB nicht ausgesprochen werden, da ihr überwiegende Interessen der leiblichen Mutter des Anzunehmenden entgegenstehen würden. Der Ausspruch einer starken Adoption hätte ein Erlöschen des Verwandtschaftsverhältnisses des Anzunehmenden zu seiner leiblichen Mutter zur Folge, wodurch diese ihren gesetzlichen Unterhaltsanspruch gegenüber ihrem Sohn verlieren würde. Insbesondere könne aufgrund der derzeitigen Arbeitslosigkeit der 53-jährigen Mutter des Anzunehmenden nicht ausgeschlossen werden, dass diese künftig bedürftig werden würde und dann auf einen Unterhaltsanspruch gegenüber ihrem Sohn angewiesen sei. Angesichts der seit 1997 bis einschließlich Juli 2012 von der Kindesmutter für den Anzunehmenden geleisteten Unterhaltszahlungen würde ein Verlust des Unterhaltsanspruchs der Kindesmutter aufgrund des Verbots widersprüchlichen Verhaltens mit Treu und Glauben nicht zu vereinbaren sein. Auch sei nicht ersichtlich, dass es einer Volladoption für die weitere positive Entwicklung des Beteiligten zu 2 bedürfe. Bereits durch eine Adoption ohne den Ausspruch gemäß § 1772 BGB erhalte der Anzunehmende die Stellung eines Kindes der Annehmenden mit allen beiderseitigen Rechten und Pflichten.

Hiergegen wenden sich Anzunehmender und Annehmende mit ihrer Beschwerde. Diese ist zulässig, insbesondere fristgerecht eingelegt. Sie dürfte jedoch nach Lage der Akten und unter Zugrundelegung des Ergebnisses der vom Amtsgericht durchgeführten Anhörung nicht zu einer Abänderung der angefochtenen Entscheidung führen.

Das Amtsgericht dürfte in seiner Entscheidung zutreffend darauf abgestellt haben, dass nach § 1772 Abs. 1 Satz 2 BGB einer Annahme nach den Vorschriften über die Annahme eines Minderjährigen nicht ausgesprochen werden darf, weil ihr überwiegende Interessen der leiblichen Mutter des Anzunehmenden entgegenstehen.

Die ursprüngliche Fassung des § 1772 Abs. 1 BGB enthielt den später eingefügten Satz 2 noch nicht. Der Gesetzgeber ging seinerzeit bei Schaffung des § 1772 Abs. 1 BGB davon aus, dass die sog. "schwachen" Wirkungen der Annahme Volljähriger im Regelfall ausreichen würden, um die mit dieser Annahme verbundenen Zwecke zu erfüllen. In einigen Ausnahmefällen seien diese schwachen Wirkungen jedoch nicht ausreichend, insbesondere dann, wenn der Anzunehmende schon besondere Beziehungen zu dem Annehmenden habe, die nur dadurch ausreichend verstärkt werden können, dass die Annahme des schon Volljährigen mit starken Wirkungen verbunden werde. Bei der Annahme des eigenen nichtehelichen Kindes und des Kindes des Ehegatten werde es in der Regel der Vorstellung der Beteiligten entsprechen, wenn die Familienbeziehung so ausgestaltet werde wie zu leiblichen ehelichen Kindern. Deshalb solle auch in diesen Fällen die Annahme mit starken Wirkungen möglich sein (Bundestagsdrucksache 7/3061, Seite 55/56).

Im Zuge der Einführung des § 1772 Abs. 1 Satz 2 BGB wies der Gesetzgeber darauf hin, dass jede Annahme eines Volljährigen sittlich gerechtfertigt sein müsse. Dies gelte bei einer angestrebten Volladoption auch in Ansehung ihrer besonderen Rechtsfolgen: Das durch eine Volladoption bewirkte Erlöschen des Verwandtschaftsverhältnisses des Anzunehmenden und seiner Abkömmlinge insbesondere zu den leiblichen Eltern könne diese - ideell wie materiell - empfindlich berühren. Das mögliche Interesse der leiblichen Eltern an der Aufrechterhaltung dieses Verwandtschaftsverhältnisses müsse deshalb bei der Prüfung der sittlichen Rechtfertigung einer angestrebten Volladoption berücksichtigt und gegen die Gesichtspunkte und Belange abgewogen werden, die für die angestrebte Volladoption sprechen (Bundestagsdrucksache 12/2506, Seite 9).

