Oberlandesgericht Celle
Beschl. v. 03.08.2007, Az.: 1 Ws 294/07
Bibliographie
- Gericht
- OLG Celle
- Datum
- 03.08.2007
- Aktenzeichen
- 1 Ws 294/07
- Entscheidungsform
- Beschluss
- Referenz
- WKRS 2007, 59304
- Entscheidungsname
- [keine Angabe]
- ECLI
- ECLI:DE:OLGCE:2007:0803.1WS294.07.0A
Verfahrensgang
- vorgehend
- LG Lüneburg - 08.06.2007 - AZ: 17 a StVK 82/07
Fundstelle
- StraFo 2007, 435-436 (Volltext mit red. LS)
In der Strafvollzugssache
...
wegen Verlegung in eine sozialtherapeutische Anstalt
hat der 1. Strafsenat des Oberlandesgerichts Celle auf die Rechtsbeschwerde des Antragstellers gegen den Beschluss der 2. kleinen Strafvollstreckungskammer des Landgerichts Lüneburg mit Sitz in Celle vom 8. Juni 2007 nach Beteiligung des
Zentralen juristischen Dienstes für den niedersächsischen Justizvollzug durch den Vorsitzenden Richter am Oberlandesgericht ..., den Richter am Oberlandesgericht ... und den Richter am Landgericht ... am 3. August 2007 beschlossen:
Tenor:
Der angefochtene Beschluss und die Regelung der Antragsgegnerin hinsichtlich der Verlegung des Antragstellers in eine sozialtherapeutische Anstalt im Vollzugsplan vom 22. Januar 2007 werden aufgehoben.
Die Antragsgegnerin wird verpflichtet, unter Beachtung der Rechtsauffassung des Senats über die Verlegung des Antragstellers in eine sozialtherapeutische Anstalt neu zu entscheiden.
Die Kosten des Rechtsbeschwerdeverfahrens und der ersten Instanz sowie die dem Antragsteller insgesamt entstandenen notwendigen Auslagen hat die Landeskasse zu tragen.
Der Streitwert wird für beide Instanzen auf 500,- Euro festgesetzt.
Gründe
I.
Der Antragsteller wurde mit Urteil des Landgerichts Bückeburg vom 7. Juli 2004 wegen Vergewaltigung in neun Fällen, davon in einem Fall in Tateinheit mit schwerem sexuellen Missbrauch von Kindern, wegen sexuellen Missbrauchs von Kindern in 12 Fällen sowie wegen gefährlicher Körperverletzung zu einer Gesamtfreiheitsstrafe von 12 Jahren und vier Monaten verurteilt. Daneben wurde gegen ihn die Sicherungsverwahrung angeordnet. Das Strafende ist auf den 21. Februar 2016 notiert, zwei Drittel werden am 11. Januar 2012 verbüßt sein.
Im Einweisungsbescheid vom 21. November 2005 ist im Hinblick auf eine Verlegung in eine sozialtherapeutische Abteilung ausgeführt, dass zur Verbesserung der Legalprognose gemäß § 9 Abs. 1 StVollzG eine Behandlungsnotwendigkeit in der Sozialtherapie bestehe und das Gegenindikationen nicht erkennbar seien. Der Antragsteller sei jedoch derzeit kaum motiviert, daran teilzunehmen. Vor dem Beginn einer entsprechenden Behandlung sei eine längere Phase vorbereitender Maßnahmen dringend zu empfehlen.
Im Vollzugsplan vom 17. Januar 2007, der dem Antragsteller am 26. Januar 2007 bekannt gegeben worden ist, wurde unter IV. Nr. 2. ausgeführt:
"Verlegung in Sozialtherapeutische Anstalt/Abteilung: ja, nach § 9 Abs. 1 StVollzG
Begründung:
Gemäß Einweisungsbescheid vom 21. November 2005 sind sozialtherapeutische Maßnahmen generell indiziert. Empfehlenswert ist, eine längere Phase mit vorbereitenden Maßnahmen verstreichen zu lassen, bevor Herr B.... tatsächlich in die Sozialtherapie aufgenommen wird."
