Verwaltungsgericht Braunschweig
Beschl. v. 15.08.2002, Az.: 3 B 197/02
Erlass einer einstweiligen Anordnung zur Regelung eines vorläufigen Zustandes im Rahmen eines Anspruchs auf Gewährung von Hilfe zum Lebensunterhalt; Kriterium der Leistung eines eigenen Beitrags durch den Anspruchsteller zur Sicherung seines Lebensunterhalts
Bibliographie
- Gericht
- VG Braunschweig
- Datum
- 15.08.2002
- Aktenzeichen
- 3 B 197/02
- Entscheidungsform
- Beschluss
- Referenz
- WKRS 2002, 30658
- Entscheidungsname
- [keine Angabe]
- ECLI
- ECLI:DE:VGBRAUN:2002:0815.3B197.02.0A
Rechtsgrundlagen
- § 123 Abs. 1 S. 2 VwGO
- § 19 BSHG
- § 20 BSHG
- § 25 Abs. 1 S. 1, 2, 3 BSHG
Fundstelle
- info also 2003, 232-234 (Volltext mit red. LS)
Verfahrensgegenstand
Hilfe zum Lebensunterhalt - Kürzung -
In der Verwaltungsrechtssache
...
hat das Verwaltungsgericht Braunschweig - 3. Kammer -
am 15. August 2002
durch
die Einzelrichterin
beschlossen:
Tenor:
Der Antragsgegner wird im Wege der einstweiligen Anordnung verpflichtet, der Antragstellerin ab 1. August 2002 Hilfe zum Lebensunterhalt unter Berücksichtigung von 75 v.H. des maßgebenden Regelsatzes zu bewilligen.
Im Übrigen wird der Antrag auf Erlass einer einstweiligen Anordnung zurückgewiesen.
Die Kosten des Verfahrens werden gegeneinander aufgehoben; Gerichtskosten werden nicht erhoben.
Gründe
Der Antrag auf Erlass einer einstweiligen Anordnung, mit der die Antragstellerin die Verpflichtung des Antragsgegners zur Leistung ungekürzter Hilfe zum Lebensunterhalt begehrt, ist nur in dem aus dem Tenor ersichtlichen Umfang begründet.
Gemäß § 123 Abs. 1 Satz 2 Verwaltungsgerichtsordnung (VwGO) kann eine einstweilige Anordnung zur Regelung eines vorläufigen Zustandes in Bezug auf ein streitiges Rechtsverhältnis erlassen werden, wenn diese Regelung zur Abwendung wesentlicher Nachteile oder aus anderen Gründen nötig erscheint (Regelungsanordnung). Da nach Sinn und Zweck des einstweiligen Rechtsschutzverfahrens die vorläufige Regelung grundsätzlich die Entscheidung in der Hauptsache nicht vorwegnehmen darf, kann eine Verpflichtung zur Zahlung und Übernahme von Geldleistungen, wie sie im vorliegenden Fall begehrt wird, im einstweiligen Anordnungsverfahren in der Regel nur ausgesprochen werden, wenn die tatsächlichen Voraussetzungen für einen entsprechenden Anspruch (Anordnungsanspruch) glaubhaft gemacht sind und weiterhin glaubhaft gemacht wird, dass die begehrte Hilfe aus existenzsichernden Gründen so dringend notwendig ist, dass der Anspruch mit gerichtlicher Hilfe sofort befriedigt werden muss und es deshalb nicht zumutbar ist, den Ausgang eines Hauptsacheverfahrens abzuwarten (Anordnungsgrund).
Diese Voraussetzungen sind nur insoweit erfüllt, als der Antragsgegner den maßgebenden Regelsatz ab 01.08.2002 in einer ersten Stufe um mehr als 25% gekürzt hat.
Die Antragstellerin hat einen Anspruch auf Bewilligung von Sozialhilfe ohne Kürzung des Regelsatzes um 25% nicht glaubhaft gemacht.