Diese gesetzgeberische Intention wird sowohl in der Kommentarliteratur als auch in der Rechtsprechung aufgegriffen.

Maurer greift in seiner Kommentierung zu § 1772 Absatz 1 Satz 2 BGB einleitend auf, dass jede Volljährigenadoption außer den Interessen des Anzunehmenden auch die der leiblichen Familie zu berücksichtigen habe. Maßstab sei der Zweck der Volladoption: Das Kind, dessen Verbindung zur leiblichen Verwandtschaft faktisch oder rechtlich abgebrochen werde, solle eine vollwertige Ersatzfamilie erhalten, die ihm eine ungestörte Entwicklung sichere. Bestehe aber noch eine Verbindung zur leiblichen Familie, sei der Abbruch dieser Beziehung auch nach Erreichung der Volljährigkeit grundsätzlich nicht gerechtfertigt. Gleiches gelte, wenn zu besorgen sei, dass sich das Kind durch eine Volladoption seiner Unterhaltspflicht gegenüber einem leiblichen Elternteil entziehe, wenn es zuvor von diesem während seiner Bedürftigkeit versorgt worden sei (Maurer in Münchener Kommentar zum Bürgerlichen Gesetzbuch, Familienrecht II, § 1772 BGB, Rdnr. 8).

In gleicher Weise greift das Oberlandesgericht München in seinem Beschluss vom 8. Mai 2009 die Interessenlage des Anzunehmenden und seiner leiblichen Eltern auf (FamRZ 2009, 1337, Textziffer 6 [juris]). Weiter stellt es auf den Aspekt der weiteren ungestörten Entwicklung des Anzunehmenden ab. Bereits durch eine Adoption nach den Vorschriften über die Annahme Volljähriger ohne den beantragten Ausspruch nach § 1772 Abs. 1 Satz 1 BGB erfolge die Annahme als Kind mit allen Rechten und Pflichten, insbesondere könne der Anzunehmende auch den Familiennamen der Annehmenden tragen (OLG München aaO., Textziffer 7).

Unter Berücksichtigung aller eben genannten Umstände hat das Amtsgericht vorliegend zutreffend darauf abgestellt, dass eine Volljährigenadoption nach § 1772 Abs. 1 BGB nicht auszusprechen ist.

Zunächst ergibt sich aus der Anhörung des Anzunehmenden ebenso wie aus der seiner leiblichen Mutter, dass zwischen beiden regelmäßige Kontakte bestehen. Haben solche Kontakte in der weiter zurückliegenden Vergangenheit offensichtlich nur "auf neutralem Boden" in H. und jeweils für ein paar Stunden stattgefunden, haben sich diese Kontakte jedenfalls in der näheren Vergangenheit intensiviert. Der Anzunehmende hat nämlich ein duales Studium der Betriebswirtschaft in R. aufgenommen, er studiert dort mittlerweile im 5. Semester. Seine leibliche Mutter hat ihm bei der Wohnungssuche in R. geholfen. Durch den Umzug hat sich das Verhältnis zwischen dem Anzunehmenden und seiner leiblichen Mutter intensiviert. Im Oktober 2011 hat der Anzunehmende seine Mutter sogar über einen Zeitraum von drei Tagen mit seiner Freundin besucht. Allein daraus lässt sich entnehmen, dass noch eine Verbindung des Anzunehmenden zu seiner leiblichen Mutter besteht.