Den hiergegen gerichteten Antrag des Gefangenen auf gerichtliche Entscheidung vom 9. Februar 2007, mit dem er seine unverzügliche Verlegung in eine sozialtherapeutische Anstalt, hilfsweise Neubescheidung in diesem Punkt anstrebt, hat die Strafvollstreckungskammer als unbegründet zurückgewiesen. Die Antragsgegnerin habe eine unverzügliche Verlegung in eine sozialtherapeutische Anstalt im Vollzugsplan nicht vorgesehen, weil diese nach § 9 Abs. 1 StVollzG noch nicht angezeigt sei. Bei der Beurteilung dieser Frage stehe ihr eine Einschätzungsprärogative zu. Diese habe sie rechtsfehlerfrei ausgeübt. Zwar seien bei dem Antragsteller die Kriterien der Therapiebedürftigkeit und -notwendigkeit erfüllt. Die Antragsgegnerin habe aber zutreffend darauf abgestellt, dass die weiteren Kriterien der Therapiefähigkeit und -motivation noch nicht hinreichend geklärt seien. Der Antragsteller sei zwar "grundsätzlich therapiemotiviert" und habe an diversen Kursen bereits erfolgreich teilgenommen. Es habe aber noch nicht überprüft werden können, inwieweit er bereit und fähig sei, an gruppentherapeutischen Maßnahmen teilzunehmen und dort über seine Straftaten zu berichten, diese zu reflektieren und therapeutische aufzuarbeiten. Hierfür sei seine Aufnahme im "Behandlungsprogramm für Sexualstraftäter" der Antragsgegnerin geplant, damit er dort die "ersten Behandlungserfolge vertiefen" könne. Der Antragsteller sei bereits der sozialtherapeutischen Abteilung der Justizvollzugsanstalt Hannover zugewiesen. Sämtliche Maßnahmen der Antragsgegnerin richteten sich darauf, sowohl die Therapiemotivation als auch die Therapiefähigkeiten des Antragstellers zu stärken.
Gegen diese Entscheidung wendet sich der Antragsteller mit seiner Rechtsbeschwerde. Er rügt insbesondere eine Verletzung von § 9 Abs. 1 StVollzG. Die Begründung des angefochtenen Beschlusses, die die Argumentation der Antragsgegnerin übernommen habe, trage die Verneinung des Tatbestandsmerkmals "angezeigt" nicht.
II.
Die Rechtsbeschwerde ist zur Sicherung der Einheitlichkeit der Rechtsprechung nach § 116 Abs. 1 StVollzG zulässig. Es gilt, der Wiederholung nachfolgend aufgezeigter Rechtsfehler entgegen zu wirken.
Die Rechtsbeschwerde hat auch in der Sache Erfolg. Die angefochtene Entscheidung ist nicht frei von Rechtsfehlern.
1. Zutreffend ist zunächst der Ausgangspunkt der Strafvollstreckungskammer, dass nach Maßgabe von § 9 Abs. 1 StVollzG ein Rechtsanspruch auf eine Verlegung in eine sozialtherapeutische Anstalt besteht, wenn diese angezeigt ist (vgl. Senatsbeschluss vom 12. September 2005, 1 Ws 302/05 ), und dass der Vollzugsanstalt bei der Frage, ob die Verlegung angezeigt ist, ein Beurteilungsspielraum zusteht (vgl. Senatsbeschluss vom 20. April 2007, 1 Ws 91/07, Nds.Rpfl. 2007, 221).
2. Nicht frei von Rechtsfehlern ist die angefochtene Entscheidung indessen, soweit die Strafvollstreckungskammer zu dem Ergebnis kommt, dass die Antragsgegnerin bei ihrer Entscheidung im Vollzugsplan, dass die Verlegung in eine sozialtherapeutische Anstalt derzeit nicht angezeigt sei - anders ist die dort gewählte Formulierung trotz des angekreuzten "ja" nicht zu verstehen und auch von keinem der Verfahrensbeteiligten verstanden worden -, den ihr zustehenden Beurteilungsspielraum nicht verletzt habe.