Nach § 25 Abs. 1 Satz 1 Bundessozialhilfegesetz (BSHG) hat keinen Anspruch auf Hilfe zum Lebensunterhalt, wer sich weigert, zumutbare Arbeit zu leisten oder zumutbaren Maßnahmen nach den §§ 19 und 20 BSHG nachzukommen. Nach der im Verfahren auf Gewährung vorläufigen Rechtsschutzes allein gebotenen summarischen Prüfung hat der Antragsgegner zu Recht die Voraussetzungen für die Aberkennung des Rechtsanspruches auf Hilfe zum Lebensunterhalt nach dieser Vorschrift und die Kürzung der der Antragstellerin zustehenden Hilfe zum Lebensunterhalt angenommen. Denn die Antragstellerin hat durch ihr Verhalten bei der Vorsprache im Jugendbüro der B.- und B.-gesellschaft am 24.07.2002, welches sie in dem gerichtlichen Erörterungstermin am 15.08.2002 bestätigt hat, zum Ausdruck gebracht, dass ihr der vom Gesetzgeber geforderte Wille zur Selbsthilfe durch Einsatz ihrer Arbeitskraft fehlt (vgl. hierzu BVerwG, Urt. v. 17.05.1995 - 5 C 20.93 -, FEVS 46, S. 12 ff.). Diese "Arbeitsverweigerung" ergibt sich bei summarischer Prüfung bereits aus dem Umstand, dass die Antragstellerin die beiden Arbeitsangebote mit Hinweis auf gesundheitliche Gründe (Rückenprobleme) abgelehnt hat. Zwar hat das Versorgungsamt Braunschweig bei der Antragstellerin einen Grad der Behinderung von 20 wegen einer beiderseits bestehenden Patelladisplasie festgestellt. Nach einer amtsärztlichen Stellungnahme ist die 1975 geborene Antragstellerin aber grundsätzlich mit leichten bis mittelschweren Arbeiten vollschichtig arbeitsfähig. Dabei sollen lediglich ständige unergonomische Bück- und Hebebelastungen und Zwangshaltungen der Wirbelsäule sowie häufige Kniebeugebelastungen ausgeschlossen werden. Eine generelle Unzumutbarkeit von Gartenarbeit oder ähnlichen Tätigkeiten kann nach den vorliegenden ärztlichen Stellungnahmen nicht angenommen werden. Der Antragsgegner hat überzeugend dargelegt, dass bei den angebotenen Beschäftigungen derartige Zwangshaltungen und Belastungen nicht dauernd anfallen und auf körperliche Einschränkungen Rücksicht genommen wird. Danach kann dahinstehen, ob es zutrifft, dass sich die Antragstellerin bei der Ablehnung der Stellenangebote allein auf die Unzumutbarkeit der angebotenen Tätigkeiten aus gesundheitlichen Gründen berufen hat oder ob, worauf ihre ursprünglichen Angaben hindeuten, bei der einen angebotenen Stelle auch die lange Anfahrtszeit und die befürchtete Art der Tätigkeit (Trennen von Müll - Fahrradwerkstatt -) ausschlaggebend für die Ablehnung des Arbeitsangebotes waren. Beide Gründe hätten die angebotene Arbeit nicht unzumutbar gemacht. Der Antragsgegner hat nachgewiesen, dass die Arbeitsstelle in zumutbarer Zeit mit öffentlichen Verkehrsmitteln erreichbar ist. Nach § 18 Abs. 3 BSHG ist die Antragstellerin zudem gehalten, jedwede Arbeit auszuüben, wenn sie zu dieser körperlich oder geistig in der Lage ist und sonstige gewichtige Gründe nicht entgegenstehen. Sie darf sich nicht auf die Suche nach Arbeit in von ihr bevorzugten Bereichen beschränken. Die inzwischen 27 Jahre alte Antragstellerin hat zwar bei der Erörterung ihren Wunsch kundgetan, bei einem Arzt oder Zahnarzt zu arbeiten oder dort eine Ausbildung zu machen. Sie hat aber keine Gründe dargetan, warum es, nachdem sie bisher weder eine Arbeitsstelle außerhalb der öffentlich geförderten Programme der Hilfe zur Arbeit hat erlangen können noch eine entsprechende Ausbildungsstelle, als Härte anzusehen wäre, wenn sie eine Tätigkeit in dem genannten Bereich antreten würde.
Eine Arbeitsverweigerungshaltung der Antragstellerin ergibt sich zudem nicht nur aus der Ablehnung der beiden Arbeitsangebote, sondern auch aus dem vom Antragsgegner glaubhaft gemachten und im Erörterungstermin von der Antragstellerin zum Ausdruck gebrachten allgemeinen Verhalten der Antragstellerin. So verweigerte die Antragstellerin die Angabe von persönlichen Daten gegenüber den Mitarbeitern des Jugendbüros und lehnte die angebotenen Arbeiten sofort ab, u.a. mit der Begründung, sie hätte nicht gewusst, dass sie bei der Vorsprache im Jugendbüro ggf. sofort ein Arbeitsangebot annehmen sollte. Die Mitarbeiter des Jugendbüros hätten sich nicht vorgestellt und sie sei nicht verpflichtet, ihre persönlichen Daten, wie die Sozialversicherungsnummer, anzugeben und deren Weiterleitung an das Arbeitsamt oder das Sozialamt zuzustimmen. Damit zeigt die Antragstellerin ein Verhalten, dass ihr im Sinne "mangelnder Selbsthilfe" vorzuwerfen ist, da es belegt, dass die Antragstellerin auf der einen Seite darauf "vertraut", keine passenden Arbeitsangebote zu erhalten und dass sie auf der anderen Seite die für eine erfolgversprechende Arbeitsvermittlung erforderlichen Angaben verweigert. Es hat den Anschein, dass ihr Verhalten darauf ausgerichtet ist, den Hilfeträgern zu "beweisen", dass es keine Arbeitsmöglichkeit für sie gibt und dass sie aus gesundheitlichen Gründen - ebenso wie ihre Eltern, bei denen sie wohnt - nicht arbeiten kann.