Weiter stellt das Amtsgericht zutreffend in der angefochtenen Entscheidung darauf ab, dass einem Ausspruch einer sog. "starken" Volljährigenadoption die wechselseitigen Unterhaltsverpflichtungen zwischen dem Anzunehmenden und seiner leiblichen Mutter entgegenstehen. Nach dem Ergebnis der Anhörung hat die leibliche Mutter des Anzunehmenden diesem seit 1997 bis einschließlich Juli 2012 Kindesunterhalt gezahlt. Angesichts dessen muss die Unterhaltsverpflichtung des anzunehmenden Volljährigen gegenüber seiner leiblichen Mutter zum Zeitpunkt des Adoptionsantrages nicht schon konkret bestehen oder sich abzeichnen (so auch OLG München, aaO., Textziffer 13). Eine andere Betrachtungsweise würde den Prinzipien des Unterhaltsrechts zuwiderlaufen, insbesondere den dort entwickelten Grundsätzen zur Prognosesicherheit. Gerade vorliegend erklärt sich eine solche Sichtweise daraus, dass die Zukunft der Kindesmutter des Anzunehmenden zum Zeitpunkt der Anhörung unsicher gewesen ist. Sie erhielt ein bis Dezember 2012 befristetes Arbeitslosengeld, mithin war ihre Zukunft nicht prognostizierbar. Diese Situation offenbart, dass - gerade mit Blick auf die heutige Arbeitswelt - jederzeit Änderungen eintreten können, die einer Prognose unzugänglich sind. In Ansehung des Umstandes, dass der Anzunehmende von seiner Kindesmutter über einen Zeitraum von etwa 15 Jahren Kindesunterhalt bezogen hat, erscheint mithin eine Kappung der unterhaltsrechtlichen Bande unter Abwägung der Interessen der Beteiligten unangemessen.

Schließlich sind auch keine Gründe dafür erkennbar, die den Ausspruch der "starken Volljährigenadoption" unter dem Gesichtspunkt einer weiteren ungestörten Entwicklung des Anzunehmenden rechtfertigen würden. Dieser trägt den Namen seines Vaters, den auch die Annehmende trägt. Er lebt nicht mehr im Haushalt seiner Eltern, sondern führt ein eigenständiges Leben mit dem Mittelpunkt an seinem Studienort.

Die Entscheidung des Amtsgerichts dürfte demnach im Ergebnis nicht zu beanstanden sein. Da die Antragsteller nicht hilfsweise auf eine Volljährigenadoption ohne den Ausspruch der Wirkungen des § 1772 Abs. 1 BGB angetragen haben, wäre die Beschwerde nach Lage der Akten zurückzuweisen.

Abschließend weist der Senat darauf hin, dass er den Gegenstandswert für beide Rechtszüge nicht - wie vom Amtsgericht vorgenommen - nach § 42 Abs. 3 FamGKG festzusetzen gedenkt. Vielmehr dürfte sich der Wert des auf die Annahme eines Volljährigen gerichteten Verfahrens nach § 42 Abs. 2 FamGKG bestimmen (Senatsbeschluss vom 11. April 2013 - 17 WF 39/13 -, veröffentlicht bei juris). Demzufolge bestimmt sich der Gegenstandswert des vorliegenden Verfahrens nach dem Umfang und der Bedeutung der Sache sowie den Vermögens- und Einkommensverhältnissen der Beteiligten. Zur Sachverhaltsaufklärung hat der Senat deshalb mit paralleler Post die beurkundende Notarin gebeten, ihre Kostennote zur Urkunde 1/2012 dem Senat zu übersenden. Hieran wird sich der Senat im Ausgangspunkt bei der Wertfestsetzung orientieren, wenn nicht die Beteiligten binnen gesetzter Frist zu ihren Vermögens- und Einkommensverhältnissen ergänzend vortragen und ihren Vortrag ggf. durch geeignete Urkunden belegen (Senatsbeschluss vom 11. April 2013, aaO., Textziffer 8 [juris]).

Die Beschwerdeführer mögen unter Kostengesichtspunkten prüfen, ob oder in welchem Umfang sie das Beschwerdeverfahren durchführen möchten.