Verwaltungsgericht Braunschweig
v. 20.08.2002, Az.: 3 A 215/00

Krankenhausaufenthalt; Regelsatzkürzung; Verzichtserklärung; Widerruf; Wiederholung

Bibliographie

Gericht
VG Braunschweig
Datum
20.08.2002
Aktenzeichen
3 A 215/00
Entscheidungsform
Gerichtsbescheid
Referenz
WKRS 2002, 43515
Entscheidungsname
[keine Angabe]
ECLI
[keine Angabe]

Amtlicher Leitsatz

Leitsatz

Eine Regelsatzkürzung für 12 Wochen gemäß § 25 Abs. 2 Nr. 3 BSHG stellt eine Regelung für einen genau abgegrenzten längeren Zeitraum dar. Nachfolgende Bescheide wiederholen die ausgesprochene Kürzung nur und sind insoweit nicht selbständig per Widerspruch angreifbar. Beim Widerruf einer Verzichtserklärung gemäß § 46 Abs. 1, 2. HS SGB I sind Einbehaltungen ab dem Tag des Eingangs des Widerrufs anteilig rückgängig zu machen.

Tenor:

Der Beklagte wird verpflichtet, der Klägerin für den Monat Mai 2000 Hilfe zum Lebensunterhalt in Höhe von weiteren 23,09 EUR zu bewilligen.

Der Bescheid des Beklagten vom 18.04.2000 in der Gestalt seines Widerspruchsbescheides vom 15.08.2000 wird aufgehoben, soweit er dem entgegensteht.

Im Übrigen wird die Klage abgewiesen.

Die Kosten des Verfahrens trägt die Klägerin zu 88 %, der Beklagte zu 12 %. Gerichtskosten (Gebühren und Auslagen) werden nicht erhoben.

Der Gerichtsbescheid ist wegen der Kosten vorläufig vollstreckbar.

Die Klägerin kann die Vollstreckung durch Sicherheitsleistung oder Hinterlegung in Höhe des festzusetzenden Kostenerstattungsbetrages abwenden, wenn nicht der Beklagte vor der Vollstreckung Sicherheit in gleicher Höhe leistet.

Tatbestand:

1

Die Stadt G. bewilligte der Klägerin in Namen und Auftrag des Beklagten ab August 1999 Hilfe zum Lebensunterhalt. Zu den Kosten der Unterkunft bewilligte sie u.a. darlehensweise die Kaution, wobei sich die Klägerin wegen der Darlehensrückzahlung durch Verzichtserklärung einverstanden erklärte, dass von der laufenden Hilfe monatlich 50,00 DM einbehalten werden. Mit Bescheid vom 24.08.1999 forderte die Stadt G. die Klägerin zur Ableistung gemeinnütziger Tätigkeit in den Diakonischen Betrieben K. auf. In der Zeit ab 01.11.1999 nahm die Klägerin an einer Bildungsmaßnahme teil, die ein Praktikum in den Diakonischen Betrieben K. beinhaltete. Von der Maßnahme, bei der auch Einkommen erzielt wurde, setzte die Klägerin die Stadt G. nicht in Kenntnis. Da diese davon ausging, dass die Tätigkeit in den Diakonischen Betrieben als gemeinnützige Tätigkeit abgeleistet wurde, kam es zu einer Sozialhilfeüberzahlung. Mit Schreiben vom 15.02.2000 wurde die Bildungsmaßnahme zum 29.02.2000 nach acht Abmahnungen gekündigt, weil die Klägerin sowohl im Unterricht als auch im Betrieb acht Tage unentschuldigt gefehlt hatte und u.a. durch Weigerung zur Mitarbeit gegen den Arbeitsvertrag verstoßen hatte.

2

Aufgrund der von der Klägerin verschuldeten Kündigung erließ die Stadt G. am 13.03.2000 einen Änderungsbescheid, mit dem eine Kürzung des Regelsatzes um 25 % für einen Zeitraum von 12 Wochen festgesetzt wurde. Im März 2000 führte die Klägerin an sechs Tagen, im April 2000 an keinem Tag und im Mai 2000 an drei Tagen gemeinnützige Tätigkeit aus.

