Verwaltungsgericht Lüneburg
Beschl. v. 22.08.2008, Az.: 1 B 49/08

Asylverfahren; Aufenthaltserlaubnis; Familienangehöriger; Freizügigkeit; Umverteilung; Vaterschaftsanerkenntnis; Verteilung; vorläufiger Rechtsschutz; Wirksamkeit

Bibliographie

Gericht
VG Lüneburg
Datum
22.08.2008
Aktenzeichen
1 B 49/08
Entscheidungsform
Beschluss
Referenz
WKRS 2008, 55105
Entscheidungsname
[keine Angabe]
ECLI
[keine Angabe]

Amtlicher Leitsatz

Leitsatz

Vorläufiger Rechtsschutz bei förmlichem Vaterschaftsanerkenntnis eines deutschen Staatsbürgers.

Tenor:

Die aufschiebende Wirkung der Klage 1 A 117/08 (Eingang: 21. August 2008) gegen den Bescheid der Zentrale Aufnahme- und Ausländerbehörde Oldenburg vom 5. August 2008 (II/20 - Zuweisung) wird vorläufig - bis zu einer Entscheidung der Kammer - angeordnet.

Sämtliche Vollzugsmaßnahmen - aller Art - haben damit zunächst zu unterbleiben bzw. sind rückgängig zu machen. Die verfügte Verpflichtung der Wohnungsnahme ist zunächst obsolet, die Vollziehbarkeit der Beschränkung auf den Bezirk der benannten Ausländerbehörde ist suspendiert.

Eine Kostenentscheidung bleibt dem Kammerbeschluss vorbehalten.

Gründe

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1. Die Antragstellerinnen wenden sich gegen eine Umverteilung nach dem Asylverfahrensgesetz vom 5. August 2008.

2

Die Antragstellerin und Klägerin zu 1) ist Mutter der am 30. Mai 2008 geborenen Klägerin und Antragstellerin zu 2), die nach dem Vaterschaftsanerkenntnis vom 28. April 2008 die Tochter des am 24. Januar 1974 geborenen S.N.I. M ist, welcher deutscher Staatsangehöriger ist, derzeit wohnhaft in H. Mit Bescheid vom 5. August 2008 verfügte die Antragsgegnerin die Umverteilung der Antragstellerinnen in die Samtgemeinde B, wobei ausdrücklich vermerkt wurde, dass sich die Entscheidung auch auf das minderjährige Kind S, geb. am 30. Mai 2008, erstrecke.

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2. Der bei der Kammer am 21. August 2008 eingegangene Antrag auf Gewährung vorläufigen Rechtsschutzes hat einstweilen in der Weise Erfolg, wie das dem Tenor zu entnehmen ist.

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2.1. Diese Rechtsschutzgewährung ist im Interesse der verfassungsrechtlich gebotenen Effektivität des Rechtsschutzes (Art. 19 Abs. 4 GG) erforderlich, um die Rechtsstellung der Antragstellerin zu 2) als Tochter eines deutschen Staatsangehörigen und zugleich auch die der Antragstellerin zu 1) aus § 28 Abs. 1 Nr. 3 AufenthG zu wahren. Dabei ist zu berücksichtigen, dass die Antragsgegnerin einen Verhaltens-, Organisations-, Verfügungs- und Durchsetzungsvorsprung hat, der durch einen entsprechend ausgestalteten effektiven Rechtsschutz der 3. Gewalt stets effektiv auszugleichen ist (vgl. dazu die Rechtsprechung des BVerfG, so BVerfGE 88, 185 = NVwZ 1993, 767 und BVerfG - 1. Kammer des 2. Senats - NVwZ-Beilage 2/1996 A 1; OVG Sachsen-Anhalt, InfAuslR 2005, S. 421). Zur Aufrechterhaltung der Entscheidungsfähigkeit ist es daher geboten, einen sog. "Schiebebeschluss" zu erlassen, um eine gerichtliche Überprüfung der Sache möglich zu machen.

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2.2 Gegen die Statthaftigkeit des Antrags bestehen keine Bedenken. Diese setzt voraus, dass der angefochtene Verwaltungsakt vom 5. August 2008 selbstständig belastende und vollziehungsfähige Regelungen enthält. Das ist zweifellos der Fall.

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2.3. Bei der im Verfahren des § 80 Abs. 5 VwGO gebotenen summarischen Prüfung und unter Berücksichtigung der zur Verfügung stehenden Unterlagen ergibt sich, dass die Erfolgsaussichten der Klage 1 A 117/08 zumindest offen sind. Im Rahmen der summarischen Prüfung der Sachlage im Eilverfahren ist es bei Abwägung der widerstreitenden Interessen nach Aktenlage zur Annahme offener Erfolgsaussichten hinreichend wahrscheinlich, dass die Antragstellerinnen sich auf das Vaterschaftsanerkenntnis vom 28. April 2008 und damit auf die deutsche Staatsangehörigkeit der am 30. Mai 2008 geborenen Antragstellerin zu 2) derzeit berufen können. Die Umstände des hier zu beurteilenden - noch nicht gänzlich aufgeklärten - Sachverhalts lassen die bei der Antragsgegnerin aufgetauchten Zweifel an der Abstammung der Antragstellerin zu 2) in den Hintergrund treten.

