Finanzgericht Niedersachsen
Urt. v. 30.03.2006, Az.: 6 K 537/04

Getrennte Prüfung der Voraussetzungen für den Abfluss einer Gewinnausschüttung bei einer Kapitalgesellschaft und für den Zufluss beim Gesellschafter; Zeitpunkt des Erfolgens der Ausschüttung; Möglichkeit der Berücksichtigung des Zuflusses zeitlich vor dem Abfluss

Bibliographie

Gericht
FG Niedersachsen
Datum
30.03.2006
Aktenzeichen
6 K 537/04
Entscheidungsform
Urteil
Referenz
WKRS 2006, 14484
Entscheidungsname
[keine Angabe]
ECLI
ECLI:DE:FGNI:2006:0330.6K537.04.0A

Fundstellen

  • BBK 2006, 1088
  • DStR 2006, VIII Heft 30 (Kurzinformation)
  • DStRE 2006, 1073-1075 (Volltext mit amtl. LS)
  • EFG 2006, 1194-1195 (Volltext mit red. LS)
  • StuB 2006, 889
  • Jurion-Abstract 2006, 228611 (Zusammenfassung)

Amtlicher Leitsatz

Die Voraussetzungen für den Abfluss einer Gewinnausschüttung bei einer Kapitalgesellschaft und für den Zufluss beim Gesellschafter sind getrennt zu prüfen und können dazu führen, dass der Zeitpunkt des Zuflusses vor dem des Abflusses liegen kann.

Tatbestand

1

Die Klägerin ist eine Gesellschaft mit beschränkter Haftung (GmbH) und betreibt einen Einzelhandel mit Optik und Hörgeräten. Geschäftsführer und Gesellschafter waren im Streitjahr die Eheleute X., und zwar A.X. mit 48 v.H. und B.X. mit 52 v.H. Wirtschaftsjahr der Klägerin ist das Kalenderjahr. Am 30. November 2001 beschlossen die Gesellschafter eine Ausschüttung aus dem aufgelaufenen Ergebnis i.H.v. 290.000 DM. Die Kapitalertragsteueranmeldung erfolgte am 7. Dezember 2001 i.H.v. 72.500 DM zzgl. Solidaritätszuschlag i.H.v. 3.987,50 DM. In der laufenden Buchführung wurde die Ausschüttungsverbindlichkeit zunächst auf dem Konto "sonstige Verbindlichkeiten" gebucht. Im Rahmen der Erstellung des Jahresabschlusses für 2001 wurde im Jahr 2002 durch das Steuerbüro eine Umbuchung auf das Konto "Verbindlichkeiten gegenüber Gesellschaftern bis zu einem Jahr" vorgenommen. Weitere vertragliche Vereinbarungen hinsichtlich der Ausschüttung trafen die Gesellschafter nicht. In ihrer Steuererklärung für das Jahr 2000 beantragte die Klägerin für die am 30. November 2001 beschlossene Ausschüttung die Herstellung der Ausschüttungsbelastung und die entsprechende Minderung der Körperschaftsteuer gem. § 27 Abs. 1 KStG a.F. (die bis zur Änderung durch das Gesetz 20. Dezember 2001 geltende Fassung). Die antragsgemäße Veranlagung erfolgte mit Bescheiden vom 28. März 2002 unter dem Vorbehalt der Nachprüfung. Die Auszahlung der Ausschüttung erfolgte im Jahr 2002, und zwar am 14. Januar 2002 i.H. eines Teilbetrages von 176.024,70 DM (= 90.000 EUR) und am 31. Mai 2002 i.H. eines Teilbetrages von 37.487,80 DM (= 19.167,21 EUR). Mangels ausreichender liquider Mittel stellte der Gesellschafter A.X. der Klägerin mit Überweisung vom 13. Dezember 2001 zur Begleichung der Kapitalertragsteuerschuld einen Betrag i.H.v. 28.000 DM zur Verfügung.

2

Im Rahmen einer für die Kalenderjahre 1999 - 2001 bei der Klägerin durchgeführten Außenprüfung gelangte der Außenprüfer des Beklagten (das Finanzamt - FA -) zu der Auffassung, dass die mit Datum vom 30. November 2001 beschlossene Ausschüttung nicht im Jahr 2001, sondern erst mit der Zahlung an die Gesellschafter im Jahr 2002 erfolgt sei. Entsprechend versagte das FA unter Hinweis auf § 34 Abs. 10a Nr. 1 KStG a.F. (in der bis zur Neufassung des § 34 durch das Gesetz vom 20.12.2001 geltenden Fassung; § 34 Abs. 12 KStG in der derzeit geltenden Fassung) die Minderung der Körperschaftsteuer für das Jahr 2000.

