Verwaltungsgericht Lüneburg
Urt. v. 20.08.2008, Az.: 1 A 129/06
Polizei; Dienstunfall; Kausalität; Bedingungszusammenhang; Vollbeweis; Anscheinsbeweis im Dienstunfallrecht; Gelegenheitsursache; Vorschädigung, degenerative; Fremdeinwirkung
Bibliographie
- Gericht
- VG Lüneburg
- Datum
- 20.08.2008
- Aktenzeichen
- 1 A 129/06
- Entscheidungsform
- Urteil
- Referenz
- WKRS 2008, 45914
- Entscheidungsname
- [keine Angabe]
- ECLI
- ECLI:DE:VGLUENE:2008:0820.1A129.06.0A
Rechtsgrundlage
- 31 I BeamtVG
Tatbestand
Der Kläger begehrt die Anerkennung einer Sportunfallfolge als Dienstunfall.
Der 48-jährige Kläger ist Polizeihauptkommissar und betreibt die polizeiförderliche Sportart Badminton. Am 27. Januar 2005 erlitt er hierbei ohne Femdeinwirkung linksseitig eine Achillessehnenruptur und beantragte mit seiner Unfallanzeige vom 15. März 2005 deren Anerkennung als Dienstunfall. Die Beklagte lehnte das durch Bescheid vom 2. Februar 2006 mit der Begründung ab, zwischen der Ruptur und dem Dienstsport bestehe kein unmittelbarer Zusammenhang. Der medizinische Dienst der Beklagten sei zu dem Ergebnis gekommen, dass das vom Kläger "angeschuldigte Ereignis" kein adäquates Trauma darstelle, das in der Lage wäre, eine Achillessehne zu zerreißen. Vielmehr stelle es allenfalls das Ergebnis vieler Einflussnahmen auf den Organismus dar, die als "Lebensrisiko bzw. schicksalhaft" anzusehen seien.
Gegen den ablehnenden Bescheid legte der Kläger Widerspruch ein und verwies darauf, dass es während früherer Dienstverrichtungen zu mehreren Verletzungen seiner Sprunggelenke gekommen sei. Die Ruptur sei nicht "schicksalhaft", sondern eine unmittelbare Folge der früheren, ebenfalls im Dienst erlittenen Verletzungen.
Die Beklagte wies den Widerspruch mit Widerspruchsbescheid vom 25.04.2006 unter Verweis auf die schon im Ausgangsbescheid angeführten Gründe zurück. Ergänzend betonte sie, dass der Kläger die materielle Beweislast trage, seine Argumente jedoch nicht ausreichten, um dem Widerspruch abzuhelfen.
Am 18. Mai 2006 hat der Kläger Klage erhoben, zu deren Begründung er seinen Vortrag ergänzt und vertieft. Er beantragt,
den Bescheid der Beklagten vom 2. Februar 2006 über die Ablehnung der Anerkennung eines Dienstunfalles in Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 25. April 2006, zugestellt am 28. April 2006, aufzuheben und die Beklagte zu verurteilen, die Sportunfallfolge des Unfalles am 27. Januar 2005 als Dienstunfall anzuerkennen,
hilfsweise, die Beklagte zu verurteilen, den Kläger unter Beachtung der Rechtsauffassung des Gerichts neu zu bescheiden.
Die Beklagte beantragt,
die Klage abzuweisen.
Sie verweist zur Begründung auf die Ausführungen in den angefochtenen Bescheiden.
Wegen der weiteren Einzelheiten des Sach- und Streitstandes wird auf den Inhalt der Gerichtsakte und der beigezogenen Verwaltungsvorgänge der Beklagten verwiesen.
Entscheidungsgründe
Die zulässige Klage ist unbegründet. Der ablehnende Bescheid der Beklagten vom 2. Februar 2006 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 25. April 2006 ist rechtmäßig und verletzt den Kläger nicht in seinen Rechten.
Der Kläger hat keinen Anspruch auf Anerkennung seiner Achillessehnenruptur als Dienstunfall gem. § 31 Abs. 1 BeamtVG. Voraussetzung für einen Dienstunfall im Sinne dieser Vorschrift ist zunächst ein ursächlicher Zusammenhang zwischen Dienst und Unfall (haftungsbegründende Kausalität) und sodann ein entsprechender Zusammenhang zwischen Unfall und Körperschaden (haftungsausfüllende Kausalität).