3

In der Zeit vom 24.03. bis 14.04.2000 befand sich die Klägerin im Krankenhaus. Für den Zeitraum vom 01. bis 14.04. wurde ihr lediglich der Barbetrag nach § 21 BSHG bewilligt und daneben der für den Krankenhausaufenthalt zu zahlende Patienteneigenanteil sowie die Unterkunftskosten übernommen.

4

Am 18.04.2000 erließ die Stadt G. den Hilfebescheid für April und Mai 2000, nach dem weiterhin eine Regelsatzkürzung um 25 % erfolgte. Die Zahlungen für Mai 2000 erfolgten in mehreren Abschlägen am 27.04., 17.05., 24.05. und 29.05.2000. Mit bei der Stadt G. am 03.05.2000 eingegangenem Fax vom 25.04.2000 erhob die Klägerin Widerspruch "gegen den Bescheid vom 29.04.2000 und gegen die Bescheide über Hilfe zum Lebensunterhalt für den Zeitraum 01.05.1999 - heute und für 4/00 und 5/00 und ab 01.06.2000 (auch in Form von Zahlungen)". Die Klägerin wandte sich insoweit gegen die Einbehaltung von 50,00 DM im Mai 2000 und die Kürzung des Regelsatzes. Außerdem habe sie in der Zeit ihres Krankenhausaufenthaltes mehrfach den Waschsalon aufsuchen müssen, wobei Kosten von 60,00 DM entstanden seien.

5

Mit Bescheid vom 15.08.2000 wies der Beklagte den Widerspruch zurück. Ausgehend davon, dass sich der Widerspruch gegen den Bescheid vom 18.04.2000 richte, sei dieser teilweise unzulässig, teilweise unbegründet. Soweit sich die Klägerin gegen die Kürzung des Regelsatzes wende, sei der Widerspruch unzulässig, weil er sich nicht gegen einen Verwaltungsakt wende. Im Bewilligungsbescheid vom 18.04.2000 sei mit der Regelsatzkürzung in der Sache keine neue Rechtsfolge herbeigeführt worden, denn dieser Gegenstand sei mit dem Bescheid vom 13.03.2000 schon abschließend geregelt und im Bescheid vom 18.04.2000 lediglich in Bezug genommen worden. Zwar sei Sozialhilfe keine rentengleiche Dauerleistung mit Versorgungscharakter und die Voraussetzungen dafür seien stets neu zu prüfen. Es sei dem Sozialhilfeträger jedoch nicht verwehrt, die Hilfe auch von vornherein für einen längeren Zeitraum zu regeln, sofern dieses im Bescheid klar zum Ausdruck komme. Eine solche Regelung sei in dem Bescheid vom 13.03.2000 enthalten gewesen, in dem die Regelsatzkürzung für den Zeitraum von 12 Wochen festgesetzt worden sei. In Bezug auf die Einbehaltung von monatlich 50,00 DM sei der Widerspruch nicht begründet. Die Einbehaltung von monatlich 50,00 DM basiere auf einer von der Klägerin unterschriebenen Verzichtserklärung im Sinne von § 46 SGB I. Eine derartige Erklärung könne zwar widerrufen werden, jedoch nur für die Zukunft. Der Widerspruch sei dementsprechend als Widerruf der Verzichtserklärung auszulegen. Dementsprechend seien von der Hilfe zum Lebensunterhalt ab Juni 2000 keine Beträge mehr einbehalten worden. Ein Anspruch auf rückwirkende Aufhebung der Einbehaltungen bestehe nicht, so dass der Bescheid vom 18.04.2000 insoweit rechtmäßig sei. In Bezug auf die geltend gemachten Kosten für den Waschsalon sei ein entsprechender Bedarf erst mit Erhebung des Widerspruchs bekannt geworden und der Widerspruch als entsprechender Antrag auszulegen gewesen. Diesen Antrag habe die Stadt G. mit Bescheid vom 01.08.2000, dessen Begründung er sich zu eigen mache, abgelehnt. Im Übrigen sei der Bedarf, weil er erst am 03.05.2000 bekannt geworden sei, schon gemäß § 5 BSHG abzulehnen, da Sozialhilfe nicht für die Vergangenheit gewährt werde. Im Übrigen sei die Klägerin in der Lage gewesen, die Kosten zu bezahlen, da auch keine nachträgliche Rechnung des Krankenhauses vorgelegt worden sei. Da für den Monat März 2000 die Hilfe zum Lebensunterhalt in voller Höhe geleistet worden sei, habe sie auch die nötigen Barmittel besessen.

