Oberverwaltungsgericht Niedersachsen
Beschl. v. 06.11.1991, Az.: 17 L 4/90

Verletzung des Mitbestimmungsrechts des Personalrats; Konkretisierung der Voraussetzungen der Leistungszulage für Schreibkräfte; Tariflich geregelte Zulagen

Bibliographie

Gericht
OVG Niedersachsen
Datum
06.11.1991
Aktenzeichen
17 L 4/90
Entscheidungsform
Beschluss
Referenz
WKRS 1991, 17390
Entscheidungsname
[keine Angabe]
ECLI
ECLI:DE:OVGNI:1991:1106.17L4.90.0A

Verfahrensgang

vorgehend
VG Stade - 18.12.1989 - AZ: 11 A 6/89

Verfahrensgegenstand

Leistungszulage für Schreibkräfte

Redaktioneller Leitsatz

  1. 1.

    Ein Mitbestimmungsrecht des Personalrats an Fragen der Lohngestaltung innerhalb der Dienststelle ist nur insoweit gegeben, als eine tarifliche Regelung nicht besteht.

  2. 2.

    Das Mitbestimmungsrecht nach § 75 Abs. 3 Nr. 4 Bundespersonalvertretungsgesetz (BPersVG) ist in den ersten Alternativen, insbesondere die "Aufstellung von Entlohnungsgrundsätzen", auf die Regeln über die Technik der Lohnfindung beschränkt, umfasst aber grundsätzlich nicht die materielle Seite, nämlich die Lohnhöhe und Lohnpolitik.

Der 17. Senat
- Fachsenat für Personalvertretungssachen des Bundes -
des Niedersächsischen Oberverwaltungsgerichts hat
im Termin zur Anhörung am 6. November 1991
durch
den Vorsitzenden Richter am Oberverwaltungsgericht Dr. Dembowski und
die ehrenamtlichen Richter Technischer Fernmeldebetriebsinspektor Bohemann,
Verwaltungsoberamtsrat Duschek,
Angestellter Janthor und
Regierungsdirektorin Knief
beschlossen:

Tenor:

Die Beschwerde des Antragstellers gegen den Beschluß des Verwaltungsgerichts Stade - Fachkammer für Personalvertretungssachen des Bundes - vom 18. Dezember 1989 wird zurückgewiesen.

Die Rechtsbeschwerde wird nicht zugelassen.

Gründe

1

I.

Der Antragsteller erstrebt die Feststellung, daß bei einer Konkretisierung der Voraussetzungen der Leistungszulage für Schreibkräfte sein Mitbestimmungsrecht verletzt worden ist.

2

Für die angestellten Schreibkräfte im Zuständigkeitsbereich des Antragstellers und des Beteiligten gilt der Tarifvertrag vom 10. Juli 1969, der die Gewährung einer Leistungszulage an Schreibkräfte "mit herausragenden Leistungen und besonderer Zuverlässigkeit" vorsieht (vgl. Protokollnotiz Nr. 4 vom 18. September 1969 in Anlage 1 a - Allgemeine Vergütungsordnung zum BAT Teil II - zusätzliche Tätigkeitsmerkmale N - Angestellte im Schreib- und Fernschreibdienst, Unterabschnitt I). Nach einer Arbeitstagung gab der Bundesminister der Verteidigung am 18. Oktober 1969 einen ergänzenden Erlaß über "Grundsätze für die Gewährung der Leistungszulage" (VR IV 5 - Az.: 18-20-15-01) heraus mit dem Hinweis auf einen "strengen Maßstab" und einer Bewertungstabelle zur Ermittlung von Leistungszulagen (Leistungsmerkmale: besondere Zuverlässigkeit, Stenogramme im Tagesdurchschnitt, durchschnittliche tägliche Schreibleistung in vollen Seitenzahlen). Um die Einzelbewilligung an allgemeinen und objektiven Feststellungen orientieren zu können, wurden sämtliche Schreibleistungen im Bataillonsbereich durch die Truppenverwaltung erfaßt, und zwar vom 10. Februar bis zum 14. März 1986.