Zwar ist der Bezug zum Dienst bei dem hier vorliegenden Unfall nicht ohne Weiteres gegeben, da der Kläger sich die Achillessehnenruptur im "Sportcenter Tropolis Sports & Fun" in L zuzog, aber der rechtliche Bedingungszusammenhang ist deshalb noch gewahrt, weil es sich um einen dienstlich anerkannten und ausdrücklich genehmigten Betriebssport des "Betriebssportkombinats Badminton - Dez. 11" gehandelt hat (vgl. die Genehmigung v. 3.1.2005).
Der erforderliche Zusammenhang zwischen dem Unfall und dem Körperschaden ist dagegen nicht mehr gegeben, wobei davon auszugehen ist, dass der Kläger grundsätzlich für diese haftungsausfüllende Kausalität und damit für das Vorliegen eines Dienstunfalls den vollen Beweis zu erbringen hat. Vgl. hierzu VG Braunschweig, Urt.v. 01.02.2007 - 7 A 33/06 - m.w.N.:
"Im Dienstunfallrecht gelten die allgemeinen Beweisgrundsätze. Für das Vorliegen eines Dienstunfalls ist grundsätzlich der volle Beweis zu erbringen. Dies gilt auch für den erforderlichen Zusammenhang zwischen dem Ereignis im Dienst und dem Eintritt des Körperschadens, der mit an Sicherheit grenzender Wahrscheinlichkeit gegeben sein muss."
Dem Kläger steht im vorliegenden Fall allerdings zunächst ein Anscheinsbeweis zur Seite: Auch im Dienstunfallrecht gelten nämlich die allgemeinen Beweisgrundsätze, so dass bei typischen Geschehensabläufen und in Fällen,
"in denen ein gewisser Tatbestand nach der allgemeinen Lebenserfahrung auf eine bestimmte Ursache hinweist und infolgedessen wegen des typischen Charakters des Geschehens die konkreten Umstände des Einzelfalls für die tatsächliche Beurteilung ohne Bedeutung sind" ( BVerwG, Beschl.v. 11.3.1997 - 2 B 127/96 -),
der vom Kläger zu führende Beweis zunächst als erbracht angesehen werden kann.
Denn unstreitig ereignete sich die Achillessehnenruptur bei Ausübung von anerkanntem Polizeisport, der nach allgemeiner Lebenserfahrung regelmäßig bis an die Grenze der individuellen Leistungsfähigkeit und gelegentlich darüber hinaus betrieben wird, so dass die Unkenntnis des Betroffenen von seinem altersbedingt begrenzten Können die regelmäßig erste Ursache für eine Ruptur darstellt ("Kursbuch der ärztlichen Begutachtung", Ludolph-Lehmann-Schürmann, VI-1.2.5 S. 13 ff.; VG München, Urt.v. 7.6.2005 - M 5 K 04.1702 -).
