Oberlandesgericht Celle
Beschl. v. 31.07.2007, Az.: 1 Ws 298/07
Bibliographie
- Gericht
- OLG Celle
- Datum
- 31.07.2007
- Aktenzeichen
- 1 Ws 298/07
- Entscheidungsform
- Beschluss
- Referenz
- WKRS 2007, 59378
- Entscheidungsname
- [keine Angabe]
- ECLI
- ECLI:DE:OLGCE:2007:0731.1WS298.07.0A
Verfahrensgang
- vorgehend
- LG Hannover - 19.06.2007 - AZ: 33a 17/05
- nachfolgend
- BVerfG - 19.09.2007 - AZ: 2 BvR 1847/07
In der Strafsache
...
hat der 1. Strafsenat des Oberlandesgerichts Celle nach Anhörung der Generalstaatsanwaltschaft durch den Vorsitzenden Richter am Oberlandesgericht ..., den Richter am Oberlandesgericht ... und den Richter am Landgericht ... am 31. Juli 2007 beschlossen:
Tenor:
Die Beschwerde des Angeklagten vom 17. Juli 2007 gegen den Beschluss des Landgerichts H. vom 19. Juni 2007 wird verworfen.
Der Beschwerdeführer hat die Kosten des Beschwerdeverfahrens zu tragen.
Gegen diese Entscheidung ist keine Beschwerde gegeben (§ 304 Abs. 4 StPO)
Gründe
I.
Die 3. große Strafkammer des Landgerichts H. verhandelt seit dem 31. Oktober 2005 gegen den Angeklagten wegen unerlaubten Handeltreibens mit Betäubungsmitteln in nicht geringer Menge in Tateinheit mit unerlaubter Einfuhr von Betäubungsmitteln in nicht geringer Menge sowie wegen bandenmäßigen unerlaubten Handeltreibens mit Betäubungsmitteln in nicht geringer Menge in 13 Fällen, davon in vier Fällen in Tateinheit mit Anstiftung zur bandenmäßigen unerlaubten Einfuhr von Betäubungsmitteln in nicht geringer Menge. Mit Schreiben vom 4. Juni 2007 hat der Angeklagte gegen den Haftbefehl des Landgerichts H. vom 17. Juni 2005 in der Fassung des Beschlusses des Landgerichts H. vom 11. Oktober 2005 Beschwerde erhoben. Diese hat das Landgericht H. in einen Antrag auf Aufhebung des Haftbefehls umgedeutet, nachdem der Angeklagte den Rechtsweg hinsichtlich des Haftbefehls bereits im Jahr 2006 erschöpft hatte. Den Antrag auf Aufhebung und den Hilfsantrag auf Außervollzugsetzung des Haftbefehls hat die Kammer mit dem angefochtenen Beschluss zurückgewiesen. Hiergegen wendet sich der Angeklagte mit seiner Beschwerde, der die Kammer nicht abgeholfen hat.
II.
Die Beschwerde ist zulässig, hat jedoch in der Sache keinen Erfolg.
1. Die allgemeinen Voraussetzungen für die Anordnung der Untersuchungshaft nach § 112 StPO liegen vor. Der - mit der Beschwerde nicht angegriffene - dringende Tatverdacht hinsichtlich der dem Angeklagten mit der Anklage der Staatsanwaltschaft H. vom 15. Juli 2005 zur Last gelegten Taten besteht weiterhin. Insoweit nimmt der Senat Bezug auf das zutreffend zusammengefasste wesentliche Ergebnis der Ermittlungen.
Es besteht der Haftgrund der Fluchtgefahr gemäß § 112 Abs. 2 Nr. 2 StPO. Der Angeklagte hat im Falle seiner Verurteilung mit einer langjährigen Freiheitsstrafe zu rechnen. Er war zudem seit der Durchsuchung seiner Wohnung am 24. November 2004 in R. flüchtig und konnte erst nach intensiver Fahndung durch das Landeskriminalamt Niedersachsen am 15. Juni 2005 in L. von den französischen Behörden festgenommen werden.
2. Der Grundsatz der Verhältnismäßigkeit ist auch unter Berücksichtigung der Dauer der bereits erlittenen Auslieferungs- und Untersuchungshaft im Hinblick auf die Schwere der dem Angeklagten zur Last gelegten Taten und die beträchtliche Straferwartung durch die Fortdauer der Untersuchungshaft nicht verletzt.