3

Nach Auswertung und einem Gespräch mit sämtlichen Schreibkräften am 9. Juni 1986 - darunter der Schreibkraft Frau St., der damaligen Vorsitzenden des Antragstellers - gab die Truppenverwaltung des Beteiligten am 10. Juni 1986 einen Erlaß heraus mit je einem Abdruck für jede Schreibkraft, nach dem eine "geschriebene Seite" bei "DIN A 4 eineinhalbzeilig = 32 volle Zeilen" bedeutete.

4

Der Antragsteller vertrat daraufhin die Auffassung, bei der Bestimmung des Begriffes "geschriebene Seite" handele es sich um nach § 75 Abs. 3 Nr. 4 BPersVG mitbestimmungspflichtige "Entlohnungsgrundsätze" oder die Festsetzung von "vergleichbaren leistungsbezogenen Entgelten", so daß der Beteiligte darüber eine Dienstvereinbarung abschließen müsse (§§ 73, 76 Abs. 5 BPersVG). Der Beteiligte verneinte demgegenüber ein Mitbestimmungsrecht mit der Begründung, der Antragsteller versuche in unzulässiger Weise, auf Leistungsanforderungen für die tarifrechtlich geregelte Zulage Einfluß zu nehmen.

5

Der Antragsteller hat daraufhin das Verwaltungsgericht angerufen und beantragt, festzustellen, daß die Festlegungen des Beteiligten vom 10. Juni 1986 unter Verletzung der Mitbestimmungsrechte des Antragstellers zustande gekommen und folglich unwirksam sind.

6

Der Beteiligte hat beantragt,

den Antrag zurückzuweisen.

7

Mit Beschluß vom 18. Dezember 1989 hat das Verwaltungsgericht den Antrag des Antragstellers abgelehnt, im wesentlichen aus folgenden Gründen:

8

Zu Unrecht berufe sich der Antragsteller auf den Mitbestimmungstatbestand des § 75 Abs. 3 Nr. 4 BPersVG. Die Leistungszulage für Schreibkräfte sei tarifvertraglich geregelt; durch die Protokollnotizen sei schon eine nähere Eingrenzung (Auslegung) dessen vorgegeben, was den Zulagengrund ausmache, d.h. die "herausragende Leistung" mit den Leistungsmerkmalen Zuverlässigkeit, Anzahl der täglichen Stenogramme und Anzahl der täglich gefertigten "vollen Seitenzahlen (DIN A 4)". Deshalb ließen es schon die tarifvertraglichen Vorgaben formell nicht zu, im Bereich einzelner Dienststellen eigene Bewertungsgrundsätze und -systeme ggf. im Wege von Dienstvereinbarungen zu schaffen. Die Auslegung der vorgegebenen Bewertungskriterien, z.B. des Begriffs volle Seite DIN A 4 sei allein eine Frage der Rechtsanwendung, die nicht dem genannten Mitbestimmungstatbestand unterliege. Sie sei demgemäß auch der Disposition durch Dienstvereinbarung entzogen. Aber auch inhaltlich stehe dem Antragsteller bei der Entscheidung dessen, was die vorgegebenen Merkmale zur Bewilligung der Leistungszulage bei den Schreibkräften erfülle, ein Mitbestimmungsrecht nicht zu. Die Beteiligung nach § 75 Abs. 3 Nr. 4 BPersVG erstrecke sich nicht auf die Festsetzung der Leistungszulage im Einzelfall, sondern habe nur - abstrakt - generelle Regelungen auf dem gesamten Gebiet der Lohngestaltung zum Gegenstand. Auslegungsschwierigkeiten - wie oben unter 1. festgestellt - stellten vorgegebene Systeme der Leistungsbewertung oder Entlohnung aber nicht in Frage, sondern es gehe vielmehr um deren Übertragung und Entscheidung im Einzelfall. Weder unterlägen Auslegungen tarifvertraglicher Regelungen der Mitbestimmung nach § 75 Abs. 3 Nr. 4 BPersVG noch in deren Folge der Disposition durch Dienstvereinbarungen. Die Auslegung dessen, was eine volle DIN A 4-Seite ausmache, berühre nicht mehr die originären Rechte des Antragstellers, sondern allenfalls die Individualrechte der betroffenen Beschäftigten; diese könnten bei vermeintlich falscher Auslegung des Begriffes "herausragende Leistung" Arbeitsrechtsschutz erlangen.