Dieser Anscheinsbeweis ist jedoch hier durch die Stellungnahmen des polizeiärztlichen Dienstes vom 27. Januar 2006 und 6. März 2006 widerlegt worden. Danach handelt es sich bei der Ruptur und dem Dienst -der Ausübung des Polizeisports - lediglich um eine "Gelegenheitsursache", so dass der ursächliche Zusammenhang zwischen dem Ereignis und der Verletzung in "ärztlich-wissenschaftlicher Hinsicht nicht gegeben" ist. Zwar hat der Medizinische Dienst unmittelbar eine juristische Kategorie benutzt und - im Sinne eines rechtlichen Bedingungszusammenhangs - wertend von einer bloßen "Gelegenheitsursache" gesprochen, aber in der Stellungnahme vom 3. Mai 2006 ist dann weiter - wenn auch knapp - dargelegt, dass der eingetretene Körperschaden hier das "Ergebnis vieler Einflussnahmen auf den Organismus" darstelle, was als "Lebensrisiko bzw. schicksalhaft" zu betrachten sei. Diese Annahme einer degenerativ bedingten Vorschädigung (vgl. dazu ausführlich VG München, Urt.v. 7.6.2005 - M 5 K 04.1702 -) wird durch das Alter des Klägers am Unfalltag - 45 Jahre - untermauert: Ab dem 25. Lebensjahr kann beim Menschen allgemein von einer sekundären Gefäßverarmung und Gefäßverengung ausgegangen werden, so dass schon bei einer großen Zahl der 30jährigen das naturgemäß stoffwechselarme Gewebe der Achillessehne altersphysiologischen Degenerationserscheinungen ausgesetzt ist, die durch vielfältige Mikrotraumata und sportliche Aktivitäten mit plötzlichen Bewegungsabläufen sowie einer fehlenden Koordination von Sprung- und Laufbewegungen noch gefördert werden. Vgl. VGH Baden-W., ZBR 1991, 276/277 f.:
"Eine degenerative Schädigung der Achillessehne ist als zum normalen Alterungsprozeß gehörende Aufbraucherscheinung nicht ungewöhnlich. Das ist dem Senat auch aus anderen dienstunfallrechtlichen Streitigkeiten bekannt. Bereits ab dem 25. Lebensjahr setzt eine altersphysiologische Involution der meistbelasteten Sehnen ein; die degenerativen Strukturveränderungen werden durch sportliche Aktivitäten mit vielfachen Mikrotraumatisierungen verstärkt, wobei bei Polizeibeamten in vorgerücktem Alter auf den langjährig ausgeübten Dienstsport hinzuweisen ist. Insbesondere das stoffwechselarme Gewebe der Achillessehne ist bei einem großen Teil der Bevölkerung bereits ab einem Alter von 25 bis 30 Jahren altersphysiologischen Degenerationserscheinungen ausgesetzt, die indessen nicht als eigentliche Erkrankung zu betrachten sind (vgl. etwa die Wiedergabe der Bekundungen von Sachverständigen in den den Beteiligten bekannten Urteilen des erkennenden Senats vom 21.12.1988 - 4 S 702/87 - und vom 24.1.1989 - 4 S 349/86 -, veröffentlicht in: Schütz , ES/C II 3.1, Nrn. 29 und 31)."
Diese degenerative Vorschädigung der Achillessehne des Klägers als mögliche Mitursache steht allerdings der Annahme eines Dienstunfalles nicht schon ohne Weiteres entgegen, schließt diesen also nicht schon von vorneherein aus (VGH Baden-W. , Urteil v. 17.1.1989 - 4 S 1788/86 - und Urteil v. 30.1.1991 - 4 S 2438/90 -, ZBR 1991, 276 ff.u. DÖD 1992, 94-96; a.A. VG Braunschweig, Urt.v. 7.1.2007 - 7 A 33/06 -).
Die (haftungsausfüllende) Kausalität zwischen der am 27. Januar 2005 erlittenen Achillessehnenruptur und der Ausübung des Sports im Rahmen des Dienstes ist jedoch - wie von der Beklagten im Ergebnis zutreffend dargelegt - nicht mehr gegeben bei sog. "Gelegenheitsursachen". Vgl. dazu die Rechtsprechung des Bundesverwaltungsgerichts zur einschränkenden Auslegung des Verursachungsbegriffs in § 31 Abs. 1 BeamtVG:
"Keine Ursache im Rechtssinn sind danach so genannte Gelegenheitsursachen, also Ursachen, bei denen zwischen dem eingetretenen Schaden und dem Dienstunfall eine rein zufällige Beziehung besteht, wenn also etwa die krankhafte Veranlagung oder das anlagebedingte Leiden so leicht ansprechbar waren, dass es zur Auslösung akuter Erscheinungen keiner besonderen, in ihrer Eigenart unersetzlichen Einwirkungen bedurfte, sondern auch ein anderes, alltäglich vorkommendes Ereignis zum selben Erfolg geführt hätte. Der im Dienstunfallrecht maßgebende Ursachenbegriff dient einer dem Schutzbereich der Dienstunfallfürsorge entsprechenden, sachgerechten Risikoverteilung. Der Dienstherr soll nur die spezifischen Gefahren der Beamtentätigkeit tragen und mit den auf sie zurückzuführenden Unfallursachen belastet werden. Dem Beamten sollen dagegen diejenigen Risiken verbleiben, die sich aus anderen als dienstlichen Gründen, insbesondere aus persönlichen Anlagen, Gesundheitsschäden und Abnutzungserscheinungen ergeben" (Vgl. BVerwG, Beschl.v. 08.03.2004 - 2 B 54/03 -; Buchholz 239.1 § 31 BeamtVG Nr. 13 m.w.N.).