3. Auch eine Verletzung des Beschleunigungsgebotes in Haftsachen ist noch nicht festzustellen.
a) Dass seit Beginn der Hauptverhandlung am 31. Oktober 2005 ein Urteil bis heute nicht ergangen ist, beruht neben dem außergewöhnlichen Umfang und der Komplexität dieser Strafsache, die sich ursprünglich gegen insgesamt fünf Angeklagte richtete, von denen zwei inzwischen verurteilt worden sind, vor allem auf dem Umstand, dass wegen zahlreicher prozessualer Fragen, die auf die Anträge der Angeklagten zu prüfen waren, das Verfahren in der Sache nicht mit der gebotenen Beschleunigung gefördert werden konnte. Insoweit wird Bezug genommen auf die Entscheidung des hiesigen 2. Senats in dieser Sache vom 31. August 2006, 2 Ws 196/06. Die Klärung dieser Fragen stand auch über den Zeitpunkt der genannten Entscheidung hinaus einem Urteil entgegen, so dass der Senat in seiner letzten, dieses Verfahren betreffenden Entscheidung vom 10. April 2007, 1 Ws 138/07, auf die Beschwerde eines Mitangeklagten ebenfalls aus den vorgenannten Gründen noch keine Verletzung des Beschleunigungsgebotes festgestellt hat.
b) Der Senat sieht in der Entwicklung des Verfahrens seit seiner letzten Entscheidung in dieser Sache vom 10. April 2007 bis zum jetzigen Zeitpunkt eine durchgreifende Verletzung des Beschleunigungsgebotes noch nicht als gegeben an. Der nach derzeitiger Terminierung zu erwartende weitere Verlauf des Verfahrens gibt jedoch Anlass zu erheblichen Bedenken, falls nicht umgehend sowohl von der Kammer als auch von der Justizverwaltung nachhaltige Maßnahmen zur Beschleunigung ergriffen werden.
aa) In der Hauptverhandlung vom 24. April 2007 gab der Vorsitzende bekannt, dass nunmehr die Original-MODs in der Hauptverhandlung in Augenschein genommen werden und die von den polizeilichen oder staatsanwaltlichen Dolmetschern gefertigten Übersetzungen nicht Grundlage der Augenscheinseinnahme in der Hauptverhandlung sind. Durch diese Verfahrensweise, die auf einer Vereinbarung der Verfahrensbeteiligten - mit Ausnahme eines Mitangeklagten und seines Verteidigers - beruht, wurde das Verfahren quasi "auf neue Beine gestellt".
Allerdings ist festzustellen, dass die Verhandlungsdichte seitdem nicht den Vorgaben entspricht, die das Bundesverfassungsgericht gemacht hat, damit das Beschleunigungsgebot in Haftsachen als eingehalten angesehen werden kann, nämlich, dass Verhandlungen in einer Haftsache an mindestens zwei Sitzungstagen pro Woche stattfinden (vgl. BVerfG [Kammerbeschluss] NJW 2006, 672 [BVerfG 05.12.2005 - 2 BvR 1964/05]). Der Senat hat jedoch in Rechnung gestellt, dass die Kammer aufgrund der am 24. April 2007 bekannt gegebenen neuen Vorgehensweise in der Beweisaufnahme eine gewisse Vorlaufzeit benötigte, um die entsprechenden Voraussetzungen für das Abhören der Original-MODs zu schaffen, den Verfahrensbeteiligten jeweils durch Ankündigung der abzuhörenden Gespräche die Möglichkeit zur Vorbereitung zu geben und so in einen gewissen "Verhandlungsrhythmus" hinein zu kommen. Diese Phase ist aber nun abgeschlossen, so dass zukünftig mit wesentlich höherer Verhandlungsdichte, was sowohl die Anzahl der Sitzungstage pro Monat als auch die Dauer der einzelnen Sitzungen betrifft, dem Verfahren nun zügig Fortgang gegeben werden kann und muss.
bb) Dem wird die dem Senat bekannt gegebene Terminierung in dieser Sache bis Dezember 2007 in ihrem bisherigen Umfang nicht gerecht. Zwar ist es noch hinnehmbar, dass die Kammer im August lediglich einen Sitzungstag vorgesehen hat, weil sie insoweit - wie der Kammervorsitzende dem Senat auf Anfrage mitgeteilt hat - von der Möglichkeit des § 229 Abs. 2 StPO Gebrauch machen und das Verfahren vom 2. August bis zum 2. September unterbrechen wird. Die Anzahl der im Anschluss daran anberaumten Termine - 3. und 25. September, 11. Oktober, 2. und 23. November - reicht jedoch nicht aus. Hier wird die Kammer umgehend weitere Termine anzusetzen haben. Anderenfalls dürfte jedem weiteren Antrag auf Aufhebung des Haftbefehls ab September zu entsprechen sein, soweit nicht von den Angeklagten bzw. ihren Verteidigern zu vertretende Umstände hinzukommen.