6

Mit der am 17.09.2000 erhobenen Klage wendet sich die Klägerin gegen "die Ausgangsbescheide der Stadt G. und andere vom 18.04.2000 in Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 15.08.2000 und beantragt (wörtlich),

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die einbehaltenen 50,00 DM für den Zeitraum 03.05. bis 31.05.2000 nachzuzahlen (Widerruf lag am 03.05.2000 vor),

8

ab 01.04.2000 den Kürzungsbetrag von 145,45 DM nachzuzahlen,

9

60,00 DM an Kosten für den Waschsalon nachzuzahlen.

10

Der Beklagte beantragt,

11

die Klage abzuweisen.

12

Er nimmt Bezug auf seinen Widerspruchsbescheid und verweist auf die Unzulässigkeit des Widerspruchs wegen fehlender Statthaftigkeit in Bezug auf die Regelsatzkürzung mit Bescheid vom 18.04.2000. In Bezug auf die Einbehaltung habe der Verzicht auf Sozialhilfe lediglich für die Zukunft widerrufen werden können. Da die Hilfeleistung für Mai 2000 mit dem Bescheid vom 18.04.2000 abschließend und ausdrücklich für den gesamten Monat entschieden worden sei, habe sich der am 03.05.2000 zugegangene Widerruf lediglich für den zukünftigen Bewilligungszeitraum ab Juni 2000 auswirken können. In Bezug auf die Kosten für den Waschsalon sei der Antrag gemäß § 42 Abs. 2 BSHG unzulässig, weil keine substantiierte mögliche Rechtsverletzung geltend gemacht worden sei. Unbegründete pauschale Widersprüche und Klage seien rechtsmissbräuchlich.

13

Wegen der weiteren Einzelheiten des Sachverhalts wird auf die Gerichtsakte im vorliegenden Verfahren sowie die Verwaltungsvorgänge des Beklagten Bezug genommen. Sie waren Gegenstand der Entscheidungsfindung.

Entscheidungsgründe

14

Der Erlass eines Gerichtsbescheides nach § 84 VwGO ist zulässig. Die Beteiligten hatten Gelegenheit, dazu Stellung zu nehmen.

15

Die Klage hat in dem aus dem Tenor ersichtlichen Umfang Erfolg. Der Klägerin steht ein Anspruch auf Bewilligung weiterer Hilfe zum Lebensunterhalt für den Monat Mai 2000 in Höhe von 23,09 EUR (45,16 DM) zu. Im Übrigen hat die Klage keinen Erfolg.