3

Entsprechend dem Ergebnis der Außenprüfung erließ das FA mit Datum vom 1. September 2003 geänderte Steuerbescheide. Hiergegen legte die Klägerin Einspruch ein und machte geltend, die Ausschüttung entsprechend dem Beschluss vom 30. November 2001 sei bereits im Jahre 2001 erfolgt. Als alleinige Gesellschafter hätten die Eheleute X. auch ohne Gutschrift auf einem Verrechnungskonto bereits im Jahr 2001 jederzeit über die Ausschüttung verfügen können. Damit sei ihnen die Ausschüttung schon im Jahr 2001 zugeflossen. Diese Sichtweise sei auch für die Auslegung des § 27 i.V.m. § 34 Abs. 10a Nr. 1 KStG a.F. anzuwenden.

4

Das FA wies den Einspruch mit der Begründung zurück, die Ausschüttung sei nicht bereits 2001, sondern erst im Jahr 2002 erfolgt. Nach der Anwendungsvorschrift des § 34 Abs. 12 Satz 1 Nr. 1 KStG n.F. sei die Ausschüttungsbelastung letztmals für Gewinnausschüttungen herzustellen, die auf einem den gesellschaftsrechtlichen Vorschriften entsprechenden Gewinnverteilungsbeschluss für ein abgelaufenes Wirtschaftsjahr beruhen und die in dem ersten Wirtschaftsjahr erfolgen, für das das neue Recht - also das Jahr 2001 - gelte. Dabei sei eine Ausschüttung erst dann erfolgt, wenn die entsprechenden Mittel bei der Körperschaft abgeflossen seien. Dagegen sei eine Gewinnausschüttung noch nicht verwirklicht, wenn offene oder verdeckte Gewinnausschüttungen bei der Körperschaft lediglich als Verpflichtung gegenüber dem Anteilseigner passiviert worden seien. Dies entspreche insbesondere der in Abschnitt 77 Abs. 6 KStR 1995 dargestellten Verwaltungsauffassung. Die von der Klägerin dargestellte Rechtsauffassung beziehe sich lediglich auf den Zufluss beim Anteilseigner, auf den es jedoch nicht für die Beurteilung des Abflusses bei der Kapitalgesellschaft ankomme. Die Ausschüttungsbeträge seien im Jahr 2001 weder auf Verrechnungskonten gutgeschrieben worden noch seien die Ansprüche in eine Darlehensforderung umgewandelt worden, so dass ein Abfluss im Jahr 2001 bei der Klägerin nicht feststellbar sei.

5

Mit ihrer Klage verfolgt die Klägerin ihr Begehren weiter, für die aufgrund des Beschlusses vom 30. November 2001 erfolgte Ausschüttung die Minderung der Körperschaftsteuer gem. § 27 KStG herzustellen. Dabei räumt die Klägerin ein, dass nach der Anwendungsvorschrift des § 34 Abs. 10a Nr. 1 KStG a.F. die Minderung der Körperschaftsteuer nur dann zulässig sei, wenn die Ausschüttung im Veranlagungszeitraum 2001 erfolgt sei. Diese Voraussetzungen seien bei der Klägerin jedoch erfüllt. Dadurch, dass die Klägerin die verbleibende Nettoausschüttung mit einem Betrag i.H.v. 213.512,50 DM in der laufenden Buchführung auf das Konto "sonstige Verbindlichkeiten" gebucht und im Rahmen der Abschlussarbeiten für das Jahr 2001 auf dem Konto "Verbindlichkeiten gegenüber Gesellschaftern bis 1 Jahr" ausgewiesen habe, sei offenkundig, dass ein jederzeitiger Zugriff der Gesellschafter auf den ausgeschütteten Betrag wirtschaftlich gewollt gewesen sei. Da die Eheleute X. Alleingesellschafter der Klägerin gewesen seien, sei auch eine jederzeitige Verfügung der Gesellschafter über den zur Ausschüttung vorgesehenen Betrag bereits im Jahr 2001 möglich gewesen. Diese Sichtweise entspreche auch ständiger höchstrichterlicher Rechtsprechung, wonach die bei der Gesellschaft ausgewiesenen fälligen Verbindlichkeiten beim herrschenden Gesellschafter regelmäßig mit der Passivierung als zugeflossen zu betrachten seien (unter Verweis auf BFH-Urteil vom 17. November 1998 VIII R 24/98, BStBl II 1999, 223). Dagegen sei die in Abschnitt 77 Abs. 6 KStR 1995 aufgeführte Verwaltungsmeinung nicht zur Auslegung des § 34 Abs. 10a Nr. 1 KStG a.F. heran zu ziehen. Die Systematik der Anwendungsvorschrift zeige vielmehr, dass unabhängig von dem Abfluss- und Zuflussprinzip der Zeitpunkt der Ausschüttung bei der Körperschaft mit dem Zufluss beim Anteilseigner hätte verknüpft werden sollen.