a) Zwar ist die Prüfungskompetenz des Gerichts hiernach darauf beschränkt, ob die Vollzugsbehörde von einem zutreffend und vollständig ermittelten Sachverhalt ausgegangen ist, ob sie ihrer Entscheidung den richtigen Begriff des Versagungsgrundes zugrunde gelegt und ob sie dabei die Grenzen des ihr zustehenden Beurteilungsspielraums eingehalten oder allgemeine Wertmaßstäbe missachtet hat oder ob sie sich von sachfremden Erwägungen hat leiten lassen (vgl. nur Callies/Müller-Dietz, StVollzG, 10. Aufl., § 115 Rn. 22; Schwindt/Böhm/Jehle, StVollzG, 4. Aufl., § 115 Rn. 22). Entgegen der angefochtenen Entscheidung hält aber die Maßnahme der Antragsgegnerin einer Überprüfung unter Anwendung dieses Maßstabs nicht Stand.
Sowohl die Antragsgegnerin als auch die Strafvollstreckungskammer haben nämlich ihren Entscheidungen nicht den richtigen Begriff des Versagungsgrundes zugrunde gelegt. Eine Verlegung ist im Sinne von § 9 Abs. 1 StVollzG angezeigt, sofern keine allein in der Person des Antragstellers liegenden Versagungsgründe der Annahme einer Eignung entgegenstehen (vgl. Senat a.a.O., OLG Frankfurt am Main vom 27. August 2004, 3 Ws 845/04 ). Zwar legt die Strafvollstreckungskammer noch zutreffend als Kriterien hierfür die Behandlungsbereitschaft, Behandlungsbedürftigkeit, Behandlungsunwilligkeit oder Behandlungsunfähigkeit (so Senat a.a.O.) zugrunde, wobei sie zum Teil etwas andere, aber gleichbedeutende Begriffe (offensichtlich in Anlehnung an Callies/Müller-Dietz, a.a.O., § 9 Rn. 12) gewählt hat. Die Strafvollstreckungskammer hat jedoch wie auch die Antragsgegnerin die Begriffe der Therapiefähigkeit und -motivation nicht zutreffend ausgelegt und ist aufgrund dessen zu einer rechtsfehlerhaften Beurteilung des gegebenen Sachverhalts gekommen.
Therapie- bzw. behandlungsunfähigkeit in diesem Sinne setzt eine mit therapeutischen Mitteln nicht erreichbare Persönlichkeitsstörung oder eine auf Dauer angelegte und mit therapeutischen Mitteln nicht mehr aufzubrechende und somit nicht zu korrigierende Verweigerung der Mitarbeit an der Behandlung voraus, die nur anzunehmen ist, wenn jeder Ansatzpunkt für eine therapievorbereitende Motivationsarbeit gänzlich fehlt (Senat a.a.O., ebenso OLG Schleswig vom 31. Oktober 2005, 2 Vollz Ws 415/05; KG vom 28. April 2000, 5 Ws 754/99; OLG Frankfurt am Main a.a.O.m.w.N.). Weder der von der Strafvollstreckungskammer festgestellte Sachverhalt noch die Begründung der Entscheidung der Antragsgegnerin und ihre Stellungnahme im Verfahren enthalten Anhaltspunkte dafür, dass eine dieser Voraussetzungen beim Antragsteller erfüllt ist. Vielmehr wird sogar ausdrücklich festgestellt, dass er "grundsätzlich therapiemotiviert" sei, dass bereits jetzt "Behandlungserfolge" vorliegen, dass er bereits der sozialtherapeutischen Abteilung der JVA Hannover zugewiesen sei und schließlich, dass sämtliche Maßnahmen der Antragsgegnerin sich darauf richteten, "sowohl die Therapiemotivation als auch die Therapiefähigkeiten des Verurteilten zu stärken", was denknotwendig bereits das Vorhandensein dieser Eigenschaften voraussetzt.