9

Gegen den ihm am 11. Januar 1990 zugestellten Beschluß richtet sich die am 7. Februar 1990 eingelegte und gleichzeitig begründete Beschwerde des Antragstellers, mit der er sein erstinstanzliches Vorbringen vertieft und insbesondere geltend macht:

10

Es gehe ihm hier durchaus um eine generelle abstrakte Regelung, nicht um die Festsetzung der Leistungszulage im Einzelfall.

11

Der Antragsteller beantragt,

den angefochtenen Beschluß zu ändern und nach seinem erstinstanzlichen Antrag zu entscheiden.

12

Der Beteiligte beantragt,

die Beschwerde zurückzuweisen.

13

Er vertieft den angefochtenen Beschluß.

14

Wegen der weiteren Einzelheiten des Sachverhalts und des Vorbringens der Beteiligten wird auf den Inhalt der Gerichtsakten, die Gegenstand der mündlichen Anhörung waren, Bezug genommen.

15

II.

Die zulässige Beschwerde ist nicht begründet. Das Verwaltungsgericht hat den Antrag des Antragstellers zu Recht abgelehnt. Sein Beschwerdevorbringen kann zu keiner abweichenden Beurteilung führen.

16

Das - vom Antragsteller geltend gemachte und allein in Betracht kommende - Mitbestimmungsrecht an Fragen der Lohngestaltung innerhalb der Dienststelle, insbesondere der Aufstellung von Entlohnungsgrundsätzen, der Einführung und Anwendung von neuen Entlohnungsmethoden und deren Änderung sowie der Festsetzung der Akkord- und Prämiensätze und vergleichbarer leistungsbezogener Entgelte, einschließlich der Geldfaktoren (§ 75 Abs. 3 Nr. 4 BPersVG), ist durch die Festlegung des Beteiligten vom 10. Juni 1986 nicht verletzt worden. Denn dieses Mitbestimmungsrecht ist von vornherein nur gegeben, soweit eine tarifliche Regelung nicht besteht. Das ist hier, wie das Verwaltungsgericht zutreffend entschieden hat, aber der Fall. Denn der für die Dienststelle geltende Tarifvertrag vom 10. Juli 1969 regelt die Gewährung der Leistungszulage an Schreibkräfte "mit herausragenden Leistungen und besonderer Zuverlässigkeit" (Protokollnotiz Ziff. 4 in Anlage 1 a - Allg. Vergütungsordnung zum BAT Teil II -, zusätzliche Tätigkeitsmerkmale N - Angestellte im Schreib- und Fernschreibdienst, Unterabschnitt I). Der Vorrang des Tarifvertrages - ebenso wie des Gesetzes - beruht darauf, daß eine durch diese höherrangigen Rechtsquellen getroffene Regelung bereits einen für die Bediensteten billigen Interessenausgleich geschaffen hat, der im Mitbestimmungsverfahren nicht zur Disposition stehen soll, und soll verhindern, daß die Normsetzungsprärogative der Tarifparteien durch Einzelregelungen auf der Ebene der Dienststellen unterlaufen sind. Zwar greift die Sperrwirkung des Tarifvertrags - wie des Gesetzes - nur dann ein, wenn ein Sachverhalt durch ihn unmittelbar erschöpfend geregelt ist. Eine solche unmittelbare Regelung liegt aber auch dann vor, wenn der Tarifvertrag - wie im vorliegenden Fall und auch sonst häufig - relativ unbestimmte Begriffe verwendet, die der Auslegung zugänglich sind. Auch hier handelt es sich um die Anwendung von Tarifrecht, die der Mitbestimmung nicht zugänglich ist (vgl. Altvater/Bacher/Hörter/Sabottig/Schneider, BPersVG, 3. Aufl., § 75 RN 48, 90; Fischer/Goeres, BPersVG, § 75 RN 71). Ebensowenig wie an der Auslegung des Merkmals "besondere Zuverlässigkeit" von Schreibkräften stand dem Antragsteller deshalb hier ein Mitbestimmungsrecht an der Interpretation der tariflichen Voraussetzung "herausragende Leistungen" zu, insbesondere nicht an der Festlegung, was im Rahmen der vom Bundesminister der Verteidigung mit Erlaß vom 18. Oktober 1969 vorgegebenen Bewertungstabelle bei der Ermittlung der durchschnittlichen täglichen Schreibleistung in vollen Seitenzahlen als volle "geschriebene Seite" DIN A 4 zu verstehen sei.