6

Die Klägerin beantragt,

den Bescheid über Körperschaftsteuer 2000 sowie den Bescheid über die gesonderte Feststellung von Besteuerungsgrundlagen gem. § 47 KStG zum 31.12.2000, jeweils vom 01.09.2003, in der Fassung der Einspruchsentscheidung vom 22. April 2004 abzuändern und die Körperschaftsteuer dahingehend anderweitig festzusetzen bzw. die Besteuerungsgrundlagen anderweitig dahingehend festzustellen, dass die aufgrund des Beschlusses vom 30.11.2001 erfolgte Ausschüttung die Körperschaftsteuerminderung hergestellt wird.

7

Der Beklagte beantragt,

die Klage abzuweisen.

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Zur Begründung verweist der Beklagte auf seine Ausführung aus der Einspruchsentscheidung vom 30. April 2002.

Entscheidungsgründe

9

I.

Das Gericht durfte ohne mündliche Verhandlung entscheiden, da die Beteiligten einer Entscheidung ohne mündliche Verhandlung zugestimmt haben.

10

II.

Die zulässige Klage ist unbegründet.

11

Das FA durfte die ursprünglichen Bescheide vom 28. März 2002 gem. § 164 Abs. 1 AO ändern, da die Veranlagung unter dem Vorbehalt der Nachprüfung erfolgt war. Die Änderung durch das FA erfolgte auch zu Recht. Für die auf dem Beschluss vom 30. November 2001 beruhende Ausschüttung war die Ausschüttungsbelastung gem. § 27 Abs. 1 KStG a.F. nicht herzustellen und die Körperschaftsteuer nicht zu mindern.

12

1)

Gem. § 34 Abs. 10a Nr. 1 KStG a.F. sind die Vorschriften des 4. Teils des Körperschaftsteuergesetzes i.d.F. des Art. 4 des Gesetzes vom 14. Juli 2000 - damit also auch die Vorschriften über die Herstellung der Ausschüttungsbelastung gem. § 27 KStG - letztmals für Gewinnausschüttungen anzuwenden, die auf einem den gesellschaftsrechtlichen Vorschriften entsprechenden Gewinnverteilungsbeschluss für ein abgelaufenes Wirtschaftsjahr beruhen und die in dem ersten Wirtschaftsjahr erfolgen, das in dem Veranlagungszeitraum endet, für den das Körperschaftsteuergesetz in der Fassung des Art. 3 des Gesetzes vom 23. Oktober 2000 erstmals anzuwenden ist. Dies ist bei Körperschaften, bei denen - wie bei der Klägerin - das Wirtschaftsjahr dem Kalenderjahr entspricht, der Veranlagungszeitraum 2001 (vgl. Frotscher in Frotscher/Maaß, § 34 KStG, Rdn. 15). Die Körperschaftsteuerminderung durch Herstellung der Ausschüttungsbelastung kann daher für Ausschüttungen, die sich auf abgelaufene Wirtschaftsjahre beziehen, nur erfolgen, wenn die Ausschüttung spätestens im Jahr 2001 erfolgt ist.

13

2)

Diese Voraussetzungen sind bei der Klägerin nicht erfüllt, da die Ausschüttung nicht bereits im Jahr 2001, sondern erst im Jahr 2002 erfolgt ist.

14

a)

Eine Ausschüttung ist dann erfolgt, wenn die Mittel bei der Körperschaft abgeflossen sind, also sich die Gewinnausschüttung als eine auf gesellschaftsrechtlicher Grundlage erfolgte Vermögensminderung durch einen tatsächlichen Mittelabfluss konkretisiert hat (ständige Rechtsprechung; BFH-Urteil vom 31. Oktober 1990 I R 47/88, BStBl II 1991, 255; Frotscher in Frotscher/Maas, KStG, UmwStG, § 27 KStG a.F., Rdn. 91). Diese zu § 27 KStG a.F. entwickelte Auslegung des Begriffes des "Erfolgens" gilt auch für die Anwendungsvorschrift des § 34 Abs. 10a KStG a.F. Die Anwendungsvorschrift des § 34 Abs. 10a KStG a.F. steht im unmittelbaren Zusammenhang mit § 27 Abs. 1 KStG a.F. und bestimmt gerade dessen zeitlichen Anwendungsbereich. Dies lässt nur den Schluss zu, dass in § 34 Abs. 10a KStG der Begriff des "Erfolgens der Ausschüttung" genauso verwendet werden sollte, wie dies bei § 27 KStG a.F. der Fall ist (im Ergebnis ebenso Pung in Dötsch/Eversberg/Jost/Witt, Die Körperschaftsteuer, § 34 KStG n.F., Rdn. 117).