Auch die weiteren Voraussetzungen für die Kürzung der Sozialhilfe sind erfüllt. Die im Auftrage des Sozialhilfeträgers durch die Mitarbeiter des Jugendbüros erteilte Belehrung, mit der die Antragstellerin darauf hingewiesen wurde, dass im Falle der Ablehnung des Arbeitsangebotes die Möglichkeit der Kürzung der laufenden Hilfe zum Lebensunterhalt bestehe, genügt den Anforderungen des § 25 Abs. 1 Satz 3 BSHG.
Allerdings ist die Höhe der vom Antragsgegner erfolgten Kürzung zu beanstanden. Mit dem Wegfall des Rechtsanspruchs auf Hilfe zum Lebensunterhalt ist nach § 25 Abs. 1 Satz 2 BSHG eine Kürzung des Regelsatzes um mindestens 25% zwingend vorgeschrieben. Zwar ergibt sich aus der Formulierung des § 25 Abs. 1 Satz 2 BSHG, dass im Einzelfall auch in einem ersten Schritt bei Verweigerung zumutbarer Arbeit eine Kürzung um mehr als 25% des maßgeblichen Regelsatzes im Rahmen einer zu treffenden Ermessensentscheidung zulässig sein kann. Im vorliegenden Fall hat der Antragsgegner zwar nicht in dem angegriffenen Bescheid vom 26.07.2002, aber im vorläufigen Rechtsschutzverfahren sein Ermessen dahingehend ausgeübt, dass er klargestellt hat, dass im Hinblick auf eine vergleichsweise Einigung mit der Antragstellerin wegen einer zuvor angeordneten Kürzung des Regelsatzes um 25% im März des Jahres nunmehr eine Kürzung um 50% wegen der Selbstverpflichtung der Antragstellerin in dem geschlossen Vergleich angemessen sei. Diese Entscheidung des Antragsgegners erweist sich nach summarischer Prüfung aber als ermessensfehlerhaft, da der Antragsteller durch die von ihm beauftragten Mitarbeiter des Jugendbüros lediglich eine 25%-ige Kürzung des Regelsatzes mit Schreiben vom 08.07.2002 angedroht hatte, damit sein Ermessen bei der Reduzierung in einer ersten Stufe selbst gebunden hatte, und auch in der Vergangenheit kein ausdrücklicher Hinweis an die Antragstellerin erfolgte, dass in einer ersten Stufe auch mehr als 25% des Regelsatzes der Hilfeleistung gekürzt werden könnten. Deshalb durfte in einem ersten Schritt eine Kürzung der Hilfe zum Lebensunterhalt lediglich in dem in § 25 Abs. 1 Satz 2 BSHG vorgeschriebenen Mindestumfang erfolgen. Vor einer weiteren Kürzung wird der Antragsgegner, wie bereits geschehen, die Antragstellerin auf die Möglichkeit weiterer Kürzungen hinweisen müssen, die gegeben ist. Zweck der Vorschrift des § 25 Abs. 1 BSHG ist es, den Sozialhilfebedürftigen mit dem gebotenen Nachdruck darauf hinzuweisen, dass er im Rahmen des Zumutbaren seinen eigenen Beitrag zur Sicherung seines Lebensunterhaltes leistet. Dabei hat der Sozialhilfeträger den Grundsatz der Verhältnismäßigkeit zu wahren, die Belange des Hilfesuchenden zu berücksichtigen und dabei auf der anderen Seite auch zu berücksichtigen, dass das Verhalten der Antragstellerin bereits in den vergangenen Jahren Anlass gegeben hat, die Hilfe zum Lebensunterhalt zu kürzen, und dass ihr mit Nachdruck vor Augen geführt werden muss, dass die Ablehnung eines konkreten zumutbaren Arbeitsangebotes eine Arbeitsverweigerung darstellt.
Die Entscheidung über die Kosten des Verfahrens ergibt sich aus der Anwendung der §§ 155 Abs. 1, 188 Satz 2 VwGO.
Hachmann
Drinhaus