16

Ein Anspruch auf die Bewilligung weiterer 23,09 EUR ergibt sich aus der Tatsache, dass die Klägerin, vertreten durch ihren Prozessbevollmächtigten, mit Schriftsatz vom 25.04.2000, beim Beklagten eingegangen am 03.05.2000, die von ihr im Rahmen einer Darlehensrückzahlung abgegebene Verzichtserklärung wirksam widerrufen hat. Gemäß § 46 Abs. 1 2. Halbs. SGB I kann ein solcher Verzicht jederzeit mit Wirkung für die Zukunft widerrufen werden. Aufgrund der Formulierung "mit Wirkung für die Zukunft" wirkt sich der Verzicht nur für Ansprüche aus, die nach dem Widerruf entstehen (vgl. Hauck/Haines, SGB I: § 46 Rn. 22). Bei Leistungen der Hilfe zum Lebensunterhalt handelt es sich nicht um rentengleiche wirtschaftliche Dauerleistungen handelt, sondern wegen der sich ständig wandelnden Lage wird der Sozialhilfefall gleichsam täglich erneut regelungsbedürftig (vgl. Schoch, Sozialhilfe: S. 530 unter Berufung auf die Rechtsprechung des Bundesverwaltungsgerichts). Damit hat die Klägerin ab dem Tag nach Eingang des Widerrufs ihrer Verzichtserklärung, d.h. dem 04.05.2000, einen Anspruch auf anteilige Auszahlung der für den Monat Mai 2000 einbehaltenen 50,00 DM und die Einbehaltungen waren, wie der Beklagte angenommen hat, nicht erst ab dem 01.06.2000 zu stoppen. Dementsprechend steht ihr ein Anspruch auf weitere 45,16 DM (50,00 DM : 31 Tage x 28 Tage = 45,16 DM bzw. 23,09 EUR) zu (vgl. GB d. Kammer v. 11.02.2000 zum Az. 3 A 3244/98).

17

Demgegenüber steht der Klägerin kein Anspruch auf Nachzahlung der Beträge zu, um die ihr Regelsatz im April und Mai 2000 gekürzt worden ist. Das Gericht folgt insoweit der Argumentation des Beklagten in seinem Widerspruchsbescheid vom 15.08.2000 und sieht insoweit von einer Darstellung der Entscheidungsgründe ab (§ 117 Abs. 5 VwGO). Bereits der Widerspruch war insoweit unzulässig. Mit dem Bescheid vom 13.03.2000 hat der Beklagte auf der Grundlage von § 25 Abs. 2 Nr. 3b BSHG analog eine 25 %ige Regelsatzkürzung für 12 Wochen geregelt. Damit ist eine Regelung für einen genau abgegrenzten längeren Zeitraum getroffen worden, während die im Bescheid vom 18.04.2000 dementsprechend verfügte Regelsatzkürzung lediglich eine Wiederholung darstellt. Vor diesem Hintergrund und der Tatsache, dass der Bescheid vom 13.03.2000 von der Klägerin nicht angegriffen wurde, war ein Widerspruch gegen den insoweit wiederholenden Bescheid vom 18.04.2000 nicht zulässig.

18

Der Klägerin steht auch kein Anspruch auf Bewilligung einer einmaligen Beihilfe gemäß § 21 BSHG für während ihres Krankenhausaufenthaltes vom 24.03. bis 14.04.2000 verauslagte Waschsalonkosten zu. Nach Auskunft der Hautklinik L. vom 13.07.2000, wo die Klägerin stationär behandelt wurde, musste ihre Wäsche aufgrund der medizinischen und pflegerischen Behandlung nicht häufiger gewaschen werden als im normalen Alltag. Darüber hinaus wurden ihr Nachtwäsche und Handtücher für die Dauer des Aufenthaltes regelmäßig gestellt. Vor diesem Hintergrund waren die erforderlichen Waschkosten aus dem der Klägerin gewährten Regelsatz zu zahlen, zumal ihr für März 2000 ungekürzte Hilfe zum Lebensunterhalt ausgezahlt worden war, obwohl sie sich bereits am 24.03.2000 im Krankenhaus befand und dort verpflegt wurde etc.

19

Nach alledem ist der Klage in Höhe von 23,09 EUR (45,16 DM) stattzugeben. Die angefochtenen Bescheide sind aufzuheben, soweit sie dem entgegenstehen. Im Übrigen ist die Klage abzuweisen.

20

Die Kostenentscheidung folgt aus § 155 Abs. 1 Satz 1, 188 S. 2 VwGO und orientiert sich an dem Begehren der Klägerin (50,00 DM + 145,45 DM + 136,75 DM + 60,00 DM = 392,20 DM) und dem anteiligen Erfolg der Klage.

21

Die Entscheidung hinsichtlich der vorläufigen Vollstreckbarkeit folgt aus §§ 84, 167 VwGO i.V.m. §§ 708 Nr. 11, 711 ZPO.