Soweit der Vorsitzende der Kammer auf die Belastung der Kammer mit weiteren Haftsachen hinweist, ist diese Belastung dem Senat durchaus bekannt und in der Vergangenheit auch bei Haftentscheidungen in dieser Sache und in anderen bei der Kammer anhängigen Verfahren berücksichtigt worden. Dies kann jedoch für die Zukunft nicht mehr uneingeschränkt und auch nicht für jedes Verfahren in gleichem Maße gelten. Denn dabei ist zu berücksichtigen, dass die Anforderungen an die Einhaltung des Beschleunigungsgrundsatzes umso strenger sind, je länger die Untersuchungshaft andauert (BVerfG a.a.O.). Da der Beschwerdeführer sich schon seit über zwei Jahren in Untersuchungshaft befindet, muss diesem Verfahren gegenüber anderen bei der Kammer anhängigen Haftsachen mit geringerer Haftdauer bei der Terminierung ein deutlicher Vorrang eingeräumt werden. Dem wird die Kammer nicht gerecht, wenn sie sich die Möglichkeit einer höheren Verhandlungsdichte in dieser Sache dadurch nimmt, dass sie in anderen Haftsachen, die ihrerseits wieder die Einhaltung des Beschleunigungsgrundsatzes beanspruchen, mit der Hauptverhandlung neu beginnt, während das vorliegende Verfahren noch nicht abgeschlossen ist. Dies ist nach dem derzeit vorliegenden Terminierungsplan der Kammer für die Monate September, Oktober und November vorgesehen. Hier müssen die nötigen gerichtsorganisatorischen Maßnahmen getroffen werden, damit diese neuen Haftsachen beschleunigt durch andere Strafkammern bearbeitet werden können.
cc) Der Senat stellt in diesem Zusammenhang fest, dass die bislang vom Präsidium des Landgerichts getroffenen Maßnahmen nicht ausreichen, um den dortigen Strafkammern die Einhaltung des verfassungsrechtlichen Beschleunigungsgebotes in Haftsachen zu ermöglichen. Zwar ist zu Beginn des Jahres eigens zu diesem Zweck eine Hilfsstrafkammer gebildet worden. Dem Senat ist jedoch aus Haftfortdauerüberprüfungen in Verfahren dieser Hilfsstrafkammer bekannt, dass sie inzwischen selbst vollkommen mit Haftsachen überlastet ist. Soweit für den 1. August 2007 die Bildung einer neuen Strafkammer geplant ist, wird auch diese Maßnahme voraussichtlich keine nachhaltige Verbesserung bringen. Denn dem Senat ist weiter bekannt, dass diese neue Strafkammer zumindest in der Person der Vorsitzenden mit der bisherigen Hilfsstrafkammer identisch sein wird, so dass sich deren schon jetzt bestehende Überlastung dort sofort auswirken wird. Sollten dem Landgericht nicht genügend Richter zur Verfügung stehen, um zusätzliche Strafkammern zu bilden, so wären entsprechende personalwirtschaftliche Maßnahmen der Justizverwaltung zu ergreifen, um hier Abhilfe zu schaffen. Die Besetzung "neuer" Strafkammern mit Richtern, die bereits in anderen Strafkammern vollständig in Haftsachen eingebunden sind, stellt ersichtlich keine Lösung des Problems dar.
Vor diesem Hintergrund weist der Senat nochmals in aller Deutlichkeit darauf hin, dass vorliegend die Einhaltung des Beschleunigungsgebotes zwar derzeit noch, bei unveränderter Sachlage in Zukunft aber nicht mehr angenommen werden kann.
4. Mildere Mittel i. S. von § 116 Abs. 1 StPO, durch die der Zweck der Untersuchungshaft erreicht werden könnte, sind nicht ersichtlich.
III.
Die Kostenentscheidung folgt aus § 473 Abs. 1 StPO.