15

b)

Die Ausschüttungsbelastung darf daher nicht hergestellt werden, solange der Vermögensabfluss noch nicht verwirklicht worden ist. Anderenfalls könnten zuvor gefasste Gewinnverteilungsbeschlüsse geändert oder aufgehoben werden, ohne dass sich dies auf die Anwendung des § 27 Abs. 1 KStG a.F. hätte auswirken können. Zwar mag danach ein Vermögensabfluss vorliegen, wenn die beschlossene Ausschüttung einem Verrechnungskonto des Gesellschafters bei der Körperschaft gutgeschrieben worden ist und der Gesellschafter über die gutgeschriebenen Beträge frei verfügen konnte. Dagegen ist die Ausschüttungsbelastung noch nicht herzustellen, wenn eine offene Gewinnausschüttung bei der Körperschaft lediglich als Verpflichtung gegenüber dem Anteilseigner passiviert worden ist (BFH-Urteil vom 9. Dezember 1987 I R 260/83, BStBl II 1988, Seite 460). Bilanzielle Maßnahmen allein vermögen den Mechanismus des Abrechnungsverfahrens nicht auszulösen. Wird der passivierte Anspruch z.B. wegen Liquiditätsschwierigkeiten nicht erfüllt, unterbleiben die Körperschaftsteueränderungen auf Dauer, so dass das Anrechnungsverfahren nicht eingreift (Frotscher in Frotscher/Maas, KStG/UmwStG, § 27 KStG a.F., Rdn. 98). Dies hat letztlich zur Folge, dass eine Gewinnausschüttung, die erst in einem späteren als im ersten Wirtschaftsjahr, für das das neue Recht gilt, abfließt, nach neuem Recht abzuwickeln ist, so dass es nicht zu einer Herstellung der Ausschüttungsbelastung kommt (Pung in Dötsch/ Eversberg/ Jost/ Witt, Die Körperschaftsteuer, § 34 KStG n.F., Rdn. 120).

16

c)

Unter Anwendung dieser Grundsätze ist die Ausschüttungsbelastung bei der Klägerin für die auf dem Beschluss vom 30. November 2001 beruhende Ausschüttung nicht herzustellen.

17

Im Veranlagungszeitraum 2001 ist die Ausschüttung lediglich als Verbindlichkeit gegenüber den Gesellschaftern passiviert worden. Eine Gutschrift auf Gesellschafterverrechnungskonten, für die es einer entsprechenden vertraglichen Vereinbarung zwischen der Klägerin und ihren Gesellschaftern über die tatsächliche Handhabung der Verrechnungskonten (einschließlich Verzinsung) bedurft hätte, ist nicht erfolgt. Damit hat sich bei der Klägerin der Mittelabfluss noch nicht hinreichend dahingehend konkretisiert, dass sich die Klägerin der ausgeschütteten Beträge vollständig begeben hätte. Vielmehr ist auch zu berücksichtigen, dass die Klägerin gegen Ende des Jahres 2001 gerade keinen Abfluss liquider Mittel in größerem Umfang beabsichtigt hatte. Trotz hoher Guthaben auf einem Termingeldkonto hat die Klägerin die Kapitalertragsteuerzahllast nicht vollständig aus eigenen Mitteln beglichen. Vielmehr hat ein Gesellschafter der Klägerin noch Darlehensweise Mittel zur Verfügung gestellt, damit die auf die Ausschüttung angefallene Kapitalertragsteuer an das FA abgeführt werden konnte. Nach Auffassung des erkennenden Senats stellt angesichts dieses Umstandes die bloße Passivierung der Ausschüttungsverbindlichkeit gerade keinen hinreichend konkreten Mittelabfluss dar, sondern deutet vielmehr auf die Möglichkeit hin, dass die Klägerin den Mittelabfluss im Jahr 2001 noch nicht wollte, um die Liquidität zu erhalten.

18

III.

Die Kostenentscheidung folgt aus § 135 Abs. 1 FGO.