b) Soweit die Antragsgegnerin und ihr folgend die Strafvollstreckungskammer darauf abstellen, Motivation und Mitarbeitsbereitschaft des Antragstellers müssten vor der Verlegung in eine sozialtherapeutische Anstalt weiter gestärkt werden, ist zudem darauf hinzuweisen, dass diese Aufgabe der Absicht des Gesetzgebers zufolge den sozialtherapeutischen Anstalten grundsätzlich selbst zufällt und Verurteilte aus dem Kreis des § 9 Abs. 1 StVollzG möglichst früh in eine sozialtherapeutische Anstalt verlegt werden sollen (Senat a.a.O.; OLG Frankfurt am Main a.a.O.m.w.N.; demgegenüber kritisch Arloth/Lückemann, StVollzG, § 9 Rn. 12). Etwa mit der Erwägung, aufgrund fehlender Therapieplätze müsse das Wecken der notwendigen Therapiebereitschaft von den normalen Vollzugsanstalten geleistet werden, auch um vorrangig stärker therapiewilligen Antragstellern eine Sozialtherapie zu ermöglichen, kann dieser gesetzgeberische Anspruch indessen nicht unterlaufen werden (vgl. hierzu ausführlich Senatsbeschluss vom 7. Juni 2006, 1 Ws 224/06 ). Denn liegen die Voraussetzungen nach § 9 Abs. 1 StVollzG vor, ist der Betreffende in die sozialtherapeutische Anstalt zu verlegen, ohne dass der Anstalt insoweit ein Ermessen zusteht.
c) Etwas anderes kann auch nicht aus der von der Antragsgegnerin herangezogenen Entscheidung des Bundesgerichtshofs vom 29. September 2004 ( StraFo 2005, 86 [BGH 29.09.2004 - 2 ARs 307/04]) gefolgert werden. Dieser in einem Zuständigkeitsstreit ergangene Beschluss behandelt allein die Frage der örtlichen Zuständigkeit für die Entscheidung über eine Verlegung nach § 9 Abs. 1 StVollzG. Insbesondere aus der dortigen Formulierung, dass die Vollzugsanstalt sich um die Verlegung zu bemühen hat, "falls sie eine solche befürwortet", kann keinesfalls geschlossen werden, dass es im Ermessen der Vollzugsanstalt liege, zu entscheiden, wann die notwendige Vorbereitung der Therapie abgeschlossen und die Verlegung angezeigt sei. Mit dieser Formulierung ist vielmehr gemeint, dass es der Vollzugsanstalt, in der der Gefangene einsitzt, obliegt, seine Aufnahme in der sozialtherapeutischen Anstalt herbeizuführen, wenn die Voraussetzungen dafür vorliegen, und dass es dazu nicht einer gesonderten Zustimmung der sozialtherapeutischen Anstalt bedarf, die der Gefangene zusätzlich zur Verlegung erstreiten müsste.
d) Dem Umstand, dass gegen den Antragsteller auch Sicherungsverwahrung angeordnet worden ist, kommt in diesem Zusammenhang keine Bedeutung zu (Senat a.a.O.).
e) Die Sache ist aufgrund des gegebenen Sachverhalts und des bei Gericht und Antragsgegnerin festgestellten Fehlers in der Rechtsanwendung insofern spruchreif im Sinne von § 119 Abs. 4 S. 2 StVollzG, als nicht nur die angefochtene Gerichtsentscheidung, sondern auch die entsprechende Regelung im Vollzugsplan aufzuheben waren. Da der Antragsgegnerin aber weiterhin bei der Frage des "Angezeigtseins" ein Beurteilungsspielraum zusteht, kam eine Anordnung der Verlegung durch den Senat nicht in Betracht (vgl. Callies/Müller-Dietz, a.a.O., § 119 Rn. 5). Die Antragsgegnerin wird hiernach unter Beachtung der dargelegten Rechtsauffassung des Senats über die Verlegung des Antragstellers in eine sozialtherapeutische Anstalt zu entscheiden haben.
III.
Die Kostenentscheidung folgt aus § 121 Abs. 1 und 4 StVollzG i.V.m. § 467 Abs. 1 StPO in entsprechender Anwendung.
Streitwertbeschluss:
Der Streitwert ist nach §§ 1 Nr. 1j, 63 Abs. 3, 65 GKG festgesetzt worden.