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Zwar ist nach Auskunft der Antragsgegnerin derzeit noch keine Geburtsurkunde für die Antragstellerin zu 2) ausgestellt, aber darauf dürfte es auch nicht in dem Maße ankommen, wie das die Antragsgegnerin meint. Denn maßgeblich ist hier, dass der deutsche Staatsangehörige M die Vaterschaft für die Antragstellerin zu 2) förmlich anerkannt hat und diese somit zunächst einmal mit rechtsgeschäftlicher Wirkung eintritt. Vgl. dazu Beckscher Online Kommentar, Bamberger/Roth, Std: 1.1.2008 / Ed. 9, § 1592 Vaterschaft II 2:

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"Die Anerkennung ist ein einseitiges zustimmungsbedürftiges Rechtsgeschäft ( GaulFamRZ 1997, 1441, 1449; MünchKommBGB/ Wellenhofer-Klein § 1594 Rn 6). Die Wirkung der Vaterschaft tritt ein, weil sie gewollt ist ( Staudinger/Rauscher Rn 51; Gernhuber/Coester-Waltjen § 52 Rn 42). Auf die biologische Richtigkeit des Anerkenntnisses kommt es grds nicht an (BGH FamRZ 1985, 271 = NJW 1985, 804 [BGH 19.12.1984 - IVb ZR 86/82]; Staudinger/Rauscher Rn 53; MünchKommBGB/ Wellenhofer-Klein § 1594 Rn 4). Auch eine bewusst unrichtige Anerkennung ist - wenn die übrigen Wirksamkeitsvoraussetzungen gegeben sind - wirksam, aber anfechtbar."

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Vg. dazu auch VG Sigmaringen, Beschluss v. 4. August 2008 - 8 K 1001/08 - :

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"Der Antragsteller ist formal-rechtlich Vater des Kindes, für welches er die Vaterschaft anerkannt hat. Die formal-rechtliche Vaterschaft in diesem Sinne wurde durch die vorgelegte Kopie … glaubhaft gemacht, welche den Antragsteller als Vater ausweist. Es hat nach der familienrechtlichen Systematik keine Auswirkungen auf die Wirksamkeit der Vaterschaftsanerkennung und das dadurch begründete Verwandtschaftsverhältnis, wenn eine Anerkennung im Bewusstsein abgegeben wird, nicht der biologische Vater zu sein (vgl. § 1598 Abs. 1 BGB und Diederichsen, in: Palandt, BGB, § 1598 Rn. 2). Das väterliche Verwandtschaftsverhältnis wird im Falle einer Anerkennung durch eine reine Willenserklärung begründet, durch welche die Absicht zur Vaterschaft bekundet wird; sie stellt aber nicht zusätzlich eine Wissenserklärung dar, durch die der Erklärende auch die biologische Vaterschaft behauptet (h. M., vgl. Hahn, in: Bamberger/Roth, BGB, § 1594 Rn. 3; Rauscher, in: Staudinger, BGB, Neubearb. 2004, § 1592 Rn. 53)."

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Vgl. dazu auch die Entscheidungen des OVG Sachsen-Anhalt v. 1.10.2004 (InfAuslR 2006, 56) und v. 25.8.2006 - 2 M 228/06 - , welche die Bedeutung eines Vaterschaftsanerkenntnisses unterstreichen.

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Der Antragstellerin zu 1) ist im Übrigen gem. §§ 27 Abs. 1, 28 Abs. 1 Nr. 3 AufenthG als Elternteil, nämlich Mutter, einer minderjährigen ledigen Deutschen zur Ausübung der Personensorge eine Aufenthaltserlaubnis zu erteilen, wenn die Deutsche ihren gewöhnlichen Aufenthalt im Bundesgebiet hat. Davon ist hier auszugehen.

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Beim derzeitigen Sachstand ist unklar und nicht mit hinreichender Sicherheit erkennbar, dass das Vaterschaftsanerkenntnis - bislang nicht angefochten - zu einem gesetzlich missbilligten Zweck abgegeben wurde. Abgesehen davon, dass der Antragsgegnerin ein tiefer gehendes Eindringen in die verwandtschaftlichen Beziehungen und Lebensverhältnisse durch Art. 6 GG versagt ist, hat sie heute auch die Vielgestaltigkeit der Ausgestaltung verwandtschaftlicher Lebensverhältnisse und Familienbeziehungen zu akzeptieren.

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2.4. Unter diesen Umständen hat die Antragsgegnerin auch dafür zu sorgen, dass sich die Antragstellerinnen innerhalb der EU frei bewegen und unbehelligt aufhalten können: Nach dem Urteil des EuGH v. 25.7.2008 - C -127/08 - ist EU-Bürgern in Anwendung der Richtlinie über die Freizügigkeit der Unionsbürger (Nr. 2004/38 EG) nämlich das Recht einzuräumen, sich im Hoheitsgebiet eines anderen Mitgliedstaates frei zu bewegen und aufzuhalten. Das gilt nach dem gen. Urteil des EuGH ausdrücklich auch für Familienangehörige eines EU-Bürgers. Die Richtlinie verlangt nicht, dass bereits eine Familie gegründet worden ist. Demgemäß ist den Antragstellerinnen Freizügigkeit zu gewähren.

15

Eine Kostenentscheidung bleibt dem Kammerbeschluss vorbehalten.

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Dieser Beschluss ist unanfechtbar.