17

Davon abgesehen beansprucht der Antragsteller hier ein Mitbestimmungsrecht an einer die Höhe des Entgelts festlegenden Voraussetzung und damit an einer materiellen Arbeitsbedingung, das ihm gemäß § 75 Abs. 3 Nr. 4 BPersVG nicht zusteht. Es ist allgemein anerkannt, daß sich das Mitbestimmungsrecht nach dieser Vorschrift in den ersten Alternativen, insbesondere die "Aufstellung von Entlohnungsgrundsätzen", auf die Regeln über die Technik der Lohnfindung beschränkt, aber nicht die materielle Seite, nämlich die Lohnhöhe und Lohnpolitik umfaßt (BVerwG, Beschl. v. 6.2.1987 - 6 P 8.84 -, PersV 1987, 428; Lorenzen/Haas/Schmitt, BPersVG, 4. Aufl., § 75 RN 133 m. Nachw.). Eine Ausnahme gilt lediglich für die "Festsetzung der Akkord- und Prämiensätze und vergleichbarer leistungsbezogener Entgelte, einschließlich der Geldfaktoren", wo durch diese abstrakt generellen Faktoren der Leistungsbemessung auch materielle Arbeitsbedingungen in die Mitbestimmung einbezogen sind. Hier besteht eine besondere Schutzbedürftigkeit des Arbeitnehmers, weil das leistungsbezogene Entgelt vom erzielten konkreten Arbeitsergebnis abhängt und durch eine unter Beteiligung der Personalvertretung festgelegte angemessene Berechnungsgrundlage ein Raubbau der Kräfte verhindert werden soll (BVerwG, Beschl. v. 20.3.1980 - 6 P 72.78 -, BVerwGE 60, 93 = PersV 1981, 296). Diese Ausnahme liegt hier jedoch nicht vor. Denn die in Rede stehende Leistungszulage für Schreibkräfte ist - im Gegensatz zu einer von der Zahl der Anschläge abhängigen Schreibprämie (BVerwG, Beschl. v. 23.12.1982 - 6 P 19.80 -, PersV 1983, 506) - kein "leistungsbezogenes Entgelt" i.S. von § 75 Abs. 3 Nr. 4 BPersVG. Ein solches ist nämlich nur dann gegeben, wenn sich die tatsächliche Arbeitsleistung unmittelbar und automatisch auf die Höhe des Entgelts auswirkt (BverwG, Beschl. v. 27.7.1979 - 6 P 46.78 -, PersV 1981, 166; Beschl. v. 23.12.1982, a.a.O., VGH, Beschl. v. 29.5.1987, PersR 1988, 105). Das ist bei der Leistungszulage hier nicht der Fall; hier wird vielmehr ein Zeitlohn gewährt, der aufgrund einer Bewertung der erbrachten Leistung durch eine Zulage als Lohnbestandteil aufgestockt wird, wobei diese Zulage bis zu einer Neubeurteilung konstant bleibt, selbst wenn sich die Leistung inzwischen verändert hat (BVerwG, Beschl. v. 26.7.1979 - BVerwG 6 P 44.78 -, PersV 1981, 71; Beschl. v. 27.7.1979, a.a.O.). Da es sich bei der Leistungszulage um kein "leistungsbezogenes Entgelt" handelt, steht dem Antragsteller deshalb auch gemäß § 75 Abs. 3 Nr. 4 BPersVG nicht das Recht zu, abstraktgenerell über die Voraussetzungen der Leistungsbewertung die materielle Höhe des Lohns mitzubestimmen. Die von den anderen Alternativen des § 75 Abs. 3 Nr. 4 BPersVG allein erfaßte technische Seite der Lohnfindung ist hier aber nicht berührt, weil die Leistungszulage der Schreibkräfte - wie dargelegt - nur einen von der Leistungsbewertung abhängigen Bestandteil ihres im übrigen unveränderten Zeitlohns darstellt.

18

Die Beschwerde war danach zurückzuweisen.

19

Die Rechtsbeschwerde war nicht zuzulassen, weil die gesetzlichen Voraussetzungen dafür nicht gegeben sind.

Dr. Dembowski
Bohemann
Janthor
Knief
Duschek