Zwar ist auch nach ständiger Rechtsprechung des Bundesverwaltungsgerichts
"ein Ursachenzusammenhang zwischen dem Dienstunfall und dem eingetretenen körperlichen Schaden nicht schon dann ausgeschlossen, wenn außer dem Unfall auch andere Umstände (namentlich eine anlage- oder schicksalsbedingte Krankheit) als Ursache möglich erscheint. In derartigen Fällen ist der Dienstunfall vielmehr dann als wesentliche Ursache im i.S.d. § 31 BeamtVG anzuerkennen, wenn er bei natürlicher Betrachtungsweise entweder überragend zum Erfolg (Körperschaden) hingewirkt hat oder zumindest annähernd die gleiche Bedeutung für den Eintritt des Schadens hatte wie die anderen Umstände insgesamt. Wesentliche Ursache im Dienstunfallrecht kann danach auch ein äußeres Ereignis sein, das ein anlagebedingtes Leiden auslöst oder beschleunigt, wenn diesem Ereignis nicht im Verhältnis zu anderen Bedingungen - zu denen auch die bei Eintritt des äußeren Ereignisses schon vorhandene Veranlagung gehört -eine derart untergeordnete Bedeutung für den Eintritt der Schadensfolge zukommt, dass diese anderen Bedingungen bei natürlicher Betrachtungsweise allein als maßgeblich anzusehen sind." (Vgl. BverwG , Beschl.v. 20.02.1998 - 2 B 81/97 -; Schütz BeamtR ES/C II 3.4 Nr. 7).
Das Unfallereignis ist nach den eigenen Angaben des Klägers hier ohne jede Fremdeinwirkung und damit ohne (polizei-)sportlich bedingte Betätigung (etwa einen Tritt) geschehen. Damit tritt bei natürlicher Betrachtung der Dienstsport mit seinen Abläufen als Mitursache hinter der weiteren Mitursache zurück, nämlich hinter der polizeiärztlich / amtsärztlich bestätigten (degenerativ bedingten) Vorschädigung, einer eigenen Disposition des Klägers für eine derartige Verletzung. Ein Übergewicht des mitursächlichen Dienstsports ist unter diesen Umständen nicht feststellbar. Die Achillessehnenruptur hätte angesichts der Vorschädigung auch bei jeder anderen Gelegenheit des Laufens oder Springens geschehen können. Der Dienstsport tritt dahinter zurück.
Die mitursächliche und nach Lage der Dinge im Bedingungszusammenhang somit überwiegende Disposition des Klägers ergibt sich auch nicht etwa - im Sinne eines gesondert nachweisbaren Kausalzusammenhangs - aus dem schon langjährig betriebenen Polizeisport: Aus der beigezogenen dienstlichen Krankenakte des Klägers ergibt sich kein hinreichend spezieller Anhaltspunkt für das Auslösen der Ruptur der Achillessehne durch die früheren, ihrerseits in Ausübung des Dienstes erlittenen Verletzungen. Denn ein Zusammenhang zwischen der 1983 erlittenen Distorsion im linken oberen und unteren Sprunggelenk und bzw. oder einer Kniegelenkszerrung im Jahre 1988 einerseits und dem hier maßgeblichen Unfall andererseits ist medizinisch als spezielle Kausalität nicht belegt und konnte vom Kläger nicht zur Überzeugung des Gerichts nachgewiesen werden.
Die Kostenentscheidung beruht auf § 154 Abs. 1 VwGO. Die Entscheidung über die vorläufige Vollstreckbarkeit folgt aus § 167 VwGO i.V.m. § 708 Nr. 11, 711 ZPO.